38 | Samira
Weil ich gute Laune habe und es selbst kaum aushalte, euch warten zu lassen, hier das nächste Kapitel. Vielleicht hört ihr dramatische (keine traurige!!!) Musik dazu. Tam tam tam. Viel Spaß.
„War die Frage gerade dein Ernst?"
„Nicht hier", gab er entschieden zurück und nahm ihr seinen Schlüsselbund aus der Hand, um die Wohnungstür aufzuschließen. Er ließ ihr den Vortritt.
„Du hättest mir einfach sagen müssen, dass du ins Gefängnis musst", platzte es enttäuscht aus ihr heraus, als er die Tür hinter sich geschlossen hatte.
„Wollte ich zuerst auch, aber du hast mir die Tür vor der Nase zugeknallt. Dann habe ich nochmal drüber nachgedacht und geglaubt, es wäre besser für dich, wenn du es nicht weißt. Dafür habe ich mich schon entschuldigt", antwortete er.
Sie stieß einen verächtlichen Laut aus.
„Was hast du erwartet? Du hast mich glauben lassen, du hättest mich betrogen, dich von mir getrennt und meinen Chef krankenhausreif geschlagen", gab sie provokant zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ich wollte nicht, dass das alles so kommt", erwiderte er seltsam ruhig. „Ich habe das für dich getan. Je weniger du weißt, desto besser für dich. Glaub mir."
„Für mich – oder für dich?", fragte sie und hob provokant eine Augenbraue.
„Für uns", korrigierte er versöhnlich.
„Du wagst es echt noch, von einem uns zu sprechen?", fragte sie wütend.
„Du verstehst das nicht. Ich wollte dich nie verletzen. Ich habe gedacht, dass wir, wenn ich dich aus allem raushalte, eine Chance haben, aber ich habe gesehen, dass das nicht funktioniert. Ich habe versucht, dir zu sagen, dass dieses Leben nicht dein Leben sein sollte, aber du hast nicht lockergelassen. Ich will nicht, dass du Dinge weißt, die dich selbst oder mich belasten könnten, weil uns das in Schwierigkeiten bringen kann. Ich wollte dich einfach nur davor bewahren, deine Entscheidung eines Tages zu bereuen, weil ich dir Probleme mache. Wie das mit deiner Kündigung zum Beispiel. Du bist einfach zu gut für mich."
„Gekündigt haben sie mich nicht wegen deiner Geheimnisse, sondern, weil du dich nicht im Griff hattest", pampte sie ihn an.
„Aber das hängt doch alles miteinander zusammen", seufzte er. „Ich bin ein impulsiver Typ. Was glaubst du, wieso sie mich zum Anti-Aggressions-Training geschickt haben?"
„Scheint ja sehr erfolgreich gewesen zu sein", murmelte sie.
„Weil ich mich immer ständig und überall behaupten muss und es mir nicht leisten kann, Schwäche zu zeigen", erklärte er.
„Das ist so schrecklich bescheuert", erwiderte sie.
„In deiner Welt vielleicht, aber nicht in meiner. Ich kann es mir nicht leisten, freundlich zu allen zu sein, weil ich sonst den Respekt der Leute verliere und mich angreifbar mache. Da, wo ich herkomme, ist das so. Das versuche ich dir seit Monaten klarzumachen. Glaubst du, ich habe Bock darauf, mich ständig mit Leuten rumzuschlagen?"
„Ich will dir nicht zu nah treten, aber du hast dir dieses Leben selbst ausgesucht", sagte sie beißend.
„Da hast du Recht", räumte er ein. „Aber wenn du ehrlich bist, habe ich auch keine anderen Möglichkeiten mehr. Oder glaubst du, mit meinen ganzen Vorstrafen und Tattoos kann ich nochmal irgendwo anders arbeiten?"
Sie atmete tief durch, als sie erkannte, dass es stimmte. Vermutlich würde er in seinem Leben keine Karriere mehr als Bankkaufmann machen, sondern immer auf unkonventionelle Art Geld verdienen. Es lag an ihr zu entscheiden, ob sie trotzdem mit ihm zusammen sein wollte – oder konnte.
Wenn das zwischen ihnen überhaupt funktionieren konnte, dann nur, wenn sie beide endlich vollkommen ehrlich zueinander waren und einander nichts mehr verheimlichten. Einerseits wollte sie es wirklich versuchen, andererseits war mittlerweile so viel zwischen ihnen vorgefallen, dass sie nicht wusste, ob eine Beziehung überhaupt noch einen Sinn machte.
„Ich weiß nicht mal, ob wir es nochmal miteinander versuchen sollten", seufzte sie hilflos.
„Ich war ein riesiger Idiot. Das weiß ich. Aber ich wollte dich wirklich nur beschützen, weil du mir so wahnsinnig viel bedeutest. Ich habe jeden Tag in der U-Haft an dich gedacht und mich gefragt, wieso ich nicht von Anfang an ehrlich zu dir gewesen bin. Aber wenn du mich lässt, beweise ich dir, dass ich anders sein kann", sagte er und überbrückte die letzte zwischen ihnen liegende Distanz.
„Um ehrlich zu sein, finde ich es gerade ziemlich paradox, dass du so viel dafür getan hast, damit ich mich von dir distanziere, und jetzt vor mir stehst und mich bittest, dir noch eine Chance zu geben", gestand sie, strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust. „Ich will endlich Antworten, Marten. Ich will wissen, woran ich bin, wer Joker und dieses Mädchen wirklich sind und was du nachts auf dem Kiez machst."
„Heute war ein langer Tag. Lass uns morgen in Ruhe über all das reden", bat er sie und schaute eindringlich in ihre Augen.
„Ich will aber jetzt darüber reden", wollte sie sagen, hielt sich jedoch zurück, als sie sich in seinen Augen verlor. Er wirkte emotional derart ausgelaugt von den vergangenen Wochen, dass sie es tatsächlich für besser hielt, die Frage-Antwort-Runde auf morgen zu verschieben. Ihn jetzt dazu zu zwingen, konnte nur nach hinten losgehen.
„Okay", willigte sie also widerwillig ein.
„Danke", sagte er leise. Dabei legte er unbehelligt seine Hand an ihr Gesicht. Die Berührung war liebevoll und ließ sie regelrecht erschaudern, als sein tiefer Blick plötzlich ganz weich wurde. Das verräterische Kribbeln, das er einst in ihr ausgelöst hatte, kehrte in ihren Bauch zurück und breitete sich von dort mit dieser bekannten Wärme in ihrem Körper aus. „Ich wollte nicht, dass du nächtelang keinen Schlaf findest, weil du dich darum sorgst, wo ich mich gerade herumtreibe, ob mir dort etwas passieren kann oder ich eines Tages in den Knast gehe. Ich will dich nicht weinen sehen, wenn ich mich nächste Woche von dir verabschiede, um meine Haftstrafe anzutreten. Dich so zu sehen, würde mir das Herz brechen. Verstehst du?"
Sie erschauderte, als sie aufrichtige Sorge in seinen Augen sah. Seine Worte trafen sie mitten ins Herz. Aus seinem eigenen Mund zu hören, dass er sie die ganze Zeit nur davor bewahren wollte, ihr Herz endgültig an ihn zu verlieren, und einfach nur versucht hatte, sie gegen ihren eigenen Willen zu schützen, rührte und verärgerte sie gleichermaßen. Er strich ein weiteres Mal durch ihre Haare, schaute ihr fest in die Augen und sie biss sich auf die Unterlippe, um die aufkeimenden Gefühle für ihn zu kontrollieren.
„Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich anfangen werde, zu heulen", gab sie ernst zurück.
„Wir wissen beide, dass du nicht so tough bist, wie du gerade tust", stellte er leise fest.
„Ich werde dich so heftig schlagen, dass du nicht eine Sekunde vergisst, was für ein riesiger Idiot du bist."
Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem leichten Lächeln, bevor er seine Hände an ihre Taille legte, sie entschieden zu sich heranzog und sich zu ihr herunterbeugte. Sie schlang automatisch ihre Arme um seinen Hals, als sein Gesicht dem ihrem gefährlich näherte. Doch bevor er sie küssen konnte, vergrub sie ihr Gesicht in seiner Halsbeuge und schmiegte sich an ihn. Für eine derartige Versöhnung war sie nicht bereit, und sie wusste auch nicht, ob sie es sein würde. Alles, was sie gerade wollte, war, von ihm gehalten zu werden.
In der folgenden Nacht drehte Nika sich nachdenklich von der einen Seite auf die Andere. Dass Marten schon in der kommenden Woche seine Haftstrafe antreten würde, ließ sie einfach nicht zur Ruhe kommen. Was sollte dann aus ihnen werden? Wie sollte es mit ihnen weitergehen? Sollte es überhaupt weitergehen?
Schon seit Wochen schlief sie nicht gut und hatte sogar angefangen, Johanniskraut zu nehmen, um sich etwas zu beruhigen. Vermutlich reichte eine pflanzliche Lösung jedoch nicht aus, denn auch in dieser Nacht kam sie einfach nicht zur Ruhe.
Trotz der verfahrenen Situation hatten sie den Abend gemeinsam auf seiner Couch verbracht. Er hatte wissen wollen, was in seiner Abwesenheit alles passiert war, wie sich ihre berufliche Situation entwickelte und ob er ihr dabei helfen konnte, sich einen Kundenstamm mit dem Personal Training aufzubauen. Eigentlich hatte sie es nicht gewollt, doch als er irgendwann seinen Arm um sie gelegt und sie gehalten hatte, hatte sie sich trotz allem wohlgefühlt; auch, wenn das ein falsches Signal setzte.
Sie wollte nicht, dass er weiterhin glaubte, alles mit ihr machen zu können und damit davonzukommen. Dass er ihr nicht von seiner Haftstrafe erzählt hatte, war nur die Spitze des Eisbergs. Auch die ganzen Geheimnisse, die er nach wie vor zu wahren versuchte, und die Notlügen, um sie in eine bestimmte Richtung zu manipulieren und sie dazu zu bringen, sich von ihm zu distanzieren, erschütterten ihr Grundvertrauen in ihn und sie wusste nicht, ob sie so eine Beziehung weiterführen wollte; erst recht nicht, wenn er die nächsten eineinhalb Jahre hinter Gittern verbrachte. Sie wollte auf jeden Fall Klarheit, noch bevor er seine Haftstrafe antrat.
Als sie aus dem Schlaf schreckte, brauchte sie einen Moment, um sich zu orientieren. Ihr Blick fiel auf die Stelle, an der sonst Marten lag, und sie seufzte leise, als sie über das Laken strich und realisierte, dass er sich bereits vor einer ganzen Weile aus dem Bett gestohlen haben musste. Noch immer wusste sie nicht, weshalb sie überhaupt geblieben war, als er sie darum gebeten hatte, weil er nach den letzten Nächten in U-Haft nicht allein sein wollte. Er hatte gesagt, es würde ihm helfen, ruhiger zu schlafen, wenn sie in seiner Nähe war und sie hatte sich in die Illusion geflüchtet, dass es ihr genauso ging. Dem schien jedoch nicht so zu sein, denn ihr Schlaf war offensichtlich gleichermaßen unruhig.
Ein Stück weit konnte sie ihn sogar verstehen, denn er sah – genau wie sie selbst – in eine unsichere Zukunft. Die Bar, die er in den vergangenen Wochen renoviert hatte, würde er erst einmal nicht eröffnen. Wie genau er nach seiner Inhaftierung sein Geld verdienen wollte, hatte er ihr bisher nicht verraten. Konnte das auf Dauer wirklich gutgehen?
Sie wusste nicht, ob es die richtige Entscheidung war, doch sie schlug müde die Bettdecke zur Seite und rollte sich aus dem Bett. Als sie das Wohnzimmer betrat, runzelte sie irritiert die Stirn. Auf dem Wohnzimmertisch standen ein paar brennende Kerzen und eine geöffnete Flasche Whiskey, daneben lagen ein paar Blätter Papier. Von Marten fehlte jedoch jede Spur. Ob er weggefahren war?
Sofort schrillten sämtliche Alarmglocken in ihr auf. Sie wusste, dass er genau das hatte vermeiden wollen, doch sie konnte es gar nicht kontrollieren. Sie schaute sich suchend nach Chopper um. Auch ihn konnte sie nicht entdecken. Ob er vielleicht nur eine Runde mit ihm um den Block machte?
Automatisch schaute sie auf die Digitalanzeige des Receivers unter dem Fernseher. Es war mitten in der Nacht. Schwer seufzend strich sie durch ihre Haare, dann machte sie ein paar Schritte in den Raum hinein, um die Kerzen auszublasen. Dabei fiel ihr Blick auf das Papier, das daneben lag. Ob sie es wegräumen sollte? Erst, als sie die Kerze auspusten wollte, erkannte sie, dass es sich dabei um einen handgeschriebenen Brief handelte. Ohne es überhaupt zu wollen, fiel ihr Blick auf die untersten Zeilen der geschwungenen Frauenschrift.
Ich liebe dich.
Samira
Ihr wurde gleichzeitig heiß und kalt. War das ein Scherz?
Sie wusste, dass sie den Brief nicht lesen durfte, doch sie war misstrauisch und die eifersüchtige, von Notlügen geprägte (Ex-)Freundin in ihr wollte wissen, was ihre Konkurrentin noch zu sagen hatte. Ihre Finger zitterten, als sie das Papier in ihre Finger nahm, doch dann ließ ein leises Geräusch sie zusammenschrecken.
Ich weiß. Ein fieser Cut. Aber vielleicht tröstet es euch, wenn ich euch sage, es ist der Letzte dieser Art. Bin gespannt, wie euch das Kapitel gefallen hat. Was glaubt ihr, hat es mit Samira auf sich?
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