18 | Unbequeme Wahrheit

Viele haben es schon spekuliert. Hier für euch das neue Kapitel. I hope you like.

„U-Haft?", platzte es fassungslos aus Nika heraus, „Warum?"

„Blöde Geschichte. Erzählt er dir bestimmt, wenn er wieder draußen ist. Dauert nicht lange."

Sie schüttelte energisch den Kopf.

„Ich will jetzt wissen, was hier los war. Gott, kann man den Typ nicht mal zwei Tage allein lassen?"

„Ist nicht zu seinem Gerichtstermin erschienen. Abends haben sie ihn auf dem Kiez einkassiert. Morgen ist er wieder draußen", versicherte er ihr.

„Was ein Idiot", sagte sie wütend.

„Macht er sicher nicht nochmal", erwiderte er.

„Dafür macht er irgendwas anderes dummes", gab sie zurück.

Er lachte.

„Scheint, als würdest du ihn schon ganz gut kennen", stellte er amüsiert fest und musterte sie eindringlich. Seine Augen funkelten verräterisch.

„Er hat es dir erzählt?!", fragte sie ungläubig.

„Was erzählt?", tat John ahnungslos.

„Du weißt genau, was", gab sie zurück.

„Dass ihr fickt, meinst du?"

Sie warf die Hände in die Luft.

„Ich fass es nicht!", entfuhr es ihr.

„Als sie ihn festgenommen haben, hat er mir gesagt, ich soll mich um Chopper kümmern und dir Bescheid sagen, sobald du zurück bist."

Erst jetzt verstand sie, dass Marten dichtgehalten und sie das Geheimnis gerade selbst ausgeplaudert hatte.

„Oh", sagte sie betreten.

John schmunzelte amüsiert.

„Hab ich mir aber schon gedacht", sagte er.

„Weil?", knurrte sie mürrisch.

„Weil ich ihn kenne. Er ist mein Cousin. Ich sehe, wenn er auf ne Frau steht."

„Aha."

„Muss dir nicht unangenehm sein."

„Ist es nicht", log sie.

„Wenn sie ihn rauslassen, holen Joe und ich ihn ab. Ich melde mich dann bei dir. Ich muss los, meine Freundin vom Flughafen abholen."

Doch er meldete sich nicht. Ganze drei Tage vergingen, an denen Nika immer wieder ungeduldig auf ihr Handy schaute, aber nichts passierte. Zum Glück musste sie jeden Tag bis spät abends arbeiten. Doch auch trotz der Ablenkung auf der Arbeit kehrten ihre Gedanken immer wieder zu Marten zurück, wenn sie abends nach Hause kam, sein Wagen nicht vor der Tür stand und in seiner Wohnung noch immer kein Licht brannte.

Am vierten Tag nach Johns Kurzbesuch riss sie ein Klingeln sie aus dem Schlaf. Sie brauchte noch einen Moment, um zu verstehen, dass es ihre Klingel war. Plötzlich fiel es ihr wieder ein. Sie war mit ihrer Mutter zum Frühstück verabredet. Um Geld zu sparen, hatte sie ihre Mutter kurzerhand zu sich eingeladen, doch sie hatte verschlafen. Hektisch schlug die sie Bettdecke zur Seite, huschte in den Flur und nahm den Hörer der Sprechanlage in die Hand.

„Hallo?", fragte sie und bemühte sich, nicht so verschlafen zu klingen, wie sie sich fühlte.

„Ich bin's", trällerte die fröhliche Stimme ihrer Mutter.

Sie seufzte lautlos.

„Komm hoch", sagte sie, dann betätigte sie den Türöffner und stürzte ins Bad, putzte in Windeseile ihre Zähne und kämmte sich die völlig zerzausten Haare. Da die Zeit für mehr nicht ausreichte, stürzte sie zurück in den Flur und erwartete ihre Mutter mit einem Lächeln im Türrahmen.

Die Frau in den Fünfzigern erwiderte es. Sie hatte schulterlanges, blondes Haar, das sie zu einer modischen Frisur geföhnt hatte, und wie Nika strahlend blaue Augen. Wie so häufig sah sie aus wie eine Frau aus einem Jetset-Magazin. Sie trug ein weiß-schwarzes Ringeltop, eine weiße Jeans mit schwarzem Gürtel, einen schwarzen Blazer mit goldenen, großen Knöpfen und überteuerte Louboutins. An den Händen, um ihr Handgelenk und um ihren Hals funkelte teurer Schmuck. Auf den ersten Blick wirkte sie wie die Repräsentantin eines Golfclubs, war jedoch Tourismuskauffrau. In ihrer rechten Hand hielt sie eine Brötchentüte.

„Schön, dass du da bist", lächelte Nika, als ihre Mutter die Türschwelle erreichte. Die betrachtete kurz mit skeptischem Blick ihr Outfit, das nur aus einem Top und einer knappen Shorts bestand.

„Wie ich sehe, hast du dich für unser Frühstück besonders hübsch gemacht", sagte sie mild lächelnd, doch Nika entging der beißende Unterton in ihrer Stimme nicht.

„Klar. Für dich nur das Beste", konterte sie mit einem aufgesetzten Lächeln, bevor sie ihre Mutter trotz der unterschwelligen Kritik kurz in die Arme schloss. Auch, wenn sie hin und wieder durchblicken ließ, dass auch sie sich einen anderen Weg für ihre Tochter gewünscht hatte, war sie noch lang nicht so unangenehm wie Nikas Vater.

„Komm doch rein", fuhr sie fort und trat nach hinten, um ihre Mutter in die Wohnung zu lassen.

Ihre Mutter folgte ihr in die kleine Küche und schaute sich dabei neugierig um.

„Inzwischen hast du es dir ganz nett eingerichtet", stellte sie fest und ließ ihren Blick über die kleinen Pflänzchen auf dem Fensterbrett schweifen.

„Danke", gab Nika zurück, „Möchtest du einen Kaffee?"

„Gerne", nickte ihre Mutter und blieb unschlüssig im Raum stehen, während Nika ein Senseo-Pad in die Maschine legte und eine Tasse in die kleine Halterung stellte.

„Du kannst dich ruhig setzen, Doris", sagte sie, als sie bemerkte, dass ihre Mutter sich weiterhin nicht bewegte, sondern sprachlos auf den kleinen Tisch und die zwei Klappstühle starrte. „Ich weiß, es ist nicht das Hilton, aber du wirst es überleben."

Während der Kaffee in die Tasse lief und ihre Mutter sich vorsichtig auf einen der Klappstühle sinken ließ, vermutlich in Sorge, er könne unter ihrem Fliegengewicht zusammenbrechen, nahm Nika ihr die Brötchentüte aus der Hand, holte die gemischten Gebäckstücke heraus und legte sie in einen kleinen Brotkorb, den sie zuvor mit einer bunten Serviette ausgelegt hatte. Sie reichte ihrer Mutter die Kaffeetasse, stellte eine weitere in die Maschine und nahm zwei Teller aus dem Oberschrank. Doris beobachtete unterdessen mit Adlersaugen, wie sie das Geschirr auf dem Tisch platzierte, ihr anschließend Milch und Zucker für den Kaffee vor die Nase stellte und Butter, Quark, Marmelade und Aufschnitt aus dem Kühlschrank nahm. Für sie hätte es ausgereicht, alles einfach auf den Tisch zu stellen, doch ihrer Mutter zuliebe füllte sie den Inhalt in kleine Schälchen oder auf Tellerchen ab.

„Möchtest du noch einen frischen Orangensaft?", fragte sie und griff nach einer der Orangen, die zusammen mit Äpfeln und Bananen in einer Schale neben dem Kühlschrank auf der Anrichte standen. „Oder vielleicht einen Obstsalat?"

Doris lächelte versöhnlich. Mittlerweile hatte sie offenbar den ersten Schock überwunden und sich an den Klappstuhl gewöhnt. „Ich nehme sehr gerne etwas Obst."

Nika schnitt einen Apfel und eine Banane in Stücke, schälte eine Orange und legte alles zusammen in eine Schüssel. Anschließend presste sie für sich selbst eine Orange aus, schnibbelte noch etwas Paprika und Gurke auf einen Teller und setzte sich dann zu ihrer Mutter an den Frühstückstisch.

„Wie geht es dir denn?", erkundigte Doris sich neugierig, als Nika nach dem Quark griff, ihn in eine Schüssel füllte und lose Obststücke dazugab.

„Mir geht's gut", antwortete Nika. „Und dir?"

Ihre Mutter legte den Kopf schief und sah prüfend in ihre Augen.

„Wirklich? Du siehst nicht gut aus."

Nika fuhr sich erschöpft mit der Hand über das Gesicht.

„Doch, mir geht's gut. Ich habe nur in den letzten Nächten nicht besonders viel geschlafen", antwortete sie wahrheitsgemäß.

„Hast du Sorgen?"

Sie seufzte lautlos. Wie konnte eine Person, die einerseits so unglaublich anstrengend und rechthaberisch war, andererseits so einfühlsam sein?

„Nein", log sie, „Ich habe einfach nur viel gearbeitet. Wenn ich so spät nach Hause komme, fällt es mir oft schwer, einfach abzuschalten."

„Ist denn alles okay auf der Arbeit?", hakte Doris nach und schnitt ein Vollkornbrötchen auf.

„Ja, nur viel zu tun im Augenblick. Wir expandieren, deshalb betreue ich gerade zwei Studios, bis wir einen neuen Kollegen eingearbeitet haben", erzählte sie.

„Dann hast du ja jetzt viel Verantwortung", stellte Doris fest und griff nach der Marmelade.

„Mir macht das nichts aus. Es ist doch ein gutes Zeichen, wenn meine Chefs mir so viel zutrauen", erwiderte Nika.

„Zahlen sie dir jetzt für deinen größeren Verantwortungsbereich wenigstens ein besseres Gehalt?", wollte ihre Mutter wissen und biss von ihrem Brötchen ab.

„Ja, ich bekomme jetzt tatsächlich eine Gehaltserhöhung", antwortete Nika zufrieden und schob sich einen weiteren Löffel Quark mit Obst in den Mund. Sie konnte es kaum erwarten, davon endlich einen weiteren Teil ihrer Schulden abzubezahlen.

„Das wurde aber auch langsam Zeit. Vielleicht kannst du davon ja ein paar anständige Stühle kaufen", sagte Doris beißend und nippte an ihrem Kaffee.

„Ich kann dich davon auch zukünftig einfach auswärts zum Frühstück einladen, damit du nicht unter deinem Niveau speisen musst", konterte sie trocken. Es war nicht in Nikas Interesse, sich mit ihrer Mutter zu streiten, auch, wenn sie sich mal wieder von ihrer unangenehmen Seite präsentierte, doch sie wollte sich die unterschwellige Kritik nicht schweigend gefallen lassen.

„Es fällt mir einfach schwer zu akzeptieren, dass du dich mit so wenig zufrieden gibst", erwiderte Doris und biss von ihrem Brötchen ab.

„Besser, als mit nichts zufrieden zu sein", entgegnete Nika bissig.

Nika begrub traurig die Hoffnung, dass sich zumindest das Verhältnis zu ihrer Mutter noch einmal verbessern würde. Doris konnte ihre spitzen Bemerkungen einfach nicht lassen und sie war nicht bereit, diese kommentarlos hinzunehmen. Vermutlich würden sie immer wieder aneinandergeraten, auch, wenn ihr Verhältnis zueinander oberflächlich in Ordnung war.

Auch ihr Vater machte nur selten einen Hehl daraus, was für eine Enttäuschung ihr Lebensweg für ihn war. Schließlich hatte er selbst Architektur studiert, um seinen Kindern etwas bieten zu können, und konnte nicht verstehen, wieso sie selbst keinen ähnlichen Weg eingeschlagen hatte. Er fand, dass sie hinter ihren Fähigkeiten zurückblieb und sich mit zu wenig zufriedengegeben hatte. Nika entschied sich, das Thema sicherheitshalber von sich wegzulenken.

„Und wie geht es dir?", fragte sie also.

„Gut, immerhin habe ich heute meinen freien Tag", flötete ihre Mutter und biss ein weiteres Mal von ihrem Brötchen ab.

„Du hast fast immer frei", murmelte Nika und schob sich einen Löffel Quark mit Obst in den Mund.

„Jetzt übertreibst du aber", protestierte Doris.

„Ist doch so. Seit Josh und ich aus dem Haus sind, arbeitest du zwanzig Stunden in der Woche, verteilt auf vier Tage. Das ist praktisch wie Urlaub", kommentierte Nika trocken und versuchte, sich ihren Neid nicht anmerken zu lassen. Wäre sie mit einem Architekten verheiratet, hätte sie vielleicht ein ähnlich entspanntes Leben gewählt, doch das konnte sie sich nicht leisten; irgendwie musste sie schließlich ihre Rechnungen bezahlen.

„Das könntest du auch haben, hättest du dich für ein Studium entschieden", erwiderte Doris.

Nika verdrehte die Augen.

„Fang bitte nicht schon wieder damit an", bat sie ihre Mutter seufzend.

„Die Wahrheit ist manchmal eben unbequem, Veronika", sagte Doris und trank einen Schluck ihres Kaffees.

„Erstens hätte ich mit dem Schulabschluss sowieso nicht studieren können und zweitens bin ich wirklich sehr glücklich mit meiner Berufswahl", versicherte Nika. „Das ist doch das Wichtigste, oder nicht?"

„Natürlich musst du in erster Linie mit deinem Job zufrieden sein. Wir haben uns einfach etwas anderes für dich gewünscht. Wir wollten immer, dass es dir gut geht und du finanziell abgesichert bist", räumte ihre Mutter ein.

„Ich finde es ja auch schön, dass ihr euch Gedanken darüber gemacht habt, was aus mir wird, aber ich habe mich bewusst dazu entschieden, etwas mit Menschen zu machen und habe darin meine Erfüllung gefunden, auch, wenn ich vielleicht nicht so viel verdiene wie meine Eltern", sagte Nika ernst.

Ein lautes Klopfen unterbrach ihre Unterhaltung. Als Nika realisierte, dass es nur Marten sein konnte, war sie hin- und hergerissen. Die nervtötenden Äußerungen ihrer Mutter hatten sie bereits wieder derartig provoziert, dass sie entschied, die Gunst der Stunde zu nutzen.

Sie hatte ihrer Familie bisher nicht von ihrer volltätowierten Affäre erzählt, die bis gerade eben in Untersuchungshaft gesessen hatte. Doch es konnte nicht schaden, ein weiteres Mal zu verdeutlichen, dass sie ihre Entscheidungen selbstständig traf; ganz egal, was ihre Eltern davon hielten. Es klopfte ein weiteres Mal. Sie schenkte ihrer Mutter einen entschuldigenden Blick und stand auf.

„Ich bin sofort wieder da", versicherte sie mit einem unentschiedenen Lächeln auf den Lippen. Auf dem Weg in den Flur zog sie die Küchentür hinter sich zu. Ihre Finger kribbelten nervös, als sie kurz darauf die Tür öffnete und in diese ihr so bekannten Augen schaute. Innerlich atmete sie erleichtert auf, als sie Marten in einem seiner vielen Adidas Jogginganzüge mit einem breiten Grinsen im Gesicht vor sich stehen sah. Er war wieder da.

„Hey", brach er das unangenehme Schweigen zwischen ihnen.

Sie war zerrissen zwischen Erleichterung und grenzenloser Wut, doch da ihr im ersten Moment ein Stein vom Herzen fiel, schlang sie wortlos ihre Arme um seinen Hals, drückte ihn fest an sich und krallte ihre Fingernägel in den Stoff seiner Trainingsjacke. Er zögerte einen Augenblick, dann jedoch erwiderte er ihre Umarmung. Erst, als sie sich wieder von ihm löste, ließ sie ihrer Empörung auf ihn freien Lauf und verpasste ihm einen Stoß gegen die Brust. „Hast du eigentlich deinen Verstand verloren?!"

Er lächelte, hielt ihre Hände fest und zog sie wieder zu sich heran. Ehe sie protestieren konnte, brachte er sie mit einem Kuss zum Schweigen. Sie wollte ihn von sich stoßen, doch als er seine Hände an ihr Gesicht legte, ließ sie es doch geschehen, seufzte schwer in den Kuss hinein und genoss den kurzen Augenblick, in dem sie sich wie seine Freundin fühlte.

„Ich hasse dich", murmelte sie leise, als er sie freigab.

„Hast du was zu essen da?", fragte er, während er sich wie selbstverständlich Zutritt zu ihrer Wohnung verschaffte.

„Ja, aber meine Mutter ist hier", informierte sie ihn.

Er runzelte misstrauisch die Stirn.

„Und?"

„Wir frühstücken gerade, aber noch kannst du es dir anders überlegen."

„Trifft sich gut. Ich habe seit Tagen kein vernünftiges Frühstück bekommen", grinste er frech.

„Ist halt kein Fünf-Sterne-Hotel", erwiderte sie trocken.

„Miststück", schmunzelte er, dann öffnete er ohne zu zögern die Küchentür. Nika atmete tief durch, dann folgte sie ihm.

Ich hoffe, das Kapitel hat euch gefallen, auch, wenn ich es wieder an einer fiesen Stelle beendet habe. Ihr wisst ja, wie ich bin. Ich kann nicht anders. Ich hoffe, ihr seid erleichtert, dass er doch noch zum Ende des Kapitels wieder aufgetaucht ist und ich ihn nicht noch länger eingesperrt habe (sorry). Was haltet ihr eigentlich von Nikas Mutter? Und was glaubt ihr, wie die Begegnung zwischen Marten und ihr verlaufen wird? Schreibt es in die Kommentare :)

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