41 // ein schlechter mann braucht eine starke frau

Ich sitze eine ganze Zeit lang nur stumm im Wohnzimmer, inmitten des ganzen Chaos, das mir als Relikt der Wohnungsdurchsuchung geblieben ist.

Ich versuche zu verstehen, was in der letzten Stunde passiert ist, doch der Schock sitzt noch so tief, dass die Realität nicht bei mir ankommt.

Irgendwann ertrage ich das Bild nicht mehr, das unsere einst liebevoll eingerichtete Wohnung aktuell abgibt und stehe auf. Wie wahnsinnig beginne ich alles wieder zu sortieren und ordentlich in die Schränke zu stellen. Ich richte wie eine Getriebene die Bilderrahmen, falte meine Kleidung oder hänge sie zurück auf die Kleiderbügel.

Ein Akt der Verzweiflung um irgendwie doch wieder Kontrolle über eine Situation zu erlangen, die mir so völlig entglitten ist.

Ich bin gerade dabei, die Handtücher im Badezimmer wieder in das offene Regal zu stapeln, als es an der Tür klingelt. Erschrocken zucke ich zusammen. Mit schnellen Schritten laufe ich in den Flur und horche mit pochendem Herzen an der Sprechanlage. "Ja?", frage ich vorsichtig.

"Tiara, ich bin's, Ziyad. Machs mal auf", ertönt die warme Stimme des jungen Libanesen entschlossen.

Erleichtert über die Tatsache, dass da nur Shaliks bester Freund vor der Tür steht, atme ich auf und drücke auf den Türöffner. Im ersten Moment hatte ich Angst, dass hinter der verschlossenen Haustür die nächste böse Überraschung auf mich wartet.

Mit schweren Schritten stapft Ziyad die Treppen hoch, dicht gefolgt von Chico, der ihm hechelnd hinterher tappst und sich vorfreudig auf mich stürzt.

Fuck. Das habe ich total vergessen.

"Was ist los bei euch?", fragt Shaliks Freund in genervtem Tonfall und mustert mich angesäuert. "Ich habe Shalik bestimmt fünfmal angerufen und dich gerade auch. Ich habe euch doch gesagt, dass ihr Chico spätestens um 13 Uhr abholen müsst, weil ich arbeiten muss."

"Tut mir leid, Ziyad, das habe ich im Eifer des Gefechts total vergessen", gebe ich zu. Ich raufe mir durch die Haare und versuche angestrengt, die Tränen zu unterdrücken, die mir beim Gedanken an den heutigen Vormittag direkt wieder in die Augen schießen.

"Was ist los, Tiara?", fragt Ziyad nun alarmiert. Seine dunkelbraunen Augen funkeln ernst und er tritt einen Schritt näher an mich heran.

"Ich.. Die Polizei war heute hier. Sie haben die Wohnung durchsucht und Shalik mitgenommen", stottere ich, während mir nun unvermeidlich eine dicke, salzige Krokodilsträne über die Wange rollt.

Sanft, aber dennoch bestimmt schiebt Ziyad mich mit seinen großen Händen in unsere Wohnung und schließt die Tür hinter mir. Vermutlich will er verhindern, dass das ganze Haus gleich Zeuge unserer Unterhaltung wird.

"Wieso das denn? Was ist genau passiert?", fragt Ziyad aufgebracht und schiebt bestimmt den Zipper seiner schwarzen Sweatshirtjacke nach unten, sodass sein babyblaues Poloshirt mit dem o2-Print auf der Brust zum Vorschein kommt. Ziyad arbeitet unter der Woche in einem Verkaufsshop des Mobilfunkunternehmens und steht am Wochenende zusätzlich regelmäßig in einem Essener Club an der Tür.

Auf den ersten Blick mag man denken, dass der sportliche Araber kein Wässerchen trüben könnte und in der Funktion als Türsteher völlig fehl am Platz sei, doch ich weiß sowohl aus persönlicher Erfahrung als auch aus Shaliks Erzählungen, dass dies ein Trugschluss ist. Stille Wasser sind tief und so nett und höflich Ziyad zu mir persönlicher bisher immer war, umso kompromissloser und aggressiver kann er werden, wenn ihm jemand dumm kommt.

"Ich weiß es selbst nicht", schluchze ich und lasse betrübt den Kopf hängen. "Heute Vormittag kam das SEK. Die haben die Tür aufgebrochen und uns mit Kabelbindern gefesselt. Sie haben alles aus den Schränken gerissen und unsere ganzen Sachen durchwühlt. Einer von Ihnen hat auch kurz mit mir gesprochen und am Ende haben Sie Shalik mit aufs Präsidium genommen." Ich muss mich zusammenreißen, wenigstens die wenigen Informationen, die ich habe, verständlich in Worte zu fassen. In meinem Kopf ist der gesamte Vorfall ein einziger grauer Knoten.

Ziyad rauft sich aufgebracht durch die Haare. "Die waren wegen dieser Sache von Dion und ihm da, richtig?", hakt er nach und sieht mir fest in die Augen.

"Ich denke schon, aber ich weiß es nicht. Die Polizisten haben nichts gesagt, nur, dass wir ja wüssten, wieso sie da sind und den Dursuchungsbeschluss habe ich nicht gesehen. Vielleicht waren sie auch wegen etwas ganz Anderem da. Wer weiß, was Shalik noch für Dreck am Stecken hat", schimpfe ich und wische mir mit dem Ärmel meines Kapuzenpullovers die Tränen aus dem Gesicht.

"Er hat nichts Anderes gemacht", entgegnet Ziyad entschlossen. "Das heißt trotzdem nicht, dass die Bullen deshalb hier waren. Es kann auch wegen einer alten Sache sein oder wegen was, was entweder die Bullen oder ein anderer Hurensohn ihm in die Schuhe schieben wollen. Aber es gibt nur einen Weg das heraus zu finden.."

Ziyad nimmt kurzentschlossen meine schwarze Daunenjacke vom Garderobenhaken und drückt sie mir in die Hand. "Wir fahren jetzt zur Wache und fragen nach."

Perplex schaue ich ihn an. "Wir können da doch jetzt nicht einfach hin fahren", gebe ich entrüstet zurück.

Ziyad bugsiert mich aus der Wohnungstür, ehe ich weiter darüber nachdenken kann. "Doch, können wir", erklärt er felsenfest überzeugt. "Die werden Shalik jetzt vernehmen. Entweder die haben keine Beweise gegen ihn in der Hand und müssen ihn im Laufe des Tages wieder laufen lassen, oder die stecken ihn gleich direkt in U-Haft."

Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen und ich schnappe nach Luft, kurz davor, wieder zu weinen. Ziyad greift nach meinem Unterarm und drückt ihn kurz mit seiner Hand zusammen. "Mach dich jetzt nicht verrückt, Tiara. Noch steht nichts fest."

Wie ferngesteuert trotte ich dem großen, stattlichen Mann hinterher durchs Treppenhaus bis zu seinem Wagen.

"Ich habe Shalik gesagt, er soll das lassen", sagt sein bester Freund zu meiner Überraschung, während er seine zehn Jahre alte Mercedes C-Klasse Limousine aus der Parklücke rangiert. Der Wagen ist unumstritten eine zeitlose Schönheit, die durch klassische Eleganz besticht; mir würde jedoch der Komfort durch zeitgenössische technische Gadgets fehlen, den meine kleine A-Klasse trotz abgespeckter Ausstattung bietet.

"Wieso?", frage ich erstaunt. Bisher kamen mir Ziyad und Shalik immer unzertrennlich vor. Ich habe nicht erwartet, dass gerade er sich gegen Shalik stellt; er hat mir auch nichts davon erzählt.

"Die haben Shalik und mich damals gepackt und uns für eineinhalb Jahre in den Jugendknast gesteckt. Meine Mama hat so geheult, jedes Mal, wenn sie mich da besucht hat, dass ich mir geschworen habe, sowas nie wieder zu machen. Die anderen Frauen in der Moschee haben sie immer ausgegrenzt wegen ihrem Sohn, dem Verbrecher, dem Harami, der sogar im Knast sitzt, aber sie hat trotz allem immer zu mir gehalten. Als Shalik und ich entlassen wurden, habe ich bis heute die Finger von allem gelassen. Ich hab nie wieder einen Joint geraucht und nie wieder auch nur ein Kaugummi geklaut.

Dion hingegen ist voll darauf hängen geblieben, der kommt bis heute nicht anders an Geld als mit den scheiß Drogen, aber der wurde halt auch noch nie gepackt. Der hatte immer Glück, der Bastard."

Ziyad blinkt und biegt ab in Richtung Stadtmitte. Er dreht das Radio ein wenig leiser, bevor er weitererzählt: "Ich verstehe es einfach nicht. Shalik hat schon zwei Mal gesessen und das ist echt kein bisschen so, wie in diesen Ami-Sitcoms. Du sitzt den ganzen Tag dumm rum und kackst ab, ob geiles Wetter ist oder du Geburtstag hast, während deine ganzen Kollegen draußen alle ihr Leben leben, Party machen, Weiber klären und so. Das ist nicht cool. Wir sind keine Teenager mehr. Er hat jetzt Chico und er hat dich, ihr seid zusammengezogen und.." Er macht eine kurze Pause und scheint mit den nächsten Worten zu hadern. "Nachdem wir damals zusammen Burger essen waren, hat er mir gesagt, dass du die Frau bist, die er heiraten will."

Mir wird ganz warm ums Herz und ein leichtes Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. Ziyad ist Shaliks engster Vertrauter und dass er bei ihm so über mich redet schmeichelt mir.

"Verstehe mich nicht falsch, Tiara. Shalik ist mein bester Freund und ich stehe immer hinter ihm, aber als er mir von dem Plan erzählt hat, mit Dion diesen Typen abzuziehen, habe ich echt an seinem Verstand gezweifelt. Er hat alles, was er immer wollte und er setzt das alles aufs Spiel wegen Geld. Ich verstehe seine Motivation wegen seinem Onkel, aber dann soll er sich was Anderes überlegen und nicht so eine Scheiße mit Dion abziehen. Am Ende lacht sich Dion ins Fäustchen und Shalik ist wieder der Gefickte. Du wirst ja auch nicht ewig auf ihn warten. Welche Frau hat schon Bock auf SEK-Einsätze und Wohnungsdurchsuchungen? Geschweige denn - Gott bewahre - wenn die ihn wirklich verknacken sollten. Wer könnte es dir verübeln, wenn du dann das Weite suchst statt ihn drei, vier, fünf Jahre nur alle 14 Tage im Besucherraum zu sehen..", lamentiert er vor sich hin.

Seine Gedanken sind fast genauso wirr und unstrukturiert wie meine, trotzdem verstehe ich ihn und seine Worte treffen bei mir einen wunden Punkt. Er wühlt all das in mir auf, was ich in den letzten Stunden erfolgreich verdrängt habe. All die Zweifel und Ängste, die mich bewegen. Dass selbst Shaliks bester Freund sagt, dass er nichts von der Aktion hält und Shalik sogar gewarnt hat, bestätigt mich einmal mehr in meiner Meinung.

Ziyad nimmt eine Packung Taschentücher aus der Mittelkonsole, während er den Fuß vom Gas nimmt und der Wagen sich rapide verlangsamt. Er lenkt den Wagen mit der einen Hand auf den öffentlichen Parkplatz vor dem Hauptrevier der Polizei Essen und zieht mit der anderen ein blütenweißes, knitterfreies Taschentuch aus der Plastikverpackung und reicht es mir.

"Jetzt lass uns erstmal schauen, wie der Stand der Dinge ist. Atme tief durch und wische dir die Tränen aus dem Gesicht. Ein schlechter Mann braucht eine starke Frau", erklärt er und zwinkert mir grinsend zu.

Ich versuche mich zu entspannen, reibe mir mit dem Tempo meine verschmierte Wimperntusche aus dem Gesicht und atme ein paar Mal tief ein und aus.

"Bereit?", fragt Ziyad und lässt den Anschnallgurt von seiner Schulter fallen.

"Bereit", antworte ich mit unsicherer Stimme. Ich fühle mich alles andere als bereit, aber ich will endlich Gewissheit, also bleibt mir nur eine Wahl: Augen zu und durch.

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Meine Lieben,

Wie gefällt euch Ziyad in diesem Kapitel?

Und was ist eure Prognose: Wird Shalik nachhause dürfen oder muss er in U-Haft?

A.

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