26 // jeden tag ein bisschen mehr
In Helins Auto herrscht bedrückte Stimmung. Keiner sagt ein Wort, wir hängen alle vier schweigend unseren Gedanken nach. Amerikanische Musik plärrt leise aus dem Autoradio, ich liege müde auf Ranis Schoß und lasse mir von ihr den Kopf kraulen.
"Es hat mich ziemlich verletzt, weil ich nie gedacht hätte, dass Amir so ein Mensch ist", durchbreche ich irgendwann leise die Stille.
"Ich schon", erwidert Rani trocken und zuckt mit den Schultern.
"Wieso denn?", hake ich nach. "Das hast du mir nie gesagt."
"Wieso auch. Ihr habt doch nur gevögelt, da ist sein Charakter egal. Hättest du mir erzählt, dass du eine Beziehung mit ihm willst, hätte ich dir schon noch die rote Karte gezeigt", erklärt Rani grinsend.
"Du bist wirklich die beste Freundin, die ich habe", gebe ich zu, voller Melancholie und kuschele mich noch mehr an sie. Sie riecht nach Mandeln, Vanille und Geborgenheit und der Stoff ihres kurzen Kleides schmiegt sich weich wie eine Kuscheldecke an meine Wange.
"Und du meine", gibt sie zurück und schenkt mir ein herzerwärmendes Lächeln. "Scheiß darauf, was er gesagt hat. Du kennst die Wahrheit. Shalik macht dich glücklich und nur das ist es, was zählt."
Auf einmal beginnt mein Handy in meiner Hosentasche zu vibrieren. Umständlich ziehe ich es heraus, was im Liegen gar nicht so leicht ist und registriere einen eingehenden Anruf von Shalik.
"Wenn man vom Teufel spricht", kommentiere ich und gehe ran. "Ja?"
"Hey Babe", klingt seine raue Stimme in mein Ohr und verpasst mir eine leichte Gänsehaut.
"Hi", antworte ich einsilbig. Ich bin so aufgewühlt, irgendwo zwischen schlechtem Gewissen, weil ich mit Amir gesprochen habe und er es geschafft hat, mich so zu verunsichern und dem Gefühl, verliebt und dankbar zu sein wegen der zuckersüßen Nachricht, die Shalik mir geschrieben hat.
"Bist du schon zuhause? Ist so still bei dir", hakt er nach.
"Nein, wir sind gerade auf dem Weg. Helin fährt uns. Und du?"
"Ja, ich bin schon zuhause", antwortet er. "Willst du zu mir kommen? Ich will dich unbedingt sehen, ich vermisse dich." Erst jetzt fällt mir auf, dass seine Stimme ein wenig lallt.
"Hast du getrunken?", frage ich vorsichtig.
"Ein bisschen", gibt er zu.
Ich werfe Rani einen kurzen Blick zu, und wieder einmal zeigt sich, dass unsere Freundschaft nicht viele Worte braucht. Sie lächelt und nickt mir zu. Ich forme "Danke" mit meinen Lippen und schicke ihr einen Luftkuss.
"Helin, kannst du mich vielleicht in Frohnhausen rauslassen?", bitte ich sie. Ihre blondieren Haare hat sie heute streng geglättet. Ich kenne niemanden, dem ein Bob so gut steht wie ihr. Dass sie nebenbei einige Modeljobs macht, sieht man auf zehn Kilometer gegen den Wind. Neben ihren Modelmaßen und dem makellosen Gesicht hat sie auch ein gutes Gespür für Mode, welches sie regelmäßig auf ihrem kleinen Fashionblog zur Schau stellt.
"Klar, da fahren wir doch eh lang", antwortet sie und betrachtet mich kurz mit einem unergründlichen Blick durch den Rückspiegel.
"Danke", sage ich schnell und wende mich wieder meinem Freund zu, der geduldig am anderen Ende der Leitung wartet. "Ich komme gleich zu dir", teile ich ihm mit. "Gott sei Dank. Beeile dich", antwortet er sehnsüchtig und verabschiedet sich von mir.
"Hast du aufgelegt?", fragt Rani vorsichtig. Ich nicke. "Wirst du ihm das mit Amir erzählen?", fragt sie und sieht mir tief in die Augen.
Unsicher beiße ich mir auf die Unterlippe. "Ich will nicht, aber ich muss. Wenn ich ihm das verheimliche und er es hinterher mitbekommt, weil uns doch jemand gesehen hat oder so, dann wird es nur noch schlimmer. Ich hoffe nur, dass das nicht in einer großen Katastrophe endet", denke ich laut und spiele damit auf die damalige Schlägerei zwischen Amir und Shalik an, die lange vor mir stattgefunden hat.
Ich hoffe nicht, dass der heutige Vorfall zwischen Amir und mir bei Shalik wieder alte Wunden aufreißt, die ihn dazu veranlassen, sich endlich an seinem alten Kontrahenten zu rächen.
"Wird schon schief gehen", muntert Rani mich halbherzig auf, scheint sich aber selbst nicht so ganz zu glauben.
...
Als Helin ihren Kleinwagen vor Shaliks Wohnhaus auf dem Seitenstreifen anhält, ziehe ich aus meinem Portemonnaie einen Fünfzig-Euro-Schein. Ich verabschiede mich von Rani und Neda, öffne dann an die Fahrertür und beuge mich zu Helin herunter.
Ich drücke ihr den Geldschein in die Hand und einen Kuss auf die Wange. "Danke, dass du uns immer heile nachhause bringst."
"Was ist das? Spinnst du?", fragt sie aufgebracht und schaut den braunen Schein beinahe angeekelt an.
"Geld", antworte ich trocken.
"Wofür man?", schimpft sie. "Ich mache das doch gerne."
"Ich weiß, aber dein Auto fährt auch mit Diesel und nicht mit Luft und Liebe", stelle ich klar, mache einen Kussmund und flöte zum Abschied ins Auto: "Schlaft gut, Mädels."
In meiner Magengrube breitet sich ein leichtes Kribbeln aus, als ich auf Shaliks Haustür zulaufe. Es wundert mich selbst, aber ich freue mich immer wieder aufs Neue, ihn zu sehen. Immer wieder zaubert er mir Schmetterlinge in den Bauch, obgleich seine Nähe mir mittlerweile so vertraut ist, als wäre er mir nie fremd gewesen.
Voller Vorfreude drücke ich die Klingel herunter, auf der sein melodischer Name "Shalik Bouaziz" steht. Es dauert nicht lange, bis der Türöffner summt und ich den Hausflur betrete.
Das aufgeregte Tapsen auf dem Fliesenboden verrät mir, dass Shalik Chico ausnahmsweise mal ins Treppenhaus gelassen hat, um mich zu begrüßen, schließlich weiß er genau, dass ich komme und die Wahrscheinlichkeit, dass sich nachts um 4 Uhr noch Nachbarn im Flur verirren, die sich von dem stürmischen Junghund gestört fühlen könnten, ist verschwindend gering.
Keine Sekunde später stürmt der bullige, gefleckte Staffordshire Terrier auf mich zu, jankt vor Freude und springt an mir hoch. "Heeey", begrüße ich ihn lächelnd und muss mich am Treppengeländer festhalten, damit Chico mich nicht versehentlich die Treppen runter stößt, schließlich kann ich mich aufgrund der Schuhe und des Alkohols gerade eh verhältnismäßig schlecht auf den Beinen halten.
"Ab nach oben, Chico", fordere ich ihn auf und drücke ihm einen Kuss auf das kurze Fell zwischen seinen Ohren.
Gemeinsam bezwingen wir die letzten Stufen in die erste Etage, wo Shalik schon in der Tür steht. Er trägt noch seine dunkle Jeans, hat sein Shirt jedoch ausgezogen und lehnt Oberkörperfrei am Türrahmen.
"Hey Babe", begrüßt er mich lächelnd und zieht mich an sich. Sein Bart riecht nach Qualm, als ob er zu lange in einer verrauchten Bude gehangen hat, seine Halsgrube riecht nach seinem schweren Parfum und sein Kuss schmeckt nach Schnaps.
Bisher habe ich noch nie mitbekommen, dass Shalik getrunken hat, doch heute scheint es gar nicht mal so wenig gewesen zu sein.
"Bist du betrunken?", frage ich ihn grinsend in den Kuss hinein. "Bisschen", nuschelt er. "Und du?"
"Ich werde schon wieder nüchtern", lache ich. "Willst du noch nachlegen? Hab noch Jägermeister im Eis", bietet Shalik grinsend an, löst sich von mir und schließt die Wohnungstür.
"Bah, geh mal weg", lache ich und streife endlich die Schuhe von meinen schmerzenden Füßen.
"Du siehst viel zu heiß aus, dafür, dass du ohne mich weg warst", mault Shalik und betrachtet mich wohlwollend. "Ich muss zugeben, dass der Abend für mich schon eine ziemliche Zerreißprobe war", sagt er traurig und zieht mich wieder an seine nackte Brust. "Dass ihr plötzlich feiern gegangen seid, obwohl du sagtest, dass ihr nur bei Rani bleiben wollt, hat mich einfach extrem an die damalige Situation mit meiner Ex erinnert. Ich hatte ein richtiges Déjà-vu. Ich musste mich wirklich zusammenreißen, keinen Kontrollbesuch zu tätigen oder wenigstens den ein oder anderen Anruf, weil ich dich nicht mit der Fotze gleichsetzen wollte; du kannst schließlich am allerwenigsten für ihre Fehler."
Ich höre seinen Herzschlag an meinem Ohr, sein gleichmäßiger Atem streift meinen Haaransatz und eine Welle von quälenden Selbstvorwürfen überrollt mich wiederholt in dieser Nacht. Ich hatte am frühen Abend wirklich das Gefühl, Shalik und ich würden uns gleich in die Haare kriegen und ich muss zugeben, dass sein merkwürdiges, besorgtes Verhalten mich richtig genervt hat, doch daran, dass er einfach Angst hat, weil er diesbezüglich ein gebranntes Kind ist, habe ich in meiner egoistischen Freiheitsliebe nicht gedacht.
"Das tut mir leid, das habe ich irgendwie vergessen", murmele ich betreten.
"Schon okay. Hattest du denn einen schönen Abend?"
Ein dicker Kloß bildet sich in meinem Hals. "Geht so", gebe ich zu, löse mich wieder von ihm und gehe ins Badezimmer. "Und du?", erkundige ich mich bei Shalik, der mir gefolgt ist und hole meine Kulturtasche aus meinem Weekender, den ich aus einem glücklichen Zufall vor dem Discobesuch noch in Helins Auto geschmissen habe.
"Scheiß mal darauf jetzt, was war bei dir los?", fragt Shalik beunruhigt und beäugt mich kritisch.
Ich nehme ein Abschminktuch und wische mir die Reste von Mascara, die meinen Heulkrampf noch überlebt haben, so wie den eingetrockneten roten Lippenstift aus dem Gesicht.
"Ich habe Amir getroffen", gestehe ich und schmeiße das benutzte Feuchttuch achtlos in die Toilette.
"Wie du hast Amir getroffen?", fragt Shalik ungläubig und tritt neben mich. "Hat er dich angesprochen?"
"Ja", seufze ich und binde meine schulterlangen Haare zu einem unordentlichen Dutt. "Er hat mich gefragt, mit was für Leuten ich verkehre, ob mir eigentlich bewusst ist, dass du kriminell warst, bist und immer sein wirst und dass ich das auch noch merken werde, grob zusammengefasst." Ich haue es einfach raus, kurz und schmerzlos, wie ein Pflaster abzuziehen. Auch wenn ich seine Worte schonender, blumiger verpacken könnte, würde es an deren Inhalt ja doch nichts ändern, also kann ich mir das gleich schenken.
Shaliks Augen weiten sich erst erschrocken, um sich dann zu wütenden Schlitzen zu verengen. Seine Augenbrauen ziehen sich wütend zusammen und sein Kiefer spannt sich bedrohlich an.
"Verarschst du mich gerade?" Seine Stimme ist schneidend.
Ich lasse meine Hände langsam sinken und sehe Shalik tief in die Augen. "Nein. Ich weiß auch nicht, was ihn geritten hat. Er war selbst angetrunken und vermutlich sprachen da einfach die Eifersucht und der Neid aus ihm."
"Ist mir scheiß egal, welcher Seytan da aus ihm gesprochen hat, dieser Hurensohn. Was denkt der, wer er ist? Der wird sehen, was er davon hat", knurrt Shalik bedrohlich und ballt seine Hände zu Fäusten.
Lautlos seufze ich auf. Genau das wollte ich eben vermeiden.
"Shalik", beginne ich sanft und lege meine Hände an seine breiten Oberarme, doch er macht sich direkt etwas unwirsch von mir frei.
"Ne, nix Shalik. Am liebsten würde ich jetzt zu dem fahren oder zu diesem Drecksschuppen, wo ihr wart und mir diesen Bastard zur Brust nehmen", flucht er aufgebracht. "Dem muss wohl mal jemand Benehmen beibringen - oder notfalls einprügeln."
Ich wische mir übers Gesicht und versuche es nochmal mit Engelszungen. "Schatz, das ist er doch nicht wert. Ich habe ihm ein paar deutliche Takte dazu gesagt, das muss reichen. Du bist auf Bewährung und wenn du ihm jetzt die Nase brichst und dann wieder im Knast landest, tust du ihm damit nur noch einen Gefallen. Die Einzigen, denen du damit schadest, sind wir beide."
Unruhig tritt Shalik von einem Fuß auf den anderen und rauft sich durch die Haare. "Es ist ja eh schon ehrenlos, dass er dich anspricht, obwohl er weiß, dass du jetzt mit mir zusammen bist, aber dass er mich bei dir schlecht reden will, ist echt die Krönung."
Liebevoll streiche ich über seine Wange und lege meine schlanken Arme um seine Schultern. "Ich weiß, ich habe mich selbst total darüber abgefuckt", stimme ich ihm zu und lege den Kopf ein wenig schief. "Ich kann wirklich verstehen, dass du dir das nicht gefallen lassen willst, aber bitte tu mir einen Gefallen und schlafe da eine Nacht drüber. Du hast getrunken, Amir hat getrunken - das würde nur Mord und Totschlag geben. Wenn du es morgen noch willst, kannst du ihn immer noch zur Rede stellen, okay?"
Ich spüre, dass meine Worte Erfolg haben, denn Shalik entspannt sich ein wenig und sein Gesicht wird wieder weicher.
"Bist du müde?", fragt Shalik nun deutlich sanfter und nimmt mein Gesicht in seine großen, tätowierten Hände. "Und wie!", antworte ich und muss wie auf Kommando ein Gähnen unterdrücken.
Shalik atmet tief durch und seufzt leise. "Ich wollte dir keinen Stress machen."
Ich kenne Shalik nun schon ein bisschen länger und weiß um sein impulsives Temperament. Dass wir uns nicht gestritten haben und er mir auch keine Vorwürfe gemacht hat, ich hätte mich in der Situation falsch verhalten, überrascht mich daher und erleichtert mich zugleich. Wieder einmal habe ich das Gefühl, dass er bei mir seine harte Schale ablegt und mir nur seinen weichen Kern offenbart.
"Ich weiß. Ich verstehe dich doch, du brauchst dich nicht zu rechtfertigen", antworte ich liebevoll.
Shalik zieht mich an sich und presst seine Lippen gefühlvoll auf meine. "Du hast Recht gehabt. Lass uns schlafen gehen. Morgen ist auch noch ein Tag und dann überlege ich mir mit klarem Kopf eine Lösung."
Ich ziehe mich noch schnell um, Shalik schmeißt seine Jeans über den Wannenrand und dann kuscheln wir uns gemeinsam ins Bett. Shalik liegt hinter mir, drückt seine Nase in meine weichen Haare und hält mich fest in seinen Armen. Ich schließe die Augen, lausche seinem Atem, der regelmäßig meinen Nacken kitzelt und spüre schon, dass ich in einen tiefen Schlaf sinke, als Shalik leise in mein Ohr flüstert: "Weißt du was? Ich liebe dich, Tiara. Jeden Tag ein bisschen mehr."
In Nullkommanichts bin ich hellwach und mein Herz schlägt aufgeregt gegen meine Brust. Egal wie scheiße mein Abend war, dieses Liebesgeständnis hat alles wieder wett gemacht. Ich drücke Shaliks Arm, drehe meinen Kopf und küsse seine Wange. "Ich liebe dich auch."
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Meine Lieben,
Fangen wir mal von vorne an: Könnt ihr verstehen, dass Rani sich mit ihrer Meinung über Amir zurückgehalten hat?
Wie findet ihr, geht Shalik mit der Situation um?
Und was wird er wohl morgen tun? Wird er sich Amir kaschen? Und wenn ja, wie wird das Gespräch laufen? Denkt ihr, es wird eskalieren?
A.
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