Kapitel 6: "Sie ist älter."

Noah

Mit einem Ruck hebe ich den dunklen Sattel von dem Pferd ab und hänge ihn wieder zurück auf die für ihn vorgesehene Halterung. „Na dann komm", murmle ich mehr zu mir selber als zu dem Pferd. Ich mache es von der Befestigung am Stall ab und führe es auf die weitläufige Weide, wo es, nachdem ich es von dem Strick losgemacht habe, sofort losrennt. Wieso musste mich auch Josh dazu überreden länger zu bleiben?

Ich schließe das Gatter hinter mir und gehe zurück zum Stall. Der starke Pferdegeruch steigt mir in die Nase. Ein Geruch, der viel zu penetrant in der Luft hängt. Die Mischung aus Pferd und Heu.

„Mach es gut, Livia", verabschiede ich mich. Die große braunhaarige Frau dreht sich nochmal zu mir um und schenkt mir ein warmes Lächeln. „Bye Noah, bis morgen." Sie ist so ein bisschen das Mädchen für alles hier. Sie kümmert sich mit um die Pferde. Organisiert mit die Ausritte. Hilf meiner Mutter manchmal. Hat früher immer mal wieder auf mich aufgepasst.

Sie steigt in ihr kleines quietsch grünes Auto und winkt noch einmal, bevor sie schlussendlich über den trockenen, staubigen Boden losfährt. Gemütlich mache ich mich auf den Weg zu unserem Haus, in das ich schließlich auch rein gehe. „Noah?", fragt mein Vater nach mir. „Ja ich bins. Livia ist grade gefahren und die Pferde sind alle auf der Weide", gebe ich Bescheid. Währenddessen ziehe ich mir meine Schuhe aus und begebe mich die Treppe rauf.

In Lexas Zimmer ist es dunkel. Leise vernehme ich ihre Stimme. „Mason? Ich habe dich lieb", höre ich flüsternd Lexa, die jetzt um einiges zierlicher wirkt als noch heute Vormittag, bekomme aber nicht mit, was ihr Gegenüber darauf antwortet. Sie hat also einen Freund. Das hätte ich mir ja eigentlich Denken können.

Ich knipse das Licht im Flur uns und schließe hinter mir die Tür, als ich mein unordentliches Zimmer betrete. Die ein oder andere Pizzaschachtel befindet sich immer noch von letzter Woche auf meinem dunkelbraunen Schreibtisch. Auf dem kleinen Tisch, welcher vor dem Fernseher steht, stehen noch diverse Getränke, wobei nicht alles davon so unalkoholisch ist. Meine Klamotten verteilen sich über das gesamte Zimmer, sodass man meinen könnte, dass eine Bombe hier am Freitag eingeschlagen ist. Dabei waren es nur Josh und ich.

Genervt kicke ich den kleinen weißen Ball von dem Kickertisch quer durch den Raum, nur damit dieser unter einem Oberteil verschwindet. Ich sollte echt mal wieder aufräumen. Wenn ich es nicht mache, bricht Mum bestimmt irgendwann ihr Versprechen, nicht ungefragt hier reinzukommen und aufzuräumen. Aber morgen habe ich ja immer noch Zeit.

Ich werfe mich auf mein Bett und hole mein Handy aus meiner Hosentasche, mit dem ich Joshs Nummer wähle. Nach ein paar Mal Tüten geht dieser auch ran und im Hintergrund höre ich schon, dass er wieder Fifa spiel. Was denn auch sonst.

„Na Joshi, hast du schon schön deine Hausaufgaben gemacht?" „Bitte fang du nicht auch noch so an. Reicht mir schon, dass Nayla mir mit denen im Nacken sitzt." Ich kann mir förmlich denken, wie er in diesem Moment die Augen verdreht. „Wieso? Womit hat sie dir gedroht? Zwei Wochen kein Sex?" Leicht muss ich schmunzeln. Wäre nicht das erste Mal, dass sie damit droht und auch nicht das erste Mal, dass sie es wirklich durchzieht. „Nein schlimmer. Ich darf bei ihr die Hausaufgaben nicht mehr abschreiben."

„Wie dramatisch. Vielleicht lernst du dann auch mal was." „Ey, auf wessen Seite stehst du überhaupt? Wieso bin ich überhaupt mit dir befreundet, wenn du mir nicht einmal in Krisensituationen bei Seite stehen kannst." Ich weiß, dass er das als Scherz meint. Und er weiß es auch.

Da ich den Spielsound im Hintergrund nicht mehr höre schließe ich, dass er das Spiel pausiert hat und in mir keimt die Hoffnung, dass er sich jetzt doch vielleicht an die Hausaufgaben setzt. Aber diese Hoffnung wird gleich wieder zunichte gemacht, als ich das Quietschen seines Bettes höre.

„Übrigens, Chloe hat sich wieder gemeldet", erzähle ich und setze mich auf. Ich muss irgendwas machen. Als fange ich an, meine Klamotten alle in eine Ecke zu schmeißen. „Und? Was wollte sie?", ehrlich neugierig fragt mein bester Freund nach und wahrscheinlich hat er sich hingesetzt. „Das übliche halt. Dass ich ihr verzeihen soll. Dass sie einen Fehler begangen hat. Das Übliche halt."

Chloe. Meine Ex-Freundin. Meine große Liebe. Immer noch tut mein Herz weh bei dem Gedanken an sie. Auch wenn es mittlerweile knapp zwei Monate her ist. Ich werde wohl nie ihr verweintes Gesicht vergessen als sie mir gebeichtet hat, dass die Gerüchte über sie und Will war sind. Dass das wahr ist, was Will über sie beide erzählt. Ich werde nie vergessen, wie durch ihre Tränen sich das Makeup über ihr Gesicht verteilte. Ich nie ihren Gesichtsausdruck vergessen, den sie mir in diesem Augenblick geschenkt hat. Die großen, rot unterlaufenden Augen, die so viel Reue ausstrahlten, wie ich es noch nie zuvor gesehen hatte. Sie war ein Jahr jünger als ich und doch um so vieles Reife. Und bis vor zwei Monaten ging sie auch noch auf meine Schule.

Mit diesem Mädchen hatte ich fast jede freie Minute verbracht, nur um dann gesagt zu bekommen, dass sie mich, drei Tage bevor sie umziehen sollte, mit Will betrogen hat.

„Noah?" Ich höre etwas mitfühlendes aus seiner Stimme heraus. Etwas, was er nicht oft zeigt, es aber immer da ist, wenn man es braucht. „Du wirst ihr doch nicht verzeihen, oder?" Ich weiß, dass Joshua davor Angst hat. Dass sie es wieder macht und ich wieder in ein Loch falle, was ich lange Zeit nur mit Alkohol gestopft hatte. Aber wir wissen beide, dass das nicht passieren wird. Dafür bin ich zu nachtragend. „Du kennst mich", antworte ich ihm nur und ich weiß, dass er auch somit die Antwort kennt. So wie ich es ihm schon gefühlt unzählige Male geantwortet habe. Und es bleibt auch immer bei der gleichen Antwort. Da kann sie sonst was machen.

„Anderes Thema", lenke ich um. „Hat Nayla ihr Buch gefunden. Sie hat mir nicht mehr geantwortet." „Ja hat sie, nachdem ihre Eltern beim Direktor angetanzt sind. Sie hatte es unter einem ihrer Bücherstapel liegen." Grade als ich Antworten will, höre ich ein Poltern von drüben. Ein Blick aus dem Fenster verrät mir, dass es schon dunkel draußen geworden ist. „Warte kurz", murmle ich in das Handy und werfe es auf mein Bett, knapp an der Fernbedienung vorbei.

Irgendwas drängt mich dazu, nach ihr zu gucken. Ob alles okay ist. Auf leisen Füßen gehe ich zu der benachbarten Tür und klopfe vorsichtig an. Ich merke wie die Tür etwas nachgibt, als hätte dort bis grade noch einer dran gesessen. „Lexa? Ist alles okay?" Ich weiß nicht, warum ich das mache. Aber irgendwer muss es machen. Und ich bin nun mal der einzige hier. Als ich keine Antwort bekomme drücke ich die Klinke runter, aber nichts passiert. Abgeschlossen.

„Alles okay", höre ich leise eine gebrochene Stimme auf der anderen Seite der Tür, aber es kommt mir so vor, als wäre sie Meilen weit weg. Irgendwas ist doch da passiert. Wieder drücke ich die Klinge runter, aber wie zu erwarten passiert wieder nichts.

Ich kann ihr nicht helfen, wenn sie keine Hilfe will. Etwas niedergeschlagen gehe ich wieder in mein Zimmer zurück und betrachte den Wäscheberg, der sich jetzt neben meinem Schreibtisch befindet. Jetzt muss ich nur noch die Getränke irgendwie wegschaffen. Vielleicht könnte ich etwas für die nächste Party behalten oder wenn Josh nochmal kommt. Was definitiv früher oder später passieren will. Vielleicht kommt dann dieses Mal auch Nayla mit.

Leise vernehme ich eine Stimme, die wohl aus meinem Handy kommt. Der Junge führt wohl mal wieder Selbstgespräche. „Redest du mal wieder mit dir selbst?", scherze ich, nachdem ich wieder das Handy an mein Ohr halte. „Immer doch."

Kurz entsteht Ruhe und von draußen höre ich ein Pferd wiehern. „Was war los?", fragt der Junge am anderen Ende der Leitung. „Nichts Wichtiges. Wollte nur kurz nach Lexa sehen." „Du wirst ja noch richtig hier zum großen Bruder. Pass auf, dass du dich nicht in sie verliebst."

„Ach halt die Klappe. Erstens. Ich habe nur keine Lust, dass es nachher heißt, ich hätte mich nicht gekümmert. Ich muss ja jetzt mein restliches Leben mit ihr auskommen. Zweitest das wäre Inzest. Und drittens. Sie ist älter."

„Es wäre nur Inzest, wenn ihr verwand seid. Aber das seid ihr nicht."



„Du kommst nächsten Monat mit, oder?" „Du willst wieder zum See?", frage ich nach. „Ja so wie jedes Jahr. Wollte schon mal fragen, damit sich alle den Termin freihalten. Ich zähl auf dich." „Jaja." Lust habe ich eigentlich keine. Naja, jetzt noch nicht. Sobald es los geht ist die Motivation wieder voll da. „Außerdem. Alle? Wirklich jetzt. Sonst sind es doch nur noch Nayla und ihre Freundinnen und so wie ich die kenne, wird mindestens eine von den beiden nicht mitkommen." „Versuchen kann man es ja mal."

Ich stehe auf. Mir die Beine vertreten. Ich kann nicht lange sitzen. Ich muss irgendwas machen. Und wenn es nur stehen ist. Etwas gedankenverloren gehe ich zum Fenster, um es zu öffnen. Irgendwann ist die Luft hier drinnen auch nicht mehr atembar. Grade als ich mich wieder vom Fenster wegbewegen möchte, vernehme ich ein Bewegung. Als ich genauer hinsehe, erkenne ich Lexa, die vorsichtig aus ihrem Fenster, auf das kleine Vordach klettert und schließlich leise runter in den Garten.

„Josh? Wir sehen uns morgen", murmle ich. Nichts anzufangen mit der Situation die sich grade vor mir bietet. Was will sie um diese Uhrzeit draußen? Und warum rennt sie von unserem Haus weg. Soll ich das meinen Eltern sagen? Theoretisch kann ich das ja morgen immer noch machen, falls sie nicht da ist.

„Was ist los?", Josh merkt das irgendwas nicht stimmt. „Lexa ist grade aus dem Fenster geklettert", antworte ich ihm kurz, bevor ich schließlich auflege und der Bildschirm schwarz wird.



°Feedback? Bin total unzufrieden mit dem Kapitel but nvm. Das nächste Kapitel wird wieder was länger c:

Wir lernen ein bisschen was über Noahs "Vergangenheit". Was haltet ihr davon?°


Wörter: 1651

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