7 // vertragen ist nicht gleich versöhnungssex

Müde setze ich mich in meinen dunkelgrauen Wagen und starte den Motor. Das erste Mal in den letzten Stunden werfe ich einen kurzen Blick auf mein Handy und sehe, dass Amir mir zwei Nachrichten gesendet hat.

"Wieso hast du mich weggedrückt?"

"Melde dich mal, was soll das?"

Genervt verdrehe ich die Augen. Der Abend mit Shalik war so schön und ich bin noch so high von meinen Gefühlen und seiner anziehenden Art, dass ich mich jetzt eigentlich überhaupt nicht mit Amir befassen will.

Ich habe mich noch nie so schnell zu jemandem so hingezogen gefühlt wie zu Shalik. Obwohl wir nichts Besonderes gemacht haben, war das ein richtig schöner Abend.

Es fühlt sich einfach falsch an, von diesem nahezu perfekten ersten Date zu kommen und auf dem Rückweg erstmal meinen Sexfreund anzurufen.

Nichtsdestotrotz hat Amir mir nichts getan und es nicht fair, mich jetzt so bitchy ihm gegenüber zu verhalten und ihn zu ignorieren, schließlich behandelt er mich auch immer gut.

Deshalb fasse ich mir ein Herz und wähle seine Nummer. Das Wählzeichen ertönt dröhnend laut aus den Boxen meines Autos und es dauert nicht lange, bis er abnimmt.

"Aha, dein Handy geht ja doch", bellt er spürbar gereizt in den Hörer.

"Hallo Amir, auch schön von dir zu hören", gebe ich patzig zurück.

"Ich hätte mich auch gefreut, aber vor vier Stunden", entgegnet er vorwurfsvoll.

"Ja entschuldige bitte, ich war unterwegs", erwidere ich aufgebracht. Welche Laus ist dem denn über die Leber gelaufen, dass er mich jetzt so anfährt? Er war gestern schon so komisch..

Als ob ich nichts anderes zu tun hätte, als darauf zu warten, dass er sich bei mir meldet. Seit wann stellt er solche deplatzierten Besitzansprüche an mich? So kenne ich ihn gar nicht.

"Was gab's denn?", versuche ich, die Wogen ein wenig zu glätten und setze den Blinker, um kurz darauf auf die Hauptstraße abzubiegen.

"Ich wollte dich fragen, ob du vorbeikommen kannst", antwortet er genervt.

"Sorry, ich habe deine Nachrichten erst jetzt gelesen, aber ich war wie gesagt eh verabredet", entschuldige ich mich halbherzig. Nach meinem Verständnis gibt es eigentlich keinen Grund für eine Entschuldigung, aber ich bin auch nicht in der Stimmung einen Streit zu provozieren.

"Wo warst du denn?", hakt Amir nach.

"Bei einem Freund", antworte ich nüchtern, auch wenn ich nicht weiß, was ihn das angeht.

"Aha. Hattest du ein Date, oder was?", gibt er spitz zurück.

"Ne, hatte ich nicht", lüge ich und weiß nicht mal wieso. "Was soll dieses Kreuzverhör jetzt?"

Amir lacht verächtlich auf. "Wo bist du jetzt?", wechselt er das Thema.

"Auf dem Weg nachhause."

"Komm mal noch vorbei", fordert er mich wieder deutlich weicher auf.

"Ich bin richtig müde. Ich will nur noch ins Bett", jammere ich und bremse meinen Kleinwagen an einer roten Ampel ab.

"Ist nicht schlimm, du kannst hier schlafen", entgegnet Amir selbstsicher.

Ich muss lachen. "Macht doch dann gar keinen Sinn, wenn ich vorbeikomme, um zu schlafen. Dann können wir uns lieber die Tage sehen."

"Ich will dich aber jetzt sehen, Tiara", beharrt Amir quengelnd auf seiner Meinung.

"Und ich will schlafen", bleibe ich stur.

"Das heißt wenn du mich besoffen anrufst und bumsen willst, muss ich springen, aber wenn ich dich mal anrufe und bitte vorbeizukommen, lässt du mich hängen?" Seine Stimme ist schneidend und ich kann mir genau vorstellen, wie er gerade aussieht; die braunen Augen kalt und starr, die Stirn in Falten gelegt und den markanten Kiefer wütend zusammengepresst.

Ich drücke aufs Gaspedal und schüttele fassungslos den Kopf. "Bist du dumm oder so? Wer sagt denn, dass du springen musst? Du könntest genauso gut nein sagen, wenn es dir nicht passt. Ich würde bestimmt nicht so 'ne überzogene Szene machen wie du gerade. Außerdem gehören zum Sex immer zwei Personen und es kam es mir bis jetzt nicht so vor, als hätte ich dich gegen deinen Willen vergewaltigt", fahre ich ihn an. Ich habe die ganze Zeit versucht ruhig zu bleiben, doch langsam aber sicher macht er mich wütend.

"Du kommst also nicht?", hakt Amir noch einmal nach.

"Nein", antworte ich einsilbig.

"Okay, alles klar", antwortet er und es ist klar, dass gar nichts klar ist. Amir ist sauer auf mich.

"Sorry, aber wir können uns die Tage treffen", versuche ich einen Kompromiss zu finden.

"Ne danke. Ich hätte dich jetzt gebraucht, nicht nächste Tage", entgegnet er enttäuscht.

Ich seufze leise auf. "Was ist denn los mit dir? Du fährst doch sonst nicht so aus der Haut. Ist was passiert?"

"Kein' Bock am Telefon darüber zu reden", weicht er mir aus.

Ich werfe einen kurzen Blick auf die Uhr in dem Bildschirm der Mittelkonsole. 2.30 Uhr. "Gib mir fünfzehn Minuten", murmele ich resigniert und lege ohne ein weiteres Wort auf.

Vielleicht ist es falsch, jetzt zu tun was Amir von mir verlangt und mich von ihm weichklopfen zu lassen, aber ich habe ein schlechtes Gewissen. Es gab auch schon Situationen, in denen ich Amir gebraucht habe, und damit meine ich nicht nur, dass ich auf dem Trockenen war. Ich habe ihn wie er sagte besoffen angerufen, wenn ich einfach gerade nicht alleine sein wollte, wenn ich frustriert war oder es zuhause nicht mehr ausgehalten haben.

Ich bin eben nicht nur für Sex zu ihm gefahren, sondern habe mich auch bei ihm ausgeheult, ihn geradezu benutzt, wenn ich das Bedürfnis nach Nähe hatte oder mich von ihm aufmuntern und ablenken lassen.

Ironischerweise genau das, was ich heute bei Shalik gesucht habe.

Wieso habe ich eigentlich nicht Amir angerufen? Der Gedanke kam mir irgendwie nicht..

Auch wenn Amir mir gerade meine gute Laune versaut, wäre es falsch ihn jetzt hängen zu lassen. Ich bin ein loyaler Mensch und neige eher dazu mich selbst und meine Bedürfnisse zu vergessen, um anderen zu helfen.

Es dauert nicht mal zehn Minuten, bis ich bei Amir angekommen bin. Ich stelle den Motor ab und nehme mir einen Moment, um Shalik noch kurz zu schreiben. "Ich bin jetzt zuhause und werde direkt schlafen gehen. Danke dir für den schönen Abend. Du hast es geschafft, mich aufzumuntern 😊", tippe ich in mein Handy.

Das ist schon die zweite Lüge in so kurzer Zeit, aber wie soll ich ihm erklären, was ich gerade wirklich tue?

Könnte vielleicht etwas komisch kommen, wenn ich ihm nach unserem ersten Treffen locker flockig erzähle, dass ich zwar bei ihm abgehauen bin, weil ich so müde war, jetzt aber kurz noch einen Abstecher bei meinem F+ mache.

Seufzend sperre ich das Display und stecke mein Handy in die Tasche meiner Strickjacke. Ich ziehe den Schlüssel ab und steige aus dem Auto.

Ich klingele und werde von Amir rein gelassen. Schwerfällig laufe ich durch das enge Treppenhaus nach oben. Ich bin unendlich müde und will am liebsten nur noch in mein Bett.

Amir steht schon in der Wohnungstür und wirft mir einen undefinierbaren Blick zu. Er wirkt schlecht gelaunt, was mich nicht überrascht, sieht aber auch allgemein ziemlich fertig aus. Sein durchtrainierter Körper steckt in einem roten Adidas Jogger, seine Haare sind nicht gestylt und er wirkt unrasiert.

Ich ringe mir ein versöhnliches Lächeln ab und umarme ihn wortlos. Amir legt seine Arme um meinen schlanken Körper und drückt mich fast schon sehnsüchtig an sich. Ich nehme seinen vertrauten Geruch wahr und er vergräbt sein Gesicht schutzsuchend in meinen Haaren.

Wir stehen einen Moment lang nur so da, halb im Hausflur, bis Amir sich irgendwann von mir löst und mich hereinbittet.

"Komm mit ins Wohnzimmer", fordert er mich auf und geht einfach vor. Ich ziehe mir die Schuhe aus und folge ihm in den Raum am Ende des Flures.

Sein Wohnzimmer ist ähnlich einfach eingerichtet wie Shaliks. Dunkelblaue Wände, eine graues Big Sofa, ein weißer Tisch und ein farblich passendes Sideboard, über dem ein Fernseher hängt.

Amir hat weder einen Ordnungs- noch einen Putzfimmel, aber heute ist es selbst für seine Verhältnisse auffallend chaotisch in der einfachen Zwei-Zimmer-Wohnung.

Er liegt schon auf der Couch und scheint meinen irritierten Blick bemerkt zu haben. "Sorry, ist nicht besonders aufgeräumt heute", nuschelt er entschuldigend.

Ich setze mich auf die Sofakante und sehe ihn ernst an. "Was ist los mit dir? Muss ich mir Sorgen um dich machen?"

"Weil ich nicht aufgeräumt habe?", fragt er und zieht seine dichten Augenbrauen zusammen.

"Weil du mich terrorisiert hast wie ein Stalker?", gebe ich zurück und verschränke meine Arme trotzig vor der Brust.

"Tut mir leid, okay?", antwortet er reumütig und rutscht zu mir herüber. "Ich hatte einfach einen miesen Tag und wollte dich sehen. Es hat mich abgefuckt, dass du ausgerechnet dann stundenlang nicht zu erreichen warst."

"Ja muss ich doch auch nicht sein, oder? Du bist doch nicht mein Vater, dass ich dir Rechenschaft schuldig bin", entgegne ich genervt.

"Warum bist du jetzt so zu mir?", fragt er beleidigt und versucht mich an sich zu ziehen, doch ich wehre mich mit aller Kraft dagegen.

"Ich will das jetzt nicht", zische ich.

"Also hattest du doch ein Date?", provoziert er mich und lässt von mir ab.

"Ist das jetzt dein Ernst? Bin ich jetzt hierhin gekommen, damit du weiter Stress machen kannst?"

"Du machst doch Stress, Alter. Ich will mich doch mit dir vertragen, aber du weist mich ab."

"Vertragen ist nicht gleich Versöhnungssex", erkläre ich spitz und rücke ein Stück von ihm ab.

"Wer redet denn jetzt von Sex?", fragt er aufgebracht.

"Du versuchst doch mich anzufassen."

Amir lacht verbittert auf und rauft sich durch die Haare. "Jetzt darf ich dich also nicht mal mehr anfassen? Hat sich gestern aber noch ganz anders angehört."

Ich erhebe mich ruckartig von der Couch. "Ich sollte jetzt besser gehen, bevor das ganze hier gleich eskaliert", beschließe ich.

Amir steht ruckartig von der Couch auf und greift nach meiner Hand. "Was soll das jetzt? Wieso willst du unbedingt streiten? Ich wollte dich bei mir haben und du stößt mich die ganze Zeit nur weg", wirft er mir vor.

Ich nehme seine Hände in meine und schaue ihm tief in die dunklen Augen. "Ich will nicht streiten", sage ich mit ruhiger Stimme. "Aber was du hier gerade abziehst, kann ich mir nicht geben. Ich hatte auch einen beschissenen Tag, weißt du? Ich habe mich selbst verabredet, weil ich es zuhause nicht mehr ausgehalten habe. Du weißt doch am besten, wie besoffen ich gestern war und wie wenig ich geschlafen habe. Ich bin einfach nur verdammt müde und trotzdem bin ich hierhin gekommen, um für dich da zu sein, aber alles was von dir kommt sind Vorwürfe und Unterstellungen. Sei mir nicht böse, Amir, aber ich glaube wir tun uns heute beide nicht so gut."

Dann löse ich meine Hände aus seinen und lasse ihn stehen. Ich spüre seinen Blick in meinem Rücken, aber er kommt mir nicht nach.

Schnell schlüpfe ich in meine Sneakers und ziehe die Wohnungstür hinter mir ins Schloss.

Als ich wieder in meinem Auto sitze, muss ich erstmal tief durchatmen.

Was zur Hölle war das gerade?

Was ist nur in ihn gefahren?

Ich lasse meinen Kopf gegen die Kopfstütze sinken und schließe die Augen. Es dauert einige Minuten bis ich mich beruhigt und genug Kraft gesammelt habe, endlich nachhause zu fahren.

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Meine Lieben,

Was sagt ihr zu Amirs Verhalten in diesem Kapitel? Und was denkt ihr, steckt dahinter?

Wärt ihr an Tiaras Stelle auch zu Amir gefahren oder nicht? Könnt ihr sie verstehen?

A.

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