49 // wieso hast du mein herz gebrochen?

Meine Gedanken stehen nach diesem Nachmittag nicht mehr still, sie rasen den ganzen Abend lang unaufhörlich und als ich eine Nachricht von Amir bekomme, ignoriere ich diese zunächst.

Zuerst muss ich das Problem mit Shalik lösen, bevor ich mich der nächsten Unannehmlichkeit widme.

Royas Worte haben in mir etwas bewegt. Es tat mir im Herzen weh, wie unglücklich auch Shalik über die Situation zu sein scheint und dass ich viele Verhaltensweisen von ihm falsch eingeschätzt und dadurch voreilig gehandelt habe.

Natürlich machen seine guten Absichten meinen Schmerz und meine Wut über die Gesamtsituation nicht wett und wir haben definitiv Probleme, über die man nicht hinwegsehen kann, doch meine Ansicht über die letzten Tage hat sich gedreht.

Das Gefühl, dass Shalik egal ist, was mit mir ist, ist wie weggeblasen. Dass es ihm ebenfalls so schlecht geht und dass er solche Angst hat mich zu verlieren, dass er sogar seine Familie mit ins Boot holt, hätte ich nie für möglich gehalten, so kämpferisch und selbstbewusst wie der Tunesier sich zuletzt am Telefon gegeben hat.

Ich probiere gerade bei einem heißen Vollbad mit Haarkur und Gesichtsmaske zu entspannen, als mein Handy die abspielende Playlist unterbricht und laut brummend einen eingehenden Anruf signalisiert.

Anonyme Nummer.

Ich schlucke hart und wische meine Finger hastig an einem Handtuch ab, bevor ich den Anruf annehme.

"Tiara?", ertönt die mir so vertraute Stimme unsicher, während bei ihm im Hintergrund heute nur gespenstische Stille herrscht.

"Hey", antworte ich leise und richte mich in dem warmen Wasser ein wenig auf.

"Wie geht es dir?", fragt Shalik vorsichtig.

"Nicht so gut und dir?"

"Scheiße", antwortet er trocken. "Ich wollte nochmal mit dir reden wegen gestern." Einen Moment pausiert er und bleibt stumm. Die Sekunden quälen mich, ziehen sich wie Kaugummi, während das schlechte Gewissen sich in meiner Magengegend ausbreitet und zu einem schweren Klumpen verdichtet.

"Ich will nicht, dass wir streiten und ich will nicht, dass wir uns verlieren, Baby. Es tut mir wirklich leid, dass ich dir das alles zumute, aber es geht gerade nicht anders. Bitte halte noch ein bisschen durch, halte zu mir. Es wird sich in den nächsten Wochen alles klären und dann mache ich das alles wieder gut", erklärt er kleinlaut.

Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen und Tränen sammeln sich in meinen blauen Augen.

"Mir geht es auch nicht gut damit, so lange von dir weg zu sein und kaum Kontakt zu dir zu haben, aber ich versuche mich abzulenken, um nicht noch mehr durchzudrehen und ich versuche positiv zu sein, um dich nicht noch mehr runterzuziehen."

Ich streiche mir mit der nassen Hand eine Haarsträhne aus dem Gesicht, während meine Unterlippe beginnt zu beben und meine Augen bereits randvoll stehen mit Tränen.

Diese Worte kommen zu spät. Genau das hätte ich gestern hören müssen oder schon vor Tagen, bevor ich mich in meine Gedanken reingesteigert habe, bevor ich mich dazu entschlossen habe, mich zu trennen und vor allem bevor ich mich bei Tinder angemeldet und mit Amir getroffen habe.

Aber jetzt ist es zu spät.

Und Shalik mit all seiner bedenkliche, toxischen Männlichkeit und seiner geballten Eifersucht wird mir das niemals verzeihen können.

Ich schluchze laut auf und schlage mir sofort die Hand vor den Mund. Der Damm ist gebrochen und Rinnsäle salziger Tränen strömen über mein Gesicht.

"Es tut mir so leid, Shalik", heule ich und schüttele fassungslos den Kopf.

Was habe ich nur getan?

"Dir braucht nichts leid tun, Tiara", lenkt er sofort ein. "Ich kann verstehen, dass du so reagiert hast. Das Wichtigste ist doch, dass wir jetzt darüber reden und alle Missverständnisse aus dem Weg räumen können."

"Gar nichts können wir mehr aus dem Weg räumen", stammele ich leise weinend vor mich hin.

"Hm?", hakt er verständnislos nach.

Ich fokussiere meinen Blick auf die weißen Schaumblasen, die auf der Wasseroberfläche treiben und im Licht der Deckenlampe bunt glänzen und sammele mich so gut es geht.

"Wir können nichts mehr aus dem Weg räumen", sage ich mit ruhiger Stimme und räuspere mich kurz. "Ich habe Scheiße gebaut, Shalik und ich denke nicht, dass es ein Zurück gibt."

Nun ist Shalik alarmiert. "Was heißt das: du hast Scheiße gebaut? Was hast du getan, Tia?", fragt er und das nervöse Zittern in seiner Stimme entgeht mir nicht.

"Du hast mich so aufgeregt, ich war verletzt und wütend, dass du mich nicht für voll genommen hast, sodass ich mich kurzentschlossen bei Tinder angemeldet habe."

Shalik lacht kurz auf, als würde ihm ein Stein vom Herzen fallen. "Okay, das war Scheiße von dir, aber da werde ich drüber hinweg kommen", erklärt er zu meiner Überraschung, als wäre das kein Big Deal für ihn.

Ich atme tief durch. "Ich habe mich gestern Abend mit Amir getroffen, Shalik."

Ich spreche es einfach aus, ohne darüber nachzudenken, ob ich es lieber verheimlichen sollte. Ich habe nicht mit Amir rumgemacht, nicht mit ihm geschlafen. Ich habe Shalik nicht betrogen. Vielleicht würde es weniger Schaden anrichten, wenn ich das Treffen einfach verheimlichen würde, schließlich bin ich ihm auch keine Rechenschaft schuldig, doch schlussendlich ist das einfach nicht meine Art.

Ich bin keine gute Lügnerin. Ich bin nicht skrupellos genug, nicht gewissenlos. Jedes Mal, wenn ich Shalik in seine schönen grünen Augen sehen würde, müsste ich an Amir und die Lüge denken und würde vor schlechtem Gewissen meinem Freund gegenüber fast zergehen.

Shalik lacht erneut auf, doch diesmal klingt es abfällig. "Du hast was?"

Ich beiße mir auf die Unterlippe, während meine Tränen in das fliederfarbene Badewasser tropfen.

"Tiara, verarsch mich nicht, hörst du? Mit sowas macht man keine Scherze." Er klingt, als würde er noch an meinen Worten zweifeln. Er will es nicht wahrhaben.

"Es tut mir leid, Shalik" wimmere ich, während mein Magen und mein Herz sich parallel schmerzhaft verkrampfen.

"Du hast dich wirklich mit ihm getroffen, ne?", hakt er fassungslos nach.

"Ja", antworte ich krächzend vor Tränen, unfähig, richtige Töne rauszubringen.

Einige Sekunden ist es völlig ruhig am anderen Ende der Leitung, sodass man eine Stecknadel fallen hören könnte, bis Shalik irgendwann völlig aufgelöst die Stille durchbricht.

"Wieso hast du das getan, Tiara?", schluchzt er. Meine Augen weiten sich und Übelkeit steigt in mir auf. Dass er nun meinetwegen weint, obwohl er überhaupt nicht nah am Wasser gebaut ist, gibt mir den Rest.

"Ich habe wirklich gedacht, ich kann dir vertrauen und du triffst dich eiskalt bei dem erstbesten Streit mit deinem Ex, obwohl du weißt, in was für einer beschissenen Situation ich gerade stecke? Während ich versuche, alles zu regeln, rammst du mir ein Messer in den Rücken und triffst dich mit diesem Hurensohn?" Immer wieder bricht Shaliks Stimme, bevor ich ihn nur noch weinen höre.

"Wieso hast du mir das angetan, Tiara? Wieso hast du mein Herz gebrochen?"

Meine Brust durchfährt ein Stechen.

Shalik weint und ich weine, weil er weint.

Es vergehen Minuten, in denen wir nur weinen und schweigen und schluchzen, beide unseren Gedanken nachhängen und versuchen, mit dem Schmerz, der über uns hereinbricht, zu überleben.

"Ich hätte das nie von dir gedacht, Tiara", stammelt er irgendwann leise.

"Ich habe dich am Telefon gewarnt. Ich habe dir gesagt, wie ich mich fühle, dass ich leide und dass ich das Gefühl habe, dass ich dir völlig egal bin und wir uns lieber trennen sollten. Du hast mich nicht ernstgenommen, keinen meiner Vorwürfe dementiert und dir nicht mal die Zeit genommen, ein klärendes Gespräch mit mir zu führen. Stattdessen hast du Party gemacht, mich abgewürgt und ausgelacht und das Gespräch beendet. Ich habe dir gesagt, dass ich dir beweisen werde, wie ernst es mir ist. Ich wollte es dir zeigen, dich verletzen, mein gebrochenes Ego polieren", sprudelt es nun aus mir heraus. Ich haue Shalik alles um die Ohren, was sich in den letzten Tagen in mir angestaut hat.

"Hat er dich gefickt?", fragt er trocken.

Nun bin ich es, die nüchtern auflacht.

"Nein Shalik, hat er nicht."

"Was habt ihr denn gemacht?"

"Ist es das, was dich jetzt interessiert? Was ich mit Amir gemacht habe? Sollten wir nicht lieber endlich klären, was du mit mir gemacht hast?"

"Vielleicht sollten wir auch klären, was du mit mir gemacht hast? Nämlich dass du mich betrogen hast", entgegnet er aufgebracht.

"Ich habe dich nicht betrogen", weise ich seinen Vorwurf entschieden zurück und lasse das mittlerweile kalt gewordene Wasser aus der Wanne laufen.

"Ach nein? Wie nennst du es denn, dass du dich ein paar Stunden nach unserem Streit bei einer verfickten Datingplattform angemeldet und dich mit deinem beschissenen Hurensohn-Ex getroffen hast?", seine Trauer und Verzweiflung schwingt um in unbändige Wut.

"Ich habe dich gewarnt", erinnere ich ihn wieder. "Aber du hast mich nicht ernstgenommen. Es war dir scheißegal."

"Ja entschuldige bitte, dass ich dir nicht zugetraut habe, dass du so einen Bitchmove wirklich durchziehst. In Zukunft wird das anders sein", keift er triefend von Zynismus.

Ich schüttele ungläubig den Kopf.

"Und dann auch noch ausgerechnet Amir. Kein Fremder, der dir nix bedeutet oder irgendein alter Freund von dir, sondern ein Typ, den ich hasse, der dich vor Kurzem noch extrem respektlos behandelt und mich beleidigt hat, der verliebt in dich ist und von dem du dich regelmäßig hast ficken lassen. Damit bist du mir gleich doppelt - ach was, dreifach in den Rücken gefallen."

Nun höre ich ihn wieder weinen. "Es tut so weh, das kannst du dir nicht vorstellen", wimmert er leise.

"Es tut mir wirklich leid Shalik", stammele ich und beiße mir schuldbewusst auf die Unterlippe. "Ich wusste dass es ein Fehler ist, für den du mich hassen wirst, aber ich habe mir eingeredet, dass es vielleicht besser so ist, weil wir dann endlich voneinander loskommen", erkläre ich meinen Gedankengang, der mir gestern noch völlig logisch und nachvollziehbar vorkam, sich heute ehrlicherweise aber auch für mich absurd anhört.

"Willst du das denn wirklich Tiara?"

"Was?", frage ich verständnislos.

"Dass wir voneinander loskommen. Willst du das?"

Seine Frage überfordert mich. Wenn ich das doch nur selbst wüsste.. Gestern Abend wäre meine Antwort ganz klar ja gewesen, doch heute hat sich das Blatt erneut gewendet. Es ist ein auf und ab der Gefühle, eine Achterbahnfahrt mit Loopings und Tornados, ein Kampf von Herz und Kopf, von Emotionen und Verstand.

"Ich weiß es nicht, Shalik", gebe ich ehrlich zu. "Ich weiß nicht mehr, was ich fühlen und denken soll. Ich liebe dich, ich liebe dich wirklich, aber ich bin am Ende meiner Kräfte", wimmere ich sehe zu, wie auch das letzte Wasser mit einem kleinen Strudel im Abfluss versinkt.

"Dann solltest du dir gut überlegen, was du willst und was du tust. Ich rufe dich wieder an."

Und dann legt er wieder auf.

Er legt auf und lässt mich mit diesen letzten Worten zurück, nach denen mir eine schlaflose und tränenreiche Nacht bevorsteht.

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Meine Lieben,

"Wieso hast du mir das angetan? Wieso hast du mein Herz gebrochen?", waren die Worte, die damals mein Herz gebrochen haben. Und welche Worte haben euer Herz gebrochen?

Puh, ganz schön hartes Gespräch zwischen den beiden. Könnt ihr Shaliks Enttäuschung verstehen?

Und wie wird Tiaras Entscheidung wohl ausfallen?

A.

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