27 // harami

Müde blinzele ich gegen die Sonnenstrahlen an, die durch die silbernen Lamellen des Rollos scheinen. Mein Kopf dröhnt, mein Magen dreht sich und das einzig schöne an diesem Morgen sind das leise Schnarchen von Chico, der am Fußende liegt und Shaliks Arme, die noch immer fest um meine Taille geschlungen sind.

Ich versuche vorsichtig aufzustehen, doch sofort fährt mir ein ziehender Schmerz wie ein Blitz durch den Kopf und lässt mich leise aufstöhnen.

"Was ist los?", fragt Shalik verschlafen.

"Mein Kopf", jammere ich leidend und lasse mich wieder in die Kissen sinken.

"Sei nicht so eine Memme", neckt Shalik mich, nimmt von seinem Nachttisch ein Päckchen Ibuprofen und reicht sie mir. "Wer saufen kann, kann auch aufstehen."

"Als ob du keinen Kater hast", ächze ich und würge die Schmerztablette mit einem Schluck Wasser runter.

Wie zum Beweis setzt sich Shalik im Bett auf. "Ich bin quicklebendig", verkündet er und streckt sich ausgiebig. Wieder einmal kann ich mich an seinem nackten Oberkörper mit den vielen kleinen tätowierten Bildchen nicht satt sehen. Noch immer habe ich das Gefühl, nicht jedes von ihnen entdeckt und nicht jeden Schriftzug auf seiner Haut gelesen zu haben.

"Dann kannst du uns ja Kaffee machen", fordere ich ihn leidend auf und drücke meinen Kopf wieder in die weiche Bettwäsche.

"Ich mache dir einen Kaffee und dann gehen wir zusammen mit Chico raus, okay?"

Shaliks schöner Hund, der mir schon so wahnsinnig ans Herz gewachsen ist, hebt neugierig seinen bulligen Kopf, als er seinen Namen hört.

"Bist du verrückt?", frage ich Shalik entsetzt und starre ihn aus weit aufgerissenen Augen an. "Ich kann doch jetzt nicht spazieren gehen, ich bin kurz vorm Tod!"

Shalik lacht ein kehliges, dreckiges Lachen und steht deutlich zu motiviert für meinen Geschmack aus dem Bett auf. "Du hast jetzt eine Tablette genommen, ich bringe dir einen Kaffee und wenn du dich dann ein bisschen an der frischen Luft bewegst, wird dir das helfen, wieder auf Spur zu kommen. Außerdem ist geteiltes Leid halbes Leid."

Während Shalik in die Küche verschwindet, schließe ich noch einmal die Augen und kuschele mich selig an Chico, der vom unteren Ende des Bettes schlaftrunken zu mir hoch gekrabbelt kommt.

"Bist du ein feiner Junge?", frage ich ihn und streichele über seinen Kopf. Freudig wackelt er mit seiner Rute und leckt über meine Hände.

Ich finde es albern, wenn Leute so quietschig und nervig mit ihrem Hund reden, aber merke selbst, wie sich das immer mehr bei mir einschleicht. Wenn ich einkaufen bin, nehme ich immer was für Chico mit oder fahre extra in den Tierhandel, um ihm was Leckeres zu holen. Ich freue mich nicht nur Shalik zu sehen, sondern auch seinen Hund.

"Du weißt gar nicht wie sehr mein Herz aufgeht, wenn ich das sehe", ertönt Shaliks Stimme und er taucht mit zwei Tassen Kaffee in den Händen selig schmunzelnd an der Bettkante auf.

"Hm?", frage ich verständnislos.

"Na euch beide zusammen. Ich bin ein verdammter Glückspilz", erklärt er, gibt mir eine Tasse und setzt sich aufs Bett.

"Lass uns eben Duschen gehen, damit wir loskönnen, okay? Ich will den Dicken nicht so lange warten lassen", sagt Shalik und tätschelt Chicos Bauch.

Keine Stunde später sind wir dann tatsächlich frisch geduscht und ein wenig zurecht gemacht mit Chico unterwegs zu dem nahegelegenen Feld, an dem wir schon bei unserem ersten Date waren. Dieser Ort gibt mir beständig einen tiefen, inneren Frieden, da ich so viele schöne Momente mit ihm verbinde.

Shalik leint Chico ab und schmeißt dessen lädierten Tennisball weit raus aufs Feld. "Wir müssen nochmal über gestern Nacht reden", beginnt Shalik und zerstört damit meinen kleinen Funken Hoffnung, die Angelegenheit sei in Vergessenheit geraten. "Ich weiß, dass du dir was anderes erhofft hast, aber ich kann Amirs Verhalten wirklich nicht auf mir sitzen lassen."

Ich überkreuze meine Beine und sehe einen Moment schweigend auf den staubigen Feldboden.

"Du weißt doch wo er wohnt, oder?"

Stumm nicke ich. "Wohnt der alleine?" Ich nicke wieder. "Dann werde ich ihm gleich mal einen Besuch abstatten", beschließt Shalik ruhig aber bestimmt und nimmt Chico den vollgesabberten Ball aus dem Maul, um ihn erneut wegzuschleudern.

"Bitte mach das nicht", flehe ich und sehe meinen Freund aus großen Augen an.

"Ich mache nix. Ich will wirklich nur mit ihm reden und ihm die Meinung geigen."

"Aber wir wissen beide, wie schnell ein Gespräch in dieser Konstellation eskalieren wird", setze ich entgegen. "Ihr könnt euch nicht ausstehen."

Shalik nimmt meine Hand und zieht mich in seine Arme. "Wird es nicht. Versprochen."

Ich sehe tief in seine schönen grünen Augen und verliere mich für einen Augenblick in ihnen.

"Dann lass mich mitkommen", fordere ich.

"Auf gar keinen Fall!", protestiert Shalik und löst sich von mir.

"Wieso denn nicht?", frage ich unschuldig und erwidere seinen sturen Blick herausfordernd.

"Weil das nichts für dich ist, Tiara. Ich habe keine Lust, dass du dir das geben musst." Shalik rauft sich durch die Haare und atmet schwer.

"Ach nein, mir macht das nichts", entgegne ich selbstsicher und zucke mit den Schultern. Im Grunde ist das eine Lüge, denn ich hasse nichts mehr als Streit und lautstarke Auseinandersetzungen ganz zu schweigen von Schlägereien und will nur mitkommen in der Hoffnung, dass Shalik sich in meiner Anwesenheit eher zusammenreißt.

"Wieso bist du nur so stur?", schimpft Shalik und lässt seinen Ärger an dem Ball aus, der nun besonders weit auf den Acker hinausfliegt. Chico hat richtig Mühe, hinterher zu kommen und läuft ambitioniert hechelnd Richtung Horizont.

"Ich bin nicht stur, ich bin ehrgeizig und willensstark", widerspreche ich mit einem zuckersüßen Lächeln.

Shalik seufzt auf und gibt sich geschlagen. "Aber du hältst dich zurück und mischt dich nicht ein, versprochen?"

...

Als wir vor Amirs Wohnhaus stehen, bin ich nervös - deutlich nervöser als Shalik. Der trägt eine Joggingshorts, ein Shirt und Latschen und sieht nach viel aus, aber bestimmt nicht nach Ärger. Doch ich kenne ihn gut genug um zu wissen, dass es auch Stunden nach dem Zwischenfall zwischen Amir und mir in der Disco noch immer in ihm brodelt.

"Wie heißt der mit Nachnamen?", raunt Shalik und studiert die Klingelschilder.

"Shayegan", antworte ich kurzangebunden.

Entschlossen drückt Shalik auf die Klingel. Es dauert einen Moment, dann knackt die Gegensprechanlage und ein unfreundliches: "Ja?", dringt aus dem Lautsprecher.

"Ich bin es, Shalik, mach mal auf", antwortet er unverblümt. Er macht sich nicht mal die Mühe, das zu verheimlichen und dieses Selbstbewusstsein beeindruckt mich schon ein wenig, wenn ich ehrlich bin. Ich hätte an seiner Stelle vermutlich erstmal behauptet, ich wäre von der Post oder so, damit Amir mir auch wirklich die Tür aufmacht.

Tatsächlich brummt wenig später der Türöffner und Shalik schiebt schwungvoll die schwere Haustür auf. Ohne zu wissen, wo er hinmuss, läuft er vor, die Treppen nach oben, bis er Amir im Türrahmen stehen sieht. Ich folge ihm und halte mich wie versprochen zurück.

"Oh, hoher Besuch. Bist du gekommen, um mir auf die Fresse zu hauen?", fragt Amir mit einem dreckigen Grinsen im Gesicht und wirft mir einen kurzen Seitenblick zu. Er weiß genau so gut wie ich, dass Shalik sich vor mir so lange wie möglich zurückhalten wird. Wäre ich zuhause geblieben, wäre seine Hemmschwelle allein bei diesem dummen Spruch vermutlich schon erheblich gesunken.

"Vielleicht", antwortet Shalik durch zusammengebissene Zähne und geht noch zwei weitere Schritte auf den muskulösen Iraner zu.

"Hast du in deinem aufgeblasenen Körper eigentlich noch einen winzigen Funken Ehre?", fragt Shalik angriffslustig und funkelt Amir aus seinen grünen Augen zornig an.

Amir verdreht gelangweilt die Augen.

So viel Testosteron auf so wenig Raum ist eine explosive Mischung, das wird mir ziemlich schnell klar. Sowohl Shalik als auch Amir sind zwei Männer mit einem relativ klassischen, fast schon toxischen Rollenbild, das von einem traditionellen Verständnis von Stolz und Ehre geprägt ist. Mir ist klar, dass beide vermutlich lieber einen heldenhaften Tod in Kauf nehmen würden, als klein bei zu geben.

Ich höre, dass Shalik tief durchatmet um nicht schon jetzt auszurasten.

"Wer bist du, dass du dir das Recht rausnimmst so schlecht über mich zu reden? Du kennst mich doch gar nicht. Wir beide haben nie mehr als fünf Sätze miteinander gewechselt, wie kannst du da über mich urteilen? Alles was du meinst über mich zu wissen sind nichts als Gerüchte. Hast du es wirklich nötig wie so eine kleine Bitch über mich herzuziehen, nur weil du Tiara nicht bekommen hast und ich halt schon?"

Punkt für Shalik, so viel steht fest.

Ich sehe Amir an, dass Shalik mit seinen deutlichen Worten Salz in seine noch frischen Wunden streut, denn von seinem überheblichen Grinsen ist nicht viel übriggeblieben, stattdessen stiert er meinen Freund nun ebenfalls wütend an.

"Weißt du was? Ich könnte sogar mit dieser Niederlage leben, wenn Tiara sich nicht für einen Harami wie dich entschieden hätte."

"Harami?" Shalik lacht auf. "Und du bist ein Heiliger oder was? Ich habe ihr nie verschwiegen, dass ich vorbestraft bin, dass ich gestohlen und gelogen habe oder im Knast saß und weißt du was? Trotzdem hat sie sich für mich entschieden. Denk mal darüber nach."

Amir schüttelt den Kopf. "Ich dachte eigentlich sie hat einen besseren Geschmack, schließlich habe ich sie lange genug gebumst."

Ich ziehe scharf die Luft ein und beiße mir auf die Zunge, um nicht diejenige zu sein, die gleich ausfallend wird. Amir hätte es verdient, so viel steht fest, aber ich will nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen.

"Aber wenn du auf mein benutztes Spielzeug stehst", setzt er nach und zuckt mit den Schultern. Mir stockt der Atem. Nun geht er wirklich zu weit, selbst für meinen Geschmack. Jetzt sehe ich die Arroganz, von der Shalik und Rani sprachen, auch ganz deutlich, als sei seine Maske vor meinen Augen gefallen.

"Amir", knurrt Shalik und drückt seine Hände in seine Hosentaschen, als ob sie sonst ein Eigenleben entwickeln und gegen seinen Willen auf sein Gegenüber einschlagen würden. "Was zwischen Tiara und mir ist geht dich gar nichts an. Um genau zu sein geht dich überhaupt nichts weder aus ihrem noch aus meinem Leben etwas an. Sie hat das mit euch beendet und ich würde dir raten, das zu akzeptieren und weder ihren noch meinen Namen in den Mund zu nehmen, sonst muss ich beim nächsten Mal deutlicher werden."

Ich weiß, dass das keine Drohung, sondern ein Versprechen ist. Shalik ist mit seiner Geduld am Ende und reißt sich nur meinetwegen noch zusammen.

Shalik dreht sich um, greift nach meiner Hand und schiebt mich sanft die Treppen herunter. "Halte dich von ihr fern", ruft er ihm zum Abschied zu und schenkt ihm einen letzten eindeutigen Blick.

"Und wenn nicht?", fragt Amir frech. Es ist eine rhetorische Frage, reine Provokation und ich bin froh, dass Shalik sich darauf nicht einlässt.

"Probiere es aus, wenn du die Eier dazu hast", ruft er ihm nach, ist aber schon hinter mir auf dem Weg nach unten.

Als wir das Wohnhaus verlassen und ins Freie treten, kann ich endlich wieder durchatmen und die Anspannung der letzten Minuten fällt von mir ab.

Wir steigen in Shaliks dunklen BMW und ziehen die Türen hinter uns zu. Ich nehme seine Hand in meine. "Ich weiß, du hättest ihm am liebsten auf die Fresse gehauen, er hätte es auch wirklich verdient gehabt."

"Ich war kurz davor", knurrt Shalik mit ziellosem Blick in die Ferne.

"Danke, dass du es nicht getan hast", erwidere ich ehrlich.

"Klar, du hattest schließlich Recht mit dem, was du gestern gesagt hast. Am Ende sitze ich wegen widerrufener Bewährungsstrafe und schwerer Körperverletzung im Knast und der Wichser baggert hier draußen lustig an dir rum. Gar keinen Bock dann vom Knast aus einen Auftragskiller zu engagieren und die Kohle dafür zusammen zu kriegen und so", scherzt er grimmig.

Ich küsse ihn mit einem Lachen auf den Lippen. "Du bist doof", nuschele ich in den Kuss hinein.

"Ich scheiße auf alle Konsequenzen, ich will einfach nicht mehr ohne dich sein, das war der ausschlaggebende Punkt."

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Meine Lieben,

Da hat Shalik ja wirklich noch gut die Fassung bewahrt, oder? Ich glaube, ich hätte Amir in sein dämlich grinsendes Gesicht geschlagen, wenn er so mit mir gesprochen hätte.. DISCLAIMER: Das ist natürlich ein Scherz, Gewalt ist nie eine Lösung.

Meint ihr, das war nun wirklich Amirs letzter Auftritt in dieser Geschichte?

A.

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