26 | Aussprache?
Ohne viel Blabla direkt das neue Kapitel.
Frustriert blies Nika sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und ließ ihren Blick durch das fast leere Studio schweifen. Sie hatte auf Pauls blöde Ansage hin ihre Sonntags-Termine auf nach 16 Uhr verlegt, da sie die Schicht nicht hatte tauschen dürfen und wartete jetzt ungeduldig darauf, dass dieser quälende Tag im Studio endlich endete. Sie hoffte, dass es ihr am Nachmittag gelingen würde, ihre schlechte Laune professionell wegzulächeln und die Stärke und Motivation auszustrahlen, die ihre Kunden von ihr erwarteten.
Mittlerweile hatte sie sich nach einer längeren WhatsApp-Diskussion mit Janet dazu durchgerungen, bei der nächsten Gelegenheit mit Lino über die Situation zu sprechen. Er musste einfach wissen, dass Paul seine Rolle als Chef missbrauchte, seinen gekränkten Männerstolz wieder aufzupolieren.
Als ein junges Mädchen an die Theke trat, um sie um ein Glas zu bitten, setzte sie ebendieses Fake-Lächeln auf und ließ sich ihre Unzufriedenheit nicht anmerken. Dabei war sie noch immer hin- und hergerissen zwischen Unverständnis, Enttäuschung und Wut. Sie hatte den vergangenen Samstag immer wieder über Martens respektloses Verhalten nachgedacht. Es tat noch immer weh.
Er hatte gegen Abend einen weiteren Versuch unternommen und bei ihr geklopft, doch sie hatte ihn erneut ignoriert. Er sollte nicht glauben, dass er einfach so davonkam. Dieses Mal war er einfach zu weit gegangen und sie wusste, dass er seine Lektion nicht lernen würde, wenn sie ausgerechnet jetzt nachgiebig reagierte. Er konnte ruhig ein wenig zappeln. Als sie nicht geöffnet hatte, war er mit seinem Wagen davongebraust. In der letzten Nacht hatte sie so unruhig geschlafen, dass sie einige Male aufgewacht war. Jedes Mal, wenn sie sich dabei erwischt hatte, neugierig aus dem Fenster zu schauen, hatte sein Wagen nicht an der Straße gestanden.
Wenn sie ehrlich war, fehlte er ihr wirklich sehr. Sie hatte sich in den letzten Wochen so sehr daran gewöhnt, mit ihm einzuschlafen, dass zwei Nächte ohne ihn ihr beinah einsam vorkamen.
„Ich habe schon drei Kilo abgenommen", riss das blonde Mädchen sie aus ihren Gedanken. Sie schenkte ihr ein ermutigendes Lächeln. „Das ist ja cool", erwiderte sie, „Aber du bist ja auch so diszipliniert, dass ich mir da bei dir keine Sorgen gemacht habe."
„Ich wünschte, ich wäre nicht immer so faul gewesen", räumte das Mädchen ein und seufzte. „Dann wäre ich nie so dick geworden."
„Aber du arbeitest ja jetzt daran", antwortete Nika. „Besser jetzt, als gar nicht, oder?"
„Ja, das stimmt", sagte das noch immer etwas fülligere Mädchen und strich über den Stoff ihres T-Shirts. „Ich glaube, ich gehe noch zehn Minuten auf den Crosstrainer."
Nika schaute ihr zufrieden hinterher. Mädchen wie sie waren der Grund, weshalb sie ihren Beruf so gern ausübte. Das selige Lächeln auf ihren Lippen und der Stolz in ihren Augen darüber, dass sie an sich und ihren Zielen arbeitete, erfüllte Nika mit Freude.
Als eine Bewegung in ihrem Augenwinkel ihre Aufmerksamkeit erregte, drehte sie ihren Kopf der Eingangstür zu. Sie schluckte, als sie Marten erkannte, der gerade hereinkam. Er trug einen bordeauxroten Jogginganzug, weiße Sneakers und hielt seinen Autoschlüssel in der Hand. Sein Blick war düster und auf sie gerichtet. Augenblicklich wurde ihr heiß und kalt zugleich.
„Ich muss arbeiten", sagte sie abweisend, als er zu ihr an den Tresen trat.
„Mir egal", sagte er. „Du hast mir nicht aufgemacht. Irgendwie muss ich ja mit dir reden."
„Aber doch nicht hier", zischte sie und erinnerte sich mit heißkalten Schauern im Nacken an Pauls Ansage von vor ein paar Tagen zurück, dass er Marten hier nicht sehen wollte. Sie war heute allein im Studio, trotzdem bestand immer das Risiko, dass einer der Kunden sich blöd vor Paul verplapperte und ihn zum Beispiel beiläufig auf ihren Freund ansprach, der sich hier neuerdings öfter herumtrieb.
„Wie lang?", fragte er und hob ungeduldig seine Augenbrauen.
„Bis vier. Aber anschließend habe ich noch ein paar Termine", antwortete sie knapp.
„Dann danach."
Sie atmete tief durch.
„Ich weiß überhaupt nicht, ob ich mit dir sprechen will", sagte sie gereizt.
„Alles klar", knurrte er, bevor er sich beleidigt von ihr abwandte. Einerseits wollte sie ihn schmoren lassen, andererseits war er extra hergekommen, um sich ihr zu erklären. Für ihn kam das einem Hinterherlaufen gleich; erst recht, nachdem sie ihm heute Nacht nicht geöffnet hatte. Es musste ihm also wirklich wichtig sein. Sie wusste, dass, wenn er jetzt ging, er kein zweites Mal auf sie zugehen würde.
„Marten, warte..."
Er fuhr mit einem düsteren Gesichtsausdruck zu ihr herum. Es war offensichtlich, dass sie seine Geduld gerade bis aufs Äußerste ausreizte.
„Ich sage dir Bescheid, wenn ich wieder da bin. Okay?"
Als Nika am selben Abend nach Hause kam, stand sein Wagen vor der Tür. Er hatte tatsächlich darauf gewartet, dass sie zurückkam, anstatt sich wieder die Nacht auf dem Kiez um die Ohren zu schlagen. Doch sie würde es ihm ganz sicher nicht so einfach machen, wie er vielleicht glaubte.
Sie stieg aus, nahm ihre Sporttasche aus dem Kofferraum und lief den kleinen Weg von der Straße auf das Haus zu. In ihrem Augenwinkel bemerkte sie Marten, der auf dem Balkon seiner Wohnung stand und einen Joint rauchte. Doch sie ignorierte ihn absichtlich, schaute nicht einmal zu ihm auf, sondern tat, als hätte sie ihn nicht gesehen.
In ihrer Wohnung angekommen, streifte sie erschöpft die Sneakers von den Füßen, warf ihre verschwitzten Sportklamotten in die Waschmaschine und nahm eine heiße Dusche. Auch, wenn sie wusste, dass sie seine Geduld besser nicht bis aufs Äußerste ausreizte, wollte sie ihn noch etwas schmoren lassen. Erst, als sie ihre feuchten Haare in ein Handtuch gewickelt, sich ein Shirt und eine Leggings übergeworfen und sich etwas zu essen gekocht hatte, klopfte es schließlich ungeduldig an ihrer Tür. Ihr Blick glitt automatisch auf die kleine Digitalanzeige am Herd. Marten hatte tatsächlich eine ganze Stunde ausgehalten, bis sein Geduldsfaden gerissen war.
Sie räumte trotzdem in aller Ruhe das benutzte Geschirr in die Spülmaschine und ließ ihn ein weiteres, energischeres Mal klopfen, bevor sie ihm schließlich mit gleichgültigem Gesichtsausdruck öffnete.
„Es tut mir leid."
Seine ersten Worte überraschten sie, denn sie hatte mit irgendwelchen ungeduldigen Vorwürfen gerechnet. Stattdessen schaute er reumütig auf sie herab und vergrub seine Hände schuldbewusst in den Taschen seiner Jogginghose.
„Was genau?", fragte sie kühl.
Er verschaffte sich wie selbstverständlich Zutritt zu ihrer Wohnung und drückte die Tür hinter sich ins Schloss. Dann fixierte er sie ernst mit seinem Blick.
„Das mit der Fickbeziehung."
Sie schüttelte den Kopf und stieß einen verächtlichen Laut aus. Sie musste sich trotzdem nicht anmerken lassen, dass seine unerwartete Entschuldigung sie aus dem Konzept brachte.
„Was zur Hölle stimmt nicht mit dir?", platze es wütend aus ihr heraus.
„Können wir uns setzen?"
Seine Stimme war ungewohnt ruhig. Einen Moment schaute sie in seine Augen. Es schien ihm ernst zu sein. Also nickte sie, dann ging sie ins Wohnzimmer zurück. Er folgte ihr, setzte sich zu ihr auf die Couch und musterte sie schuldbewusst.
„Ich weiß, dass ich dich beschissen behandelt habe, okay? So was vor allen Leuten über dich zu sagen, war respektlos und das verdienst du nicht. Ich war einfach so wütend in dem Moment; nicht nur, weil du dich einfach so über meine Ansage hinweggesetzt hast, sondern auch, weil du mir immer noch nicht vertraust, wenn es um andere Frauen geht. Außerdem hatte ich ein paar Dinge zu regeln mit ein paar Jungs, in deren Nähe ich dich nicht haben wollte", versuchte er ruhig, sein Verhalten zu erklären.
„Glaubst du nicht, ich kann auf mich selbst aufpassen?", fragte sie provokant und hob eine Augenbraue.
„Genau das ist das Problem, mein Schatz. Das sind Typen, zu denen du besser nicht frech bist; auch nicht, wenn du eigentlich Recht hast. Die fackeln nicht lange, auch nicht bei Frauen. Und wenn da etwas passieren würde, müsste ich reagieren. Ich könnte das nicht kommentarlos stehenlassen. Das kann ich nicht riskieren, verstehst du?"
„Nein. Verstehe ich nicht", erwiderte sie trotzig.
„Also würdest du es dir einfach so gefallen lassen, wenn irgendein Typ dir an den Arsch fasst? Einfach so? Ohne ihm eine Ohrfeige zu verpassen?"
Sie biss sich auf die Unterlippe, als sie erkannte, dass er sie durchaus richtig einschätzte.
„Cassie treibt sich auch dort herum", konterte sie.
„Die fasst auch niemand an, weil jeder weiß, zu wem sie gehört", erwiderte er.
„Und? Du hättest auch jedem zeigen können, dass ich zu dir gehöre", kommentierte sie.
„Nein, hätte ich nicht", gab er zurück.
„Warum nicht?"
„Weil es diese Typen nichts angeht, was wir haben."
„Hast du mich deshalb als deine Fickbeziehung vorgestellt?", fragte sie enttäuscht.
„Aus manchen Dingen in meinem Leben will ich dich einfach raushalten", sagte er.
„Du hättest mich auch einfach als eine Freundin vorstellen können", gab sie wütend zurück.
„Hätte ich. Und du wärst komplett eskaliert, weil ich vor dem Mädchen, von der du glaubst, ich würde was mit ihr haben, verleugnet hätte, dass ich eine Freundin habe. Es gibt einfach Menschen, die nicht wissen müssen, was du für mich für einen Stellenwert hast."
„Und warum nicht?"
Er seufzte tief.
„Es ist einfach besser so. Glaub mir."
„Und du bist nicht auf die Idee gekommen, einfach vor dem Konzert offen mit mir darüber zu sprechen?", fragte sie anklagend.
„Doch. Aber ich wusste, du würdest alles hinterfragen und die Sache unnötig kompliziert machen", erwiderte er.
„Kann schon sein, aber vielleicht hätte ich versucht, dich zu verstehen, wenn du mich nicht so blöd bevormundet hättest. Es reicht schon, wenn meine Eltern das versuchen", gab sie zurück.
„Wenn ich dir gesagt hätte, dass ich dich nicht als meine Freundin mitnehmen kann oder dich gebeten hätte, dich einfach als Maxwells beste Freundin vorzustellen, hättest du hinterfragt, weshalb und mir vorgeworfen, dich vor den anderen Frauen dort zu verleugnen, weil ich mir eine von denen klarmachen wollen würde. Das weißt du ganz genau. Allein schon, dass du mich verdächtigt hast, ich würde dort eine andere treffen, beweist es doch. Und ich hatte an dem Abend keinen Kopf für diesen Film."
„Du hast Recht. Es war falsch zu glauben, du hättest was mit Cassie. Und vertraue ich dir auch, aber-"
„Nein. Du vertraust mir nicht. Das war deutlich", unterbrach er sie entschieden. „Ich verstehe nicht, warum. Gebe ich dir einen Grund dazu? Gebe ich dir nicht das Gefühl, dass mir das zwischen uns ernst ist? Ich unterstütze dich, ich höre mir deine Probleme an, ich versuche immer, dir zu helfen, ich lasse mich von deiner Mutter in eine Schublade stecken – meinst du, ich würde das alles machen, wenn mir unsere Beziehung egal wäre? Wenn ich vorhätte, dir fremdzugehen, würde ich das wohl kaum auf einem Konzert machen, vor Maxwell, der dir das brühwarm erzählen würde."
Sie biss sich reumütig auf die Unterlippe.
„Du hast Recht. Und es tut mir leid, dass ich dir das unterstellt habe. Aber weißt du, das wäre vielleicht alles anders, wenn du nicht ständig Geheimnisse vor mir hüten würdest. Seit Tagen beschäftigt dich etwas, aber du sprichst nicht mit mir darüber. Wie soll ich da Verständnis für dich oder deine Situation aufbringen?"
Was sagt ihr zu seiner Erklärung? Könnt ihr verstehen, dass er sich deshalb so verhalten hat oder hat Nika Recht und es hätte genug andere Möglichkeiten gegeben?
Adinavid hat sicher schon damit gerechnet, dass er sich deshalb so beschränkt verhält, haha.
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