Wäre es das wirklich wert?
*Jimin*
Ich knetete meine Finger nervös und schaute erwartungsvoll zu Jungkook herüber, der den Display seines Handys alle zwei Sekunden mit großen Augen aktualisierte.
„Noch zwei Minuten", sagte Jin in die Runde und gab ein aufgeregtes Geräusch von sich, wobei ich schmunzeln musste. Unaufhörlich griff er in die Tüte hinein und schob sich eine Handvoll davon in den Mund. Eigentlich war er vor einem Comeback immer auf Diät, aber heute Abend bestand wohl eine Ausnahme, um sein Energielevel im Zaun zu halten. Aber nicht nur er. Auch die anderen Jungs taten alles, um sich zu beruhigen und ihre Aufregung zu unterdrücken. Jeder auf seine Weise. Ich hüpfte wie ein nervöser Flummi auf meinem Platz auf dem Sofa herum, während Namjoon unaufhörlich durch das Wohnzimmer ging, aus dem Fenster sah und wieder einige Schritte lief. Hoseok konnte sich nicht entscheiden zwischen Sitzen und Stehen und Jungkook hämmerte auf seinem Handy herum, als hinge sein Leben davon ab. Nur Tae und Yoongi hatten sich halbwegs im Griff. Während Tae neben mir auf dem Sofa saß und ein Kissen fest an seine Brust drückte, war Yoongi schon längst wieder dabei den nächsten Song auf seinem Laptop anzupassen, den er gestern beendet hatte. Ich durfte ihn bereits hören und fand ihn großartig, aber Yoongi war nun einmal ein Perfektionist und pfeilte noch an den Feinheiten.
Es war wirklich egal, wie lange wir schon im Geschäft waren. Die Chartliste der Billboards nach einem Comeback war einer der aufregendsten Momente in unserem Leben. Unsere neue Single war seit gestern auf dem Markt und Ende der Woche wird unser Album erscheinen. Ich konnte es kaum erwarten, dass es endlich so weit war. An einem Album zu arbeiten war aufregend und ich stand ständig unter Strom, aber ich möchte endlich die Rektion der ARMY sehen. Ich fragte mich, wie sie es finden? Werden sie es mögen? Werden sie es hassen? Ich schaute zu Tae herüber und nickte ihm aufmunternd zu. Er hatte den Titelsong, um den es in diesem Moment ging, zusammen mit Namjoon geschrieben. Im Gegensatz zum Rest des Albums, war es ein ruhiger Song. Eine Ballade, um genau zu sein, indem es um Liebe und Verlust ging. Wann immer ich die Lyriks hörte, würde ich ein wenig emotional. Sie erinnerten mich an das, was ich verloren hatte, damals vor zwei Jahren. Vielleicht liebte ich diesen Song deshalb von allen am meisten. Ich konnte mich komplett in das Lied hineinversetzen. Fühlte, was die Lyriks bedeuten und dann vermisste ich sie. So unwahrscheinlich. Es war egal, dass zwei Jahre vergangen waren, mein Schmerz war noch der gleiche. Aber ich hatte gelernt, ihn nicht mehr so offen zu zeigen. Mein Blick wanderte automatisch zu Jungkook. Ging es ihm wie mir? Auch Maja und er waren nicht mehr zusammen, länger schon, als Steffi und ich. Aber ihre Umstände waren anders als unsere. Schon bevor unsere Fans Maja und ihn auseinanderrissen, hatte es in ihrer Beziehung gekriselt. Die Entfernung war einfach zu groß und soweit ich es mitbekam, konnten sie beide damit nicht umgehen. Ich verstand es. Ich verstand es so gut. Wie oft hatte ich mir gewünscht Steffi, hier und jetzt nachts in meinen Armen zu halten. Aber mehr als zusammen am Telefon einzuschlafen, war leider nicht drin. Deshalb genoss ich die wenigen Momente, in denen wir uns gesehen haben. Was leider wirklich nicht sehr oft war. Skype war eine Hilfe, aber nicht die Lösung. Zum Ende hin haben sie sich nur noch gestritten. Eifersucht spielte eine ebenso große Rolle, genauso wie die Sehnsucht nacheinander. Manchmal fragte ich mich, wie Steffi und ich es so lange ausgehalten hatten? Aber um die Wahrheit zu sagen, es war schwer. Doch im Vergleich zu jetzt, wäre ich bereit es alles wieder auf mich zu nehmen, nur um sie wieder an meiner Seite zu haben. Ich erwischte mich oft bei dem Gedanken, mich zu fragen, wie es ihr ging? Dachte sie manchmal noch genauso an mich, wie ich an sie? Hörte sie unsere Lieder? Wusste sie über alle aktuellen Berichte Bescheid und schaute sie unsere Realityshows? Ich fragte es mich so oft, aber würde wohl nie eine Antwort bekommen.
„Es ist Mitternacht!", rief Taehyung laut heraus und sprang vom Sofa auf, während er mir das Kissen aufgeregt ins Gesicht schmiss. Überrascht fing ich es auf und legte es schnell beiseite. Alle Augen richteten sich nun auf Jungkook, der verzweifelt die Seite aktualisierte.
„Lad schneller!", fauchte er das technische Gerät an und ließ in der nächsten Sekunde sein Handy auf den Boden fallen, nur um uns mit weit aufgerissenen Augen und erhobenen Armen anzuschauen. Ich spürte, wie mein Herz aussetzte.
„Was ist los?", fragte Jin perplex und ließ langsam die Chipstüte in seinen Händen sinken. „Stehen wir drauf?"
Namjoon Hoseok tänzelte elegant an Yoongi vorbei und hob Jungkooks Handy vom Boden auf. Schnell schaltete er den Display an und innerhalb weniger Sekunden erschien ein breites Lächeln in seinem Gesicht.
„Wir sind Platz 2."
„Platz 2?", fragte Namjoon fast tonlos nach und ließ sich langsam auf die Sofalehne neben mir sinken.
„Platz 2!", schrie Taehyung begeistert. „Wir sind Platz 2!"
„Wer ist auf der eins?", fragte ich begeistert nach und umschlang Taes Körper, der sich voller Freude auf mich warf.
„Ariana Grande", erklärte Hoseok. „Aber der Song war auch schwer zu toppen."
„Platz 2!", brüllte Jungkook erneut, sprang auf seine Beine und begann durch das Wohnzimmer zu tanzen. Yoongi stöpselte jubelnd die Kopfhörer aus einem Laptop und startete unsere neue Single, während wir alle wie verrückt ausrasteten. Es war Mitternacht und vermutlich fluchten unsere Nachbarn gerade über die Lautstärke, aber es war uns egal. Dieser Moment musste gefeiert werden. Ich war so glücklich über das Ergebnis. ARMY liebten ihn. Sie liebten diesen Song wirklich und dank ihnen haben wir es auf die Chartliste in Amerika geschafft. Dank ARMY waren wir die erste koreanische Band, die außerhalb von Asien und Europa tourte. Sie hatten es möglich gemacht, weil sie uns so sehr unterstützten. Sie hatten uns dahin gebracht, wo wir jetzt standen. Mit all ihrer Liebe und Unterstützung. Es war nicht in Worte zu fassen, wie sehr ich unsere Fans liebte.
„Wann bist du da?" Die Dinglichkeit in Jungkooks Stimme war kaum zu überhören. „Unser Manager war jetzt schon das dritte mal hier und ich weiß nicht, wie lange ich ihn noch hinhalten kann."
„Ich bin gleich da", versprach ich und klemmte mir das Telefon zwischen einem Ohr und meiner Schulter ein, während ich in meinem Rucksack nach meinem Portmonee suchte, dass ich ganz unten vergraben hatte. „Es hatte etwas länger gedauert, als geplant, aber sobald ich ein Taxi finde, bin ich auf dem Weg."
„Beeil dich bitte", seufzte Jungkook und legte auf. Ich nickte, auch wenn ich wusste, dass er es nicht sah, und ließ mein Handy in der Hosentasche verschwinden. Eigentlich wollte ich nur schnell ein paar Snacks für die Pausen im Training kaufen, da wir alle momentan etwas ausgelaugt waren und etwas Energie und Vitamine gebrauchen konnten. Aber ehe ich mich versah, war mein gesamter Rucksack voller Softdrinks, Kimbap und Chips. Blöderweise war die Schlange an der Kasse viel zu lange und jetzt fand ich in der gesamten Stadt kein freies, verdammtes Taxi. Sonst tummelten sie sich wie Sand am Meer am Straßenrand, aber heute war es wie verhext. Ich zog mein Portmonee griffbereit aus der Tasche und schulterte meinen Rucksack. Mit einem Arm in der Luft, versuchte ich das nächste Taxi heranzuwinken, das ich auf mich zukommen sah, aber auch dieses fuhr an mir vorbei und ich ließ meinen Arm wieder frustriert sinken. Gestresst schloss ich meine Augen und rieb mir die Nasenwurzel.
Okay, tief durchatmen, Jimin. Du bekommst das hin, sagte ich mir selbst und holte tief Luft. Als ich wieder die Augen öffnete, sah ich das nächste Taxi auf mich zufahren, also hob ich erneut den Arm, doch dann wanderte mein Blick weiter die Straße hinauf und mein Arm fiel schlagartig wieder nach unten.
Nein.
Das kann nicht sein!
Wie?
Ein Mädchen mit langen braunen Haaren trat aus dem Geschäft an der Ecke und steckte sich ihre Kopfhörer in die Ohren. Normalerweise wäre es mir bei der Entfernung nicht aufgefallen, aber sie war keine Koreanerin. Sie war nicht einmal asiatisch. Noch dazu war sie mir so sehr bekannt. So sehr, dass mein Herz aussetzte. War ich nun endgültig verrückt geworden? Sie kann unmöglich hier sein! Ich würde es doch wissen, wenn es so wäre, nicht wahr? Aber würde ich das? Wir waren nicht mehr zusammen. Theoretisch musste sie mir gar nichts sagen. Trotzdem musste ich es wissen. Ich musste einfach auf Nummer sichergehen!
Bevor ich es bemerkte, hatten sich meine Beine in Bewegung gesetzt und ich lief die Straße hinauf, um sie nicht zu verlieren. Wenn sie doch nur kurz stehenbleiben würde. Einen kurzen Blick in meine Richtung, mehr brauchte ich nicht. Kurz blieb ich stehen und schaute mich um. Könnte ich es riskieren einfach über die Straße zu rennen? Die nächste Ampel war ein Stück entfernt und der Straßenverkehr war fließend. Es wäre absolut lebensmüde. Mich würde ein Auto anfahren, bevor ich überhaupt die Hälfte der Straße überqueren konnte, auch wenn ich es am liebsten tun möchte. Aber es half nichts unachtsam zu sein. Ich konnte mich genauso gut irren und dann hätte ich den gesamten Verkehr wegen eines Fehlers aufgehalten.
„Entschuldige", murmelte ich schnell, als ich fast in eine Frau mit zwei schweren Einkaufsbeuteln hineingelaufen war. Ihr Blick war grimmig und ich hörte sie leise Fluchen, als ich nach einer kurzen Verbeugung weiterlief, aber gerade war nichts in meinem Kopf wichtiger, als die Identität dieses Mädchens herauszufinden, und ob ich mir bereits einen Platz in der Psychiatrie sichern sollte.
Während des Gehens strich sie sich die Haare aus dem Gesicht und die Art, wie sie es tat, war mir so bekannt, wie meine eigene Art es zu tun. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Könnte sie es wirklich sein? War ich nicht verrückt?
„Steffi!", rief ein Mädchen mit blonden Haaren und lief ihrer Freundin hinterher. Sie drehte sich zu ihr herum und raubte mir in diesem Moment den Atem. Sie war es! Ich war mir zu 100% sicher, dass sie es war, weil ich sie überall wieder erkennen würde.
Meine Steffi.
Ich blieb stehen und hielt mich an einem Laternenpfahl fest, während vor meinen Augen schwarze Flecken auftauchten und ich mehrmals blinzeln musste, um wieder bei klarem Verstand zu sein. All meine unterdrückten Gefühle kamen mit einem Mal in mir hoch und raubten mir den Atem. Keuchend beugte ich mich nach vorne und begann zu husten.
Wie kann das sein? Wie war das möglich? Nach all der Zeit?
Ich schaute auf und sah, wie sie bereits die Hand hob, um ein Taxi heranzuwinken. In diesem Moment brannten in meinem Kopf sämtliche Sicherungen durch und meine Vorsätze, sie nicht wieder zu sehen, sie zu vergessen und nicht wieder mit ihr in Kontakt zu treten, um mein Leben wieder auf die Reihe zu bekommen, wurden schlagartig über den Haufen geworfen. Ich unterdrückte all den Schmerz, den ich durch sie durchmachen musste. All die Wut und die Verzweiflung, wenn ich dafür nur kurz mit ihr reden könnte. Ich wollte wissen, ob es ihr gut ging, ob sie glücklich war. Mehr brauchte ich nicht.
Langsam ließ sie den Arm sinken, als ein Taxi vor ihnen stehen blieb.
Nein!
Ich lief los, ohne noch darüber nachzudenken, und rannte dem ersten Auto vor die Motorhaube, das mit quietschenden Reifen und lautem Gehupe stehen blieb. Der Fahrer fluchte lautstark hinter seinem Lenkrad, was ich gedämpft durch die Scheiben hören konnte. Schnell hob ich beide Hände, um mich zu entschuldigen, und schaute gehetzt zu dem Taxi, in dem Steffi und ihre Freundin eingestiegen waren.
„Hey, wo willst du hin?!", rief mir der Fahrer zu und steckte den Kopf aus dem Fenster. „Das ist kein Fußgängerüberweg! Kannst du nicht gucken?!"
„Es tut mir leid", murmelte ich schnell, ohne ihn dabei anzuschauen. Das Taxi setzte sich bereits in Bewegung. Mir blieb keine Zeit mehr. Um mich herum wurde alles in eine Blase getaucht. Die Geräusche schwächten ab, bis ich nichts mehr wahrnehme außer dem schwerelosen Gefühl, die andere Seite zu erreichen.
„Shit!", fluchte ich und lief weiter, während hinter mir der Fahrer meckernd wieder die Scheibe hochkurbelte und seine Fahrt fortsetzte. Als ich die Mittelinsel der Straße erreichte, war das Taxi gerade an mir vorbeigefahren und ich trat frustriert ein Büschel Gras auf die Straße der Gegenseite. Mit stark klopfenden Herzen fuhr ich mir durch die Haare und sah ihr nach. Weg war sie. Schon wieder war sie vor mir in einem Taxi geflohen.
Nach Atemringend beugte ich mich nach vorne und stützte die Hände auf den Knien ab, um mich zu beruhigen. Nach einer Weile richtete ich mich wieder auf und schaute mich langsam um. Der Verkehrslärm, den ich bis eben nur dumpf wahrgenommen hatte, dröhnte lautstark in meinen Ohren wieder. Innerhalb weniger Sekunden strömte alles wieder auf mich ein. Die Autos hupten lautstark, als sie an mir vorbeifuhren. Die Insel war nicht sehr groß. Ein falscher Schritt und ein Auto würde mich mitreißen.
Schnell orientierte ich mich und nutzte einen kurzen Moment, in dem die Autos an der Ampel standen, um den Rest der Straße zu überqueren.
Ich weiß nicht wie lange ich dort stand und dem Taxi nachsah, dass schon lange verschwunden war. Sekunden? Minuten? Vielleicht eine Stunde.
In meinem Kopf passierten so viele Dinge auf einmal. Ich malte mir was, was passiert wäre, wenn ich sie rechtzeitig erreicht hätte und sie mich mit einem Lächeln begrüßen würde. Kurz darauf wurde der Gedanke von einer ehr unschönen Begegnung abgelöst, in dem sie mich anschrie, dass sie mich nie wieder sehen wollte und was ich hier tat. Tausend Fragen tauchten in meinem Kopf auf. War es richtig? War es falsch? Hatte ich das Recht sie wiederzusehen? Durfte ich fragen, was sie die letzten zwei Jahre ohne mich getan hatte? Ob sie genauso unglücklich war wie ich? Ob sie mich vermisste?
Verdammt, sie hatte mir so gefehlt und die Tatsache, dass hier in Seoul war, überforderte mein Herz. Ich wusste nicht mehr, wie ich mich richtig verhalten sollte. Es war alles zu viel für mich.
Ein kleiner Teil von mir wünschte sich, dass wir von vorne anfangen würden. Eine Freundschaft wäre für mich völlig in Ordnung, solange sie wieder in meinem Leben war. War es egoistisch? Immerhin hatte sie mir gesagt, dass sie mich nie wiedersehen wollte. All den Scheiß, den wir durchgemacht hatten, würde sofort wieder hochkochen. Sie würde das Gleiche erleben wie damals. War es das wirklich wert?
Meine Antwort war ja. Für mich war es das wert. Ich würde alles dafür geben, um dorthin zurückzukehren, wo wir vor zwei Jahren standen. Sogar meine Karriere. Für sie würde ich alles riskieren. Erneut. Deshalb blieb mir nur eine Lösung.
Ich musste sie finden, komme was wolle!
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top