36 | Enthüllungen
Es hat leider nicht geklappt mit 0 Uhr, weil die App mich sabotiert hat, aber hier ist es jetzt. Extra lang. Ich verspreche euch, es gibt endlich Antworten. Viel Spaß! Gewidmet allen, die geduldig gewartet haben 🖤
„Das kannst du nicht machen!", gab sie aufgebracht zurück, „Du weißt doch nicht mal, was genau passiert ist. Du warst nicht dabei!"
„Paul liegt mit schweren Kopfverletzungen und mehreren Knochenbrüchen im Krankenhaus, weil dein Freund hier durchgedreht ist. Das ist für mich Grund genug, dich fristlos zu entlassen", sagte Lino entschieden.
„Wäre es nicht fair, sich wenigstens meine Version anzuhören? Ganz egal, auf wessen Seite du stehst?", hinterfragte sie enttäuscht.
„Fair wäre, wenn dein Freund nicht auf ihn eingeschlagen hätte, als er bereits am Boden gelegen hat", erwiderte er.
„Hat Paul dir wenigstens auch erzählt, dass er diese ganze Show mit den Mitarbeitergesprächen nur abgezogen hat, weil ich seine Gefühle nicht erwidere? Hat er dir gesagt, dass er mir gestern seine Gefühle gestanden und zugegeben hat, mich nur aus gekränktem Stolz beschissen zu behandeln und mich im Anschluss unter der Gürtellinie beleidigt hat?", hakte sie wutschnaubend nach.
„Hat dein Freund ihn deshalb so zugerichtet?", wollte er wissen.
Nika biss sich unmerklich auf die Unterlippe. Ohne es zu wollen, hatte sie gerade Marten ein Motiv geliefert.
„Ich werde dazu nichts mehr sagen", gab sie zurück.
„Musst du auch nicht. Es ist alles gesagt", sagte Lino und deutete mit einem Kopfnicken auf den Umschlag in ihrer Hand.
„Nein. Ist es nicht. Es ist ein Unding, dass in eurem Studio einer der Vorgesetzten seine Mitarbeiter sexuell belästigen kann und ungestraft davonkommt", wollte sie sagen, hielt sich jedoch gerade noch zurück, um die Situation nicht noch schlimmer zu machen. Dass Lino in dieser Situation sein wahres Gesicht zeigte und sie fristlos entließ, obwohl sie sich in all den Jahren nichts hatte zu Schulden kommen lassen, war für sie wie ein Schlag ins Gesicht. Natürlich erwartete sie nicht, dass er den Angriff auf Paul unkommentiert ließ, aber sie zu kündigen, statt zunächst beide Seiten anzuhören, ging ihr eindeutig zu weit. Er entsorgte sie praktisch wie Müll, ohne mit der Wimper zu zucken.
Sie warf Lino einen letzten enttäuschten Blick zu und stieß einen verächtlichen Laut aus, dann zog sie ihren Mantel wieder an. „Ich erwarte ein hervorragendes qualifiziertes Zeugnis von dir", schnaubte sie, dann schnappte sie sich ihre Tasche und stürmte wutentbrannt aus dem Büro.
Als sie kurz darauf hinter das Steuer ihres Wagens fiel, zitterten ihre Finger und es gelang ihr kaum, das Lenkrad zu umgreifen. Auch ihr Fuß bebte auf der Kupplung, als sie den Motor startete. Noch immer kamen ihr die neuesten Entwicklungen vor wie ein schlechter Film, nur, dass sie nicht aufwachte.
Sie fuhr sich fahrig durch ihr Haar, dann legte sie den ersten Gang ein und fuhr aus der Parklücke. Tränen sammelten sich in ihren Augen, als sie verstand, dass sie gerade ihren Job verloren hatte. Sie war tatsächlich von heute auf morgen ohne Einhaltung einer Frist entlassen worden. Konnten Lino und Paul das überhaupt machen?
Sie wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel, als sie an der nächsten roten Ampel bremste, und versuchte erneut, Maxwell anzurufen. Sie musste jetzt mit ihm sprechen. Sie fühlte sich miserabel; wegen allem. Diesmal dauerte es nicht lang, bis Maxwell den Anruf annahm. „Hey, Nika."
Sie schluchzte auf.
„Können wir uns sehen? Ich muss mit jemandem reden. Mein ganzes Leben gerät gerade aus den Fugen und-"
„Ich bin im Laden. Komm vorbei. Ich warte auf dich."
Als Nika eine halbe Stunde später ihren Wagen vor Maxwells Barber Shop parkte, atmete sie erleichtert auf. Gleich würde es ihr besser gehen; er würde sie unterstützen, ganz egal, wie es kommen würde. Mittlerweile hatte sie sich wieder beruhigt und die paar Tränen, die sie nicht hatte zurückhalten können, waren versiegt. Ihre Traurigkeit und die Verzweiflung waren inzwischen wieder ihrer grenzenlosen Wut auf Marten, Paul und Lino gewichen.
Sie stieg aus dem Wagen und betrat den kleinen Barber Shop. Als Maxwell sie sah, stürmte er direkt auf sie zu. „Hey", begrüßte er sie und zog sie ohne Umschweife in seine Arme. Sie lächelte, als er sie an sich drückte. Es fühlte sich gut an, dass sie einander wiedergefunden hatten. Ihre Finger strichen über den weichen Stoff seines Jogginganzugs. Er war von seiner eigenen Modelinie. Sie lächelte leicht, als sie sich voneinander lösten.
„Was ist passiert?", wollte er wissen und schaute eindringlich in ihre Augen.
„Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll", sagte sie etwas hilflos, dann schaute sie sich in seinem Laden um. Ein paar Kunden ließen sich gerade die Haare schneiden, also fand sie, dass dies nicht gerade der passendste Ort für diese Unterhaltung war.
„Können wir uns ins Auto setzen?"
„Klar", nickte er, dann folgte er ihr nach draußen.
Da sein Wagen näher am Laden stand als ihrer, fiel sie kurz darauf in seinen weichen Beifahrersitz.
„Erzähl", forderte er, „Geht's um Marten?"
Sie seufzte schwer.
„Du hast mit ihm gesprochen, oder?"
„Ich wollte wissen, warum er dir das antut. Ich weiß, du hast gesagt, ich soll mich da raushalten, aber als ich dich gestern gesehen habe, konnte ich einfach nicht anders", sagte er.
„Also hast du ihn beim Studio vorbei geschickt", schlussfolgerte sie frustriert.
„Ich habe ihm gesagt, dass du ihn vermutlich nicht sehen willst, aber er wollte unbedingt noch mal mit dir reden. Er bereut, wie das alles zwischen euch gelaufen ist und-"
„Er ist durchgedreht und hat meinen Chef zusammengeschlagen. Ich wurde gerade fristlos gekündigt", unterbrach sie ihn betreten.
„Er hat deinen Chef verprügelt?", wiederholte er fassungslos.
„Er hat gehört, dass er mir seine Gefühle gestanden und mich anschließend beleidigt hat", sagte sie.
„Was?"
„Er hat mich in eine wirklich schlechte Situation gebracht. Paul hat schon länger versucht, bei mir zu landen und Marten hat das gewusst. Er muss uns belauscht haben, denn er wusste genau, dass Paul mir kurz davor seine Gefühle gestanden und mich im Anschluss beleidigt hat, als ich ihn erneut habe abblitzen lassen. Jedenfalls war er plötzlich da und hat wie ein Psychopath auf ihn eingeschlagen, bis mein Chef sich nicht mehr bewegt hat, und ist dann genauso schnell wieder verschwunden, ohne, dass wir miteinander gesprochen haben. Du hast ihn nicht gesehen; er war wie im Rausch. Ich kannte ihn so gar nicht. Vorhin stand er vor meiner Tür, aber ich habe ihn weggeschickt, weil ich ihn nicht sehen wollte. Aber jetzt bin ich mir sicher, dass Paul das zur Anzeige bringt und ich bin mir sicher, dass ich gegen ihn aussagen soll. Ich weiß einfach nicht mehr weiter. Zu allem Überfluss habe ich gerade meine fristlose Kündigung bekommen. Ist ihm nicht bewusst, dass sein unüberlegtes Handeln Einfluss auf das Leben anderer hat? Er muss doch wissen, dass mich das in Schwierigkeiten bringen kann!", teilte sie ihm ihre Sorgen mit.
„Du musst auf jeden Fall mit ihm sprechen. Wenn sie ihn wirklich anzeigen, hat er ein echtes Problem; mit seinen ganzen Vorstrafen", erwiderte er.
Sie seufzte schwer.
„Aber sollte mir das nicht eigentlich egal sein? Er hat mich betrogen und mich darüber hinaus in ernsthafte Schwierigkeiten gebracht. Eigentlich sollte das alles nicht mehr meine Sorge sein. Ich habe meine eigenen Probleme, zum Beispiel, wie ich jetzt meine Miete bezahle."
Oder meine Schulden, setzte sie in Gedanken hinzu.
„Für mich klingt das nicht so, als wärst du ihm egal; wieso sonst sollte er noch mal mit dir reden wollen und dann so die Kontrolle verlieren?", hinterfragte Maxwell das Verhalten seines Freundes.
Er hatte Recht. Sie musste mit Marten sprechen; ganz egal, wie wütend sie auf ihn war. Sie musste ihn damit konfrontieren, was für ein Psychopath er war und was er aus ihrem Leben gemacht hatte. Er konnte ruhig wissen, dass sie keinen Job mehr hatte. Außerdem wollte sie wissen, weshalb er gestern Abend überhaupt im Studio aufgetaucht war. Immerhin hatte er sie mehrfach betrogen und sich schlussendlich von ihr getrennt, um sich nicht auf eine Frau festlegen zu müssen. Das alles machte keinen Sinn; erst Recht nicht, wenn er keine Gefühle für sie hatte.
Sie stellte ihren Wagen hinter dem von Marten ab. Er war also zuhause. Sie würde jetzt sofort mit ihm sprechen. Fest entschlossen stieg sie aus dem Wagen, lief zum Hauseingang und schloss die Tür auf. Als sie vor Martens Wohnung stand und die Klingel herunterdrückte, atmete sie tief durch. Die unbändige Wut auf ihn war sofort wieder da, als er die Gegensprechanlage bediente und sie seine Stimme auf der anderen Seite der Tür hörte. „Hallo?"
Sie hämmerte wütend gegen die Wohnungstür. Er starrte angespannt in ihr Gesicht, als er sie aufriss.
„Spinnst du?!"
„Dasselbe sollte ich dich fragen!", keifte sie zurück und drückte sich an ihm vorbei in seine Wohnung.
„Ich dachte, du willst nicht reden."
„Und ob ich reden will!", erwiderte sie aufgebracht, als sie wütend zu ihm herumfuhr, „Ich habe wegen dir meinen Job verloren!"
Er brauchte einen Augenblick, um die Information zu verarbeiten. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich, doch er blieb weiter angespannt vor ihr stehen.
„Sie haben dich rausgeschmissen?"
„Fristlos! Weil du Idiot auf Paul losgegangen bist wie ein Gestörter!"
„Er hat es nicht anders verdient!"
„Niemand verdient, wie du ihn zugerichtet hast!", schrie sie.
„Wolltest du etwa, dass er so mit dir redet?", gab er knurrend zurück.
„Nein, natürlich nicht, ich-"
Nika brach ab, als sie erkannte, dass er sie wirklich beobachtet und ihre Auseinandersetzung mit Paul belauscht haben musste.
„Warum beobachtest du mich überhaupt? Hatte Samira keine Zeit für dich?"
„Eigentlich wollte ich warten, bis du Feierabend machst, um dich nach Hause zu fahren und mit dir in Ruhe über alles zu reden. Dann hat er dich beleidigt."
Sie stieß einen verächtlichen Laut aus, als sie sich seiner Doppelmoral bewusst wurde.
„Ich weiß nicht, ob du dich erinnerst, aber du hast mich bei unserer letzten Begegnung selbst als Schlampe bezeichnet. Außerdem fickst du irgendwelche anderen Frauen. Wieso interessiert dich also überhaupt, wie er mit mir redet? Es kann dir doch scheißegal sein!", erwiderte sie aufgebracht.
„Es ist mir aber nicht egal", gab er zurück.
„Ach nein? Das klang vor ein paar Tagen noch ganz anders", sagte sie anklagend.
„Da war ich nicht ich selbst", erwiderte er.
„Nicht du selbst?!", wiederholte sie wütend. „Du hast mich praktisch vor diesem Flittchen behandelt, als würdest du mich nicht einmal kennen, dabei war ich deine Freundin – das Mädchen, das immer hinter dir gestanden hat, ganz egal, wie bescheuert du dich benommen hast. Ich habe dir vertraut! Erinnerst du dich? Du hast mir nach dem Vorfall mit Cassie auf dem Konzert noch Vorwürfe gemacht, weil ich dir zugetraut habe, du könntest etwas mit einer anderen haben. Dabei hast du dich wer-weiß-wie-lange mit dieser Samira herumgetrieben und mich hintergangen! Und als wäre all das noch nicht schlimm und schäbig genug, lauerst du mir auf der Arbeit auf, um mit mir zu reden, prügelst meinen Chef krankenhausreif und riskierst damit meinen Job! Ich meine, wieso machst du das? Wieso tust du mir das an? Gott, Marten, ich weiß nicht mal mehr, wer du eigentlich bist."
„Man, Baby, checkst du nicht, dass ich dich einfach nur beschützen will?!", fragte er aufgebracht.
Sie wusste nicht, was sie im ersten Moment mehr irritierte; der Erklärungsversuch für sein widersprüchliches Verhalten oder dass er sie Baby genannt hatte.
„Wovor, um Gottes Willen?!", fragte sie verständnislos.
„Vor meinem Leben und all den Tränen, die du wegen mir nicht weinen solltest."
Sie schüttelte fassungslos den Kopf.
„Und deshalb hintergehst und beleidigst du mich?!", fuhr sie ihn enttäuscht an.
„Ich habe keine andere."
Sie stieß einen verächtlichen Laut aus.
„Du warst schon dabei, als ich dich mit Samira erwischt habe, oder?", fragte sie wütend.
„Das war nicht Samira", erwiderte er.
„Willst du mich eigentlich komplett verarschen?!", platzte es aus ihr heraus, doch er blieb ganz ruhig.
„Das Mädchen, mit dem du mich gesehen hast, heißt Yasmin."
„Es gibt noch eine?!"
„Ich schwöre dir, dass ich nichts mit ihr habe. Sie ist Stripperin auf dem Kiez. Sie arbeitet in einem Laden, an dem ich beteiligt bin", probierte er sich ihr zu erklären.
„Du bist in einem Strip-Club beteiligt?!"
„Ich wusste, du flippst aus, wenn ich dir das sage, und ich wollte nicht, dass das zwischen uns steht", gab er hilflos zurück.
„Du wolltest nicht, dass das zwischen uns steht?" wiederholte sie fassungslos. „Und deshalb verheimlichst du mir, dass du in einem beschissenen Strip-Club mit drinhängst? Ich dachte, wir wollten ehrlich zueinander sein und keine Geheimnisse voreinander haben. Scheinbar bin ich die Einzige, die diesen Vorsatz ernstgenommen hat."
„Der Laden gehört Joker. Das alles gehört praktisch zu meinem Job. Aber ich habe nichts mit ihr", beteuerte er.
„Du hast einen Laden mit Joker?"
Mittlerweile erreichte ihr Gehirn die Grenze der Aufnahmefähigkeit absurder neuer Informationen.
„Das ist eine ziemlich lange Geschichte."
„Und das soll ich dir glauben, nachdem du mir das monatelang verschwiegen hast?", fragte sie wutschnaubend.
„Und Samira?", fragte sie, als Marten sie einfach nur reumütig anschwieg. „Ist das auch eine aus dem Laden? Hast du dich an dem Abend nicht um sie gekümmert? War Joker deshalb so sauer? Hast du eine deiner Schlampen vernachlässigt?"
„Lass sie da raus!", schrie er sie auf einmal unerwartet an; so laut, dass sie vor Schreck zusammenzuckte. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
„Also ist sie dir tatsächlich wichtig", stellte sie enttäuscht fest.
„Nein, so ist das nicht. Ich-"
„Warum tust du mir das an? Was habe ich dir getan?", fragte sie kopfschüttelnd. Die Erkenntnis, dass er bereit war, irgendein Mädchen derart heftig zu verteidigen, schnitt tief in ihr Herz.
„Weil ich es dir leichter machen wollte, mich zu hassen."
Sie starrte ihn aus großen Augen entsetzt an.
„Wieso solltest du wollen, dass ich dich hasse?"
„Ich wollte, dass du dich von mir abwendest, weil ich es selbst nicht konnte. Deshalb habe ich dich belogen. Es tut mir leid. Ich war ein Idiot."
Auch, wenn sie die Worte verstand, die seinen Mund verließen, so verstand sie dennoch nicht ihre Bedeutung. Sie war überfordert mit all den neuen Informationen und es gelang ihr nicht, sie zu verarbeiten.
„Warum?", fragte sie hilflos.
„Weil du nicht mit mir zusammen sein solltest."
„Und warum bist du dann bei mir auf der Arbeit aufgetaucht, nachdem du dein Ziel erreicht hast?" fragte sie misstrauisch.
„Weil ich gemerkt habe, dass das ein riesiger Fehler war. Maxwell und John haben mir ins Gewissen geredet. Aber du wolltest nicht mit mir sprechen und hast mich ignoriert. Also wollte ich dich nach der Arbeit abfangen, aber dann hast du dich mit deinem Chef gestritten und ich bin durchgedreht. So sollte das eigentlich nicht laufen, aber als er dich bedrängt hat, habe ich Rot gesehen. Ich empfinde einfach so viel für dich und wollte nicht, dass du das durchmachen musst", machte er einen weiteren Versuch, sich zu erklären.
„Was soll ich nicht durchmachen, Marten?", fragte sie ungeduldig.
Sie musterte ihn aus großen, erwartungsvollen Augen. Ein heißkalter Schauer lief ihren Rücken hinab. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Sein ernster Gesichtsausdruck ließ nichts Gutes vermuten.
„Was musst du mir erzählen?", fragte sie vorsichtig, unsicher, ob sie die Antwort überhaupt hören wollte.
„Ich fahre ein. Schon in ein paar Wochen."
Sie brauchte einen Moment, um die Tragweite seiner Aussage zu begreifen. Marten war bereits zu einer Haftstrafe verurteilt worden? Ihre Gedanken überschlugen sich. Wann war das passiert und Für was hatte man ihn verurteilt? Hatte er sich deshalb in der letzten Zeit so seltsam verhalten? Wusste er es vielleicht schon seit dem Konzert?
Einen Augenblick lang schaute sie ihm einfach nur sprachlos ins Gesicht. Er schaute mit demselben betroffenen Gesichtsausdruck zurück.
„Und wann wolltest du mir das sagen?", platzte es bestürzt aus ihr heraus.
„Gar nicht", erwiderte er. „Deshalb wollte ich, dass wir uns trennen. Ich wollte das nicht für dich."
Sie wischte sich mit ihren Fingern übers Gesicht und versuchte, die heißen Tränen, die in ihre Augen getreten waren, zurückzuhalten.
„Wie lange?"
„Etwas mehr als ein Jahr."
Sie stieß frustriert die Luft aus und starrte ihn mit offenem Mund schweigend an. Auch, wenn ein Jahr vielleicht eine verhältnismäßig kurze Haftstrafe war, war die Vorstellung für sie unerträglich. Doch jetzt begann tatsächlich alles, einen Sinn zu ergeben; Martens Heimlichkeiten rund um sein Leben auf dem Kiez, seine Lügen rund um einen vermeintlichen Seitensprung und seine überzogene Reaktion auf Pauls unerwünschten Annäherungsversuch.
Er wollte gerade etwas sagen, als es erneut klingelte. Nika seufzte. Hoffentlich hatten sie mit ihrem lautstarken Streit keine anderen Hausbewohner auf den Plan gerufen, die sich jetzt wegen Ruhestörung beschweren wollten. Das konnte sie jetzt nicht auch noch gebrauchen.
Marten riss wütend die Tür auf und Nika hielt den Atem an, doch als sie niemanden im Flur sah, atmete sie erleichtert auf. Statt mit ihr weiter zu diskutieren, hob er erneut den Hörer der Gegensprechanlage ab.
„Ja?!", bellte er gereizt in den Hörer, dann veränderte sich plötzlich sein wütender Gesichtsausdruck und er schob leise die Wohnungstür ins Schloss. „Kommen Sie hoch", sagte er ruhig, bevor der den Hörer in die Halterung zurückhängte, den Türöffner betätigte und Chopper ins Wohnzimmer sperrte. Als er zurückkehrte, fixierte er sie mit seinem Blick.
„Das sind die Bullen", sagte er leise und machte ein paar Schritte an sie heran. Ihr Herz schlug ihr augenblicklich bis zum Hals, als er überraschend seine Hand an ihr Kinn legte und ihr tief in die Augen schaute.
„Sie sind wegen Paul hier und sie werden mich mitnehmen. Die werden mich sicher ein paar Tage dabehalten. Ich werde erstmal nichts sagen. Ich gehe davon aus, dass Paul dich erwähnt hat. Also werden sie auch mit dir reden wollen. Aber du musst keine Aussage machen, bevor du nicht mit einem Anwalt gesprochen hast. Lass dir von denen nichts anderes erzählen."
Die gesamte Wut der vorangegangenen Diskussion war aus seiner Stimme gewichen. Seine Ruhe übertrug sich trotzdem nicht auf sie.
„Ich habe doch gar nichts gemacht", sagte sie empört.
„Hör mir zu. Alles, was ich gleich sage, sage ich, damit du gut aus der Sache rauskommst. Bleib ganz ruhig. Es wird alles gut. Ich verspreche es dir."
Puh, was haltet ihr von all diesen Enthüllungen? Könnt ihr sein Verhalten jetzt besser verstehen oder habt ihr immer noch kein Verständnis für ihn? Was hat euch am meisten getroffen oder überrascht?
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top