Wenn dir alles zu Kopf steigt ...
*Jimin*
Ich rieb mir mit einem Handtuch die nassen Haare trocken, als ich in das Wohnzimmer kam und bereits ein aufgeregtes Stimmengewirr wahrnahm. Die Jungs saßen um den flachen Tisch im Wohnzimmer verteilt und spielten Jenga, während nebenbei die VLivekamera aktiviert war. Ich trat dichter an sie heran und sah auf einem kleinen Bildschirm, den Namjoon in den Händen hielt, wie die Chatnachrichten unserer ARMY innerhalb weniger Sekunden den Verlauf durchrasten. Herzen schwebten aus der rechten unteren Ecke nach oben und wir hatten um die dreizehn Millionen Zuschauer. Nach der Comebackstage hatten wir uns im Auto darüber unterhalten, wie wir unseren Fans für alles danken konnten, und entschieden uns dafür ein VLive mit allen Membern zu machen.
Ich legte mir das feuchte Handtuch um den Hals und setzte mich auf die Sofalehne, um den Jungs beim Spielen zuzuschauen. Außer Tae waren alle hier, aber der wollte sowieso noch mit seinen Eltern telefonieren, weil er sie vermisste. Mit hoher Konzentration versuchte Yoongi einen Holzstein aus dem Turm herauszuziehen, während Jin die ganze Zeit versuchte, ihn abzulenken, damit er vor Schreck den Turm zum Fallen brachte. Doch Yoongi schloss nur genervt die Augen, ließ langsam seine Hand sinken und drehte den Kopf quälend langsam in Jins Richtung, der bereits nervös lächelte.
„Du wirst mir doch nicht vor laufender Kamera etwas antun, oder?", fragte er kleinlaut. „Es schauen Zeugen zu." Doch Yoongis Antwort war ein schneller Griff zum Sofakissen, denn er Jin um die Ohren haute, ehe er viel entspannter als vorher, endlich den Stein aus dem Jengaturm zog.
„Du hast meine Haare zerstört", murmelte Jin leise und ging extra dicht an die Kamera heran, um seine zerzausten Haare zu richten. Ich schaute über Namjoons Schulter zu dem Handybildschirm, auf dem sich die Komplimente zu Jin überschlugen. Namjoon las einige von ihnen vor, ehe Jungkook dazwischen rief:
„Hört auf sein Selbstbewusstsein zu pushen. Sein Ego passt eh schon kaum durch die Eingangstür."
„Hey!", beschwerte sich Jin, doch wurde er von den anderen ignoriert, also schnaubte er nur kurz und war schließlich selbst bei dem Spiel dran. Vorsichtig zog er einen Stein heraus und legte ihn oben auf den Turm herauf. Während sie weiterspielten, wuschelte ich mir mit der Hand durch die halbtrockenen Haare, wobei ich fast von der Sofalehne viel, als Namjoon vor Begeisterung die Arme in die Höhe riss, da Hoseok den Turm umgeworfen hatte und nicht er. Namjoon hatte nämlich ein großes Talent dazu Spiele zu verlieren.
„Hey, Jimin", rief Jungkook mir zu, der das andere Handy in der Hand hielt, mit dem er die Nachrichten des Chatverlaufes las. „Jimins_Nose67 schreibt, dass du sie mit deinen nassen Haaren killst."
Ich lachte und schaute entschuldigend in die Kamera, ehe ich hinein zwinkerte und wusste, dass ich den Fans damit den Rest von ihrem Fangirltod gab. Ich liebte es, welche Wirkung ich auf sie hatte, und war es noch so klein. Anscheinend reichten nasse Haare und schwarze Klamotten aus, damit sie mich als „heiß", bezeichneten.
„Hier kommen ein paar Kommentare, die Jungkook singen hören wollen", grinste Namjoon. Jungkook begann zu strahlen und ließ es sich nicht zweimal sagen, ehe er ein Lied von Billy Eilish anstimmte, dass er vor kurzem erst gecovert hatte. Ich genoss den Klang seiner Stimme, während ich Hoseok amüsiert dabei beobachtete, wie er mit einem fröhlichen Grinsen die Jengasteine zurück in die Verpackung räumte.
Als Jungkook endete schaute Namjoon erneut auf sein Handy und las laut vor:
„ARMYforever12 fragt, welches unser Lieblingssong auf dem Album ist?"
„Bei mir ist es ganz klar >You can't stop me<", sagte Yoongi sofort und lächelte in die Kamera.
„Willst du den Fans auch gleich erzählen, dass du ihn selbst geschrieben hast?", feixte Hoseok lachend, während Jungkook nickte und mit dem Daumen auf Yoongi zeigte, während er in die Kamera sprach.
„Es ist unglaublich wie überzeugt er von seinen eigenen Liedern ist."
Doch Yoongi zuckte nur gleichgültig mit den Schultern.
„Sagt was ihr wollt. Auf den bin ich echt stolz."
„Viele ARMY stimmen dir zu", erwiderte Namjoon. „Ich hatte auch mal auf die Rankingliste geschaut und er ist nach unserem Titelsong tatsächlich der zweitbeliebteste Song."
„Ich sage doch, er ist gut", grinste Yoongi zufrieden und fing einen bösen Blick von Jin ein, ehe dieser anklagend seine anderen Member anschaute.
„Und ihr behauptet ich hätte ein großes Ego."
„Für mich ist es >feel you", platzte ich schnell dazwischen, um die Situation zu retten. „Ich weiß, es ist klischeehaft den Titelsong am meisten zu lieben, aber Tae und Namjoon haben wirklich gute Arbeit gemacht und ich mag das Lied wirklich sehr."
„Geht mir auch so", stimmte Hoseok mir zu und lächelte mich strahlend an. Namjoon sah verlegen aus, aber es war deutlich in seinem Gesicht zu sehen, wir sehr er sich freute. Schnell scrollte er durch den Chatverlauf und stellte die nächste Frage.
„sunflower_03 möchte wissen wie sehr wir uns schon auf die Tour freuen?"
„Gigantisch!", rief Hoseok und machte eine große Bewegung mit seinen Armen. „Es ist schon eine Weile her, dass wir unsere ARMY so nah waren und ich freue mich darauf am meisten."
„Alle Informationen zur Konzerttour erfahrt ihr in dem morgigen Interview", fügte Namjoon schnell hinzu. „Also bleibt gespannt. Mehr dürfen wir vorher leider noch nicht sagen."
Während sie weitere Fragen beantworteten, wurde ich langsam etwas unruhig. Tae war noch immer nicht aufgetaucht und langsam begann ich mir Sorgen zu machen. Meine innere Stimme sagte mir, dass etwas nicht stimmte, und das beunruhigte mich sehr. Langsam, fast unauffällig lehnte ich mich zu Namjoon herunter und flüsterte leise.
„Wo ist Tae?"
Unser Leader richtete sie fast unmerklich etwas auf und flüsterte in dem Moment zurück, in dem Hoseok laut lachte und niemand sonst es hören konnte:
„Gib mir dein Handy."
„Was?"
„Na, mach schon."
Also nahm ich verwirrt mein Handy aus der Hosentasche und reichte es ihm. Mein Magen drehte sich mir um, als er Twitter öffnete. Eigentlich wollte ich diese App für den Rest der Woche vermeiden. Mein Auftritt bei der Comebackstage heute war nicht mein bester und die Kommentare über meine geistige Abwesenheit und den verpatzten Stellen ruhten nicht eine Sekunde. Jeder war fieser als der Vorige. Deshalb hatte ich beschlossen, es auszublenden, aber dieses Mal ging es nicht um mich. Namjoon tippte Taehyungs Namen in der Suchleiste ein und schon luden sich eine Liste von Kommentaren, bei denen ich für einen kurzen Moment vergaß, dass wir live waren.
„Scheiße", murmelte ich, was Jin sofort mit einem lauten Husten überspielte, damit keiner unserer Fans es gehört hatte. Ich spürte, wir mir der Boden unter den Füßen weggerissen wurde und mir jegliches Blut aus dem Gesicht wich. In diesem Moment kamen mir die Kommentare über mich wie Kinderkram vor.
Ohne darauf zu achten, dass ich völlig abwesend aussah, scrollte ich die Liste der Kommentare durch, die nicht nur Taes Gesang angriffen, sondern auch sein Outfit und Tanzstil. Sie waren so unfassbar persönlich, dass es mich richtig wütend machte. Bei dem Auftritt hatte er für einen kurzen Moment mit Jungkook herumgeblödelt, dabei hatte er unseren Jüngsten eng an sich herangezogen und die Textstelle gesungen: „You are mine. Till the end of the World. It dosen't matter what other people say, you are mine."
Unsere Fans shippten Jungkook und Tae, seit unserem Debüt und meistens fanden sie es lustig und provozierten ihre Bromance ein bisschen. Aber dann gab es da die andere Sorte Fans. Die, die es furchtbar ernst nahmen und ihnen wirklich eine heimliche Beziehung unterstellten, was durch BoyxBoy Fanfictions noch unterstützt wurde. Diese Art Fans eskalierten dann im Internet und erstellten Videos, die das ganze noch mehr pushte, bis es noch mehr Leute glaubten. Korea war recht konservativ, was Liebe zum gleichen Geschlecht anging und es wurde nicht gerne gesehen. Das Problem war jedoch, dass es nicht wahr war. Weder bei Jungkook, noch bei Tae. Unseren Maknae spielten solche Kommentare auch immer übel mit, aber er ertrug es irgendwie. Tae im Gegensatz ... nun, er war eben viel sensibler, als er aussah.
Ohne, dass ich mich um die Livekamera scherte, sprang ich von der Sofalehne auf, wirbelte herum und verschwand aus dem Wohnzimmer. Vor Taes Tür kam ich zum Halten. Mein erster Impuls war, dagegen zu klopfen und die Tür aufzureißen. Aber das kam mir etwas übertrieben vor, weshalb ich erst Luft holte, um meine Wut zu unterdrücken. Langsam hob ich die Hand und klopfte mit den Fingerknöcheln gegen seine Zimmertür.
„Tae?", fragte ich vorsichtig. „Hier ist Jimin. Kann ich reinkommen?" Ich wartete eine Weile ab, während ich die gedämpften Stimmen aus dem Wohnzimmer wahrnahm. Plötzlich erschienen sie mir nicht mehr fröhlich. Wenn einer von uns im Internet angegriffen wurde, dann litten wir alle darunter. BTS funktionierte nun mal nicht, wenn auch nur einer von uns nicht bei der Sache war, dafür mussten wir uns in der Choreo zu viel aufeinander verlassen. Noch dazu wohnten wir alle zusammen und wenn die Stimmung nicht gut war, wirkte es sich immer auf die Arbeit aus. Es klang blöd, aber wir waren eine Einheit. Griff man einen von uns an, dann griff man alle an.
Die andere Seite war, dass wir es uns nicht anmerken lassen durften, wenn uns schlechte Kommentare trafen. Es war eine Sache zu sagen, dass Tae heute mal nicht ganz so gut war, wie sonst. Das war okay. Jeder hat schlechte Tage. Aber ihn zu beschimpfen und zu behaupten, er könnte nicht singen und soll aus der Band aussteigen, war etwas völlig anderes. Es war unfair.
Nachdem Tae auch beim zweiten Mal nicht reagierte, öffnete ich vorsichtig die Tür und steckte den Kopf in den Raum. Tae saß auf dem Boden, am Fuße seines Bettes. Den einen Arm hatte er eng um den Körper geschlungen, während er in der anderen Hand das Handy festhielt und die Kommentare auf Twitter las.
Ich blieb im Türrahmen stehen und lehnte mich dagegen. Er hatte nicht einmal den Kopf gehoben, was entweder bedeutete, dass er so tief in seiner eigenen Welt drin steckte, dass er mich nicht wahrnahm, oder er ignorierte meine Anwesenheit. Kopfschüttelnd trat ich in den Raum, schloss die Tür und setzte mich schweigend neben ihn auf den Fußboden. Die Tatsache, dass er langsam sein Handy auf den Boden sinken ließ, bewies mir, dass er sehr wohl wusste, dass ich hier war. Mit einer schnellen Bewegung wischte er sich eine Träne von der Wange und starrte ausdruckslos die Wand an. So verging einige Zeit, in der wir einfach schweigend dasaßen. Ich wartete darauf, dass er zuerst etwas sagte, denn aus Erfahrung wusste ich, dass Sätze wie: „Die Leute meinen das nicht so", „Ihnen ist nur langweilig", und „Hör einfach nicht drauf", nicht das ist, was man hören möchte. Natürlich meinten es die Leute so. Ihre Angriffe waren gezielt und trafen haargenau, da wo es weh tat. Es war pure Absicht, uns zu verletzen.
Die Leute wollen euch Fallen sehen. Aber du wirst nicht fallen, weil du stark bist.
Ihre Stimme schoss mir ohne Vorwarnung in den Kopf und ich zuckte unmerklich zusammen. Wann immer ich drohte in den Hasskommentaren zu ertrinken, erklangen ihre Worte in meinen Gedanken, gemischt mit diesem entschlossenen Gesichtsausdruck, den sie damals aufgelegt hatte. Alleine bei dem Gedanken daran schlug mein Herz schneller, doch kurz darauf erwachte ich wieder in der Realität. Sie hatte mir versprochen immer da zu sein, wenn ich sie brauchte. Ganz besonders in so einer Situation. Aber sie war weg. Wie viel Bedeutung hatten ihre Worte also wirklich?
Tae richtete sich neben mir auf und ließ die Luft laut aus seinen Lungen entweichen. Ohne mich anzuschauen, fragte er:
„Geht es dir gut?"
Ich musste lächeln, weil es so typisch für Tae war. Selbst wenn es ihm richtig schlecht ging, machte er sich noch Sorgen um alle anderen.
„Nein", gestand ich leise. „Aber das wird wieder. Wie kommst du zurecht?"
„Schlecht." Seine Hand wischte sich eine weitere Träne aus den Augen und er ließ den Kopf wieder nach unten sinken. „Warum sagen die Menschen so etwas? Was habe ich ihnen getan?"
„Gar nichts", erwiderte ich schwach. „Aber sie finden immer etwas. Schau dir nur die ganzen Idols an, bei denen plötzlich Gerüchte hochkochen, dass sie in der Schulzeit andere gemobbt haben, oder sogar noch schlimmere Dinge. Nur die Hälfte davon ist wahr, aber alle Leute glauben es und meistens wird das Gegenteil nie bewiesen oder viel zu spät." Ich hob einen Arm und legte ihn Tae um die Schultern. Kraftlos sackte sein Körper zur Seite und sein Kopf fiel mir wie ein nasser Sack auf die Schulter. Mein T-Shit wurde nass. Er weinte erneut. Leise und für sich alleine.
„Ich bin nicht schwul", nuschelte er in mein T-Shirt. „Jungkook und ich sind nicht zusammen."
„Ich weiß."
„Er ist wie ein Bruder für mich. Das seid ihr alle."
„Ich weiß."
„Aber was soll ich tun, damit die Leute so etwas nicht mehr behaupten? Ich kann ihm ja nicht aus dem Weg gehen. Wir sind immerhin in einer Band."
„Das kannst du nicht." Ich legte meinen Kopf auf seinen. „Fans, die euch shippen wollen, tun es einfach. Egal ob ihr in Shows und auf der Bühne interagiert oder nicht. Genauso shippen sie Jin und Namjoon, weil sie wir die Eltern von BTS wirken. Es geht zu weit. Viel zu weit. Aber wir können nichts dagegen machen. Wir wissen, dass wir alle nur Freunde sind, mehr ist nicht wichtig."
Tae nickte an meiner Schulter. Ich lauschte seiner lauten Atmung, die durch die Tränen verstärkt wurde.
„Bin ich wirklich so ein schlechter Mensch?", fragte er nach einer Weile, was mich tatsächlich schockierte.
„Nein!", rief ich entsetzt, dass er es wirklich von sich glaubte. „Tae, nein! Denk nicht einmal an sowas. Wir haben beide die Performance verpatzt und das ist blöd gelaufen, aber wir werden es beim nächsten Mal besser machen. Aber das und auch die Shippinggerüchte haben nicht im Geringsten etwas mit deiner Persönlichkeit zu tun."
Tae nahm den Kopf von meiner Schulter und schaute mich mit diesem großen braunäugigen Welpenblick an.
„Tae, du bist einer meiner besten Freunde und die erste Person, zu der ich komme, wenn es mir nicht gut geht. Du verstehst mich, wie kein anderer. Wie kann jemand wie du eine schlechte Person sein?"
„Aber die Kommenare -"
„Pfeif auf die Kommentare!", rief ich dazwischen und erschrak selbst von der Lautstärke meiner Stimme. „Niemand kennt dich so gut wie ich. Wie wir. Also hat keiner von ihnen ein Recht sich ein Urteil über dich oder sonst jemanden aus der Band zu bilden." In meinem Kopf führte ich den Satz fort, den Steffi damals zu mir sagte.
„Und während ich dich ablenke, werde ich eine Gruppe von Freundinnen losschicken, die ich vor kurzem kennen gelernt habe, die deine Hater mit Fluchtwagen und Kabelbinder beseitigen werden."
Dieser Gedanke ließ mich unwillkürlich Lächeln, woraufhin Tae mich verwirrt ansah. Doch ich kam nicht dazu, es zu erklären, als es bereits erneut an der Tür klopfte und Jungkook und Hoseok das Zimmer betraten.
„Hey," grüße Hoseok zögernd. „Der Vlive ist vorbei, also dachten wir, dass wir euch etwas Gesellschaft leisten."
„Kommt rein." Tae wischte noch einmal mit seinen Händen über die Augen und zwang sich zu einem Lächeln. Doch es verschwand, sobald er den Blick nach unten zu seinem Handy gleiten ließ. Schnell griff ich danach, schaltete es aus und warf es auf Taes Bett.
„Du hast bis morgen früh Handyverbot", murmelte ich erklärend. Er widersprach nicht.
„Wir haben Chips mitgebracht." Jungkook setzte sich uns gegenüber auf den Fußboden und wedelte mit einer Chipstüte herum, während Hoseok grinsend eine Dose voller Onigiri hinter seinem Rücken hervorzauberte.
Die zwei taten ihr bestes, um Tae aufzuheitern, und ich war froh, diese Rolle nicht mehr alleine zu tragen. Zusammen mit ihnen, schaffte ich es tatsächlich, Tae ein ehrliches Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Als sie sich schließlich zu dritt den Videospielen widmeten, entschloss ich mich, aufzustehen und mir etwas zu trinken zu holen. Sie waren so intensiv in ihr Spiel vertieft, dass sie nicht einmal mitbekamen, wie ich aufstand und den Raum verließ.
In der Küche traf ich auf Yoongi. Er trank seinen Kaffee, während er mit dem Rücken an der Kücheninsel lehnte. Ich nickte ihm kurz zu und ging dann zu einem Regal herüber, um ein Glas aus dem Schrank zu holen. Genauso wortlos trat ich zur Spüle und drehte den Hahn auf. Yoongis Blick bohrte sich in meinen Rücken. Die Stimmung in dem Raum war angespannt und ich konnte mir nicht erklären wieso. Aber ich fühlte mich schlagartig unwohl. Schnell drehte ich den Hahn ab und wandte mich zu ihm herum.
„Wie geht es Tae?", fragte er, noch bevor ich etwas sagen konnte.
„Mies", murmelte ich. „Sehr mies."
„Wie geht es dir?"
„Auch nicht besser." Ich vermied Blickkontakt und nippte an meinem Glas. Yoongi schaute herunter zu seinem Kaffee. Er wirkte, als wollte er noch etwas sagen, doch er fand nicht die richtigen Worte dazu. Ich wollte weg aus dieser merkwürdigen Situation und stieß mich vom Tresen ab, um aus der Küche zu fliehen. Was auch immer ihn ihm vorging, wenn er so drauf war, sollte man besser viel Abstand zu ihm halten. Ich war fast aus der Tür heraus, als ich seine Stimme hinter mir vernahm.
„Willst du ihr das wirklich antun?", fragte er mit einem anklagenden Unterton. „Erneut? Sie hatte so viel durchgemacht, als ihr in einer Beziehung wart."
Er musste ihren Namen nicht aussprechen. Ich wusste auch so, von wem die Rede war. Langsam drehte ich mich zu ihm herum und fing seinen Blick auf. Er hatte den Kaffee auf der Kücheninsel vor sich abgestellt und beide Arme auf der Platte abgestützt. Irgendetwas machte ihn wütend und seinen Worten und dem Blick nach zu urteilen, war ich es.
„Wenn wir unter den ganzen Hatern leiden, warum willst du von ihr verlangen, es noch einmal durchzumachen? Wozu der ganze Aufwand, wenn ihr nur am Ende wieder beide verletzt werdet?"
Ich fühlte mich von seinen Worten angegriffen und das machte mich wütend.
„Ich habe auch viel durchgemacht in der Beziehung", sagte ich verständnislos. „Aber noch mehr, als es vorbei war. Dieses Gefühl zu wissen, dass sie hier in Seoul ist und ich nicht weiß, wo sie steckt, bringt mich um."
„Das ist Wahnsinn, Jimin!" Yoongi erhob seine Stimme. Er erhob nie seine Stimme, außer er meinte es wirklich ernst. „Sobald die Presse es mitbekommt, wird sie zurück in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken. Außerdem wird unser Entertainment mit allen Mitteln versuchen, es zu verhindern. Das kannst du nicht wirklich wollen!"
„Ich bin nicht bescheuert, Yoongi!", knurrte ich ihn an. „Ich lebe nicht in einem Märchen und mir ist genauso bewusst, was es für Konsequenzen haben wird. Aber hier geht es auch nicht um -" Ich stoppte, denn ich sah wie sich Yoongis Augen zu Schlitzen verengten und genau in dem Moment wusste ich es. Ich hatte die ganze Zeit recht gehabt und diese Erkenntnis ließ meinen Puls beschleunigen. Ich wusste nur noch nicht, ob es Freude oder Wut war.
„Du weißt wo sie ist", murmelte ich entsetzt und fühlte mich schlagartig verraten, als er nickte.
„Ja, aber ich werde es dir nicht sagen. Im Gegensatz zu dir, versuche ich sie beschützen."
„Du – was?" Ich verliere die Kontrolle über mich, stelle mein Glas beiseite und stürme auf Yoongi zu. Noch bevor ich selbst merkte, was ich da tat, hatte ich ihn am Kragen gepackt und ihn gegen den Küchentresen hinter sich gedrängt.
„Wiederhol das", knurrte ich ihn an. „Sag das nochmal!" Doch in Yoongis Gesicht erschien ein kleines Lächeln, als er den Kopf etwas zur Seite neigte. Ich hatte meine Gefühle nicht mehr im Griff und stieß ihn erneut gegen den Tresen. Die Packung mit dem Müsli fiel um und verteilte seinen Inhalt auf der gesamten Platte.
„Ich beschütze sie! Ich beschütze sie, seit der Haterangriffe auf sie. Ich beschütze sie, seit Maja und Steffi keine Freunde mehr sind. Ich beschütze sie vor ihrer Familie und allen voran, beschütze ich sie vor dir."
In meinem Kopf begannen sich die Rädchen zu drehen und warfen damit nur noch mehr Fragen auf. Maja und Steffi waren keine Freundinnen mehr, das wusste ich. Das waren sie vor der Trennung nicht mehr. Aber das mit ihrer Familie ... was war passiert? Sie hatte doch alles im Griff? Der Streit in ihrer Familie hatte sich beruhigt. In diesem Moment fühlte ich so viel. Ratlosigkeit, Verzweiflung, Schuld, weil Yoongi bei ihr war und nicht ich.
„Du warst die ganze Zeit an ihrer Seite?", hauchte ich tonlos, als die Worte langsam in meinem Kopf eine Form annahmen. Yoongi hatte den Kontakt nie zu ihr abgebrochen. Er wusste die ganze Zeit, was in ihrem Leben passierte und hatte mir nichts gesagt, während ich litt.
„Ja, ich war für sie da, als du es hättest sein sollen."
Meine Faust traf ihn unvorbereitet und er wirkte geschockt, als er eine Hand hob und sich das Blut von der Nase wischte.
„Du hast mich geschlagen", sagte er verwundert.
„Halt deine verdammte Fresse und sag mir, wo sie ist!"
„Nein." Obwohl die rote Flüssigkeit aus einer Nase tropfte, wirkte er nicht im Geringsten eingeschüchtert. Viel ehr, war seine Entschlossenheit nur noch größer.
„Sag es mir!", brüllte ich ihn an, als Jin und Namjoon bereits, angelockt von dem Krach, die Küche betraten.
„Was geht hier vor?!", rief Jin entsetzt und eilte auf uns zu, um mich von Yoongi wegzuzerren, doch ich krallte mich so sehr in Yoongis Kleidung fest, dass er es nicht schaffte.
„Vergiss es. Sie will dich nicht sehen", sagte dieser schließlich. Von seinen Worten tanzten schwarze Flecken vor meinen Augen herum. Mein Kreislauf war instabil. Der verbale Schlag saß tief und ich spürte, wie sich meine Finger langsam an seinem Kragen lockerten.
Sie wollte mich nicht sehen. Das vordem ich am meisten Angst hatte, war also wirklich wahr. Jin schaffte es endlich mich von Yoongi wegzustoßen und sich schützend vor ihm zu stellen, während er sich mit dem Handrücken das Blut von der Nase wischte. Ich taumelte nach hinten und stieß mit dem Rücken gegen die Kücheninsel. Haltsuchend klammerte ich mich an ihr fest. Sie wollte mich nicht sehen. Also hatte sie mich nicht vermisst. Sie hatte den Schlussstrich damals wirklich gezogen und der Einzige, der nicht darüber hinwegkam, war ich.
„Seid ihr bescheuert?", fuhr Namjoon uns an und griff nach Yoongis Kinn, um sein Gesicht genauer zu betrachten. „Wir stecken mitten in einem Comeback! Wie sollen wir das morgen in dem Interview erklären?!"
„Ich werde einfach Eis drauf packen", murmelte Yoongi und stieß Namjoon von sich, um zum Kühlschrank herüberzugehen und sich eine Packung gefrorenes Kimchi auf die Nase zu packen. „Make Up regelt alles", waren seine letzten Worte, ehe er die Küche verließ. Nun ruhten die Blicke von Namjoon und Jin wütend auf mir.
„Erklärst du uns was passiert ist?", fragte unser Leader, aber ich schüttelte nur den Kopf. Meine Gedanken fuhren gerade Achterbahn und ich wusste nicht wohin mit mir.
„Morgen", nuschelte ich so leise, dass ich es selbst kaum hörte. „Jetzt brauche ich frische Luft."
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