Kapitel 28: "Nicht hier."
Noah
„Okay, vielen Dank." Ein künstliches Lächeln liegt auf James Lippen, auch wenn die Person am anderen Ende der Leitung es nicht sehen kann.
„Wen rufen wir als nächstes an?" „Glaubst du nicht, dass es für heute reicht?", redet mit James ins Gewissen und streicht sich Müde übers Gesicht. „Sie kommt alleine klar." Das weiß ich und trotzdem glaube ich nicht, dass ich auch nur eine weitere schlaflose Nacht überstehe. „Nur noch einen", biete ich ihm an, weiß aber, dass es hoffnungslos ist. Die Wahrscheinlichkeit liegt bei null, dass wir wen finden, der sie auch nur ansatzweise gesehen hat.
„Nur noch einen", bestätigt er mir und nimmt sich die Nummer, die wir grade bekommen haben. Spencer Sors steht in unsauberer Schrift unten drunter.
Er setzt sich wieder auf den Schreibtischstuhl und tippt die Nummer ins Telefon ein. Ebenfalls müde setze ich mich aufs Bett. Mittlerweile ist es 11 Uhr abends und wir haben heute nichts anderes gemacht, als Leute anzurufen. Wurden von einer Nummer zur nächsten geschickt, wenn überhaupt jemand dran gegangen ist.
Und so langsam habe ich die Hoffnung aufgebeben. Und trotzdem warte ich gespannt auf eine Regung in seinem Gesicht. Warte, dass jemand am anderen Ende der Leitung an wartet. Aber stattdessen geht die Zeit im Schneckentempo voran. Ungeduldig wippe ich mit meinem Knie auf und ab und so sehr ich mir auch einrede, dass er sie nicht gesehen hat und keine Erwartungen haben soll, so habe ich sie doch.
„Hallo?" James setzt sich auf und guckt mich an. Meine Augen hängen an seinen Lippen. „Spreche ich mit Spencer Sors?" Die Worte hängen ohrenbetäubend laut in der Luft. Hastig versuche ich zu hören, was von der anderen Seite kommt. Aber ich habe nun mal kein gutes Gehör.
„Okay, Hey. Ich bin James. Ich weiß gar nicht mehr, wie viele ich schon angerufen habe." Der Blick meines Gegenübers erhellt sich als er redet, fast schon, als könnte Spencer ihn sehen und wir im gleichen Raum sitzen.
„Über hundert Umwege von Bekannten und Unbekannten." Ich wünsche mir nichts so sehr, als hören zu können, was auf der anderen Seite gesagt wird. „Ich suche jemanden. Nicht auf die Art wie du vermutlich denkst. Die Schwester von meinem besten Freund ist weggelaufen und jetzt rufe ich jeden an, der sie vielleicht gesehen hat." Noch immer bin ich nicht Fan davon, dass er so offen damit umgeht. Was ist, wenn er die falsche Person anruft. Wenn ich sie dadurch noch weiter in Schwierigkeiten gerät. Was ist, wenn wir das alles nur noch schlimmer machen?
Aber er hat mir versichert, dass wir nur Leute anrufen, die in einer ähnlichen Situation sind. „Lexa. Sie hat kurz braune Haare." Kurz will ich widersprechen, dass sie lange Haare hat, aber dem ist nicht mehr so.
Mein Handy vibriert und auf dem Display erscheint die Frage von Josh, ob wir sie mittlerweile gefunden habe. Aber ich ignoriere es. Aber ich weiß, dass er es mir nicht böse nimmt. Auch weiß er, welche lügen ich Nayla und meinen Eltern erzählt habe. Und auch wenn er nicht begeistert davon ist, seine Freundin anzulügen, spielt er mit.
„Ihr Bruder hat scheiße gebaut." Wütend werfe ich ihn mit einem Kissen ab, was er aber gekonnt fängt. „Was? Ist doch so?" Leicht belustigt funkelt er mich an. Was ich jedoch nicht erwidern kann. Es ist nicht, dass er sagt, dass ich Scheiße gebaut habe. Denn das habe ich. Vielmehr stört mich die Aussage Bruder. So sehr es meine Eltern auch wollen, ich bin nicht ihr Bruder und werde es in ihren Augen auch niemals sein.
Sekundenlang, die sich wie Kaugummi ziehe, ist es still und auch James zuckt mit den Schultern. Grade als ich nachfragen will, was los ist, erhellt sich sein Blick und wie von der Tarantel gestochen steht er auf.
„Und wo hast du sie gesehen?" Er hat sie gesehen. Er hat sie wirklich gesehen. Sie ist noch irgendwo da draußen. Er hat das unmögliche möglich gemacht. Auch ich setze mich weiter auf.
„Ist das dein Ernst?" Ruckartig dreht er seinen Kopf zu mir. „Sie ist dort", informiert er mich und ehe ich mich versehen kann, habe ich James das Handy aus der Hand gerissen.
„Geht's ihr gut?" Kurz ist es auf der anderen Seite still und fast glaube ich, ich habe aus Versehen aufgelegt. „Du musst dann wohl Noah sein." Die tiefe Stimme überrascht mich etwas.
„Ja genau, also geht's ihr gut?" Hörbar atmet mein Gesprächspartner aus. „Abgesehen von ein paar Kratzern, ja ich denke schon." Erleichtert atme ich aus. Es geht ihr gut. Sie ist in Sicherheit. Zwar bei fremden, aber sie kann auf sich aufpassen.
„Kann ich mit ihr reden?" Ich muss mit ihr reden. Sagen, dass es mir leidtut. Ihr meine Situation beschreiben. Erklären wieso. Wieso ich getan habe, was ich getan habe. Aber seine Stille beunruhigt mich.
Förmlich kann ich mir denken, wie sie irgendwo sitzt, die Beine an ihrem Körper und ihn anstarrend. James starrt mich erwartungsvoll an und kurz frage ich mich, ob er nicht hören kann, was Spencer sagt, aber anscheinend nicht. Sonst würde er mich nicht so anschauen.
„Ich glaube nicht, dass das so eine gute Idee wäre." Diese Worte treffen mich nicht so hart, wie ich erwartet habe. Vielmehr habe ich mit solchen Worten gerechnet. Im Gegensatz zu James, hört sie mich wahrscheinlich. „Sag ihr, dass es mir leidtut. Dass sie jederzeit zurückkommen kann." Bewusst spreche ich zu Spencer. Sie soll entscheiden, was sie aus diesen Worten macht.
„Ach und sag ihr, dass Oliva denkt, sie ist bei Nayla." Sie soll wissen, dass ich sie decke. Dass ich das alles nicht noch schlimmer machen möchte. Sie soll sich sicherfühlen zurückzukommen. „Ich richte es ihr aus", gibt mein Gesprächspartner zurück und legt auf. Kurz verweile ich in der Position und halte mir nur mein Handy ans Ohr, bevor ich es langsam sinken lasse. „Wir haben sie gefunden", spreche ich das aus, was heute Morgen noch unmöglich erschien. „Wir haben sie gefunden", bestätigt James. „Und was machen wir jetzt?" Wird sie zurückkommen? Will sie überhaupt zurückkommen? „Jetzt warten wir. Sie braucht jetzt erstmal ruhe. Und wenn sie bereit dazu ist, wird sie schon kommen. Sie weiß, dass sie nicht einfach von hier wegbleiben kann." „Wie kannst du dir da so sicher sein?" Kurzgebunden steht er auf und greift nach der Jacke, die auf dem Bett liegt. „Weil das letzte, was sie will, ist eine Vermisstenanzeige und Aufmerksamkeit von den falschen Leuten. Sie wird also früher oder später hier auftauchen und wenn was ist, wird Spencer bestimmt anrufen."
„Du wirkst schon fast so, als wäre das hier Gewohnheit."
Er wirft sich die Jacke über die Schulter und starrt mich an. „Irgendwann gewöhnt man sich an das ganze und hält das für Normalität. Auch wenn es nicht normal sein sollte."
Grade als ich ihn fragen will, ob er sowas oft macht, kommt er mir dazwischen. „Denkt nicht zu viel drüber nach. Ihr geht es gut und wenn sie nicht gefunden werden wollte, dann hätten wir das auch nicht. Versuch sie einfach weiter bei deinen Eltern zu decken." Grade als er die Türklinke runterdrücken will, stehe ich auf und halte ihn auf. „Und was ist mit Nayla?" „Was soll mit ihr sein?"
„Josh weiß es. Sie wird fragen stellen. Wir können sie nicht Ewigkeiten anlügen. Sie hat das Recht, es zu erfahren. Sie ist unsere Freundin."
„Noah." Eindringlich starrt er von oben auf mich herab und erneut frage ich mich was er für ein Tier ist. Ob er mich einfach besiegen könnte. Aber das könnte er auch, wenn kein Tier in ihm steckt. Er ist nicht umsonst unser Captain.
„Niemand hatte das recht, es zu erfahren. Selbst du nicht. Und so gerne ich dich auch habe, du solltest es selbst jetzt nicht wissen. Also lass Nayla da raus und auch Josh, soweit wie es nur geht. Du bringst sie sonst nur noch weiter in Gefahr. Hast du das verstanden? Lass mich das regeln."
Ohne etwas zu sagen, nicke ich. Ich weiß das er recht hat und trotzdem liegt es mir wie ein Stein auf dem Herzen, bei dem Gedanken, Nayla noch weiter zu belügen. „Also wenn sie sich bis morgen nicht meldet, fahre ich ihn und rede mit ihr. Aber du musst ihr Zeit geben. Okay?"
Erneut ein Nicken. „Gut. Dann sehen wir uns morgen in der Schule. Verhalt dich normal, deck sie, mach dir nicht zu viele Gedanken." Redet er weiter, wobei letzteres eher wie ein Befehl klingt.
Und so verlässt er das Haus. Vermutlich hätte ich ihm anbieten sollen, ihn nach Hause zu fahren, aber er hätte sowieso abgelehnt. Also bleibe ich zurück in meinem Zimmer und starre auf Lexas Handy, was auf dem Schreibtisch liegt.
Ich sollte Mason bescheid geben, dass wir sie gefunden haben, aber da ich ihren Code noch immer nicht weiß, kann ich nichts anderes machen als abzuwarten, dass noch einmal anruft. Kann nichts weiter machen, als hier in der Stille zu sitzen. Kann nichts weiter machen, als morgen in die Schule zu gehen und so zu tun, als wäre alles okay. Ich bin hilflos und kann nichts machen. Und das ist alleine meine Schuld.
Am nächsten Tag läuft alles so ab wie immer und beinahe kommt es mir so vor, als wäre Lexa nie hier gewesen. Wir Frühstücken zusammen und ich hole Josh ab. Kein einziges Mal wird nach ihr gefragt. Fast schon gruselig nimmt alles seinen Lauf. Selbst in der Schule wird ihr Name kein einziges Mal in den Mund genommen. Der Unterricht läuft wie immer und selbst James verhält sich so, als wäre nie etwas gewesen. Als hätte jemand die Zeit zurückgedreht und die letzten Wochen wären ein einziger Traum gewesen. Und trotzdem liegt etwas betrübendes in der Luft. Etwas was man nicht greifen kann. Etwas was man nicht beschreiben kann. Etwas, dem jeder ausweicht und sich lieber unauffällig verhält.
Jeder außer Nayla. Fast schon zwanghaft heftete sie sich an meine Fersen und folgt mir den Tag über. Seltsamerweise setzte sie sich auch in der Cafeteria an unseren Tisch, was alle nur verwundert dreinschauen lässt. Aber niemand sagte ein Wort. Auch sie nicht. Aber ich weiß was sie will. Und Josh weiß das auch. Immer wieder warf er mir fragende oder auffordernde Blicke zu, welchen ich aber gekonnt auswich.
Und auch von meinen anderen Freunden blieb ich nicht von Blicken verschont. James tat alles dafür, dass die Aufmerksamkeit bei ihm liegen blieb. Er besprach das nächste Training und das Spiel. Besprach, dass die nächste Party bei ihm stattfinden würde. Und trotzdem waren die Augen im Augenwinkel noch immer auf mich gerichtet. Schon damals wie bei Chloe, als alle Angst hatten, sie würden was falsches Sagen und deswegen lieber schwiegen. Damals war es gut so. Sie haben mich zu nichts gedrängt. Jetzt ging es mir mehr auf die Nerven. Sie wussten das etwas nicht stimmte und ich war froh, dass Josh die Klappe hielt.
„Ich hab dir doch gesagt, dass sie Mason besucht." Genervt schlage ich meinen Spind zu und sehe Naylas erwartungsvollen Blick vor mir. „Und ich weiß, dass ihr mich anlügt und du bist echt schlecht im Lügen." „Wieso kannst du es nicht einfach darauf beruhen lassen."
Mit dem Rucksack auf den Schultern stiefle ich Richtung Ausgang. Mit schnellen Schritten holt sie mich ein und drückt vor mir die Türe auf. „Weil ich es nicht leiden, kann, wenn wir Geheimnisse voreinander haben."
Von weitem sehe ich schon wie Josh an meinem Auto lehnt und zu uns rüber guckt. Naylas Haare wippen auf und ab als wir die Treppe runter gehen und sie sich vor mich stellt. „Wir sind seit Jahren beste Freunde. Seit wann haben wir Geheimnisse voreinander?" Und sie hat recht. Wir hatten noch nie Geheimnisse voreinander.
Bedrückt sehe ich sie an und schüttle kurz dem Kopf. „Ich kann echt nicht." Mit diesen Worten drücke ich mich an ihr vorbei und höre leise ihre Schritte, die mir folgen.
„Dann sag mir wenigstens, ob es ihr gut geht." „Ihr geht es gut." Zumindest denke ich das. „Steckt sie in Schwierigkeiten?" Kurz bleibe ich stehen und schließe mein Auto auf und starre Josh an, der uns noch immer mustert. Kurz zuckt er mit den Schultern und dreht sich zu seiner Freundin um, die ihn nur wütend mustert. „Ihr geht es gut." „Schön, dann eben nicht." Kurz sieht sie uns nochmal in die Augen, bevor sie sich umdreht und geht. „Wohin gehst du?", ruft ihr Josh hinterher. Auch ich starre ihr hinterher. „Wo nach sieht es denn aus? Ich gehe."
Ein kurzer Augenkontakt mit Josh reicht, um uns zu verstehe, dass wir das nicht machen können. Dafür ist der Weg zu weit. Und sie würde uns das dann doppelt übelnehmen.
„Nayla, das kannst du nicht machen", schreit ihr Freund ihr hinterher, aber sie zeigt nur den Mittelfinger in die Luft und geht schnurstracks weiter. „Jetzt steig schon ein, der Weg ist viel zu weit", versuche ich es ebenfalls, aber mich ignoriert sie, im Gegensatz zu ihrem Freund. Kurzum drücke ich Josh meine Autoschlüssel in die Hand, lasse meine Rucksack fallen und jogge ihr die wenigen Meter hinterher, nur um vor ihr stehen zu bleiben. Ich habe mit einer wütenden Nayla gerechnet. Oder einer Gleichgültigen. Habe damit gerechnet, dass sie mich schlägt, anschreit oder mich ignoriert und einfach weiter geht. Aber bestimmt habe ich nicht damit gerechnet, dass sie weint.
Und das überfordert mich. Nayla weint nicht. Sie weint nicht. Nicht als sie vom Klettergerüst gefallen ist und sich den Arm verstaucht hat. Nicht als wir uns mitten im nirgendwo verlaufen haben und bestimmt nicht wegen einem Streit, so ist Nayla nicht. Das letzte mal als sie geweint hat, waren wir in der Grundschule und sie wurde geärgert.
Ich sollte irgendwas sagen. Aber ich kann nicht. Mit einer kurzen Bewegung wischt sie sich die Träne von der Wange und starrt mich an. „Wieso verheimlichst du mir, was mit ihr ist. Sie ist auch meine Freundin." Das Lexa das wahrscheinlich anders sieht, verheimliche ich ihr. Erneut.
„Ich kann echt nicht-", beginne ich, aber sie unterbricht mich. „Ich bin nicht mehr lange da und ich will nicht, dass wir die letzten Wochen mit Geheimnissen und Streitigkeiten verbringen." Und sie hat recht. Lexa ist mir in den letzten Wochen wichtig geworden und James... ist halt James. Aber das ist Nayla. Meine beste Freundin. Wir sagen uns alles. Alles was in unserem Leben abgeht und was uns betrifft und bisher hat sie noch nie etwas weitergesagt. Wer weiß, wann und ob Lexa wieder auftaucht und mehr als umbringen kann James mich nicht.
„Nicht hier."
°Feedback?! Finally kommt nochmal was. Will das Ding jetzt bald endlich mal beenden. Was denkt ihr, trifft Noah die richtige Entscheidung? Und wann glaubt ihr, schaffe ich es, dass nächste Kapitel zu schreiben? Wer weiß, wer weiß.°
Wörter: 2378
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