12 // ich will das mit uns nicht mehr
"Können wir bitte reden, Tiara?"
Amir tritt nervös von einem Fuß auf den anderen und mustert mich aufmerksam. Unsicherheit steht ihm plakativ ins Gesicht geschrieben und er scheint mit Adleraugen jede meiner Regungen zu beobachten.
Sein Verhalten wundert und alarmiert mich zugleich. Wir sind zwar zuletzt im Streit auseinander gegangen und haben seitdem nicht mehr miteinander geredet, aber wir sind doch beide alt genug, um dieses Missverständnis in einem vernünftigen Gespräch aus der Welt schaffen zu können. Kein Grund also, beunruhigt zu sein.
"Klar", antworte ich gelassen und schenke ihm ein warmes Lächeln. Vielleicht kann ihm das seine Anspannung ein wenig nehmen.
Erleichtert atmet Amir auf und entspannt sich tatsächlich in so kurzer Zeit, dass man die Veränderung fast mit den Augen verfolgen kann. Er erwidert kurz mein Lächeln und wirft dann einen betretenen Blick auf den großen Blumenstrauß in seinen Händen. Zögerlich überreicht er ihn mir. "Der ist für dich", erklärt er überflüssigerweise.
Der prächtige Strauß ist ein floristisches Meisterwerk, bestehend aus Rosen, Pfingstrosen, Nelken, Löwenmäulchen, Schleierkraut und Eukalyptus in diversen Pink- und Rosanuancen, der süßer als das Parfum Candy von Prada duftet.
"Danke Amir, der ist wirklich wunderschön. Womit habe ich den verdient?", frage ich ihn unschuldig und wende meinen Blick von dem ansprechenden Blumenarrangement wieder zu meinem speziellen Freund.
"Weil ich mich echt danebenbenommen habe. Ich wollte mich bei dir entschuldigen. Können wir vielleicht woanders hin gehen und in Ruhe reden?", fragt er und wirft einen schiefen Blick auf das riesige Autohaus in meinem Rücken.
Bis vor wenigen Sekunden hatte ich für diesen Abend andere Pläne, doch wenn Amir sich extra die Mühe macht mit einem entzückenden Blumenstrauß bei meiner Arbeit auf mich zu warten, um sich bei mir zu entschuldigen, dann kann ich ihn unmöglich einfach stehen lassen. Sowas gehört sich nicht, Pläne hin oder her.
"Ja, das ist eine gute Idee. Wollen wir was essen gehen?", schlage ich vor. Ich habe einen Bärenhunger und ganz nebenbei kann ich so gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.
"Gerne. Sollen wir hier um die Ecke in Altendorf in ein Ocakbaşı?"
Ich nicke zustimmend. "Such du ruhig eins aus. Ich fahre dir einfach hinterher."
Keine zehn Minuten später sitzen wir uns gegenüber in einem der zahlreichen authentischen türkischen Restaurants, die für ihre Fleischgerichte vom Holzkohlegrill bekannt sind.
Wir studieren die Speisekarte und ich entscheide mich für Köfte, die mit Fetakäse, Tomaten und Paprika in einem Tontopf im Ofen geschmort und mit Reis und Salat serviert werden.
Amir ist weniger experimentell unterwegs und entscheidet sich für einen klassischen Adana Kebap, also gegrillte Hackfleischspieße mit Beilagen.
Nachdem er bei einem gutaussehenden Kellner in unserem Alter für uns beide Essen und Getränke bestellt hat, legt er die laminierte Speisekarte mit Ledereinband auf den dunkelbraunen Tisch und sieht mich einen Moment lang schweigend an. Im Hintergrund herrscht reges Treiben, Stimmengewirr und das Klappern von Besteck und Geschirr erfüllen den Raum, trotzdem höre ich nur Amirs quälendes Schweigen.
"Es tut mir leid, was ich am Wochenende abgezogen habe", beginnt er und reibt seine Hände ineinander. Wieder wirkt er unsicher und nervös, was für ihn ziemlich untypisch ist. Er ist ein selbstsicherer Mann, der zwar nicht in sich ruht wie der Dalai Lama, jedoch eher durch temperamentvolle Gefühlsausbrüche auffällt als durch Introvertiertheit.
"Schon okay, jeder von uns hat mal einen schlechten Tag", beschwichtige ich ihn versöhnlich und schiebe mir ein Stück geröstetes Fladenbrot mit Cacik in den Mund, was uns zusammen mit den Getränken als Vorspeise gebracht wurde. Mein Magen knurrt mittlerweile schon, sodass ich mich heute mal nicht in vornehmer Zurückhaltung üben kann.
"Es war nicht nur ein schlechter Tag, Tiara", entgegnet er, druckst herum und weicht meinem fragenden Blick aus.
"Okay..", antworte ich irritiert und warte darauf, dass er mich aufklärt.
"Ich habe schon länger mit dem Gedanken gespielt, mit dir darüber zu reden, aber ich habe es selbst nicht wahrhaben wollen."
Oh je, was passiert hier gerade?
Ich ahne Böses..
Ich fürchte, unser vermeintliches Versöhnungsgespräch geht in eine ganz falsche Richtung.
"Als du dich dann in den letzten Wochen so von mir distanziert hast, ist mir einiges klar geworden. Deshalb bin ich auch so durchgedreht am Samstag. Ich habe dich angerufen und dir geschrieben, weil ich mit dir reden wollte, aber du warst stundenlang nicht zu erreichen. Ich weiß, es war absolut drüber, wie ich dich behandelt habe, aber ich hatte endlich den Mut gefasst mich dir zu öffnen und dann habe ich keine Gelegenheit bekommen. Das hat mich total frustriert."
Es fällt mir schwer, Amir zu folgen. Seine Worte sind wirr und kryptisch und irgendwie kommt er nicht zum Punkt. Er scheint meinen irritierten Blick zu bemerken und fasst sich ein Herz.
"Ich will das mit uns nicht mehr."
Ich starre ihn aus großen Augen an und verschlucke mich fast an dem Stück Brot in meinem Mund.
Das kam überraschend.
"Ich will mehr, ich will dich für mich allein, voll und ganz. Ich habe mich in dich verliebt, Tiara."
Qualvoll und mit trockenem Mund versuche ich das Stück Brot herunterzuwürgen, doch es gelingt mir nicht.
Amir sieht mich erwartungsvoll an. Ich trinke schnell einen Schluck Cola hinterher und räuspere mich, um mir mehr Zeit zu verschaffen. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
"Ehm okay. Das ist ja.. Schön", stottere ich hilflos und beiße mir sogleich auf die Zunge.
Schön? Was zur Hölle? Das ist garantiert nicht schön, Tiara! Das ist alles andere als schön.
"Ich.. Ehm", stottere ich weiter und schäme mich in Grund und Boden für mein peinliches Benehmen. Was für eine unangenehme Situation.
"Das kommt bestimmt ein wenig überraschend für dich", lenkt Amir ein und schiebt unruhig den gläsernen Salzstreuer auf dem Tisch hin und her.
Er hat sich sicher eine komplett andere Reaktion von mir gewünscht.
"Wenn du erstmal Zeit brauchst, um darüber nachzudenken, verstehe ich das", schiebt er verständnisvoll hinterher und wirft mir einen herzerweichenden Hundeblick zu.
Er tut mir leid. Der große, muskulöse Mann sitzt vor mir wie ein kleiner Schuljunge, der seine Hausaufgaben vergessen hat.
Kurz schießt mir der Gedanke durch den Kopf, sein Angebot dankend anzunehmen, um mir in den nächsten Tagen eine passende Strategie zurecht zu legen, doch ich verwerfe ihn gleich wieder.
Tief in meinem Herzen steht meine Entscheidung schon längst fest. Ich will Shalik. Und selbst wenn es Shalik nicht gäbe, wäre Amir kein Mann, mit dem ich mir eine Beziehung vorstellen kann. Ich kann das nicht mal rational begründen oder erklären, es ist einfach ein Gefühl.
Und Amir hinzuhalten und damit falsche Hoffnungen bei ihm zu schüren, wäre nicht fair.
Ich muss es hinter mich bringen, schnell und schmerzhaft, wie ein Pflaster abzureißen.
"Ich habe jemanden kennen gelernt", platzt es aus mir heraus.
Amirs Augen weiten sich und er sieht mich verletzt an.
"Es tut mir leid", stottere ich. "Ich kenne ihn erst seit ein paar Tagen, aber irgendwie habe ich Gefühle für ihn entwickelt und.." Ich unterbreche mich. Ich merke selbst, dass ich es mit meinen Worten nur schlimmer mache - für uns beide.
Beschämt suche ich seinen Blick, doch Amir schaut aus der großen Fensterfront auf die belebte Straße. Ein Auto nach dem anderen fährt vorbei, Passanten überqueren den engen Bürgersteig. Gegenüber liegen ein arabischer Supermarkt, ein Brautmodengeschäft und eine türkische Bäckerei, bei der massig Baklava in allen Farben und Formen in der beleuchteten Auslage liegt.
"Wann wolltest du mir das sagen?", fragt Amir leise, fast tonlos.
"Keine Ahnung, nächste Tage? Wir haben uns erst zwei Mal getroffen", versuche ich mich zu verteidigen, auch wenn es nach einer fadenscheinigen Ausrede klingt.
In dem Moment kommt der dunkelhaarige Kellner erneut und stellt zwei Teller mit dampfend heißem Essen auf den Tisch.
Unsicher sehe ich auf den Teller und wieder zu Amir. Der Appetit ist mir gründlich vergangen.
Auch mein Begleiter macht keine Anstalten, mit dem Essen zu beginnen. Sein Besteck bleibt unangerührt auf dem Tisch liegen, er würdigt den Teller keines Blickes.
"Sollen wir gehen?", frage ich vorsichtig.
Amir dreht sich wieder zu mir und wirft mir einen undefinierbaren Blick zu. "Nein, lass uns noch Essen, dann können wir abhauen. Essen wegwerfen ist haram", entgegnet er streng.
Ich nicke vorsichtig und greife nach der Gabel.
Das Essen zieht sich quälend lang wie Kaugummi und ich muss mir jeden einzelnen Bissen reinzwängen. Wir schweigen uns an, keiner von uns redet ein Wort und die Situation wird mit jeder Sekunde unerträglicher.
Als ich ungefähr die Hälfte der Portion geschafft habe, spüre ich, dass mein Handy in meiner Hosentasche vibriert. Mein Blick schnellt zu der silbernen Wanduhr gegenüber. Es ist bereits kurz vor 18 Uhr. Bestimmt ist das Shalik, der wissen will, wo ich bleibe.
Ob er mir schon geschrieben hat?
Ich habe mich seit meinem Feierabend schließlich noch gar nicht bei ihm gemeldet.
"Musst du weg?", fragt Amir nüchtern.
"Nein, alles gut", erkläre ich sofort und versuche mich an einem Lächeln.
Amir trinkt einen Schluck Cola und legt dann mit einem lauten Klirren sein Besteck auf den Teller.
"In der Nacht von Samstag auf Sonntag, als ich vergeblich versucht habe dich zu erreichen, bist du ja dann noch mitten in der Nacht zu mir gekommen. Ich habe dich gefragt, ob du ein Date hattest, was du verneint hast, aber ich habe dir nicht geglaubt. Du warst an dem Abend mit ihm unterwegs, oder? Wieso hast du mich angelogen?"
Sein markanter Kiefer ist angespannt, seine dunklen Augen zu Schlitzen verengt.
Ertappt lasse ich ebenfalls meine Gabel sinken. "Ja, ich habe mich am Samstag mit ihm getroffen. Es war das erste Date, deshalb fand ich es nicht spruchreif und habe diese Notlüge gewählt. Wir hatten doch nie die Vereinbarung, exklusiv miteinander zu sein. Ich habe mich schon öfter mit anderen Typen getroffen und du dich doch auch mit anderen Mädchen. Wir haben nie darüber gesprochen, wozu auch? Das bringt nur unnötige Kopfschmerzen."
Amir starrt mich fassungslos an und schüttelt den Kopf. Dann erhebt er sich wie in Zeitlupe, zieht sein Portemonnaie aus der Hosentasche, knallt einen 50-Euro-Schein auf den Tisch und geht.
Ich atme tief durch und versuche zu realisieren, was hier gerade passiert ist. Es dauert einen Moment, bis ich mich aus meiner Schockstarre lösen kann und ihm nacheile.
Hektisch durchquere ich das Restaurant unter den neugierigen Blicken einiger anderer Gäste und stoße die schwere Glastür auf.
Mittlerweile ist es dunkel draußen, doch in dem schwachen Licht der Straßenlaternen sehe ich Amir auf sein Auto zu laufen. Seine Schultern hängen, weshalb ich selbst auf die Entfernung erkennen kann, wie geknickt er ist.
"Amir!", rufe ich und meine Stimme durchschneidet kaum den Lärm der Rushhour. Amir muss mich trotzdem gehört haben, denn er verharrt in seiner Bewegung und bleibt dann sogar stehen, dreht sich jedoch nicht um.
Ich schließe zu ihm auf, bis ich ihn endlich eingeholt habe. Sanft berühre ich ihn an der Schulter. "Es tut mir leid, okay? Ich wollte nicht, dass das so läuft. Ich wollte dich nie verletzen. Ich habe wirklich nicht geahnt, dass du Gefühle für mich entwickelt hast, sonst hätte ich noch eher die Karten auf den Tisch gelegt."
Ich trete vor ihn und neige meinen Kopf zur Seite. Zaghaft strecke ich meine Hand nach ihm aus und streiche mit schlechtem Gewissen über seine Wange. Er schließt kurz die Augen und hält inne. Dann sieht er mich geradewegs an und lacht verbittert auf. "Ich hoffe, du wirst das nicht noch bereuen."
"Wer weiß", antworte ich ruhig und zucke mit den Schultern. Eine Garantie bekommt man nie im Leben. Vielleicht zieht Shalik sein kriminelles Zeug weiterhin durch und das Ganze mit uns endet schneller, als es begonnen hat. Vielleicht bereue ich dann, dass ich statt Shalik nicht Amir eine Chance gegeben habe. Vielleicht heiraten Shalik und ich aber auch irgendwann und wir bekommen wunderschöne Kinder miteinander und werde nie wieder an Amir denken, wer weiß das schon.
Amir hebt seine großen, kräftigen Hände und legt sie links und rechts an meine Wangen. Sanft schiebt er meinen Kopf hoch und sieht mir so tief und intensiv in die Augen, dass mir ein Schauer über den Rücken läuft. Dann zieht er mich an sich und drückt mir seine Lippen sehnsüchtig auf den Mund.
Ich bin so überrumpelt, dass ich mich nicht wehre. Amir streichelt über meine Wange und verharrt für den Bruchteil einer Sekunde so, bevor er sich wieder von mir löst. Das Ganze ging so schnell, dass ich noch nicht verstanden habe, was passiert ist, bevor es vorbei ist. Amir lächelt mich kurz an und stellt klar: "Ein Abschiedskuss. Mach's gut, Tiara. Wenn was ist, weißt du ja, wo du mich findest."
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Meine Lieben,
Hand aufs Herz - wer von euch hat schon damit gerechnet, dass Amir in Tiara verknallt ist und wen von euch hat sein Liebesgeständnis überrascht?
Meint ihr Tiara wird irgendwann bereuen, sich für Shalik und nicht für Amir entschieden zu haben?
A.
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