Kapitel 11: "Wo warst du?"
Lexa
Normalerweise müsste man meinen, dass es hier still ist. Dass man seine absolute Ruhe hier hat. Und in manchen seltenen Augenblicken ist das auch so. Dann ist kein Vogel am Himmel. Kein Insekt im Baum und kein Tier am Boden. Aber diese Augenblicke sind selten. Selten und kostbar.
Heute ist nicht so ein Tag. Die Sonne brennt, trotz der Blätter, auf meinem Fell und die Vögel fliegen ihren Weg durch die kühlen Lüfte. Ebenso wie sich die Hufen eines Pferdes ihren Weg über den heißen Sandboden suchen. Ein Pferd? Heute sind keine Gruppen unterwegs. Das wüsste ich. Als ich mich umgucke, erkenne ich wie Noah auf mich zugeritten kommt und etwas hilflos durch die Gegend guckt. Was will der denn jetzt hier? Hat er mich aus dem Fenster klettern sehen? Eigentlich nicht. Und wenn doch, wieso sollte er mir folgen?
Vor dem Baum bleibt er stehen. Geschützt durch die dichte Blätterkrone, blicke ich herunter und kann spüren, wie sein Pferd immer nervöser wird. Super. Also habe ich einen zu neugierigen Jungen. Ein nervöses Pferd und keine Möglichkeit zu fliehen. Es bleibt mir keine andere Möglichkeit als hier oben zu bleiben und abzuwarten.
Eine Bewegung lässt mich von ihm wegsehen. Für einen Wimpernschlag wahr zu nehmen. Eine Bewegung im Busch. Vorsichtig stehe ich auf. Spitze die Ohren. Irgendwas ist dort. Etwas, dass nicht freundlich gesinnt ist. Sonst würde es bei dem Anblick des Pferdes flüchten. Wobei das Pferd die Geräusche wohl auch vernommen hat.
Es steigt. Noah, der wohl von dieser Bewegung überrumpelt wurde, fällt von ihm runter und bleibt für eine Sekunde liegen. Eine Sekunde, in der er sich nicht bewegt. Eine Sekunde, in der er nicht atmet und auch sein Herz kurz aussetzt. Eine Sekunde, in der ich überlege, mich zu verwandeln und zu ihm zu gehen. Eine Sekunde die sich in die Ewigkeit zieht.
Er bleibt regungslos liegen, während sein Pferd das Weite sucht. Dann richtet er sich langsam auf. Gibt ein stöhnen von sich und erleichtert atme ich aus. Ihm geht es also so weit gut. Eine kleine Staubschicht hat sich auf ihm gebildet, die er mit Leichtigkeit von sich abklopft.
Das Rascheln im Busch lenkt meinen Blick von ihm weg. Egal was dort ist, es hat Noah im Visier. Und wahrscheinlich hat es Hunger. Egal was dort ist, Noah hat keine Chance. Und einen Toten Stiefbruder kann ich jetzt auch nicht gebrauchen. Dann heißt es 'ganz schnell zurück ins Heim'. Aber besser als mit dieser freien Fläche kann ich es nicht treffen. Sonst schicken sie mich wahrscheinlich wieder in irgendeine Großstadt.
Langsam geht der braun haarige Junge Richtung des raschelnden Gebüschs. Ist der komplett leichtsinnig? Oder er ist lebensmüde. Wieso rennt er nicht weg? Egal was dort ist, er muss doch wissen, dass er keine Chance hat. Aber wenn ich jetzt da runter gehe, sieht er mich. Ich könnte mich verwandeln und dann runter. Aber erstens stellt er dann Fragen und zweitens ist es nicht ausgeschlossen, dass ich mich dann wieder verwandle, bei dem was dort ist.
Zwei Augenpaar blinzeln aus dem toten Busch heraus und langsam kann ich die beiden Dingos erkennen, die dort im Gebüsch hocken. Sie müssen Hunger haben. Und wo zwei sind, sind die Anderen nicht weit. Sie werden ihn zerfleischen. Und wenn ich dort nicht runter gehe, kann ich es nicht verhindern. Langsam setze ich eine Pfote nach der anderen den Baum runter. Dabei knurre ich, in der Hoffnung, dass Noah doch noch das Weite sucht. Aber stattdessen dreht er sich nur langsam um und geht Rückwerts in Richtung der Dingos. Wieso kann er nicht einfach wie ein normaler Mensch von den Gefahren weglaufen, anstatt auf sie zu zugehen?
„Bitte tu mir nichts", höre ich ihn murmeln, aber mein Blick bleibt auf den Busch gerichtet. Einer setzt einen Schritt aus dem Busch heraus, wodurch man ihn genau erkennen kann. Sein braunes Fell ist von Staub bedeckt und an der Seite kann man seine Rippen sehen. Sie müssen also wirklich Hunger haben, wenn sie selbst nicht abhauen, wenn sie eine Raubkatze sehen. Aber Noah scheint dies natürlich nicht mitbekommen haben. Stattdessen starrt er mich an. Ich renne los, setze zum Sprung an und fliege über ihn, wodurch ich den Dingo aufschrecke und er einen Satz auf die Seite macht. Auch sein Artgenosse kommt nun aus seinem Versteck und knurrt mich an. Das kann ja jetzt spaßig werden.
Ich stehe mit dem Rücken zu Noah, weshalb ich nur seine Schritte höre, die sich langsam wegbewegen. Na hoffentlich, geht er jetzt zu sich nach Hause. Langsam umkreisen mich die beiden Tiere und ich im Sekundentakt zwischen ihnen hin und her. Dabei bekomme ich mit, die Noah vergeblich versucht auf den Baum zu klettern und sich dann stattdessen lieber verängstig unten hinsetzt und sich klein macht.
Dingo Nummer eins setzt zum Angriff an, jedoch kann ich ihm an seinem Fell packen und wegschleudern. Diese Gelegenheit nutzt Dingo Nummer zwei aus, springt von hinten auf mich drauf und beißt sich fest. Ich spüre wie sich seine Zähne in mein Fleisch schneiden und das Blut langsam an meiner Pfote entlanghangelt. Bloß keine Schwäche zeigen. Mit meinen Zähnen packe ich nach hinten und ziehe am Nacken von mir runter. Das wird mit Sicherheit eine Narbe geben.
Während ich mit dem einen Tier beschäftigt gewesen war, hat sich das andere zu Noah geschlichen. Er ist wohl leichtere Beute als ich. Dingo Nummer zwei stellt sich vor mich und knurrt mich von unten herab an. Während es zum Sprung ansetzt, hole ich mit meiner Pfote aus und treffe mit meinen Krallen genau am Kopf, weshalb es erst einmal am Boden liegt. Ich richte meine volle Aufmerksamkeit wieder zu Noah und Dingo Nummer eins, welches jetzt schon gefährlich nah an dem Jungen dran ist. Ich laufe los und schürze mich von hinten auf es drauf, weshalb wir uns ein paar Mal überschlagen und ich genau vor Noah stehen bleibe. Ich gucke in seine verängstigen stechend grünen Augen.
Ich drehe mich um und stelle mich somit beschützend vor ihn. Ich lege meine Ohren an und blitze das Tier vor mir an. Langsam macht es einen Schritt nach hinten. Es merkt wahrscheinlich, dass es hier nur verlieren würde. Auch sein Freund ist wieder aufgestanden. Vorsichtig bewegen sich die Beiden von mir weg und suchen dann das weite.
Meine Gesichtszüge werden weicher und hinter mir höre ich immer noch Noahs Herz schnell gegen seine Brust schlagen. Sein Atem ist flach und vermutlich rauscht grade das Blut in seinen Ohren. Langsam drehe ich mich um. Bin genau mit ihm auf einer Augenhöhe. Er versucht sich weiter in den Baum zu pressen, was nur nicht funktioniert. Stattdessen wirbelt er nur den Staub auf, der in den Augen brennt. Was habe ich mir eigentlich nur dabei gedacht.
Langsam lässt das Adrenalin in meinem Blut nach und ich merke die tiefe Wunde auf meinem Rücken, die wahrscheinlich immer noch blutet. Auch mein Bein schmerzt, was ich vorher noch nicht mitbekommen haben. Also hat er mich auch dort getroffen. Davon werde ich die nächsten Tage noch haben.
Ich mache ein paar Schritte rückwärts. Nur um mich dann um zu drehen und die Flucht zu ergreifen. Naja, ich versuche es. Mit einem verletzen Bein zu rennen ist nicht grade zu empfehlen. Als ich ihn weder sehen noch hören kann, bleibe ich stehen und lege mich erschöpft an einen Stein, in der Hoffnung, dass er mich ein bisschen vor der Sonne schützt. Obwohl diese auch langsam sich dem Horizont nähert und deswegen nicht mehr so stark brennt.
Das habe ich mal wieder super gemeistert. Ich hoffe nur, dass er diese Situation für sich behält. Das schlimmste wäre, wenn seine Eltern davon Wind bekommen würden und den Tierschutz anrufen. Das würde mir grade noch fehlen. Ich habe ja nicht schon so genug Probleme. Oder wenn ich dann nicht mehr rausgehen dürfte.
Die warmen Seiten des Steines bohren sich in meine Seite, aber das ist mir Momentan egal. Hauptsache liegen und die verletzten Sachen nicht belasten. Langsam beruhigt sich mein Herzschlag, jedoch frisst sich der Geruch von Blut noch immer in meine Nase und vermutlich werde ich diesen auch die nächsten Tage nicht loswerden. Müde und erschöpft lege ich meinen Kopf auf meine Pfoten und beobachte, wie ein Käfer schnell an mir vorbei huscht. Wieso muss auch alles immer schieflaufen? Wieso kann nicht einfach einmal alles gut laufen. Wenn sie von dem Vorfall mitbekommen, bin ich dran. Wenn es heißt, dass ein Leopard irgendwo in Australien frei herumstreift, bin ich dran. Wenn Noah es weitersagt, bin ich dran. Also egal was passiert, ich bin dran. Wieso sollte Noah es für sich behalten? Wieso sollte er es nicht Joshua, Nayla und seinen Eltern sagen?
Während ich hier so liege, fallen mir langsam die Augen zu und ich merke, wie ich sie nicht mehr offenhalten kann. Aber ich darf jetzt nicht einschlafen. Es würde nur noch mehr Fragen geben, wenn ich die ganze Nacht weg bin. Außerdem würde das mehr auffallen, als wenn ich nur ein paar Stunden fehle. Vorsichtig stehe ich auf und schüttle mich leicht, um den Dreck aus meinem Fell zu bekommen. Jedoch merke ich, wie sich Dreck in meinem Fell zusammen meinem Blut verklumpt hat.
Schleppend gehe ich los und wenn das so weiter geht, bin ich da, wenn schon der Mond aufgegangen ist. Aber was solls. Ändern kann ich daran auch nichts. Bei jedem Schritt fangen meine Wunden an zu brennen und vermutlich werden sie auch wieder anfangen zu Bluten, wenn ich mich weiterbewege. Aber ich kann nicht stehen bleiben. Wahrscheinlich versuche ich auch die Konfrontation mit Noah zu vermeiden. Denn früher oder später werde ich ihn sehen. Spätestens morgen in der Schule.
Mittlerweile ist die Sonne schon dem strahlenden Mond gewichen, der die Umgebung nur spärlich beleuchtet. Es ist kühler. Dunkler. Aber in der Ferne kann man schon die ersten Lichter von Häusern sehen. Je länger ich gehe, desto mehr muss ich mich darum bemühen, die Augen offen zu halten. So kann ich definitiv nicht durchs Fenster klettern. Dann muss ich wohl oder übel klingeln. Müde gähne ich und gehe den kleinen Umweg ums Haus herum, sodass es nicht aussieht, als wäre ich aus dem Nichts gekommen. Bestimmt war ich jetzt zwei Stunden unterwegs gewesen. Eine Stecke, für die ich sonst nur fünf Minuten brauche. Da muss ich mir die nächsten Tage was einfallen lassen.
Schnell verwandle ich mich zurück, sodass ich nur noch auf zwei Beinen stehe und stecke mich leicht, jedoch durchzuckt mich ein Schmerz von meinem Rücken und ich beiße die Zähne zusammen. Schnell richte ich meine Haare, sodass sie den blutigen Fleck, sowie den Dreck verdecken. Manchmal sind lange Haare doch ein Segen.
Ich nähere mich der Haustüre und der Bewegungsmelder des Lichtes geht an, sodass ich in gelbes Licht getaucht werde. Das Klingelschild auf dem in schön geschwungener Schrift „Familie Walker" lächelt mich ironisch an. Sie waren vor mir eine Familie und werden es auch nach mir bleiben. Zitternd erhebe ich meine Hand und drücke den kleinen Knopf ein. Nervös knete ich meine Hände. Alles bitte nur keinen Ärger. Drinnen höre ich schon, wie die Walkers miteinander reden und sich jemand der Türe nähert.
Noah, mit verstrubbelten, nassen Haaren und einem teilweise nassen T-Shirt, öffnet mir die Haustüre. Unauffällig verlagere ich mein Gewicht auf mein gesundes Bein. Sobald er mich erkennt, ändert sich was in seinem Blick, aber ich kann nicht erkennen, was es ist. Verwirrt blickt er hinter mich, so als würde er erwarten, dass ich mit jemandem gekommen bin. „Wo warst du?" Erwartungsvoll guckt er mich an. „Das geht dich nichts an", gebe ich müde zurück und quetsche mich an ihm vorbei. Ohne meine Schuhe auszuziehen, gehe ich mühsam die Treppe nach oben und versuche mein Bein nicht zu belasten, sowie mir nichts anmerken zu lassen. Grade als ich oben bin, hält mich Noah auf, indem er mich an der Schulter umdreht. Jetzt bloß nicht panisch werden. Mein Herz fängt wieder an zu schlagen und ich versteife mich leicht.
Da ich eine Stufe über ihm bin, kann ich ihm direkt in die Augen gucken. Ein leicht vorwurfsvoller Ton spielt in seiner Stimme mit. Ich seufze und streiche vorsichtig seine Hand von meiner Schulter, nur um einen Schritt zwischen uns zu bringen. „Bitte lass es einfach, ja?" Müde blicke ich ihn wieder an. Ich habe jetzt echt keine Nerven dazu, mich groß mit ihm zu streiten.
Er scannt mit einem intensiven Blick mein Gesicht, sagt jedoch nichts dazu. Ich drehe mich zum und setze meinen Weg in das Zimmer fort, indem ich sofort zu meinem Schrank gehe.
Die Schritte von Noah entfernen sich. Also ist er wieder runter gegangen. Gut so. Ich schnappe mir einen Pullover, sowie eine Jogginghose. Aus der Schublade krame ich mir die Salbe heraus, die schon fast komplett aufgebraucht ist. Dann brauche ich bald eine neue. Also muss ich entweder Mason darauf ansetzen oder versuchen im Krankenhaus irgendwen zu finden.
Leise schleiche ich in das angrenzende Badezimmer, bei dem ich den Schlüssel im Schloss umdrehe und das helle Licht anmache. Die Sachen werfe ich auf den Boden und vorsichtig kremple ich mir das Oberteil hoch, welches jedoch wie eine zweite Haut an der Wunde klebt.
Als ich es endlich schaffe, es von meiner Haut abzubekommen, sehe ich mir die Wunde das erste Mal an. Deutlich kann man neben den anderen Narben, die frische Bisswunde unter dem Blut und Dreck erkennen. Sie ist gerötet und so wie ich meine Haut kenne, wird sie sich vermutlich entzünden. Warum muss ich auch immer so unvorsichtig sein?
°Feedback? Habe es erstmal komplett verpeilt, dass wir Samstag hatten, ups. Was haltet ihr von der Situation und hat Lexa richtig gehandelt?°
Wörter: 2238
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