35 // friss oder stirb

Shalik und ich haben zwar gemeinsam in dem weichen Doppelbett geschlafen, doch uns die ganze Nacht lang gegenseitig den Rücken zugedreht. Die Situation war zu verfahren, die Fronten zu verhärtet und unsere Emotionen so hochgekocht, dass es keinen Sinn mehr gemacht hätte, das Gespräch gestern noch fortzusetzen.

Es hat mich tief getroffen, dass er mich eiskalt vor die Wahl stellt, seine Machenschaften zu akzeptieren oder mich zu trennen. So eine Art von Ultimatum, bei dem er mir die Pistole auf die Brust hält und quasi "Friss oder stirb" brüllt, ist schlichtweg ungerecht. Die Machtlosigkeit, die er damit in mir erzeugt, ist für mich nur schwer zu ertragen.

Die Sonne scheint strahlend hell durch die schweren cremefarbenen Vorhänge, während es in mir aussieht wie sieben Tage Regenwetter. Auch nachdem ich eine Nacht darüber geschlafen habe, habe ich keine zufriedenstellende Lösung parat, mit der ich das drohende Unheil noch auf den letzten Metern abwenden könnte.

Wenn ich 20.000 Euro auf der hohen Kante hätte, würde ich sie Shalik geben, auch wenn wir erst verhältnismäßig kurz zusammen sind. Vielleicht ist es Naivität, vielleicht auch einfach nur der Glauben an ihn als Menschen und unsere Beziehung, aber ich würde ihm das Geld guten Gewissens geben.

Um ehrlich zu sein muss ich mich wohl eher langsam mit dem Gedanken befassen, ob ich damit klarkomme, dass Shalik diese Betrugsmasche mit Dion zusammen durchzieht, denn dass er einen Rückzieher macht oder einen anderen Weg findet, halte ich für äußerst unwahrscheinlich.

Ich kuschele mich noch ein wenig tiefer in die dicke Daunendecke. Ich weiß nicht, wie spät es ist, doch von draußen strahlt die Sonne bereits mit aller Kraft in das kleine, modern eingerichtete Hotelzimmer, sodass es mindestens später Morgen, wenn nicht sogar schon früher Mittag sein muss.

Zögerlich werfe ich einen Blick neben mich, doch die andere Bettseite ist leer. Ich quäle mich aus dem Bett und mache mich auf die Schuhe nach Shalik, kann aber weder ihn noch seinen braun-weiß gefleckten Hund entdecken.

Daher entscheide ich mich dazu, den Tag mit einer ausgiebigen, heißen Dusche zu beginnen, in der Hoffnung, dass diese neben dem zartduftenden weißen Schaum auf meiner Haut auch meine Ängste und Sorgen in den Abfluss und auf dem direkten Weg in die dunkle, unergründliche, niederländische Kanalisation spült.

Ich föhne meine haselnussbraunen Haare, schminke mich ein wenig und schlüpfe in eine bequeme Boyfriend-Jeans und ein langweiliges Printshirt. Keine Ahnung, was ich mir beim Kauf des weißen Oversized-Shirts mit der kecken Aufschrift "C'est la vie" gedacht habe, aber ich bin auch kein Freund davon, intakte Sachen wegzuschmeißen, nur weil sie nicht oder nicht mehr zu hundert Prozent meinem Geschmack entsprechen.

Rani hat ein Händchen dafür, ungeliebte, ausrangierte Teile mithilfe ihrer Nähmaschine in etwas Neues zu verwandeln oder mit wenigen Handgriffen zu upcyclen, doch sie hat generell ein besseres Händchen für Mode und Geschmack als ich. Sie könnte problemlos eine Fotostrecke in einem Modemagazin bekommen, während ich mich in meiner Freizeit eher wie eine Basic-Bitch kleide und selten durch meine modische Extravaganz aus der Masse heraussteche.

Ich lege mir gerade meine feine Silberkette mit den kleinen Steinchen an, die ich zum Duschen abgenommen habe, als Shalik mit einer Tüte Brötchen in der einen und Chicos Leine in der anderen Hand die Tür hereinkommt.

"Ich habe Frühstück mitgebracht", erklärt er nüchtern. "Ich dachte, du hast vielleicht keine Lust dich unten in den vollen Speisesaal zu setzen."

Ein sanftes Lächeln schleicht sich auf meine vollen Lippen. Dass er trotz unserer hitzigen Auseinandersetzung vor dem Einschlafen so fürsorglich ist und sich offensichtlich sehr wohl Gedanken um mein Befinden macht, schmeichelt mir. Gestern kam es mir stellenweise eher so vor, als ob er ohne Rücksicht auf Verluste mit dem Kopf durch die Wand will.

"Danke", antworte ich ruhig, fasse mir ein Herz und schmiege mich kurz an ihn. "Und guten Morgen erstmal."

"Guten Morgen", erwidert er versöhnlich und drückt mir einen leichten Kuss auf die Haare. Ich atme seinen vertrauten Duft ein und verharre einen letzten Moment so, bevor ich mich von ihm löse. "Dann lass uns mal frühstücken."

Wir setzen uns wie gestern Abend auf den Balkon und essen schweigend die noch lauwarmen Croissants, die Shalik mitgebracht hat, mit Nuss-Nougat-Creme und Himbeerkonfitüre. Immer wieder schweift mein Blick runter an den Strand, den man von unserem Hotelzimmer aus in direkter Sichtweite hat und Traurigkeit macht sich in mir breit. Unser Trip hätte so schön werden können, doch jetzt war eher das Gegenteil der Fall.

Heute Abend reisen wir wieder ab und fahren zurück nach Essen und mich überkommt das Verlangen, die letzten Stunden in dieser Nordsee-Postkarten-Idylle wenigstens noch auszunutzen und einen einigermaßen versöhnlichen Abschied mit unserer gescheiterten Kurzreise zu finden.

"Sollen wir gleich nochmal runter an den Strand gehen?", schlage ich daher nach kurzem Zögern vor. Ich kenne Shalik mittlerweile lange genug, um zu wissen, dass er ungerne den ersten Schritt macht, schon gar nicht, wenn er sich selbst im Recht sieht. Das mitgebrachte Frühstück war für ihn schon fast das Höchste der Gefühle auf der Schuldeingeständnis-Skala.

"Wir müssen ja auch gar nicht miteinander reden, wenn du das nicht willst, aber wir sind 300 Kilometer hierhin gefahren und sollten jetzt nicht die letzten Stunden schmollend in diesem Zimmer verbringen", versuche ich ihn zu überreden und setze intuitiv einen schmollenden Dackelblick auf.

Shalik mustert mich kurz und kann sich dann ein schiefes Grinsen nicht verkneifen. "Guck nicht so", raunt er und schmiert sich noch etwas mehr Nutella auf das Blätterteighörnchen in seiner Hand. "Natürlich gehen wir gleich nochmal ans Meer."

Eine gute Stunde später sitzen wir auf meiner runden, bunt gemusterten Leinendecke in den Dünen. Ich habe meine weißen Turnschuhe und die Socken ausgezogen und vergrabe meine nackten Zehen in dem feinen, weißen Sand. Das Wetter gibt heute wieder alles und die Sonne beschert uns noch einen goldenen Herbsttag zum Abschied.

Sowohl Shalik als auch ich verhalten uns beide seltsam distanziert, als ob keiner so richtig wüsste, was er nun am besten tun soll, bis Shalik irgendwann kommentarlos nach meiner Hand greift und seine Finger mit den meinen verschränkt.

In meiner Brust zieht sich mein Herz schmerzhaft zusammen und ich beiße mir auf die Unterlippe, um die aufkommenden Tränen aus meinen Augenwinkeln zu verbannen.

Shalik streicht mit seinem Daumen zärtlich über meinen Handrücken, doch der Blick seiner schönen grünen Augen geht ziellos an mir vorbei in die blauen Weiten des Meeres.

Der Moment ist seltsam schwer. Ich drücke seine Hand leicht, bemühe mich tief durchzuatmen und lege meinen Kopf in den Nacken. Am strahlend blauen Himmel kreisen einige Möwen und nur vereinzelt sind einige bauschige, watteweiße Wolken zu sehen.

"Ich will dich nicht verlieren", wispere ich irgendwann leise, fast tonlos und ziehe damit plötzlich Shaliks ganze Aufmerksamkeit auf mich.

"Wie kommst du denn darauf? Du verlierst mich doch nicht!", fragt Shalik entrüstet und dreht sich zu mir. Seine Mimik wirkt aufrichtig überrascht, als könnte er sich gar nicht erklären, wie ich auf diesen für ihn absurden Gedankengang komme. Er führt meine Hand zu seinem Mund und platziert einen Kuss auf meinem Handballen.

"Du hast gesagt, dass wir das mit uns beiden beenden müssen", wiederhole ich seine gestrigen Worte heiser. Ich habe einen solchen Kloß im Hals, dass mir fast die Stimme versagt. Der Gedanke daran, dass das heute das Ende unsere Beziehung sein könnte, zieht mir den Boden unter den Füßen weg.

"Wenn du damit nicht klarkommst, ja." Shalik rückt ein Stück an mich heran. Er trägt eine rote Basketballshorts und ein passendes, ärmelloses Trikot. "Aber dazu gibt es keinen Grund. Du wirst nichts davon mitbekommen. Das sind drei oder vier Verabredungen mit dem Typen, als würde ich mich mit den Jungs treffen, und dann ist das Ding durch."

Er spielt die ganze Sache runter, doch für mich ist das eher ein grundsätzliches Problem, dass mir wie ein schwerer Felsbrocken im Magen liegt.

"Es sind nur ein paar Verabredungen, klar. Ein paar Verabredungen, bei denen ihr dem Typen erst größere Mengen Drogen besorgt und ihn dann um mehrere tausend Euro betrügt", entgegne ich aufgebracht und ziehe meine Finger aus seinen. Das Thema triggert mich so extrem, dass ich innerhalb weniger Sekunden wieder richtig wütend auf ihn bin. Seine unverständliche Leichtsinnigkeit und dass er mich anscheinend nicht verstehen will, bringen mich zur Weißglut.

"Pscht", zischt Shalik mit zusammengezogenen Augenbrauen und sieht sich kurz hektisch um. "Wir sind hier nicht alleine, Tiara."

Ich ignoriere seine Aussage und fahre unbeirrt fort. "Und wenn doch was passiert? Was ist dann, Shalik?

Er rauft sich verzweifelt durch seine kurz geschnittenen, dunklen Haare. Erst jetzt bemerke ich, dass unter seinen Augen leichte Schatten liegen. Es scheint auch für ihn eine unruhige Nacht gewesen sein. "Es wird nichts passieren, wie oft noch. Vertrau mir dieses eine Mal. Ich will es doch selbst nicht, ich habe alles dafür getan in Ruhe zu leben und die Füße still zu halten. Du weißt, weshalb ich das mache, weshalb ich das machen muss. Aber ich will dich nicht verlieren, Tiara."

"Ich will dich auch nicht verlieren", pflichte ich ihm bei und kann nicht verhindern, dass mir nun doch eine dicke Träne über die Wange kullert. "Dich zu verlieren tat schon in meinem Traum so weh. Ich glaube, ich schaffe das im echten Leben nicht."

Eine zweite Träne bahnt sich den Weg über mein Gesicht und tropft von meinem Kinn in den warmen Sand.

Shalik nimmt mein Gesicht in seine Hände und schenkt mir einen tiefen Blick. Mit seinen Daumen wischt er mir die nassen Tränen weg. "Du wirst mich nicht verlieren, hörst du. So lange du mich in deinem Leben haben willst, werde ich dableiben und wir können alles miteinander schaffen, wenn wir es nur wollen."

Zögerlich nicke ich. "Das sagst du mir jetzt bestimmt alle drei Wochen, wenn du irgendeine neue Sache am Start hast", erwidere ich verbittert.

"Nein. Ich habe seit meiner Entlassung nichts mehr gemacht und wollte das auch nicht mehr. Wäre das mit Jimmy nicht, würde ich es durchziehen. Ich habe dich nicht belogen, Tiara. Ich bin kein Lügner."

"Ich weiß", antworte ich und lege meinen Kopf schief.

Shalik drückt mir einen Kuss auf die Stirn. "Vertrau mir, Baby. Bitte. Tu es für uns. Für unsere Zukunft."

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Ihr Lieben,

Und, was meint ihr? Wird Tiara ihm vertrauen?

Und wird die ganze Nummer gut gehen?

A.

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