50 // wie die letzte hure

Es ist mitten in der Nacht und stockdunkel, als Chico sich plötzlich kerzengerade aufrichtet, alarmiert vom Bett springt und schnell in den Flur läuft, sodass seine Pfoten ein lautes Tapsen auf dem Laminat erzeugen.

Ich suche nach meinem Handy und schiele auf das grell leuchtende Display. 4.29 Uhr.

Plötzlich jankt Chico, tippelt von einem Bein aufs andere und dreht sich unruhig vor der Wohnungstür um sich selbst.

Sofort rutscht mir mein Herz in die Hose und ich bin schlagartig hellwach. Was hört der kräftige Rüde im Flur, was ihn derart nervös macht?

Der Junghund heult erneut auf, fast wie ein kleiner Wolfswelpe und nun höre ich auch, was er hört: dumpfe Schritte im Treppenhaus, die sekündlich weiter von unten nach oben vordringen.

Mein Herz klopft aufgeregt gegen meine Brust. Für gewöhnlich macht sich Chico nicht besonders viel aus Geräuschen im Flur, schließlich lebt er schon seit kleinauf mit Shalik in dem Mehrfamilienhaus, in dem sich zwangsläufig häufig fremde Menschen bewegen. Er kennt die Geräusche und reagiert lediglich darauf, wenn er Shalik oder mittlerweile auch mich die Treppen hochsteigen hört. Doch ich bin hier und Shalik ist 300km weit weg auf der Flucht.

Was sonst hört Chico also?

Chico kratzt mit einer Pfote an der weißen Wohnungstür. "Hey!", ermahne ich ihn zischend. Es tut ihm wirklich nicht gut, schon so lange von seinem Herrchen getrennt zu sein, er wird immer komischer.

Als von außen ein Schlüssel ins Schloss gesteckt wird, bleibt mir die Luft weg. Mein Herz rast und ich bin urplötzlich hellwach. Schnell steige ich aus dem Bett und drücke mich ängstlich hinter die Zimmertür.

Wer ist das mitten in der Nacht?

Kommt nun die nächste Razzia auf mich zu?

Der Schlüssel wird im Schloss herumgedreht.

Habe ich irgendwas, womit ich mich bewaffnen kann? Baseballschläger, Messer, Pfefferspray?

Meine Augen scannen suchend das Schlafzimmer ab, in dem nur die allmählich aufgehende Sonne für eine leichte Dämmerung sorgt.

Knarzend wird die Tür aufgeschoben und in dem Moment rastet Chico aus. Er jankt, er bellt. Ich höre wie er auf und ab springt und schnauft.

Vorsichtig wage ich einen Blick in den Flur und traue meinen Augen nicht.

Halluziniere ich?

Oder steht da wirklich Shalik im Flur und knuddelt seinen bulligen, kleinen Hund sehnsüchtig?

"Shalik?", rufe ich leise. Er hebt kurz den Kopf. "Ja", antwortet er nur.

Zögerlich bewege ich mich aus meinem notdürftigen Versteck und reibe mir ungläubig die Augen.

"Was machst du hier?", frage ich verwirrt.

"Ich muss mit dir reden", erklärt er nüchtern. Weder ist er traurig oder aufgebracht, wie ich es erwartet hätte, noch freut er sich mich zu sehen und schließt mich wie seinen Hund erleichtert in die Arme. Ich kann nicht mal sagen, was mir lieber wäre.

"Lass uns ins Wohnzimmer gehen", fordert er mich auf.

Wir setzen uns mit deutlichem Abstand auf die Couch und nun, in dem hellen Licht der Deckenlampe, kann ich ihn auch endlich richtig betrachten.

Er wirkt schmaler als sonst, die Haut fahl und die Lider rot gerändert. Er trägt eine schwarze Jogginghose und ein hellblaues Oversize Shirt, dass ich noch nie zuvor an ihm gesehen habe. Seine Wangen sind stoppelig und unrasiert, seine Haare verwuschelt.

"Tiara, wieso hast du das gemacht? Wieso hast du dich mit Amir getroffen?", fällt er gleich mit der Tür ins Haus und fixiert mich mit einem kalten Blick.

"Es war eine Kurzschlusshandlung", antworte ich beschämt. "Ich war so sauer auf dich, dass du mich nicht ernstgenommen hast, dass ich es dir einfach zeigen wollte."

Ich merke selbst, wie bescheuert und kindisch sich das anhört, auch wenn es sich gute 36 Stunden zuvor noch absolut schlüssig und richtig angefühlt hat.

"Was habt ihr gemacht? Warst du bei ihm?"

Ich schüttele den Kopf. Auffordernd sieht er mich an. "Er war hier. Wir haben uns abends getroffen und-" Shalik fällt mir aufgebracht ins Wort: "Du hast ihn ernsthaft in meine Wohnung geholt? Brennst du?"

Dann dreht er sich zu dem gefleckten Rüden, der mit seinem bulligen Kopf selig auf Shaliks Schoß liegt. "Was bist du denn für ein Verräter?", fragt er den kleinen Hund beleidigt. Sofort hebt er den Kopf, zieht die Ohren schuldbewusst nach hinten und macht große Augen. "Du bist mein Hund, ein Kampfhund und dann lässt du andere Männer hier rein. Schäm dich." Chico zieht den Schwanz ein und schaut sein Herrchen traurig an.

"Er hat sein Bestes gegeben", kommentiere ich trocken und streiche mitleidig über das braun-weiße Fell meines kleinen, treuen Freundes.

"Wie meinst du das?", hakt Shalik nach.

"Chico hat ihn angeknurrt, nicht aus den Augen gelassen und sich neben mir breit gemacht, sodass er sich nicht neben mich setzen kann", lasse ich das merkwürdige Verhalten des Hundes Revue passieren und auch wenn ich seinen Namen nicht ausspreche, verdunkelt sich Shaliks Blick jedes Mal ein bisschen mehr, wenn ich von ihm rede.

"Fein", flüstert er leise und tätschelt nun wieder den Kopf seines treuen Begleiters.

"Traurig, dass der Hund mehr verstanden hat, was sich gehört und was nicht, als du."

Ich atme tief durch. Shalik ist auf Angriff und ich kann es ihm nicht mal verübeln.

"Sag mir jetzt die Wahrheit: hast du gestern Abend mit ihm gefickt, Tiara?", schießt er hinterher, bevor ich was sagen kann.

"Nein", gebe ich entschieden zurück. "Er ist spontan vorbei gekommen, wir haben was zu essen bestellt, was getrunken und gequatscht und dann ist er wieder gegangen."

"Also er war hier, in meiner Wohnung, der Typ, der in dich verliebt ist, ihr beide ganz alleine, kurz nachdem wir uns getrennt haben, und du willst mir sagen, dass er sich nicht an dich rangemacht hat?", zählt Shalik auf. Sein Kiefer tritt deutlich hervor und er reibt unruhig mit seinen Händen über seine Beine.

"Ja-ah", antworte ich langsam und betone jeden Buchstaben einzeln.

Shalik stiert mich eindringlich an, bis er abrupt aufsteht. Mir rutscht das Herz in die Hose.

Kurz denke ich, dass er nun ausrastet und mir eine schmiert, schließlich weiß ich nur zu gut, wie eifersüchtig er ist, vor allem wegen Amir, aber stattdessen fängt er aus heiterem Himmel an zu weinen wie ein kleines Kind.

Er vergräbt sein Gesicht in seinen Händen, schluchzt lautstark und sinkt leicht in die Knie.

Ein schmerzendes Ziehen durchfährt meine Brust und ich fühle mich Hundeelend, dass ich ihm solche Qualen bereite.

"Du hast mein Herz gebrochen, Tiara. Wieso hast du mir das angetan?", weint er. "Du wusstest doch, in welcher Situation ich bin und hast mich eiskalt in dieser schweren Zeit verraten. Du hast versprochen, dass du zu mir hältst und ich habe dir geglaubt. Es war alles gut zwischen uns, bis zu dieser verfickten Razzia."

Nun schiebt er die Hände beiseite und geht vor mir leicht in die Hocke, um mir intensiv in die Augen zu sehen. "Es war alles okay. Wir hatten wirklich eine schöne Beziehung und ich hab dich so sehr geliebt. Ich weiß, dass ich kein guter Mensch bin, aber ich war doch immer gut zu dir, oder nicht?"

Traurig nicke ich und wische mir beschämt eine Träne aus dem Augenwinkel.

"Was ich gemacht habe, mit diesem Typen und den Drogen, das hatte doch nichts mit uns zu tun. Ich habe dich nie angelogen, ich habe dir immer die Wahrheit gesagt und du hast dich dazu entschieden, bei mir zu bleiben."

"Ich wusste doch nicht, dass es so weit kommt", entgegne ich und beiße mir auf die Unterlippe. "Ich hab dir gleich gesagt, dass ich das für eine absolut beschissene Idee halte, aber du hast mich vor die Wahl gestellt, es zu akzeptieren oder zu gehen. Ich hatte kein Mitbestimmungsrecht, als du entschlossen hast, neben deinem auch mein Leben vor die Wand zu fahren."

"Und deshalb hast du dich dazu entschieden, bei mir zu bleiben und mich so richtig zu ficken?", knallt er mir an den Kopf. "Erst triffst du dich beim erstbesten Streit mit diesem Hurensohn und als nächstes packst du dann bei der Verhandlung vor Gericht gegen mich aus, oder was?"

Fassungslos starre ich ihn an.

Das hat er gerade nicht wirklich gesagt oder?

"Willst du mich verarschen?", frage ich kopfschüttelnd und schiebe ihn von mir weg, um wütend aufzustehen. "Das würde ich nie tun und das weißt du ganz genau. Du kennst mich besser als jeder andere."

"Dachte ich auch, bis du dich wie die letzte Hure verhalten und dich mit deinem Ex getroffen hast", brüllt er.

Ich sehe rot und mir brennen alle Sicherungen durch.

Zornig hole ich aus und schlage Shalik mit der flachen Hand ins Gesicht. Schallend hallt das Geräusch meiner Handfläche auf seiner Wange durch den Raum.

Shalik atmet tief durch und schließt seine Augen.

Seine Wange ist knallrot und er ist ganz still.

So still, dass ich Angst bekomme.

Die Sekunden fühlen sich an wie Stunden, während ich schockiert von meinem eigenen Verhalten auf seine Reaktion warte.

Nocheinmal atmet er tief durch, bevor er seine Augen öffnet und mir eiskalt in die Augen starrt.

"Shalik, ich-", stammele ich, doch breche ab.

Ungebremst läuft ihm eine Träne aus dem linken Augenwinkel über die feuerrote Wange.

Was habe ich da gerade getan?

Er starrt mich noch kurz an, dann dreht er sich um und verlässt wortlos das Wohnzimmer.

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Meine Lieben,

Kleiner Disclaimer: ich distanziere mich von jeglicher Gewalt, egal, ob gegen Männer oder gegen Frauen. Gewalt ist keine Lösung.

Kennt ihr das auch, wenn diese Stille eures Gegenübers schlimmer ist als jedes Wort, was er/sie sagen könnte?

Denkt ihr, das Ding ist nun auch für Shalik durch? Denn, Spoiler: allzu viele Kapitel kommen nicht mehr..

A.

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