40 // florian david fitz

Ich habe oft damit gerechnet, aber als es dann wirklich passiert, bin ich vollkommen arglos.

Es ist nicht mitten in der Nacht, so wie ich es mir immer vorgestellt habe. Ich hätte vermutet, dass ich unsanft aus dem Schlaf gerissen werde, aber es ist helllichter Tag, ein Dienstag, als es einen lauten Knall gibt und die Wohnungstür so heftig aufspringt, dass sie beinahe aus den Angeln fliegt.

Mein Herz setzt einen Schlag aus, als der ohrenbetäubende Knall kommt, da bin ich mir sicher.

Gott sei Dank ist Chico nicht hier, ist mein erster Gedanke, noch bevor ich weiß, was hier eigentlich passiert. Der gefleckte Hund hat die letzte Nacht bei Ziyad verbracht, weil Shalik und ich gestern beide lange unterwegs waren und erst mitten in der Nacht heimgekommen sind.

"Polizei!", schreit eine tiefe Männerstimme lautstark. "Legen Sie sich auf den Boden, die Hände hinter den Kopf. Leisten Sie keinen Widerstand."

Ich fühle mich nicht angesprochen von dieser Anweisung; sie können unmöglich mich meinen.

Ich stehe im Wohnzimmer, in Schockstarre, eine Vase in der rechten Hand, die ich gerade in der Küche mit Wasser befüllen wollte. Ich habe Blumen mitgebracht vom Einkaufen, kleine rosane Nelken, um sie auf den Esstisch zu stellen.

Aus dem Augenwinkel sehe ich Shalik, der mit erhobenen Händen von der Couch aufsteht und sich nachgiebig flach auf den dunkelgrauen Hochflor-Teppich legt. "Tiara", ruft er mich und seine Stimme zittert aufgeregt, doch ich reagiere nicht. Einer der Polizisten beugt sich zügig, dennoch mit ruhiger Professionalität über Shalik und befestigt seine Hände hinter seinem Rücken mit schwarzen Kabelbindern.

Immer mehr vermummte Polizisten betreten nacheinander wie kleine schwarze Perlen an einer Halskette unsere Wohnung und bauen sich bedrohlich vor uns auf. Die SEK-Beamten sind so verschleiert unter Kleidung, Schutzweste, Helm und unterschiedlichen Typen von Sturmhauben oder Gesichtsmasken, dass ich sie im ersten Moment vermutlich eher als Einbrecher wahrgenommen hätte, wenn sie sich nicht ganz klar zu erkennen gegeben hätten.

"Auf den Boden!", schreit eine andere Stimme erneut. Der Tonfall ist aggressiv und ziemlich ungeduldig.

Als ich noch immer nicht reagiere, kommt einer der Männer, der gut einen Kopf größer und bestimmt doppelt so breit ist wie ich, mit wenigen Schritten auf mich zu und drückt mich grob herunter.

Mein heller Schrei erfüllt die angespannte Stille in der Wohnung. Die weiße Keramikvase rutscht mir durch die Finger, knallt auf den Laminat und zerschellt mit lautem Klirren in mehrere Teile.

"Ey!", brüllt Shalik wütend.

"Bist du taub, Mädchen?", fährt der Polizist mich an und drückt meinen Oberkörper kräftig auf den Boden, als ich noch immer nicht reagiere.

"Du Hurensohn", schreit Shalik und windet sich auf dem Boden wie ein Fisch auf dem Trockenen. "Fass meine Frau nicht so an, du Bastard!"

Der Polizist ihm gegenüber lacht so dreckig, dass das Lachen sogar seine Augen erreicht und man es trotz der schwarzen Sturmhaube als solches wahrnehmen kann.

"Du bist doch selbst schuld daran, Junge. Du hast dein Mädchen in die Situation gebracht, nicht wir."

Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, als einer der Polizisten auch meine Hände hinter meinem Rücken fesselt. Der Kabelbinder ist aus hartem Plastik und schneidet mir schmerzhaft ins Fleisch.

Ich muss unwillkürlich an den Traum denken, den ich in der ersten Nacht hatte, nachdem ich bei Shalik eingezogen bin. Ich hatte immer Angst davor, dass sich dieser bewahrheitet, aber die Realität ist viel schlimmer. Alles, was ich in meiner naiven Vorstellung geträumt habe, ist nichts gegen die brutale Realität, die sich gerade vor meinen Augen abspielt. Das hier ist schlimmer als jeder Actionfilm, dagegen war mein Traum noch fast romantisch.

"Sie hat doch gar nichts gemacht, mach sie doch los", diskutiert Shalik lautstark weiter.

"Damit sie dich dann freischneidet oder was? Sei doch nicht so dumm, das ist doch nicht deine erste Wohnungsdurchsuchung", erwidert der Beamte überlegen. Alles was ich von ihm sehen kann, sind seine derben Einsatzstiefel und den Saum seiner Hosenbeine.

"Was für Wohnungsdurchsuchung? Wo ist denn der Durchsuchungsbeschluss?", brüllt Shalik.

Einer der Beamten zieht den Geräuschen nach zu urteilen einen Zettel aus der Jackentasche und legt ihn vor Shalik auf den Boden.

"Was soll ich denn gemacht haben? Ich will sofort mit meinem Anwalt sprechen", poltert er weiter.

"Du weißt doch besser als wir, was du gemacht hast, Bouaziz. Du kennst doch das Spiel", antwortet der forsche Beamte genervt, der den größten Redeanteil hat. "Sobald du auf der Wache bist, hast du einen Anruf frei, wir sind doch großzügig. Dann kannst du gerne deinen Anwalt anrufen oder deine Mami, oder wen du halt am dringendsten sprechen willst."

Verächtlich schnaubt Shalik. "Ich hasse euch. Ihr seid arrogante Wixxer, die immer nur eine große Fresse haben, wenn sie sich unter einer schusssicheren Weste und ihrer verfickten Maske verstecken können. Mach mich doch los, dann gucken wir, ob du dann immer noch so große Töne spuckst."

Ich schließe die Augen. Was zur Hölle sollen Shaliks Provokationen jetzt bringen? Sogar ich weiß doch, was die Polizei hier sucht. Kann er nicht wenigstens jetzt mal kleinere Brötchen backen, wenn wir beide seinetwegen fixiert am Boden unseres Wohnzimmers liegen? Muss er es jetzt auf einen Schwanzvergleich mit einem Polizisten anlegen? Es ist doch glasklar, wer am Ende den Kürzeren zieht.

Im Hintergrund höre ich geschäftiges Treiben. Ich öffne meine Augen und hebe den Kopf leicht an. Ich erkenne, wie diverse Einsatzkräfte wahllos Sachen aus unseren Schränken ziehen. Zwei von ihnen knöpfen sich das Wohnzimmer vor, öffnen akribisch die Hüllen von Shaliks Playstation-Spielen und blättern durch die alten Aktenordner mit meinen Unterlagen aus der Ausbildung.

Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. All mein Hab und Gut geht gerade durch die Hände von Fremden. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie die Männer einen Raum weiter meine Unterwäsche durchwühlen und die zarten Spitzenslips durch ihre Finger gleiten lassen. Ob sie sich noch darüber freuen oder einen dummen Spruch reißen, bevor sie mir gleich wieder ins Gesicht sehen?

Tränen sammeln sich in meinen Augen und ich probiere erfolglos, den dicken Kloß in meinem Hals herunter zu schlucken.

Wie zur Hölle bin ich nur in diese Situation geraten?

Ein Schatten neben meinem Kopf kündigt an, dass einer der Beamten neben mich tritt. Er geht in die Knie und hält mein dunkelrotes Portemonnaie in der einen und meinen Personalausweis in der anderen Hand.

"Ist das Ihrer?", fragt er nüchtern. Ich nicke bestätigend.

"Okay. Frau Seidel, ich helfe Ihnen jetzt hoch und dann folgen Sie mir bitte ins Schlafzimmer", fordert er mich auf. Verständnislos schaue ich ihn an, doch es ist eher, als würde ich durch ihn hindurchsehen. Seine Worte kommen kaum bei mir an.

Wer seine Worte allerdings ganz genau zu verstehen scheint und weiß, was nun folgen wird, ist Shalik. "Sie dürfen Sie gar nicht vernehmen", keift er, als sei sein Stichwort gefallen.

"Natürlich dürfen wir", erwidert der Polizist ignorant, greift mir unter die Arme und ehe ich mich versehen kann, zieht er mich mit einem Ruck mit Leichtigkeit auf meine Füße. Benommen taumele ich von einem Fuß auf den anderen und probiere das Gleichgewicht zu halten, was mit auf den Rücken gefesselten Armen gar nicht so leicht ist, wie es vielleicht klingt.

"Tiara, du musst gar nichts sagen, hörst du. Die haben nichts gegen mich in der Hand, ich habe nichts getan", redet er schallend laut auf mich ein. All der Lärm und die vielen Geräuschen kommen bei mir schon lange nur noch so gedämpft an, als würde ich in einer Glaskuppel sitzen.

Langsam drehe ich meinen Kopf zu ihm. Es ist das erste Mal, dass ich ihn ansehe, seit das SEK vor wenigen Minuten in unsere Wohnung reinmarschiert ist. Seine grünen Augen treffen auf meine und in seinem Blick liegen so viele Emotionen auf einmal, dass mir ein kalter Schauer den Rücken herunterläuft. Wut und Zorn mischen sich mit Verzweiflung, Reue und Schuldbewusstsein, doch ich erkenne auch Angst in seinem Blick. Angst, dass ich dem Beamten nun brühwarm erzählen könnte, was ich über seine Machenschaften weiß.

"Egal was sie dir sagen oder womit sie dir drohen, es stimmt nicht. Die Lügen wie gedrückt, um zu erreichen, was sie wollen", erklärt Shalik mit flehendem Unterton.

In Zeitlupe nicke ich ihm zu. Ich bin noch immer wie gelähmt und zu keiner verbalen Reaktion fähig.

"Kommen Sie bitte mit", fordert der Beamte mich mit Nachdruck auf und fasst ein wenig grob an meinem Oberarm, um mich in Richtung der Tür zu schieben.

Ich laufe vor ins Schlafzimmer, wo mich gleich der nächste Schock erwartet. Meine Klamotten, die normalerweise ordentlich gefaltet in dem verspiegelten Schwebetürenschrank liegen, sind auf dem Bett und dem Boden verteilt. Professionell betrachtet haben die Polizisten ganze Arbeit geleistet, denn sie haben keinen Stein auf dem anderen gelassen. Jeder Bilderrahmen wurde umgedreht, jeder Kissenbezug geöffnet, ja sogar die Matratze und die Lattenroste hochgehoben.

"Frau Seidel, Sie wissen wieso wie hier sind?", wirft der Polizist zum Gesprächsbeginn seine These in den Raum.

Ich nehme mir einen Augenblick Zeit und studiere sein Gesicht, zumindest das, was ich davon sehen kann. Er erinnert mich an jemanden, seine Augenpartie und seine arrogante Art ähneln ganz extrem einem Schauspieler, doch ich komme einfach nicht auf den Namen.

"Nein", antworte ich bemüht ruhig. "Wieso denn?"

Er lacht argwöhnisch auf. "Ich bitte Sie. Jetzt ziehen Sie hier doch nicht so eine Show ab", bellt er unfreundlich.

Seine direkte, empathielose Art erwischt mich kalt.

"Der Junge ist auf Bewährung. Der muss seine Reststrafe absitzen und kriegt locker nochmal fünf Jahre für die Aktion oben drauf. Wie alt sind sie?" Er wirft erneut einen Blick auf meinen Ausweis, den er noch immer in der Hand hält, um sich seine Frage direkt selbst zu beantworten. "20 Jahre. Sie wollen doch wohl keine sechs Jahre auf den warten, oder? Sie sind doch eine kluge junge Frau. Wollen Sie ernsthaft Ihre besten Jahre für einen Verbrecher im Knast verschwenden und on top riskieren, dass wir Ihnen eine Vorstrafe wegen Verschleiern einer Straftat reindrücken?"

Meine Augen weiten sich erschrocken. Ist das möglich? Können Sie mich wirklich anzeigen, weil ich von der Sache wusste und Shalik nicht verraten habe? Das kann ich mir einfach nicht vorstellen. Andererseits: wieso sollte er mich anlügen? Er ist ein Polizist, er darf doch gar nicht lügen..

"Seien Sie schlau. Noch können Sie mit uns reden. Für Sie ist es doch vielleicht auch besser, wenn er wieder verknackt wird. Lassen Sie doch nicht zu, dass er Sie mit in den Abgrund reißt. Er ist hafterfahren, ein Intensivstraftäter, der wird sich nie ändern. Aber Sie hatten doch mit der Polizei noch nie was zu tun", redet er weiter auf mich ein.

Ich frage mich, woher er das alles über mich weiß. Hat die Polizei sich vor dem Einsatz etwa ernsthaft auch über mich erkundigt, als sei ich eine Kriminelle? Haben Sie Nachforschungen angestellt, uns wohlmöglich sogar beschattet?

Der Druck, den er aufbaut, wird immer mächtiger und es fällt mir zunehmend schwerer, standhaft zu bleiben. Eine kleine Träne löst sich aus meinem Augenwinkel und rollt über meine Wange.

In meinem Traum hat sich kein Schwein für mich interessiert, doch jetzt werde ich selbst behandelt wie eine Schwerverbrecherin, einfach nur weil ich Shaliks Freundin bin und sie davon ausgehen, dass ich daher auch eine Mitwisserin bin.

Das ist alles zu viel für mich. Ich habe gerade das Gefühl, gleich zusammen zu brechen, da bekomme ich auf einmal einen Geistesblitz.

"Florian David Fitz", verlässt ungebremst meinen Mund, was mir die ganze Zeit auf der Zunge lag.

Fragend sieht mein Gegenüber mich an.

Ein irres Lachen verlässt meine Kehle. "Ich habe die ganze Zeit überlegt, an wen Sie mich erinnern und jetzt weiß ich es", erkläre ich triumphierend. "Florian David Fitz", wiederhole ich erneut.

Der Beamte scheint kurz überrumpelt zu sein und schüttelt dann ungläubig den Kopf. "Ja klar, ich drehe für eine neue Serie", antwortet er zynisch. "Aber okay, dann kann ich Ihnen auch nicht mehr helfen. Sie müssen ja mit den Konsequenzen klarkommen, nicht ich", beschließt er bissig und schiebt mich missmutig zurück ins Wohnzimmer. Er hat sich ganz bestimmt einen anderen Gesprächsverlauf erhofft.

Das ganze Spektakel in unserer Wohnung dauert keine halbe Stunde, bis das Dutzend Leute samt Shalik die Wohnung irgendwann verlässt. "Es tut mir leid, Baby", ruft Shalik mir zu, als er eskortiert von zwei Polizeikräften aus dem Wohnzimmer abgeführt wird.

Die Kabelbinder wurden mir endlich wieder entfernt und ich reibe mir die schmerzenden, geröteten Handgelenke. Ich sehe Shalik kurz an und fange seinen verzweifelten Blick ein. Meine Kehle schnürt sich zu. Ich weiß, dass er auf eine Antwort wartet, doch von mir kommt nur ein stummes Nicken, mehr kann ich gerade nicht aufbringen.

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Meine Lieben,

Tiaras Alptraum wird wortwörtlich wahr. Fandet ihr es auch schlimmer als in Ihrem Traum?

Und wie wird es jetzt wohl weitergehen?

A.

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