36 // mr. miyagi

Gibt es eigentlich Menschen, die Montage mögen? Die diesen ersten Wochentag betrachten, wie ein wöchentliches, kleines Silvester? Ein 7-tägig wiederkehrender Neuanfang, oder so 'ne spirituelle Scheiße?

Ich persönlich hasse Montage. Ich bin gerne am Wochenende zuhause mit Shalik und Chico, unternehme was mit Freunden oder gehe weg.

Montagsmorgens muss ich mich stets aus dem Bett quälen, in meine gute Garderobe zwängen und mein schönstes Verkaufslächeln mithilfe meiner Schminktasche und viel Engagement in mein Gesicht fälschen.

Es dauert stets drei Kaffee und gute zwei Stunden, bis sich mein Missmut ein wenig legt. Und jeden Montag um 15 Uhr, wenn ich Feierabend habe, freue ich mich noch ein bisschen mehr als an den anderen Tagen.

Ich mag meinen Job beim Autohaus LUEG noch immer, auch jetzt, wo ich bereits eine ausgelernte Automobilkauffrau bin. Ich mag die Abwechslung, die man durch die verschiedenen Kunden und Kundinnen hat, auf die man sich immer neu einstellen muss und ich habe nach wie vor eine Schwäche für Autos. Nichtsdestotrotz habe ich in den letzten Wochen einen ziemlichen Durchhänger was meinen Job angeht. Seit der Ausbildung bin ich nur noch in Teilzeit beschäftigt und mittlerweile habe ich zunehmend das Gefühl, dass ich mich seitdem kein Stück mehr weiterentwickelt habe. Für einen perfektionistischen, ambitionierten Menschen wie mich nur schwer zu ertragen. Immer wieder denke ich darüber nach, ob ich mich vielleicht noch weiterbilden oder ein Studium anfangen soll oder ob ich fürs erste zumindest einen anderen Arbeitgeber suchen soll, doch gerade bin ich gefangen in Perspektivlosigkeit und Unentschlossenheit.

Nicht nur deshalb habe ich dem Feierabend heute ganz besonders entgegengefiebert, denn heute ist Tag X.

Es sind gute zwei Wochen vergangen, seit ich das Wochenende mit Shalik in Scharendijke verbracht habe und heute ist der Tag gekommen, an dem Shalik und Dion zu dem Typen fahren und ihren ersten Deal mit ihm abwickeln. Die beiden wollen erstmal 20.000 Euro von ihm haben und haben ihm dafür ein halbes Kilo Heroin versprochen. Zeitgleich haben sie einen Deal mit Dions Händler, der ihnen das H zu einem guten Kurs verkauft. Sie kaufen es also günstiger als für 20.000 Euro ein, wollen es zusätzlich noch strecken und verkaufen es dann weiter, sodass sie einen Gewinn von 2.000 Euro haben, die sie Mr. Miyagi geben, aber jeder für sich noch 2k Gewinn für ihre eigene Tasche abgezweigt haben. Mr. Miyagi ist der Kosename, den Shalik und ich dem Mann gegeben haben und den wir in Gesprächen über ihn benutzen, weil er laut Shalik aussieht wie ein alter Karatemeister aus dem fernen Asien.

Ich biege in unsere Straße und löse bereits ungeduldig den Anschnallgurt. Wie gesagt, heute kann ich es wirklich nicht erwarten nachhause zu kommen. Auf mein ? hat Shalik mir lediglich einen Daumen hoch geschickt. Er hat mich vorher instruiert, ihm bloß keine Fragen übers Handy zu stellen, sondern mit meiner Neugier abzuwarten, bis wir uns sehen. Je näher ich unserer Wohnung komme, desto größer wird meine Aufregung.

Ich will gerade parken, da taucht Shalik plötzlich grinsend neben meiner Beifahrerscheibe auf und erschreckt mich für den Bruchteil einer Sekunde zu Tode. "Shalik", knurre ich laut, als er die Tür öffnet.

In seiner rechten Hand hält er seine rote Sporttasche von Adidas und legt sie vorsichtig auf den Rücksitz.

"Hey Baby", begrüßt er mich warm und setzt sich auf den Beifahrersitz meiner A-Klasse. "Hey", antworte ich irritiert und beäuge ihn kritisch. Er sieht gut aus, frisch vom Friseur, mit der Restbräune des Sommers im Gesicht. Er trägt ein weißes Nike-Shirt und eine zerrissene Jeans und er duftet himmlisch.

"Entschuldige den Überfall", grinst er und küsst mich liebevoll zur Begrüßung. "Aber ich muss dir unbedingt was zeigen. Ich navigiere dich, okay?"

Shalik lotst mich durch die vollen Straßen mitten während der Rushhour, doch zum Glück fahren wir nicht lange, bis er mich anweist, das Auto zu parken. Ich erkenne die Stelle, ich habe es bereits während der Fahrt vermutet. Wir sind an dem Feld, an dem wir bei unseren ersten Dates immer mit Chico spazieren gegangen sind.

"Was musst du mir denn hier zeigen?", hake ich skeptisch nach und schnalle mich ab.

"Neugier und Ungeduld sind keine Tugenden", kommentiert er grinsend und steigt aus. "Na los, komm."

Ich muss schmunzeln und folge Shalik nach draußen.

Wir laufen auf das abgemähte Weizenfeld hinaus, bis Shalik plötzlich meine bunte Decke aus seiner Sporttasche zieht, die er die ganze Zeit mit sich herumschleppt. Er breitet sie auf dem Boden aus und bedeutet mir, mich zu ihm zu setzen.

Dann stellt er verschiedene Schalen mit Antipasti, Käse, Wurst und Dips vor mich, arabisches Fladenbrot und eine Tupperschüssel mit süßem Harissa, meiner Lieblingsnachspeise, die vermutlich seine Mutter für uns gemacht hat.

"Ich dachte, heute zur Feier des Tages wäre die richtige Gelegenheit für ein Picknick", kommentiert er beiläufig.

"Das ist mega süß", antworte ich gerührt und küsse Shalik. "Danke." Gerade heute, nach all der Anspannung und den Zweifeln, die ich momentan bezüglich meiner Zukunft hege, sind einige unbeschwerte Stunden mit meinem Freund genau das, was ich brauche.

Ich stecke mir eine grüne Olive in den Mund und strahle ihn an. "Wieso denn zur Feier des Tages? Wegen Mr. Miyagi?"

Shalik lacht sein typisches, kehliges Lachen, dass wie Musik in meinen Ohren klingt. "Nein, nicht deshalb. Da ist alles nach Plan gelaufen, aber ich wollte mit dir was anderes feiern." Er reicht mir seine Hand und reflexartig umfasse ich sie mit meinen Händen.

Shalik muss wieder lachen, zieht seine Hand aus meinen Händen und nickt mir zu. "Schau mal genau hin", weist er mich an.

Ich schaue auf seine kräftigen Finger und entdecke an seinem Ringfinger ein neues Tattoo, ein kleines geradliniges T mit Serifen. Mein Mund klappt auf und meine Augen weiten sich.

"Was ist das?", frage ich ihn ungläubig. "Ist das Henna? Geht das wieder ab?" Instinktiv rubbele ich mit meinem Daumen über den schwarzen Buchstaben um zu prüfen, ob er sich wegwischen lässt.

Shalik schmunzelt und streichelt liebevoll über meine Wange. "Nein, Tiara, geht es nicht."

"Aber du kannst dir doch nicht einfach ein T tätowieren lassen? Was ist denn, wenn wir uns trennen?", frage ich schockiert und drehe seine Hand immer wieder hin und her. Er hat sich wirklich ein T auf den Finger tätowieren lassen. Würde ich es nicht mit meinen eigenen Augen sehen, würde ich es nicht glauben.

"Wir werden uns nicht trennen", antwortet Shalik überzeugt. Er ist so extrem sicher darin, dass wir für immer zusammen sein werden, dass es mich selbst oft überrascht. So sehr ich an unsere Beziehung glaube und spüre, dass er die große Liebe ist, auf die ich immer gewartet habe, so bin ich doch zu rational und vielleicht auch zu wenig romantisch, als dass ich an die eine, ewig währende Liebe glaube. Alles kann irgendwann enden, das musste ich zuletzt schmerzlich an der Ehe meiner Eltern sehen, von denen ich nie gedacht hätte, dass sie sich jemals trennen.

"Ich habe hier auch was für dich", unterbricht Shalik meine Gedanken und zieht eine kleine, dunkelrote Schachtel aus seiner Hosentasche und öffnet sie. Darin befindet sich ein wunderschöner Ring, weißgold, mit einem größeren Stein in der Mitte und links und rechts davon zwei kleinen Steinen, die im Sonnenlicht funkeln.

"Was ist das?", frage ich atemlos und lasse mir den Ring von Shalik an meinen linken Ringfinger stecken. Er passt wie angegossen und ich frage mich, wie er das gemacht hat.

"Krieg keine Panik", lacht Shalik über meinen entrüsteten Gesichtsausdruck. "Ich mache dir jetzt keinen Heiratsantrag. Ich kenne dich schließlich. Ich weiß, dass dir das viel zu früh wäre, du willst immer auf Nummer sicher gehen. Ich möchte einfach, dass du diesen Ring trägst, um dich immer an das Versprechen zu erinnern, das ich dir jetzt geben werde. Ich möchte mein Leben mit dir verbringen, Tiara. Ich möchte dich heiraten und eine Familie mit dir gründen. Ich verspreche dir, dass ich dich nicht alleine lassen werde. Ich weiß, du hast oft Ängste und Zweifel meinetwegen, und ich weiß, dass es mit mir nicht immer einfach ist, aber ich liebe dich wirklich von ganzem Herzen, Tia. Ich werde dich immer beschützen wie ein Löwe. Ich will einfach mit dir glücklich sein, nur mit dir, egal was kommt, so lange ich lebe."

Mein Herz trommelt aufgeregt gegen meine Brust, meine Finger schwitzen und ich starre hin und her zwischen dem wunderschönen Ring an meinem Finger und Shaliks aufgeregt funkelnden Augen.

"Shalik.. Das.. Der", stammele ich. Ich räuspere mich kurz und Tränen füllen meine Augen. "Der Ring ist wunderschön und das was du gesagt hast ist es auch. Ich möchte auch immer mit dir glücklich sein", antworte ich mit zitternder Stimme. "Danke, danke, danke."

Shalik zieht mich an sich und küsst mich so gefühlvoll wie selten zuvor. Er vergräbt seine Hände in meinen Haaren und drückt seine Lippen wieder und wieder auf die meinen. Ich schiebe meine Hände unter sein Shirt und lasse sie über seine warme Haut gleiten. Er beißt leicht in meine Unterlippe, saugt an ihr und schiebt zärtlich seine Zunge in meinen Mund. Ich stöhne leise in den Kuss und kralle meine rotlackierten Fingernägel in seine Haut.

"Babe", flüstert Shalik in den Kuss. "Hm", raune ich zurück, ohne mich von ihm zu lösen.

"Wenn du nicht aufhörst, ficke ich dich gleich mitten auf diesem Feld."

Ich muss lachen, küsse ihn noch einmal und schiebe ihn dann bestimmt von mir. "Wenn das so ist", beginne ich und lasse meine Hand provokant über seine Basketballshorts streichen. "Lass uns lieber schnell nachhause fahren."

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Meine Lieben,

Viel passiert in diesem Kapitel. Was sagt ihr zu dem Ring und was zu dem Tattoo?

Und wer wäre für eine kleine Nummer mitten auf dem Feld zu haben? Hahaha, Spaß.

Erzählt mir lieber, was der schönste Liebesbeweis war, den ihr je bekommen habt.

A.

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