Kapitel 10: "Irgendwas stimmt nicht mit ihr"
Noah
„Ich sag's dir, irgendwas stimmt nicht mit ihr", versucht es Joshua wieder und innerlich verdrehe ich die Augen. Jetzt fängt er wieder damit an. „Vielleicht willst du aber auch nur, dass etwas nicht mit ihr Stimmt", zweifle ich. „Wieso sollte ich das wollen? Du musst schließlich mit ihr zusammenleben und nicht ich."
Im Hintergrund höre ich Nayla irgendwas sagen. Dann ist sie wohl wieder bei ihm. Was eine Überraschung. Neuerdings hängen die beiden nur noch aufeinander. Ich meine, mich stört es nicht, aber früher haben es die Beiden auch nie so lange miteinander ausgehalten. „Vielleicht willst du das auch nur, damit in deinem Leben mal wieder was Spannendes passiert."
„Komm schon. Du musst zugeben, dass sie komisch ist. Gibt nichts über sich preis. Hat versucht sich umzubringen und laut deinen Aussagen verschwindet sie mehrmals die Woche spurlos im Nichts, nur um dann plötzlich wieder aufzutauchen. Außerdem ist mein Leben spannend genug. Nur weißt du das eben nicht."
„Du hast vergessen, dass sie immer aus dem Fenster klettert." „Siehst du, irgendwas stimmt nicht mir der. Irgendwann wirst du das auch noch sehen."
„So wie sie es grade wieder macht", murmle ich und starre auf die Stelle, von der sie grade in den Garten geklettert ist. „Na worauf wartest du noch? Nichts wie hinterher." „Du sagst ich soll ihr hinterher spionieren? Das ist doch verrückt. Und wenn meine Eltern das mitbekommen, sitze ich in der Scheiße." „Ganz genau. Vielleicht ist sie ja eine Mörderin und du bist mitten in einem Horrorfilm gelandet. Vielleicht bist du sogar ihr nächstes Opfer. Wie in diesen Horrorfilmen. Du weißt schon."
Er spinnt und irgendwo tief in mir weiß ich, dass es nicht richtig ist, ihr hinterher zu spionieren. Dass Joshua nur mal wieder verrücktspielt. Vielleicht soll ich es auch meinen Eltern sagen, anstatt etwas unüberlegtes zu machen. Aber dafür ist keine Zeit. Ich muss wissen, was sie macht. Ohne ihm zu antworten, lege ich auf und sprinte die Treppe runter. Wer weiß wo sie hin will oder wie schnell sie da ist.
„Ich bin ausreiten", schreie ich ins Wohnzimmer, bevor ich mir meine Schuhe schnappe und mit einem lauten Knall die Türe zuwerfe. Das wird bestimmt später noch Ärger geben. Und Fragen. Aber es ist mir egal.
„Hey Livia", begrüße ich hastig das Mädchen mit dem Pferd in der Hand, welches sie grade absatteln will. "Ich muss noch wo hin. Danke", entschuldige ich kurz mein Verhalten und steige auf, nur um dann wie vom Blitz getroffen vom Hof zu reiten, in die Richtung, in die Lexa mal wieder abgehauen ist.
Es ist leichtsinnig ohne Helm mitten ins nichts zu rennen und es dabei keinem sagen. Das weiß ich. Aber es ist mir in diesem Moment egal.
Wenn ich beschreiben müsste, was auf einmal in mich gefahren ist, wüsste ich es nicht. Vielleicht haben mich Joshs Gedanken so beeinflusst, dass ich sie tatsächlich glaube. Zumindest ein Stück. Denn wie wahrscheinlich ist, dass Lexa wirklich eine Serienmörderin ist? Vielmehr verheimlicht sie was. Vielleicht einen Freund. Oder sie ist nur bei uns, um uns auszurauben. Aber hätte man davon nicht irgendwann mal was in den Nachrichten gehört? Auch wenn es mich nichts angeht, was sie so in ihrer Freizeit macht, geht es mich doch etwas an, wenn es meine Familie und Freunde betrifft.
Ich weiß nicht, wohin Lexa gegangen ist, weshalb mir nichts anderes übrigbleibt, als blind draufloszureiten. Ich kenne diese Gegend mittlerweile besser als meine Westentasche. Ich kenne fast jeden Stock, Stein und Baum. Wie oft habe ich hier mit Nayla und Joshua schon verstecken gespielt. Wie oft haben wir Schnitzeljagden veranstaltet oder uns vor unseren Eltern versteckt. Und sie muss hier irgendwo sein. Denn die nächste Stadt ist von hier aus, durch die Wüste, erst in hunderten von Meilen. Und wäre sie nur in die nächste Stadt, dann wäre sie doch mit dem Bus gefahren.
Ich werde langsamer und versuche irgendwelche auffälligen Bewegungen in der Ferne war zu nehmen. Aber ich bin nun einmal kein Adler oder irgendein Supermensch, der Bewegungen in meilenweiter Entfernung vernehmen kann. Also läuft es darauf hinaus, dass ich blöd in die Gegend gucke. Für einen Außenstehenden muss ich wie ein verrückter Aussehen.
Wer weiß wie lange ich schon hier draußen Löcher in die Luft starre. Grade als ich mein Handy aus der Tasche nehmen will, fällt mir auf, dass es dort gar nicht drinnen ist. Nun bleiben zwei Möglichkeiten. Ich habe es in Eile auf mein Bett geschmissen und es schlicht und einfach vergessen. Oder es ist mir in lauter Eile aus der Tasche gefallen und muss jetzt seine letzten Stunden im Staub verbringen, bis es den Geist aufgibt und unter einer Schmutzschicht vergraben wird. Die eine Möglichkeit gefällt mir wesentlich besser als die andere und insgeheim bete ich, dass das erste Szenario auftritt. Sonst werde ich doppelt umgebracht. Mehr als beten kann man da wohl nicht.
Auch wenn ich nicht weiß, was Lexa hier draußen wollen würde, außer sich einen Sonnenbrand holen, treibt mich doch irgendein Gefühl weiter. Ein Gefühl von Neugierde. Oder auch Unwissen. Vielleicht auch beides.
Seitdem ich älter bin, bin ich weniger hier. Zu wenig Schatten. Zu viele trockene und tote Bäume. Zu viele Steine. Und wenn man den falschen Tag erwischt, bekommt man innerhalb weniger Stunden den Sonnenbrand seines Lebens. Aber man kann weit gucken. Sieht je weiter man guckt mehr Bäume, Steine und Sand. Je weiter man guckt desto trostloser wirkt es. Teilweise kommt es mir so vor, als hätte man ein Stück kopiert und es unendlich oft eingefügt. Wie in einem Videospiel oder so. Als sei man am Ende der Welt.
Langsam treibe ich das Pferd weiter in Richtung der Trostlosigkeit, darauf bedacht, es nicht in irgendwelche toten Büsche laufen zu lassen. Einzig allein ein grüner, etwas größerer, Baum verleiht dem Ort Farbe. Auch wenn dieser Mittlerweile seine Blätter verliert. Und auf diesen steuere ich zu. Für mich ist es immer noch ein Rätsel, wie er hier draußen wachsen kann. Vielleicht ein Wunder.
Je näher ich dem Wunderbaum komme, desto nervöser wird mein Pferd und sträubt sich ein wenig weiterzugehen.
„Was hast du denn Großer?", frage ich es und streichle ihn beruhigend über den Hals. Sonst ist er nicht so. Vielleicht spürt er ja, dass Lexa hier irgendwo ist. So als fremde Person?
Je näher ich dem Wunderbaum komme, desto näher rückt das Gefühl, hier zu verschwinden. Aber trotz der Bedenken und das Verhalten meines Pferdes gehe ich weiter. Der Baum spendet dem heißen Boden Schatten und die Blätter sind trotz der Jahreszeit noch dicht, sodass man nur schwer durch sie hindurch blicken kann. Aber Kratzspuren kann man an ihm erkennen. So als wäre ein Tier hochgeklettert oder hat es versucht. Das wird ja immer besser.
Ich bleibe im Schatten stehen. Ich werde sie nie finden. Wenn sie nicht hier ist, dann weiß ich es auch nicht. Vielleicht ist sie ja doch in die nächste Stadt gefahren und ich habe mich nur verguckt. Wahrscheinlich habe ich nur einen Vogel oder so was gesehen.
„Komm. Lass uns wieder zurück gehen", murmle ich mehr zu mir als zu dem Pferd, aber ein Rascheln in den Büschen lässt mich aufhorchen. Das war definitiv nicht der Wind. So einen Wind hätte ich gespürt.
Es ist leichtsinnig einfach so auf einen raschelnden Busch zu zugehen. Vor allem hier. Hier mit lauter Schlangen, Spinnen und anderen gefährlichen Tieren.
Das Pferd wird immer nervöser und ehe ich mich versehe, steigt es. Meine Welt wird durchgeschüttelt. Diese Bewegung trifft mich unerwartet, sodass ich dem Boden einen Besuch abstatte. Kurz wird mir schwarz vor Augen und ein stechender Schmerz durchzuckt meinen Körper. Kurz ist alles verschwommen und dunkle Pflegen bewegen sich in meinem Sichtfeld. Und so schnell wie das stechende Gefühl gekommen ist, verschwindet es auch wieder.
Grade als ich mich etwas aufrichte, um mich hinzusetzen, sehe ich nur noch, wie mein Pferd in einem Eiltempo davonläuft. Super.
Mein Kopf brummt, aber bei näherem Betrachten fällt mir auf, dass ich außer ein paar Kratzer nichts davongetragen habe. Gott sei Dank.
Ein gebrochenes Bein kann ich jetzt am wenigstens gebrauchen. Stöhnend richte ich mich auf und klopfe mir den Staub ein bisschen von den Klamotten. Also heißt es zu Fuß zurück gehen. Ich musste ja unbedingt hier rauskommen. Das habe ich jetzt davon, wenn ich auf Josh höre. Was war auch Anderes zu erwarten?
Ein Knurren hinter mir lässt mich stocken und kurz bleibt mir der Atem weg. So vorsichtig wie möglich drehe ich mich um und sehe, wie ein orange schwarzes Tier mit stechend gelben Augen den Baum herunterklettert und mich anknurrt. Die Augen zu Schlitzen geformt und mit bedrohlich scharfen Zähnen, begrüßt es mich.
Langsam gehe ich einen Schritt zurück und Panik überrollt mich. Auf so etwas wurde ich nicht vorbereitet. Ich wurde auf alle möglichen Tiere vorbeireitet, aber definitiv nicht darauf. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals und meine Hände fangen an zu zittern. Meine Augen sich wahrscheinlich so groß wie Goldbälle und trotzdem kann ich die Situation nicht verstehen.
Das ist mein Ende. Auf jeden Fall. Seine Augen fokussieren irgendwas und es legt die Ohren an.
Auf Samtpfoten kommt es auf mich zu. „Bitte tu mir nichts", murmle ich. Dann ein Sprung. Instinktiv ducke ich mich, kneife die Augen zusammen und bete dafür, dass es schnellen Prozess macht.
°Feedback? Ein etwas kürzeres Kapitel. Was haltet ihr davon und was glaubt ihr, wird als nächstes passieren?°
Wörter: 1539
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