Kapitel 26: „Außerdem schulde ich dir was"

Noah

Gerädert schlürfe ich über den Schulgang, der heute noch voller wirkt als sonst. Es hat zur Pause geklingelt und alle versuchen irgendwie einen Platz in der Cafeteria zu bekommen. Josh bin ich den ganzen Tag schon erfolgreich aus dem Weg gegangen, aber ich weiß, dass ich irgendwann, spätestens am Tisch, mit ihm reden muss. Ihm verklickern, dass er es niemanden sagen darf. Sonst wird Lexa nie zurückkommen, wenn sie überhaupt zurückkommt.

Aus dem Nichts heraus, werde ich am Arm gepackt und in einen Klassenraum gezerrt. Kurz schwelgt die Hoffnung in mir, dass es Lexa ist, die Reden will, aber die Hoffungsblase zerplatzt sofort, als ich meinen besten Freund vor mir erkenne.

„Glaubst du ich merke nicht, wie du mir aus dem Weg gehst?" Sauer starrt er mich an und ebenfalls wütend schmeiße ich die Tür mit einem lauten Knall zu, wodurch er leicht zusammenzuckt.

„Du machst mir Vorwürfe? Ich hab dir vertraut, Mann. Und was machst du, rennst sofort zu Lexa?"

„Es tut mir ja leid. Aber was glaubst du? Dass man dir diese Story sofort abnimmt? Weißt du eigentlich, wie lächerlich das geklungen hat?", macht er mir nun erneut Vorwürfe und schmeißt die Arme in die Luft.


„Das ist aber noch lange kein Grund, einfach so ein Geheimnis auszuplaudern." Auch wenn ich noch immer sauer auf ihn bin, so kann ich es doch auf eine gewisse Art nachvollziehen.

„Toll und was soll ich jetzt deiner Meinung nach machen?", will er von mir wissen, was mich aus dem Konzept bring. Ich weiß ja noch nicht einmal, was ich jetzt machen soll, da kann ich ihm doch nicht sagen, was er zu tun hat.

„Super, da hast du auch keine Antwort drauf." Auch wenn ein genervter Unterton mitschwingt, weiß ich, dass er es nicht so meint. Das ist seine Art, um mit Stress umzugehen.

„Hast du es denn wenigstens nicht weitererzählt?" Lenke ich das Thema in eine andere Richtung, woraufhin er den Kopf schüttelt. „Nein, auch wenn ich der Meinung bin, dass Nayla die Wahrheit verdient hat." „Und wieso?"

„Aus dem gleichen Grund wie ich. Sie ist deine beste Freundin. Meine feste Freundin. Wir lügen uns nicht an. Das haben wir uns immer geschworen."

„Lass mich erstmal darüber nachdenken." Überfordert stütze ich mich an einen Tisch und starre Josh an, der an der Wand lehnt.

„Ist sie denn wenigstens wieder aufgetaucht?", will er weiterwissen, woraufhin ich resigniert den Kopf schüttle. „Nein und ich habe auch keine Ahnung, wo sie steckt."

„Was ist mit deinen Eltern?" „Die wissen davon nichts", gebe ich wieder. „Ich versuche sie so lange mit Lügen am Ball zu halten, bis Lexa wieder auftaucht", erkläre ich meinen Plan, der schon dazu verdammt ist, zu scheitern.

Zweifelnd sieht er mich an und alleine an seinem Blick kann ich deuten, dass der Plan nicht funktionieren wird. Aber irgendwo muss man doch Hoffnung schöpfen.

„Lass in die Cafeteria. Die anderen Fragen sich bestimmt schon, wo wir bleiben", schlägt mein Gegenüber vor und seufzend erhebe ich mich. Solange die nicht auch nicht Fragen stellen, wird alles gut.



Wartend stehe ich am Treppengeländer und frage mich, wo Nayla mal wieder bleibt. Das Josh nicht kommt, ist klar, nachdem er mal wieder Nachsitzen muss.

Grade als die Tür von der Schule aufschwingt und ich fragen will, was so lange gebraucht hat, steht James plötzlich vor mir. Einer der wenigen Personen, die ich momentan nicht sehen will. Vor allem nicht allein. Vielleicht liegt es an den Lügen oder an der Tatsache, dass ich dann die Sache mit Lexa beichten muss.

Sobald er mich erblickt, bleibt er kurz stehen, kramt in seiner Hosentasche und holt gestresst eine Zigarette heraus.

Eine typische Sache, die er macht, wenn er nicht gut drauf oder gestresst ist. „Komm", bittet er mich und ohne zu murren folge ich ihm, sodass ich schon bald neben ihm laufe und den Qualm ins Gesicht bekomme. Aber das stört mich nicht. In einer gewissen Weise habe ich das verdient.

„Wo ist Lexa?", frag er nach einer unendlich langen Stille und kurz stutze ich. Ich dachte, er würde es längst wissen. „Nicht da", erwidere ich nur und starre auf das Krebsbringende Objekt in seiner Hand mit dem Gedanken spielend, auch einmal dran zu ziehen. Aber die Phase habe ich hinter mir.

An der Mauer, in der der Zigaretten-Eimer steht, bleiben wir stehen und von hier kann man den gesamten Schulhof überblicken. Genüsslich atmet er wieder aus und kurz bezweifle ich, dass es eine einfache Zigarette ist. Aber das würde er nicht machen. Nicht hier in der Schule und schon gar nicht, wenn fremde Menschen ihn sehen können.

Ich weiß nicht genau, was er will. Was er hören will, damit er zufrieden ist. Ob ich ihm überhaupt eine Erklärung schuldig bin. Aber er ist der Einzige, der die Sache mit Lexa eventuell noch richten kann. Er ist der Einzige, der weiß, was zu tun ist.

„Also?" Leicht starrt er auf mich herunter und sofort fühle ich mich eingeschüchtert, auch wenn ich keinen Grund dazu habe. Wahrscheinlich liegt es einfach daran, dass er fast doppelt so breit ist wie ich.

„Ich hab scheiße gebaut", gestehe ich, fixiere mich aber auf das Gebäude. Vielleicht kommt Nayla ja doch zu meiner Rettung. Er fährt sich einmal durch die Haare, bevor er mich an der Schulter umdreht und mich dazu zwingt, ihm in seine durchdringenden Augen zu schauen, die zu schmalen schlitzen verformt sind.

„Was hast du gemacht?" „Ich hab's Josh erzählt." Missmutig reiße ich mich aus seinem Griff. „Bitte sag mir, dass du lügst. Das ist nichts zum Scherzen."

„Ich lüge nicht. Und jetzt ist sie weg. Keine Ahnung, wo sie hingelaufen ist." Eine Ewigkeit sagt er nichts. Löst sich von mir. Raucht nur weiter Zigarette und mit jeder Sekunde werde ich nervöser, was er als nächstes macht.

„Du hättest es niemals erfahren dürfen", spricht er schließlich." „Wieso? Reicht ja schon, dass du uns all die Jahre angelogen hast", kreide ich ihn an.

Seine Augen verengen erneut sich zu schlitzen und unruhig atmet er aus. Sofort bereue ich meine Aussage. Alleine was Lexa mir erzählt hat, ist schon Grund genug, es niemanden zu sagen.

„Du hast keine Ahnung, was alles dahintersteckt. Was es für Probleme bringt, wenn du es weißt. Du weißt gar nicht, wen du alles damit in Gefahr bringst und was du alles zum Einsturz bringen könntest." Er ist sauer und mit dieser Energie drückt er auch seinen Krebsbringer aus.

„Ich ruf mal ein paar Leute an. Vielleicht hat ja irgendwer was von ihr gesehen oder gehört", bietet er an und setzt sich in Bewegung.

Im Augenwinkel sehe ich, wie Nayla die Treppe runterkommt, aber ich gehe James die paar Schritte hinterher. „Wieso?" „Wieso was?" Unverständlich schaut er mich an. „Wieso hilfst du mir? Wieso hilfst du Lexa? Sie ist eine Ausgestoßene, sollte es dir nicht eigentlich egal sein? Du kennst sie doch kaum."

Offensichtlich hadert er mit sich und in diesem Augenblick merke ich, dass da noch viel mehr hinter steckt, als er zugeben möchte.

„Ich konnte anderen nicht helfen. Aber ich kann ihr helfen." Er macht eine Pause, wählt seine nächsten Worte bewusst. „Außerdem schulde ich dir was", gesteht er.

Fieberhaft überlege ich. Ich habe ihm noch nie einen Gefallen getan. Er schuldet mir nichts. Das hat er noch nie. Er schuldet nie jemanden irgendwas was. Darauf hat er immer geachtet.

„Tust du nicht", widerspreche ich ihm und leicht muss er schmunzeln. „Doch Noah. Glaub mir. Irgendwann wirst du es verstehen. Dann wirst du sauer auf mich sein, aber du wirst es verstehen. Außerdem sind Freunde doch dafür da." Mit einem Kopfnicken deutet er hinter mich, woraufhin ich mich zu dem schwarzhaarigen Mädchen umdrehe, die mit verschränkten Armen auf mich wartet.

„Ich glaube, du hast noch was vor. Wir sehen uns morgen", verabschiedet er sich und ohne das ich noch weiter darauf eingehen kann, verschwindet er, sodass ich mich umdrehe und zu meiner besten Freundin gehe.

„Was hat so lange gedauert?" „Mrs. Batchelor wollte noch mit mir über die diese Geschichte geredet", erinnert sie mich an unsere Langzeitaufgabe. „Ach stimmt, da war ja was", gebe ich nüchtern von mir, immer noch rätselnd, was James meint.

Ich schließe das Auto auf und sie setzt sich auf den Beifahrersitz. „Aber jetzt sag mal. Wo ist Lexa. Josh wollte nichts sagen." Wir lügen uns nicht an. Das ist unser Versprechen. Und doch haben wir beide dieses Versprechen schon gebrochen.

„Sie ist nicht da." Ich setze das Auto in Bewegung und fahre in ihre Richtung. „Du gehst ins Ausland", berichte ich, dass ich diese Neuigkeit mittlerweile auch weiß. „Josh hat's dir gesagt." Zustimmend nicke ich, kann aber die angespannte Luft in der Luft nicht ignorieren, weshalb ich das Radio etwas lauter mache und einer von Joshs Liedern darin erscheint.

„Hör mal Noah. Ich wollte es dir ja sagen, aber ich wusste nicht wie", entschuldigt sie sich und ich kann ihr deswegen nicht böse sein. Dafür verstehe ich sie zu gut. Und wer lügt heutzutage nicht, um andere nicht zu verletzten?

„Alles cool." Kurz schenke ich ihr ein ehrliches Lächeln, was sie beruhigt aufseufzen lässt. „Ausland also? Freust du dich?" „Und wie, aber werde euch schon ziemlich vermissen", gibt sie zu. „Ach du verpasst doch nichts. Hier passiert doch nie etwas spannendes", lüge ich sie an und muss nur einmal daran denken, was für eine komplett neue Welt sich mir in den letzten Tagen eröffnet hat.

„Wohin geht's denn?" „USA. Irgendwo an die Westküste", erzählt sie mir verträumt. Palmen. Sonne. Stand. Meer. Dafür würde ich auch manchmal gerne mein Leben eintauschen.

„Was ist eigentlich mit Lexa?" „Sie besucht für ein paar Tage einen alten Freund", lüge ich und schlechtes Gewissen erfüllt mich. Wenn sie jemals rausfinde, dass ich sie so angelogen habe, wird sie mir das niemals verzeihen.

„Hätte nicht gedacht, dass sie noch Freunde von früher hat." Wir biegen in ihre Straße ein und ich bleibe vor ihrem Haus stehen. „Ich auch nicht." Und ignoriere mein schweres Herz sich über meinen Körper ausbreitet.

Bevor sie aussteigt, dreht sie sich zu mir um. „Ich weiß das du lügst. Und bevor du dich jetzt rausredest. Ich weiß, wann du lügst. Und ich weiß auch, dass Josh mir irgendwas verheimlicht. Aber ich vertraue euch und hoffe einfach nur, dass ihr nicht in Schwierigkeiten steckt." Eindringlich sieht sie mich an und kurzgebunden nicke ich ihr zu, als Zeichen, dass ich verstanden habe.

Schlussendlich umarmt sie mich kurz und steigt aus, nur um mir noch ein vielsagenden Blick zuzuwerfen.



„Die beiden scheinen sich ja echt gut zu verstehen." Vom ganzem Herzen lächelt meine Mum mich an und streichelt nebenbei Moritz, der an unseren Beinen herumschwirrt. Ich bringe nur ein gequältes Lächeln hervor.

„Ja, Lexa wollte ein paar Tage dort übernachten. Wegen einem Schulprojekt", lüge ich und streichle Max. Ihr lächelt verschwindet und kurz wird ihr Blick traurig. „Was ist los?" Liebevoll bedecke ich ihre Hand mit einer und male kleine Kreise drauf. „Glaubst du, es gefällt ihr hier? Ob sie mir vertraut?" Ich will meine Mum nicht traurig machen, aber es ist die einzige Ausrede, die mir auf die schnelle Einfällt, die sie am wenigsten Verletzt.

„Ihr gefällt es hier und das Projekt ist spontan dazwischengekommen", pflichte ich ihr bei, wodurch sich einer ihrer Mundwinkel anhebt.

„Du bist ein guter Bruder, weißt du das?" Da wäre ich mir nicht ganz so sicher. Ich bin schließlich schuld, dass sie weg ist. Und ich bezweifle stark, dass sie mich auch nur ansatzweise eines Tages Bruder nennen wird.

Kurz wuschelt sie mir einmal durchs Haar. „Ich sollte mal das Abendessen machen", erklärt sie ihr Vorhaben und erhebt sich vom Sofa.

Kurz spitze ich auf Lexas Handy, welches ich wie ein gut behüteter Schatz, in meiner Hosentasche habe und sehe die Nachrichten von Puma. 31 ungelesene Nachrichten. 19 verpasste Anrufe.

Grade als ich es wieder wegstecken möchte, wird ein neuer Anruf durchgestellt. Ohne groß zu überlegen, nehme ich ihn an und verlasse schnellen Schrittes das Wohnzimmer in Richtung Obergeschoss.

„Lexa. Oh mein Gott. Endlich. Was ist-" „Hier ist nicht Lexa", unterbreche ich ihn und verschließe mein Zimmer. Meine Stimme ist kaum mehr als ein Hauchen, was im Gegensatz zu seiner lustig klingt. „Und er ist dann da und wieso hast du Lexas Handy." Auch wenn es kaum möglich ist, so scheint es, als wäre seine Stimme noch um ein paar Oktaven gesunken und bedrohlicher geworden. „Hier ist Noah." „Noah. Wie in?" „Noah Walker. Adoptivbruder." Ich spreche das Wort vorsichtig aus, da ich ganz genau weiß, wie sehr sie das Wort hasst.

„Das klärt aber noch nicht meine Frage, wieso du ihr Handy hast. Ist ihr irgendwas passiert?" Zum Ende hin wird seine Stimme leicht panisch, was er irgendwie versucht zu überspielen. Ich schaue nach draußen, in der Hoffnung, dass sie genau in diesem Augenblick wieder zurückkommt. Aber dem ist nicht so.

„Nein nicht so wirklich. Sie ist weggelaufen und hat ihr Handy hier vergessen." Es würde sich nicht richtig anfühlen, ihn anzulügen oder ihm im ungewissen zu lassen. Er ist schließlich Lexas bester Freund. Oder was auch immer da abgeht.

Dann herrscht Stille und kurz bezweifle ich, ob er überhaupt noch dran ist oder ob er schon zum nächsten Flughafen gerannt ist.

„Was ist passiert?" Er hat diesen gefährlichen Unterton, der mir sagt, dass ihn jetzt lieber nicht anlügen sollte. Kurz wäge ich ab, ob ich es nicht vielleicht doch machen soll. Er würde so oder so sauer auf mich sein.

„Sie hats mir gezwungener Maßen erzählt und ich hab's meinem besten Freund gesagt", gestehe ich und bete, dass ich richtig mit der Annahme liege, dass er auch ein Anomolis ist. Sonst wäre ich noch mehr im Arsch.

„Aber es fragt schon jemand rum, ob sie einer gesehen hat", füge ich hastig an. Dann ist es wieder still und man hört nur sein schweres Atmen. Ich weiß nicht, was ich noch sagen soll, also bleibe ich ebenfalls still, bevor ich die Situation noch schlimmer mache.

„Wenn du irgendwas Neues hörst, ruf mich an, okay? Ich guck was ich von hier aus anrichten kann." Ehe ich ihm sagen kann, dass ich seine Nummer gar nicht habe und Lexas Handy gesperrt ist, legt er auf. 



°Feedback? Hm... was könnte James wohl nur gemeint haben? Und was hat er wohl vor?°

Wörter: 2346

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