39 // happy birthday to you

"Fünf.. vier.. drei.. zwei.. eins.." Lauter Jubel mischt sich mit den ersten Silben des wohl bekanntesten Liedes der Welt.

"Happy birthday to you, happy birthday to you, happy birthday liebe Tiara, happy birthday to you."

00:00 Uhr, mein zwanzigster Geburtstag. Da mein Ehrentag in diesem Jahr auf einen Sonntag fällt, habe ich mich dazu entschieden, mit meinen Freunden am Samstagabend bei uns was zu trinken und Pizza zu bestellen, bevor wir in einen Club weiterziehen und ich am Sonntagvormittag meine Familie zum Brunch treffe.

Shalik lässt einen Sektkorken ein wenig ungeschickt an die Decke knallen, während Rani mir hell kreischend in die Arme fällt. Sie steckt in einer schwarzen Corsage mit Spitzenbesatz und einer hochgeschnittenen, schwarzen Lederhose und riecht nach Erdbeerlikör und Acqua di Gioia von Giorgio Armani.

Mit ihren schmalen Armen drückt sie mich eng an sich und knutscht mit ihren rot geschminkten Lippen feucht auf meine Wange. "Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, mein Schatz. Auf dass dein neues Lebensjahr richtig, richtig gut wird", flötet sie und man merkt ihr deutlich an, dass wir schon seit drei Stunden zusammensitzen und bereits die ein oder andere Schnapsflasche geleert haben.

Shalik hat indes die sieben kelchförmigen Stielgläser auf unserem niedrigen Wohnzimmertisch mit dem roséfarbenen Perlwein befüllt und steht nun mit zwei Gläsern vor mir.

"Alles Liebe zum Geburtstag, Babe", gratuliert auch er mir und schließt mich in seine Arme. "Ich liebe dich sehr", flüstert er in mein Ohr und lässt seine Hände über mein silbernes Satinkleid gleiten. Das kleine Slipdress habe ich mir extra für unsere heutige kleine Feier anlässlich meines Ehrentages gekauft und es schmeichelt meinem Körper enorm und zaubert Kurven, wo gar keine sind.

"Ich dich auch", flüstere ich zurück, vergrabe meine Hände in seinen kurzen Haaren und genieße für den kurzweiligen Moment der Zweisamkeit, bevor ich mich vom Rest meiner Gäste beglückwünschen lasse.

Neben Rani sind auch meine Freundin Helin, Shaliks beste Freunde Ziyad und Dion sowie mein kleiner Bruder Lias gekommen. Wir stoßen mit dem Sekt an, ehe ich mich den Geschenken widme, die bereits für mich in buntes Papier verpackt auf dem Tisch bereitstehen. Rani hat mir ein Armband von Thomas Sabo geschenkt, ein silbernes Bettelarmband mit groben Gliedern und einem strassbesetzten Anhänger in Form einer Libelle, einem Insider von uns.

Von Lias habe ich ein Buch bekommen, von dem ich mal nebenbei erzählt habe, dass ich es unbedingt lesen will. "Das Café am Rande der Welt". Auch wenn mein Bruder eher ein stiller Vertreter ist und mit seiner Meinung meistens hinterm Berg hält, so ist er ein umso aufmerksamerer Zuhörer.

Helin schenkt mir ein viel zu teures Parfum, das wahnsinnig gut riecht und Ziyad einen 50-Euro-Gutschein für das Burger-Restaurant, in dem wir bei unserer ersten Begegnung zusammen waren. Ich freue mich sehr darüber, da er sich anscheinend wirklich Gedanken gemacht hat, auch wenn es fast schon zu teuer ist, dafür, dass er ja nicht mal wirklich mein Freund ist, sondern Shaliks. Ich habe ihn mittlerweile wirklich ins Herz geschlossen, da er extrem loyal ist und immer da war, wenn Shalik oder auch ich ihn gebraucht habe.

Dions Geschenk ist das einzige, welches ich nicht auspacken brauche, da er sich nicht die Mühe gemacht hat, es überhaupt einzupacken. Es ist ein Geschenkset von Dove bestehend aus einer Bodylotion, einer Cremedusche und einem hellblauen Netzschwamm. Ich freue mich, dass er mir überhaupt eine Kleinigkeit geholt hat und bin daher auch absolut zufrieden mit seiner Wahl - ganz im Gegensatz zu Ziyad.

"Wow Dion, da hast du ja wirklich keine Kosten und Mühen gescheut", kommentiert dieser das Geschenk spitz und wirft ihm einen abfälligen Blick zu.

"Muss ja nicht jeder so auf die Kacke hauen wie du", erwidert Dion herausfordernd und funkelt den schwarzhaarigen Libanesen angriffslustig aus seinen hellblauen Augen an.

"Das nennt man Wertschätzung. Die Frau meines besten Freundes ist mir tatsächlich was wert, weißt du?", entgegnet er trocken und fixiert den jungen Kosovo-Albaner eindringlich mit seinem Blick. "Ich dachte irgendwie immer, dass dein schnelles Geld lockerer sitzt. Ist ja nicht so, als würdest du davon nicht gerade wieder genug davon mit Shalik machen, oder?"

Ich fange auf, wie Helin Rani einen zu gleichen Teilen fragenden wie schockierten Blick zuwirft, während sich mein Magen unangenehm zusammenzieht. Die beiden werden doch jetzt wohl an meinem Geburtstag keinen Streit vom Zaun brechen, der meinen Freund on top vor meinen Freundinnen und meinem Bruder mit durch den Kakao zieht, oder?

Es ist das erste Mal, dass ich Ziyads Antipathie gegenüber Dion bemerke. Bisher bin ich immer davon ausgegangen, dass die drei beste Freunde sind, doch entweder ich habe mich in dem Glauben getäuscht, oder zwischen den beiden ist in letzter Zeit etwas Gravierendes vorgefallen, von dem ich nichts weiß.

Es ist Shalik, der die Situation entschärft, indem er sich lautstark räuspert und bestimmt "Khalas" sagt, um die Diskussion zu beenden.

"Ich habe schließlich auch noch was, Babe", erklärt er versöhnlich und grinst mir triumphierend zu.

Von der hohen Kommode unserer Wohnwand nimmt er einen weißen Umschlag, auf dem in seiner unordentlichen Schrift mein Name steht.

Aufgeregt nehme ich das Kuvert an mich und öffne es mit schnellen Fingern. Ich habe wirklich keine Idee, was Shalik mir schenken könnte. Er hat in den letzten Wochen nichts in die Richtung verlauten lassen. Ich entnehme neugierig den Inhalt, doch entgegen meiner Erwartung ist keine Geburtstagkarte in dem Briefumschlag, sondern zwei Tickets.

"Starlight Express", lese ich laut vor und spüre, wie meine Augen zu funkeln beginnen und meine Wangen sich röten. Überschwänglich falle ich Shalik um den Hals. "Danke", rufe ich begeistert und küsse ihn.

Das einzigartige Bochumer Musical, bei dem es um das rasante Rennen um die Weltmeisterschaft der internationalen Züge geht, die allesamt von Darstellern in extravaganten, aufwändigen Kostümen auf Rollschuhen verkörpert werden, habe ich als Kind mal gesehen und war so begeistert, dass ich mir seitdem gewünscht habe, es noch einmal zu sehen. Wie die Loks mit rasanter Geschwindigkeit um und neuerdings sogar durch die Zuschauerplätze fahren, begleitet von fabelhaftem Gesang, ist so beindruckend, dass man knappe zwei Stunden in einer anderen Welt versinkt.

"Ich glaube es nicht", wispere ich strahlend vor Glück und schüttele ungläubig den Kopf. "Damit hast du echt genau ins Schwarze getroffen."

Wir bleiben noch eine knappe halbe Stunde bei uns, leeren die letzten Drinks und wir Mädels verschwinden nochmal für ein Touch up ins Badezimmer, ehe wir mit einem Großraumtaxi in die Disco Essence in der Innenstadt fahren und die Party dort gut gelaunt und zunehmend betrunken fortsetzen.

..

Die Nacht wird lang und Shalik und ich sehr besoffen, sodass wir am nächsten Morgen beide leidend aufstöhnen, als um 10 Uhr der Wecker klingelt. Wir liegen nackt in den Laken und mein Kopf dröhnt wie der Bass gestern aus den riesigen Lautsprechern im Club.

"Ich schaffe das nicht", nuschele ich und kriege die Augen nicht auf.

"Ich auch nicht, aber wir müssen", entgegnet Shalik und reckt die Hände in die Luft.

"Müssen wir nicht, ich bin krank."

Er lacht heiser auf. "Du bist nicht krank, Babe. Du hast nur gesoffen. Na los, wir nehmen eine Kopfschmerztablette und gehen kalt duschen, dann geht's uns besser. Deine Mum und deine Großeltern haben sich schließlich auch auf dich gefreut."

"Aber wieso denn zum Brunch? Wieso denn nicht zum Abendessen? Wer hatte denn diese beschissene Idee?"

"Du", entgegnet Shalik ohne jeglichen Hauch von Mitleid und steht langsam auf. Ich zwinge mich die Augen zu öffnen und beobachte ihn nackt wie Gott ihn schuf dabei, wie er aus dem Schlafzimmer stolpert.

Eine gute Stunde später haben wir uns einigermaßen gefangen, mit Kaffee und Ibuprofen zurück ins Leben geholt und uns unter der Dusche den restlichen Suff abgewaschen. "Du musst fahren. Ich will nicht an meinem Geburtstag meinen Lappen wegen Restalkohol verlieren", erkläre ich zynisch, während Shalik sich die Hemdärmel bis zum Ellenbogen hochkrempelt.

Er hat sich extra für mich in eine dunkle Jeans und ein schwarzes Hemd geschmissen und sieht wahnsinnig gut darin aus. Ich fühle mich eher wie der Tod auf Latschen, mache jedoch in meinem gemusterten Kleid in Wickeloptik, der schwarzen Kurzstrickjacke und den Overkneestiefeln auch gut was her.

Als wir ins Wohnzimmer meiner Mutter treten, sind die restlichen Gäste bereits auf dem L-förmigen Sofa versammelt. Neben meiner Mum und Lias sind meine Großeltern, meine Tante Katja und ihre zehnjährige Tochter Zoey gekommen, um mich zu feiern.

Mama hat sich nicht lumpen lassen und in der Küche ein reichhaltiges Frühstücksbuffet aufgefahren, dass keine Wünsche offenlässt. Neben verschiedenen Brötchen und Backwaren gibt es eine Wurst- und eine Käseplatte, Lachs, Eier, süße und herzhafte Aufstriche, Kaffee und Orangensaft, Obstsalat und Tomate-Mozzarella mit Balsamicodressing.

Shalik hat meine gesamte Familie bereits vor Wochen bei einem Familienessen kennengelernt und nach anfänglicher Skepsis ihrerseits aufgrund seiner Optik haben sie ihn herzlich aufgenommen. "Hallo Ilse, hallo Johann", begrüßt er meine Großeltern mit einem strahlenden Lächeln und lässt sich von der kleinen, siebzigjährigen Frau mit den blondierten Locken in eine herzliche Umarmung ziehen.

"Hallo Shalik, wie geht es dir?", fragt sie und ihre blauen Augen umspielen ausgeprägte Lachfalten.

"Gut, danke und euch?", antwortet er höflich und nimmt ihr schräg gegenüber auf dem Sofa Platz, nachdem er die anderen begrüßt hat. Ich tue es ihm gleich, küsse einen meiner Verwandten nach dem anderen und lasse mich mit guten Wünschen für mein neues Lebensjahr überschütten, ehe ich mich zufrieden neben Shalik auf die Couch fallen lassen.

Wir sitzen alle zusammen, bedienen uns immer wieder an dem von meiner Mutter liebevoll gestalteten Buffet, bis mir für meinen Teil so schlecht ist, dass ich nicht mehr unterscheiden kann, ob es an dem massigen Alkohol der letzten Nacht liegt, oder daran, dass ich mich schlichtweg überfressen habe.

Als Shalik in den Garten geht, um eine zu rauchen, schlüpfe ich in die Birkenstock-Latschen meiner Mutter und begleite ihn, um ihm Gesellschaft zu leisten.

"Bist du mit deinem Geburtstag zufrieden?", fragt Shalik und sieht mich aufmerksam aus seinen hellgrünen Augen an, während er eine Zigarette aus der roten Marlboro-Schachtel nimmt und sie sich zwischen die Lippen steckt.

"Ja und wie", antworte ich und schenke ihm ein strahlendes Lächeln aus tiefstem Herzen. Mein Geburtstag ist mir schon seit meiner Kindheit extrem wichtig und ich wäre zutiefst enttäuscht, wenn es wie für viele andere in meinem Alter "nur ein Tag wie jeder andere" wäre. Ich weiß, dass Shalik auch so ein Kandidat ist, der sich nicht viel aus seinem Geburtstag macht, umso dankbarer bin ich ihm, dass er meinen trotzdem zu etwas ganz Besonderem macht.

"Danke", schiebe ich daher hinterher.

"Ich habe doch nichts gemacht", entgegnet er bescheiden und stößt einen Schwall blauen Qualm in die kalte Winterluft.

"Du warst da und du warst du, das reicht", erwidere ich schnulzig und küsse ihn auf die Wange. Auch wenn überschwängliche Liebesbekundungen eher nicht mein Naturell sind, bin ich heute in so guter Stimmung, dass mir die Worte erstaunlich leicht über die Lippen gehen.

"Ich hoffe einfach, dass es immer so bleibt, wie heute."

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Meine Lieben,

würde euch so ein Geburtstag auch gefallen? Oder macht ihr euch nichts aus diesem Tag, so wie Shalik?

Zum Schluss folgt dieser fromme Wunsch von Tiara. Meint ihr, der geht in Erfüllung?

Danke für 10k! ❤️

A.

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