16 // fresh outta mumbai
".. Und dann hat er mich gefragt, ob ich mit ihm zusammen sein will", beende ich meinen Monolog und strahle wie ein Honigkuchenpferd übers ganze Gesicht.
Rani, Helin und ich haben uns am heutigen Abend verabredet, um Cocktails trinken zu gehen und das Wochenende einzuläuten. Es ist zwar erst Donnerstag, doch der morgige Freitag ist ein Feiertag, weshalb wir drei uns dazu entschieden haben, das lange Wochenende gebührend zu begrüßen.
Es ist ein lauer Frühlingsabend und die Temperaturen sind selbst am Abend noch so mild, dass wir im Außenbereich des Lokals Louisiana auf der Promenade sitzen können.
Wir sind bereits bei der zweiten Runde Cocktails. Vor mir steht ein Pina Colada, die Sonne verschwindet glühend rot am Horizont und ich könnte glücklicher nicht sein.
Auf dem schmalen, künstlich angelegten Bachlauf schwimmen ein paar Enten und einige dicke Kois, das Riesenrad steht um diese Zeit schon still und unter leise Musik aus den zahlreichen Gaststätten mischen sich lautes Reden und Lachen der vielen Menschen, die heute ebenfalls unterwegs sind.
"Oh mein Gott! Und was hast du gesagt?", quiekt Rani aufgeregt und bohrt ihre langen, roten Nägel in meinen Handrücken.
Auch Helin beobachtet mich aufmerksam, ist allerdings bei weitem weniger euphorisch als meine beste Freundin.
Seitdem ihre heimliche, langjährige Beziehung mit ihrem Exfreund Volkan in die Brüche gegangen ist, obwohl die beiden schon ernsthafte Hochzeitspläne hatten, distanziert sie sich nahezu komplett von Männern und Liebesdingen.
"Ja habe ich gesagt, was sonst", antworte ich und zucke grinsend mit den Schultern. Ich bin bester Laune und das lasse ich mir von Helins Miesepetrigkeit auch nicht nehmen.
"Das freut mich wirklich für dich, Süße. Ich hoffe er macht dich glücklich", antwortet Rani und drückt mich kurz herzlich an sich. Ihre mandelförmigen Augen leuchten mit dem roten Feuerball am Himmel um die Wette und sie streicht sich eine Strähne ihrer seidenglatten Haare hinter die Ohren.
"Das wünsche ich dir auch", pflichtet Helin ihr bei, ringt sich ein Lächeln ab und nippt an ihrer Cola. Sie ist zweifelsohne die Vernünftigste von uns, was nicht zuletzt an ihrem älteren Bruder liegt, der mit Argusaugen über sie wacht.
Sie war schon immer anders als Rani und ich: stiller, vernünftiger, prüder. Sie ist die Einzige von uns, die noch Jungfrau ist und nie Alkohol trinkt. Nicht, dass das was Schlechtes sei, aber seit Volkan ihr vor knapp einem Jahr das Herz gebrochen hat, hat sie sich noch mehr verschlossen.
"Danke Mädels, ich bin echt happy. Shalik ist so lieb zu mir und er sieht wahnsinnig gut aus. Er riecht so gut und sein Hund ist sooo süß", schwärme ich und entlocke damit sogar Helin ein zurückhaltendes Grinsen.
"Wenigstens eine von uns, die ihr Glück gefunden hat", sinniert Rani und steckt sich einen überbackenen Nacho in den Mund.
"Du hast mir doch vor nicht mal zwei Wochen noch gesagt, dass du nur Spaß suchst", erinnere ich sie und esse eines der Weingummis, die auf einem Spieß über meinem Cocktailglas liegen.
"Ja schon, aber meine Eltern sitzen langsam auf glühenden Kohlen", erklärt sie und verdreht ihre schönen, braunen Augen mit den langen, dichten Wimpern. "Sie haben mir schon vorgeschlagen, dass ich Ranjid, meinen Cousin zweiten Grades fresh outta Mumbai, heiraten könnte."
Helin und ich prusten los, sowohl über Ranis Worte als auch über ihren fassungslosen Gesichtsausdruck und mir bleibt fast der bunte Bonbonwurm im Hals stecken.
Ich lache und huste so doll, dass Tränen meine Augen füllen.
"Rani und Ranjid. Also ich würde mich freuen, ich wollte schon immer mal auf so eine laute, bunte Bollywood-Traumhochzeit", kichert Helin. "Ich würde mir sogar extra für diesen Anlass einen Sari kaufen."
"Meinst du, dein Ranjid singt und tanzt dann auch für dich wie Shah Rukh Khan?", haue ich in die gleiche Kerbe, als ich wieder zu Luft gekommen bin und muss mich vor Lachen an der Stuhllehne festhalten.
"Er ist nicht mein Ranjid", knurrt Rani beleidigt, muss aber selbst lachen. Vermutlich stellt sie sich genau wie ich gerade bildlich vor, wie irgendein fremder indischer Cousin in seinem besten Sari vor ihren hunderten Gästen ein Liebeslied aus tiefster Kehle schmettert und seine Hüften im Takt schwingt. "Ich möchte sowieso keinen Inder heiraten", stellt sie dann deutlich ernster klar.
"Wieso nicht? Ich möchte auf jeden Fall einen Türken heiraten. Ist doch viel schöner, wenn dein Mann die gleiche Kultur und Religion hat wie du, wenn ihr die gleichen Kinderlieder kennt, Feste feiert und dieselbe Sprache sprecht. Ich denke, das macht auch die Kindererziehung irgendwann viel leichter, wenn man sich nicht erst darauf einigen muss, ob die Kinder muslimisch erzogen werden oder welche Muttersprache sie lernen sollen."
"Ich weiß nicht", sagt Rani ernst und stellt das hohe Glas mit ihrem Strawberry Daiquiri wieder auf den durchgeweichten Pappuntersetzer. "Ich verstehe was du meinst, aber ich identifiziere mich nicht so sehr mit meiner Kultur. Ich bin hier geboren, ich fühle mich viel mehr Deutsch als Indisch. Ich war in diesem Land vielleicht fünf- oder sechsmal um Urlaub zu machen, hier bin ich geboren und aufgewachsen. Klar, ich spreche fließend Hindi, aber da fängt es ja schon an. In unserem Land gibt es an die zweihundert Sprachen und noch dazu über fünfhundert Dialekte, wer sagt also, dass wir überhaupt dieselbe Sprache sprechen? Wenn er Tamil oder Bengalisch spricht, verstehe ich ihn genau so wenig wie ihr. Da kann ich mir lieber einen deutschen Mann suchen; wenn der nicht gerade aus Sachsen oder dem tiefsten Bayern kommt, kann ich mir wenigstens sicher sein, ihn zu verstehen."
"Du willst also einen Deutschen heiraten?", fragt Helin überrascht.
"Du sagst das ja so, als ob das was Schlechtes wäre", beschwere ich mich lautstark.
"Nein, so ist das gar nicht gemeint", lenkt Helin sofort ein und streicht sich eine ihrer blondierten Locken aus dem Gesicht. "Ich kann mir das nur für mich überhaupt nicht vorstellen und ich habe angenommen, Rani auch nicht."
"Ehrlich gesagt bin ich noch so weit vom Heiraten entfernt wie der Mond von der Erde, deshalb habe ich mir darüber noch keine Gedanken gemacht. Im Grunde ist es mir aber egal, was für eine Nationalität ein Mann in seinem Pass stehen hat. Solange wir uns lieben, reicht das doch."
"Wie steht denn deine Familie dazu? Also mein Vater würde auf der Stelle einen Herzinfarkt erleiden, wenn sich ihm irgendein Jannis als seinen Schwiegersohn vorstellen würde", stochert Helin unbeirrt weiter und verzieht ihr Gesicht fast schon angewidert.
"Also Helin, ich bitte dich", pruste ich entrüstet. Ich weiß noch nicht ob ich es amüsant oder verletzend finde, dass sie deutsche Männer fast schon so darstellt, als seien sie eine ansteckende Krankheit.
"Was denn, Tiara? Du musst dich gar nicht so künstlich aufregen", antwortet sie und scheint in Fahrt zu kommen. Ernst fixiert sie mich mit ihren schwarzen Augen. "Du hattest doch selbst noch nie einen Freund ohne Migrationshintergrund. Mikan ist Kurde, Amir ist Iraner und jetzt Shalik – das ist doch auch kein deutscher Vorname. Wo liegen denn seine Wurzeln?"
"Er wurde in Tunesien geboren", antworte ich sachlich. "Aber nur weil ich auf südländische oder arabische Männer stehe, schließe ich deutsche nicht kategorisch aus im Gegensatz zu dir. Ich sehe es wie Rani: Mir ist es egal, was in seinem Pass ist. Hauptsache er liebt mich und ich liebe ihn."
"So lange er nur ausreichend toxisch maskulin ist", zieht mich Rani mit einem Augenzwinkern auf und versucht damit die Stimmung ein wenig zu heben. "Ganz genau", pflichte ich ihr selbstironisch bei und nehme einen großen Schluck meines Cocktails in der Hoffnung, meine Nerven ein bisschen zu beruhigen.
"Ihr seid einfach nicht weitsichtig genug", meckert Helin noch, doch ich schlucke meinen Konter runter und bin froh, dass Rani dasselbe tut. Es wäre einfach zu schade, wenn einer unserer seltenen Mädelsabende jetzt in einer hitzigen, politischen Grundsatzdiskussion endet. Vielleicht müssen wir uns einfach im Stillen darauf einigen, dass wir uns nicht einig sind. Am Ende entscheidet Helin wen sie mal heiratet und Rani und ich entscheiden das genauso für uns selbst - und dabei sind wir dann auch niemandem eine Rechenschaft schuldig.
"Viel wichtiger als Shaliks Pass ist doch, was zwischen euch beiden bisher gelaufen ist", wechselt Rani galant das Thema und zieht albern ihre Augenbrauen hoch.
"Wir haben uns an dem Tag, an dem wir zusammengekommen sind, das erste Mal geküsst. Seitdem haben wir uns jeden Tag nach der Arbeit getroffen.." "..und auch jeden Tag geküsst, schon klar", beendet Rani spottend meinen Satz. "Genau", stimme ich ihr debil grinsend zu, während ich mich in einem Gedanken an Shaliks weiche, volle Lippen auf meinen verliere und daran, wie wunderbar das jedes Mal aufs Neue kribbelt.
"Aber habt ihr es denn auch schon miteinander getrieben?", fragt Rani trocken.
"Rani!", ermahnt Helin sie streng. Ihr sind solche Gespräche – vor allem in der Öffentlichkeit – immer wahnsinnig unangenehm und sie rutscht nervös auf dem Rattanstuhl hin und her.
"Was meinst du denn?", frage ich scheinheilig, um sowohl Rani als auch Helin zu ärgern. Meine neugierige Freundin spanne ich mit diesem Ausweichmanöver auf die Folter, während ich meine prüde Freundin damit quäle, Ranis unanständige Frage von ihr noch weiter präzisieren zu lassen.
"Seeex", flötet Rani fröhlich, sie enttäuscht mich einfach nie, und Helin schießt augenblicklich die Schamesröte ins Gesicht. "Ich meine, ob ihr eure nackten Körper schon willig und tabulos aneinander gerieben habt und körperlich miteinander verschmolzen seid", treibt Rani es amüsiert auf die Spitze.
"Ich gehe mal auf die Toilette", verkündet Helin und steht abrupt auf.
"Spielverderberin", ruft Rani ihr lachend hinterher. "Ich boxe ihr leicht vor den Oberarm. "Lass das doch, du weißt doch wie sie ist", tadele ich sie.
"Ja ja, schon gut. Sag mir lieber endlich, wie dein Knasti im Bett ist. Jetzt ist Helin weg, jetzt brauchst du kein Blatt mehr vor den Mund nehmen. Ist er so heiß, wie er aussieht?" Das neugierige Funkeln in ihren Augen blitzt noch mehr auf.
Ich verdrehe die Augen. "Ich muss dich leider enttäuschen, meine Liebe. Wir haben noch nicht miteinander geschlafen."
"Ernsthaft?", hakt sie ungläubig nach und die Neugier in ihrem Gesicht weicht purer Enttäuschung.
"Ernsthaft. Aber ich werde morgen bei ihm übernachten und wenn es dann dazu kommt, bist du die erste, der ich den ausgefüllten Bewertungsbogen zukommen lasse."
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Meine Lieben,
Teilt ihr eher Helins oder Ranis und Tiaras Einstellung zu der Partnerwahl?
Und führt ihr solche offenen, intimen Gespräche auch mit euren Freundinnen oder seid ihr da eher verschlossen?
A.
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