Aufregung über Aufregung

Konnte es überhaupt jemanden geben, der gerade noch aufgeregter war als ich? Ich bezweifelte es stark.
Heute würde ich auf Dereks Freundin treffen, da sie mit uns in der Bahn fahren würde.

Ich blickte nochmal in den Spiegel und atmete tief durch.
Meine Haare waren zum Teil als Dutt hoch gesteckt, der Rest jedoch fiel mir offen über meine Schultern.

Ich trug etwas ganz unscheinbares, etwas, was ich sonst halt auch tragen würde.
Mich für sie umzustylen lag mir nun wirklich fern.
Sie war ja bloß seine Freundin. Und man konnte ja nie wissen, nachher enpuppte sie sich noch als Zicke.

Ich trug ein hellblaues Tanktop mit einer grauen, etwas engeren (doch die Hose war trotzdem bequem, sonst hätte ich sie auch nicht getragen) Jeans.
Dazu türkise Converse.
Normal halt.

Trotzdem war ich ziemlich aufgeregt, ich wollte einen guten Eindruck auf seine Freundin machen.
Hoffentlich würden wir uns gut verstehen und sie war nicht eine dieser künstlichen Zicken, die es da draußen ja millionenfach gab. Und nicht wenige Badboys hatten auch etwas mit einer von denen.
Also hoffte ich auf das Beste.

Man, war ich aufgeregt! Das konnte doch nicht normal sein!
Es war doch nur seine Freundin, nichts weiter. Kein Grund, so aufgeregt zu sein.
Zwei mal gesehen hatte ich sie ja jedenfalls schon. Na ja, vom sehen einer Person konnte man häufig gar nichts beurteilen.

Außerdem musste ich mir auch eingestehen, dass mir ihr Aussehen vollkommen entfallen war.
Na, da konnte man halt nichts machen.

Ich öffnete das Badezimmer und ging die Treppe hinunter.
Ich setzte mich an den Küchentisch, nahm mir ein Glas Wasser und wie immer meine Cornflakes.
Was mich aber zutiefst beruhigte war, dass Derek, als er nach mir nach unten kam, noch viel nervöser wirkte als ich.

Beispielsweise zitterte seine Hand, als er die Milch in seine Cornflakes Schüssel goß.
Derek aß auch nur ein paar Löffel, bis er die Schüssel von sich schob.
Auch ich war nicht besonders hungrig.
"Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich die Milch über dich schütten würde?"

Derek grinste.
"Wehe-" kreischte ich, da zückte er schon die Milch, doch ich sprang gerade im richtigen Moment zur Seite.

So traf die Milch statt mir, den Boden.
Wir starrten uns an.
Dann hörten wir unsere Eltern kichern.
Panisch sah ich mich um.
Kurzerhand stellte ich mich einfach vor die Milch, um diese zu verdecken.

So standen ich und Derek ziemlich nah an einnander.
Aber Mom und Simon waren ja sowieso mit sich beschäftigt, vielleicht bemerkten sie unsere leicht angespannte Haltung ja gar nicht.

Aber wie es so war, taten sie es natürlich doch.
"Liv, geh beiseite!" Meine Mutter hatte ihren Ich-bin-streng-aber-irgendwie-so-gut-wie-nie Blick aufgesetzt, bei dem ich schon als kleines Kind los prusten musste.

"Wie bitte?" Ich versuchte empört zu klingen, doch sie schob mich kurzerhand einfach zur Seite. Und sie und Simon sahen die Milch Schweinerei.
"Ich war es nicht!" sagten ich und Derek gleichzeitig und starrten uns an.

Wehe, er schob jetzt mir die Schuld in die Schuhe!
"Liv?" fragte Mum zuerst und sah mich an, sie wusste schon immer, wann ich log und wann nicht.
"Ich war es nicht, Mum." sagte ich mit fester Stimme.
Derek zog die Augenbrauen hoch und verschränkte die Arme.
"Wie kannst du nur so unverschämt lügen?"
Ich starrte ihn an. Nein, das war jetzt nicht sein Ernst, oder?

"Heute und morgen Hausarrest, Liv!"
Ich würde diesen Idioten umbringen!
Wütend drängelte ich mich an Derek und meiner Mutter  vorbei.

"Während ich für dich lüge, und dich vor Ärger bewahre, schiebst du mir die Schuld in die Schuhe!"
Ich war kurz vom explodieren.
Dereks Mundwinkel zuckten leicht belustigt.

"Du bist so ein verdamnter Idiot, ich hasse dich und ich hätte lieber Lucas als Stiefbruder, als dich, man!"
Er zog die Augenbrauen hoch.

"Ach, jetzt kommt Lucas ins Spiel, oder was?"

"Ja, jetzt kommt Lucas ins Spiel."

Ich funkelte ihn wütend an.

"So, du hättest also lieber ihn als
Stiefbruder als mich, ja?"

"Ja! Schließlich ist er nett, höflich und trotzdem gutaussehend. Im Gegensatz zu dir: du bist verlogen, egoistisch, selbstverliebt und ein blödes-"

"Schon gut, schon gut." Doch ich merkte, dass er kurz davor war, los zu grinsen.

"Falls du es immer noch nicht kapiert hast, Derek, es ist nicht witzig. Und außerdem hasse ich dich!"

Wütend rannte ich vor.
Und knallte mit voller Wucht gegen jemanden.
Stöhnend rieb ich mir die schmerzende Stirn und sah in das Gesicht eines Mädchen, was um die ein, zwei Jahre älter sein musste als mich.

Ihre Haare gingen ihr über den Po, waren karamellfarben und ihre Augen hellblau. Die Sommersprossen um ihre Nase stachen besonders hervor, ich fand sie war recht hübsch. Sie trug ein Kleid das ein wenig über den Knien endete, es war hellblau gepunktet.

Auch sie rieb sich die Stirn.
Derek kam kurzerhand neben mir schlitternd zum stehen.
"Oh, äh, Mila; das ist meine kleine Stiefschwester Liv, Liv, das ist meine Freundin Mila."
Seine Freundin.
Ich hasste es, wie er klein betonte und warf ihm deshalb einen giftigen Blick zu.

Doch Mila lächelte ich freundlich an und gab ihr die Hand.
Sie lächelte ebenfalls und auf mich machte sie rundum eigentlich einen ganz netten Eindruck.
Na ja, man sollte nichts überstürzen, schließlich hatte ich sie gerade erst kennengelernt.

Eine von den Zicken schien sie jedenfalls nicht zu sein.
Ein Glück.
Wir ließen uns los.
Mila griff einfach wortlos nach Dereks Hand und sie gingen vor mir.

Ich steckte mir einfach meine Kopfhörer in die Ohren und schloss sie an mein Handy an.
Ich schaute auch auf mein Handy, und tat so, als ob ich Musik hören würde, doch in Wirklichkeit wollte ich die Beiden einfach unauffällig belauschen.

Vielleicht wurde ja auch mal mein Name genannt.
"Deine neue Stiefschwester scheint aber nett zu sein, und sie ist auch noch so hübsch, ich hoffe das sie nicht zu meiner Konkurenz wird, Derek! "
"Nein, nein, niemals." meinte er sofort. Doch ich hörte die Anspannung in seiner Stimme.
Gab es etwas, was er mir und Mila verschwieg?

Wir saßen schweigend in der Bahn. Ich hatte meine Kopfhörer ausgezogen und samt meines Handys, in die Tasche gesteckt.
Die Beiden hielten einfach nur schweigend Händchen, und ich, na ja, was sollte ich schon groß sagen.
Ich fühlte mich ein wenig fehl am Platz.

Bei der nächsten Station stiegen mehrere Leute ein.
Darunter auch er.
Lucas lächelte augenblicklich, als er mich sah.
Auch ich strahlte.
Na endlich hatte das Leben doch noch etwas positives für mich übrig!
Er und Derek wechselten nur einen kurzen, stummen Blick, dann setzte Lucas sich auf den freien Platz neben mir.

"Hey, ich freue mich dich zu sehen, Kleines."
Ich sah aus dem Augenwinkel, wie Derek sich bei dem Wort 'Kleines' ein wenig anspannt und Mila seine Hand etwas stärker drückte.
Doch ich lächelte nur, und wuschelte Lucas durch die Haare.

Ich liebte einfach die Haare von Jungs, wer liebte sie schon nicht?
Ich musste kichern (vielleicht ein klein wenig aufgedreht) als Lucas mir ins Ohr flüsterte: "Wir steigen eine Station früher aus, dann sind wir endlich ohne Derek und Mila und können auch ungestörte Gespräche führen."
Ich fragte erst gar nicht nach, woher er sie kannte.

Als also die Station vor der eigentlichen Station an der wir immer ausstiegen angesagt wurde, sagten wir beide gleichzeitig: "Wir steigen hier aus."
Und verließen ohne weiteren Kommentar die Bahn.

Sobald wir draußen waren und die Türen sich geschlossen hatten, zog Lucas mich in eine starke Umarmung. Ich erwiederte sie.

"Das hatte ich eben ganz vergessen!" meinte Lucas und löste sich langsam von mir.
Ich spürte Dereks Blick auf uns, bis die Bahn um die Ecke bog.

Lucas griff nach meiner Hand und wir gingen los.
"Also, wie geht es dir?"
Ich lächelte ihn an.
"Gut, und dir?"
"Auch."

Er biss sich auf die Unterlippe.
"Du Liv?"
"Hm?"
Er begann mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht zu streicheln und nicht zum ersten Mal fragte ich mich, was ich eigentlich für ihn empfand.
Liebe oder Freundschaft? Nachher noch etwas dazwischen?
Ganz ehrlich, hätte jemand mich jetzt gefragt, ich hätte keine Antwort geben können.

"Ich..." Er ließ seine Hand sinken und fuhr sich damit durch das Haar.
In dem Moment klingelte mein Handy, wir beide zuckten zusammen und der magische  Moment war wie weggewischt.

Derek: Beeilt euch gefälligst! Unser Lehrer hat uns schon auf Lucas fehlende Präsenz angesprochen, also bewegt eure hübschen, kleinen Hintern ganz schnell hier hin!

Der Schultag verlief eigentlich ohne weitere Ereignisse, na ja bis darauf, dass meine Freundinnen die ganzen Pausen über Pläne schmiedeten, wie sie mich und Derek zusammen bringen könnten. Ich ignorierte sie kopfschüttelnd.

"Man Derek! Lass mein Matheheft los!" Leicht gereizt riss ich es ihm aus der Hand und warf es auf mein Bett.
Derek grinste und drückte mich auch aufs Bett.
Dann begann er, mich durchzukitzeln und ich kreischte und kicherte.

"Hör auf, Derek!" lachte ich.
Dann hörten wir jemanden klingeln.

Da wir gerade alleine Zuhause waren, rannten wir die Treppe runter und öffneten die Tür.
Dort stand meine ganze Familie, die jetzt gerade kreischte: "ÜBERRASCHUNG!"
Ich und Derek wechselten einen leicht geschockten Blick.
Denn meine Familie war ziemlich groß.

Meine Tante Greta (39) hatte drei kleine Kinder; Lisa (2), Tom (4), und Violet (7), die jetzt gerade auf dem Sofa im Wohnzimmer herum tollten.

Dann war da natürlich noch ihr Mann James (42), der vor ihr aber noch eine Frau gehabt hatte, und so noch einen Sohn namens Simon hatte, der 12 war und gerade gelangweilt herum guckte.

Dann war da noch meine Oma und mein Opa und auch meine Großtante Linn war gekommen und hatte ihre Tochter Elisabeth (35) mitgebracht, die wiederum ihren Freund Justus (36) und ihre gemeinsame Tochter namens Emma (1) mitgebracht hatte, die gerade auf seinem Arm eingeschlafen war.

Dann war da noch mein Onkel Fred (36) mit seiner Freundin Katja (35).

Tante Greta setzte sich mit ihrem Mann und Simon zu den enzückt kreischenden Kleinen.

Fred und Katja setzten sich mit Elisabeth, Justus und Emma in die Küche, wo sie schon bald in ein angeregtes Gespräch über Wirtschaft und Arbeit vertieft waren, während Emma brav weiterschlief.

Großtante Linn flezte sich in einen Sessel, nahm sich eine Zeitschrift, und war bald auch schon vollkommen vertieft.

Ich sah Derek panisch an, auch er schien nicht wirklich weiter zu wissen, denn er zuckte hilflos mit den Schultern.

Oma und Opa nahmen mich beide zur Begrüßung in den Arm und schüttelten Derek höflich die Hand.

"Du bist also Derek, der Sohn von Simon?" fragte Oma interessiert.
Derek lächelte freundlich.
"Der bin ich. Ich bin 16 und gehe in die 10. Klasse in Livs Schule."

"Wie schön!" meinte Oma herzlich, während Opa schwieg und sich am Kopf kratzte.

"Wie versteht ihr Beiden euch denn so? Schließlich müsst ihr euch auch ein Zimmer teilen."

"Ähm, nun ja... wir ähm... das klappt schon okay."
Ich wandte mich um, um die anderen nach etwas zu trinken zu fragen.

Derek warf mir einen Wehe-du-gehst-jetzt-Blick zu, doch auf ihn konnte ich jetzt gerade keine Rücksicht nehmen.

Tante Greta wollte genauso wie ihr Mann Wasser und Simon wollte gar nichts.

Lisa und Tom wollten Apfelsaft und Violet Orangensaft.

Großtante Linn war so vertieft, dass sie mich gar nicht hörte.
Onkel Fred und seine Freundin baten um Cola, und Großcousine Elisabeth wollte so wie Justus Tee.

Zu aller erst verteilte ich die kalten Getränke und setzte dann den Tee auf.
Glücklicherweise lief nichts schief.

Oma und Opa wollten Kaffee und ich stöhnte innerlich auf.
Konnte man mir denn auch noch mehr Mühe machen?

Leider entpuppte ich mich als miserable Kaffee Macherin und alles kochte über.
Ich versuchte die Schweinerei zu beseitigen und fluchte leise.

"Lass mich das machen!" hörte ich Dereks leicht belustigste Stimme hinter mir.
Ich drehte mich um.
Ich blickte für einen kurzen Moment in seine wunderschönen blau grünen Augen, dann schauen wir Beide weg.

Derek nahm mir den bekleckerten Milch Aufschäumer aus der Hand und unsere Finger berührten sich für ein paar Sekunden.

Ich blickte ihn erneut an, und diesmal schaute keiner von uns Beiden weg.
Er hatte so schöne Augen!
Mein Herz klopfte wie wild, als Derek begann leicht zu lächeln.
In dem Moment klingelte es an der Tür.

Ich und Derek zuckten zusammen.
Dann stellte er den Milchaufschäumer weg und lief zur Tür.

Es waren Mum und Simon.
"Was ist denn hier los?" fragte Mum leicht geschockt und stützte sich keuchend an Simon ab.
Ach ja, richtig, sie war ja schwanger.

Und obwohl sie gerade erst schwanger war, tat Aufregung keiner Schwangeren gut.
Jetzt musste ich mir also auch noch Sorgen um Mum machen.
Derek fuhr sich nervös durchs Haar.
Na, das konnte ja heiter werden!

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