Kapitel 20
„Sometimes I feel like givin' up, but I just can't;
It isn't in my blood."
-Shawn Mendes
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Shawn
Oh nein, dieses Mädchen hatte mich eindeutig nicht vermisst. Es war pure Einbildung und doch war die Zeit stehengeblieben. Jede Frage, die ich ihr hatte stellen wollen, jedes Wort, das mir auf der Zunge gelegen hatte, war wie ausgelöscht. Ich hatte noch nie einen Menschen dermaßen wütend erlebt.
Meine Schwester stand einfach nur da und es kümmerte sie nicht, dass neue Tränen über ihre Wangen liefen. Die Luft war viel zu heiß. Sogar für Miamis Verhältnisse. Es waren vermutlich nur ein paar Herzschläge vergangen, und doch erschrak ich, als mein Vater anfing zu sprechen. Seine Stimme klang schärfer als sonst.
„Time-Out. Aaliyah Mendes, achte auf deine Worte. Was ist passiert?"
Liyah lachte hysterisch und sah Dad nur eine Sekunde lang an, bevor sie mich wieder mit Blicken erdolchte.
„Was passiert ist? Frag' doch diesen Verräter hier. Ich dachte, du wärst mein Bruder. Ich dachte, du würdest wollen, dass ich glücklich bin."
Der Schmerz in meiner Brust war mit nichts vergleichbar und er würde es auch niemals sein. Doch bevor ich etwas entgegnen konnte, fuhr Mum dazwischen.
„Moment mal, worum geht es hier eigentlich?"
„Was denkt ihr denn wohl?" Ich hatte meine kleine Schwester in den fünfzehn Jahren, die sie lebte nicht einmal so aufgelöst gesehen.
„Es geht um Danny. Danny Braxton."
Hatte ich das gerade gesagt? Vermutlich. Klang ich nach mir selbst? Kein bisschen.
„Aaliyah..." Bereits am Tonfall meiner Mutter erkannte ich, dass ein typischer „Wir-lieben-dich-aber..." - Satz folgen würde. Und ich behielt Recht.
„Aaliyah, wir lieben dich. Du glaubst gar nicht, wie sehr wir dich lieben. Und du weißt... Du weißt auch, dass wir nur das Beste für dich wollen..."
„Bullshit!" Aaliyahs Fluch ließ Dad zusammenzucken, doch er sagte nichts. „Ihr wollt nichts als das Beste für euch selbst und euren Sohn, den Popstar."
Ihre Stimme triefte vor verletztem Spott, doch was am meisten schmerzte, war die Tatsache, dass sie nicht von ihrem Bruder sprach, sondern lediglich vom Sohn ihrer Eltern.
„Aaliyah, das stimmt überhaupt nicht und das sollte dir längst klar sein."
Manuel Mendes konnte man als die Ruhe selbst bezeichnen, doch jetzt war unverkennbar, dass die Gesamtsituation, in der wir uns alle einzuordnen versuchten, an den Nerven meines Vaters zerrte.
„Nein? Bloß, weil Danny nicht eure Vorstellungen des perfekten Freundes erfüllt, soll ich mich auf einmal von ihm fern halten? Ihn... Ihn würdet ihr unterstützen, egal was für eine Schlampe er mit nach Hause bringt..."
„Lyiah, beruhig dich", sagte ich, erstaunt über meine eigene Ruhe. Ich legte eine Hand auf ihre Schulter, doch sie schlug sie schneller weg, als der Blitz sein konnte.
„Erstens: Mein Name ist Aaliyah. Zweitens: Wage es nicht, mich anzufassen."
Eis. Pures Eis in ihrer Stimme.
Die Luft zwischen uns wurde noch dicker, als Aaliyah quer durch die Wohnung in Richtung eines der Gästezimmer stürmte. Bevor sie mit dem lautesten Knall in der Dezibel-Geschichte die Tür zuknallte, beäugte sie mich ein letztes Mal. Ich wagte es nicht länger, zu atmen.
„Du bist für mich gestorben."
Dann verschwand sie.
Leute? Vergesst, was ich vorhin gesagt habe. In die Augen eines geliebten Menschen zu sehen und zu wissen, dass man ihn verloren hatte, obwohl er noch immer direkt vor einem stand. Dieser Schmerz war mit nichts vergleichbar.
Meine Show in Detroit war fünf Tage entfernt. Und an den ersten zwei des Countdowns geschah... gar nichts. Buchstäblich. Ich verbrachte meine Nächte vor dem Zimmer, in dem sich Aaliyah eingeschlossen hatte und wartete auf meine Chance, die Wogen zwischen uns zu glätten. Doch mein eigenes Leben schien mir zunehmend durch meine Finger zu gleiten.
Mein Hintern war eingeschlafen, doch ich ignorierte die Ameisenwettläufe in meinem Körper und hämmerte wieder und wieder gegen die Tür.
„Aaliyah... Aaliyah, mach' die Tür auf. Irgendwann müssen wir miteinander reden. Komm schon."
„Verpiss dich, Shawn."
Nachdem sie mich zum zehnten Mal mit diesen Worten abgewiesen hatte, hatte ich aufgehört zu zählen. Aber nicht aufgehört, um das Vertrauen meiner Schwester zu kämpfen. Ich liebte sie, ich wollte, dass sie glücklich war. Aber ich wusste leider auch, dass Danny Braxton nicht derjenige sein würde, der ihr dieses Gefühl bescheren würde.
„Kumpel, du weißt, dass das noch eine ganze Weile dauern kann, oder?"
Andrews Stimme riss mich aus meinen Gedanken, als er sich neben mich hockte. Ich zuckte die Achseln und fuhr mir durch die Haare, um etwas zu tun zu haben. Ich würde durchdrehen.
„Kann schon sein. Aber ich muss das einfach regeln. Sie ist meine Schwester, Andrew."
Mein Manager seufzte und suchte meinen Blick. „Shawn, du musst ihr Zeit lassen. Aaliyah muss sich neu sortieren. Sie fühlt sich verraten und braucht noch eine Weile, um die Wahrheit zu erkennen. Sie wird als anderer, als stärkerer Mensch zurückkommen, aber ihr Herz wird immer an derselben Stelle bleiben. Du bist der beste Bruder, den sie sich wünschen könnte. Bald wird sie wieder die Alte sein. Vertrau mir."
Er legte mir seine Hand auf die Schulter und drückte sie zuversichtlich.
Mein Herz zog sich bei meinen nächsten Worten zusammen. Schwarze Locken und die glänzendste aller Seelen drängten sich in mein Bewusstsein.
Sie wird zu dir zurückkehren.
„Genau das hat Camila auch gesagt." Ich lächelte schwach, doch ich wusste, dass es echt war. Nachdem ich es schier unendlich lang verzweifelt gesucht hatte, kam mein Lächeln wieder und es hatten nur ihre Augen geschafft.
„Du liebst sie sehr, oder?"
Wieder saß Dad plötzlich auf der anderen Seite neben mir und fast hätte ich über die Tatsache gelacht, dass drei Männer den Eingang zum Zimmer meiner Schwester blockierten.
„Dad, ich..." Ich schluckte. Meine Güte, warum hatte ich dauernd das Bedürfnis, in Tränen auszubrechen? War es das, was die Liebe mit mir machte? Ließ sie mich jedes einzelne Gefühl empfinden, bis ich fast darin ertrank? Zog sich mein Herz jedes Mal zusammen, wenn ihr Name fiel und breitete sich wieder aus, wenn sie mich anlächelte? War das Feuer normal? Das Eis? Die Gänsehaut?
„Ich habe Angst, dass..."
„Wovor hast du Angst, mein Sohn? Dass sie die Richtige sein könnte?"
Ein Laut, der einem Lachen ähnelte, entwich mir. Genau davor hatte ich vermutlich Angst. Zu lieben. Wahrhaft zu lieben, so sehr, dass ich mein Herz dauerhaft auf der Zunge trug und irgendwann daran erstickte. Obwohl die Angst vor meinem eigenen Schmerz gar nicht die größte war. Ich würde Camila früher oder später nach unten ziehen, wenn sie meine Hand hielt. Ich würde ihre Seele vergiften und ihren Augen den Glanz nehmen. Ich wollte sie und wusste nicht, ob sie mich wollen sollte. Ob sie überhaupt das Gleiche fühlte, wenn wir in der Nähe des anderen waren. Doch all das konnte ich nicht sagen. Nicht jetzt, wo ich den größten und riskantesten Plan ausklügelte und wusste, dass er die richtige Entscheidung war. Egal, wie kaputt ich selbst war.
„Ich weiß nicht, ob es der richtige Zeitpunkt ist", gab ich deshalb zurück und ließ meinen Blick zwischen meinem Vater und Andrew hin- und herwandern. Beinahe hätte ich wieder über die Ironie der Situation gelacht. Hatte Camila mir nicht genau das beigebracht? Dass jetzt der einzig richtige Zeitpunkt war, um zu leben und zu sein?
„Shawn...", fing Andrew an, bevor Dad ihn ablöste.
„Eine Sache musst du noch über die Liebe lernen. Für sie gibt es keinen richtigen Zeitpunkt. Die Liebe zeigt dir, wann der Zeitpunkt richtig ist."
„Jetzt", flüsterte ich langsam.
„Jetzt.", kam es synchron von links und rechts.
Ich liebe sie. Ich liebe Camila Cabello.
„Geht der Plan auf?", fragte ich, um mein Herz nicht vom Schlagen abzubringen.
„Wir haben sie gefunden", gab mein Manager zurück und sah mich an, als würden wir eine Verschwörungstheorie aufstellen. Ich kam kaum gegen mein Grinsen an. „Die Flüge sind gebucht. Ich war eigentlich überrascht, dass mir die beiden so schnell vertraut haben. Sie haben sich zwar gefragt, was zur Hölle du mit Camila zu tun hast, aber sie kommen."
Mein Seufzer war der lauteste, den Florida jemals gehört hatte. „Danke Andrew."
„Wenn ihr dann endlich den Stock aus euren Hintern nehmt, ist alles in Ordnung. Aber Shawn?"
Mein Atem stockte.
„Wehe du machst einen Rückzieher."
Ich ignorierte seinen Blick, der mich fragte, ob ich Drogen konsumiert hatte, als ich lachte wie ein Vollidiot.
„Weißt du was, Andrew? Maktub."
Mein Manager zuckte die Achseln. Seine gesamte Erscheinung schrie geradezu: Ich habe keine Ahnung, was zum Teufel hier los ist.
Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit verstrich, nachdem Dad schlafen ging und mich wieder alleine vor der Aaliyahs Zimmer zurückließ, doch mein persönliches Maktub schein mich wohl zu hören, denn kurz bevor ich in einen Schlaf voller schwarzer Locken und voller Lippen abdriftete, öffnete sich die Tür und gerade noch konnte ich meinen Flug nach hinten verhindern. Endlich stand ich wieder auf meinen Beinen und sah mich um, um herauszufinden, warum passierte, was passierte, doch all das zerfiel in Sekundenbruchteilen zu Schutt und Asche, als ich in Liyahs Gesicht sah.
Sie versuchte mit aller Kraft, ihre Verzweiflung zu verbergen, doch ihre verquollenen Augen sprachen Bände. Einen Moment lang war ich starr wie eine Salzsäule und spürte die Übelkeit von Kopf bis Fuß.
Was hat er dir angetan?
Meine Schwester trat ein paar Schritte nach hinten und ließ sich auf ihr Bett fallen. Ich breitete instinktiv schweigend meine Arme aus, als sie wieder aufstand und ihre Wange meine Brust berührte. Ich spürte ihre Tränen, noch bevor ich sie hörte, und als meine kleine Schwester aufschluchzte, kam ich endlich wieder in der Gegenwart an. Ich wiegte sie sanft hin und her, während ich ihren Schmerz still teilte. Fast.
„Ich bringe ihn um."
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Hier das neue Kapitel für euch! <3
Was denkt ihr... Hatte Shawn die ganze Zeit Recht? Und von welcher großen Überraschung für Camila ist wohl die Rede? :D
Ich bin sehr gespannt auf eure Meinungen und wünsche euch einen wundervollen Abend. <3
Maggie <3
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