16 | Baby..?

2.5k. Richtig nice. Als kleines Dankeschön gibt es das neue Kapitel schon heute. Danke an jede einzelne, die liest, votet und kommentiert. Ich küsse eure Augen.

„Können wir direkt los?", fragte Paul und versuchte, Marten die Reisetasche abzunehmen, doch der lief einfach an ihm vorbei in Richtung Auto.

„Ja, ich bin fertig", sagte sie, bevor sie Marten folgte. Der hatte bereits die Tasche in den noch offenen Wagen geräumt und musterte sie kurz, als sie ihn gemeinsam mit Paul erreichte.

„Meld dich, wenn du da bist, Baby."

Noch während sie überfordert verarbeitete, dass er ihr gerade einen Kosenamen gegeben hatte, zog er sie völlig unerwartet am Kragen ihrer Lederjacke zu sich heran und drückte ihr einen Kuss auf die Lippen. Dann warf er Paul einen letzten eisigen Blick zu, ehe er sich von ihnen abwandte und zum Hauseingang zurückkehrte. Dort ließ er sich auf die Treppenstufen sinken und beobachtete mit grimmigem Gesichtsausdruck, wie Nika zu Paul in den Wagen stieg.

Als sie am Mittag auf das weiche Bett in ihrem Hotelzimmer fiel, war sie noch immer nicht darüber hinweggekommen, dass Marten vor Paul ganz offensichtlich sein eigentlich nicht vorhandenes Revier markiert hatte. Sah er ihren Chef tatsächlich als eine Art Konkurrenz? Und wenn ja, wieso tat er das überhaupt? Sie waren einander schließlich nichts schuldig und führten keine Beziehung miteinander.

Zum Glück hatte Paul sie noch nicht auf Marten angesprochen. Doch er war auch viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt und damit, was für ein toller Typ er war. Während der Fahrt hatte er ununterbrochen über die Familie seiner Exfreundin gesprochen und sich darüber ausgelassen, dass sie erst jetzt, wo er ein eigenes Fitnessstudio hatte, einen Zugang zu ihm finden wollten, er das aber alles nicht nötig hatte; ebenso wenig wie eine feste Freundin. Er überschätzte sich selbst und hatte eine komplett falsche Selbstwahrnehmung. Er hielt sich einfach für den coolsten Typen der Welt und war der festen Überzeugung, dass die Frauen ihm deshalb zu Füßen liegen müssten. Deshalb, so glaubte er, musste er sie zappeln lassen, um interessant zu bleiben. Nika war beinah wahnsinnig geworden, weil er ständig über seine eigenen, schlechten Witze lachte.

Also war sie froh, dass sie Paul für ein paar Minuten losgeworden war, um ihre Sachen auf das Hotelzimmer zu bringen. Sie nutzte die Gelegenheit, um Martens Forderung nachzukommen, ihn anzurufen. Sie wollte gerade seine Nummer wählen, als es an er Tür klopfte. Sie ließ das Handy sinken, stand auf und öffnete. Paul stand vor ihr und musterte sie motiviert.

„Bist du so weit?"

„Das Seminar fängt doch erst in zwei Stunden an", erinnerte sie ihn an seine eigenen Worte.

„Ja, aber will vorher schnell irgendwo noch was essen", sagte er.

„Ich wollte mich eben schnell frischmachen, dann komme ich sofort", erwiderte sie.

„Du siehst doch toll aus. Komm schon, verschwende jetzt nicht unsere Zeit damit", forderte er und musterte sie ungeduldig. Wäre er nicht der Chef, hätte sie ihm jetzt eine klare Ansage gemacht. Doch sie wollte mit ihm schließlich über ein besseres Gehalt sprechen, also schnappte sie sich stattdessen ihre Zimmerkarte und folgte ihm in die Lobby. Auf dem Weg tippte sie Marten eine kurze Nachricht, dass sie angekommen waren.

Der restliche Tag mit Paul verlief ziemlich anstrengend. Nach dem ersten Seminartag, der bis abends andauerte, bestand Paul darauf, mit ihr noch etwas essen zu gehen. Da er ihr Chef war und sie hoffte, endlich das leidige Thema Gehaltserhöhung ansprechen zu können, sagte sie zu, auch, wenn sie sich eigentlich nicht dafür zuständig fühlte, ihn zu unterhalten.

Nur kurz darauf nahm sie ihm gegenüber an einem der vielen Tische im Restaurant Platz. Das Ambiente war gehoben, die Tische elegant eingedeckt, die Dekoration stilvoll. Klare Linien, modern hinterleuchtete Wände und leise Piano-Musik sorgten für die entsprechende, gediegene Atmosphäre; genau nach dem Geschmack ihres Vaters, doch Nika fühlte sich hier nicht wohl. Doch sie rief sich noch einmal ins Gedächtnis, dass das Abendessen umsonst war, und setzte ein Lächeln auf.

Paul verwickelte sie einmal mehr an diesem Tag in einen oberflächlichen Smalltalk; dieses Mal drehte sich alles um seine letzte Reise auf die Malediven. Von seinem Urlaub lenkte er – nach der Bestellung – auf die aktuelle Situation im Studio und das anfallende Arbeitspensum. Sie ließ ihm einen kurzen Moment, sich selbst zu beweihräuchern. Eigentlich war es schade, dass er sich durch sein viel zu großes Ego selbst im Weg stand, denn trotz allem hatte er gute Manieren und las ihr jeden Wunsch von den Augen ab.

Als Paul während des – zugegeben fantastischen – Essens ausführlich mit ihr über die Dinge sprach, die derzeit aufgrund des hohen Arbeitsaufkommens oftmals unerledigt blieben, sah sie ihre Chance gekommen, endlich das Thema Gehalt anzusprechen.

„Du weißt, ich mache wirklich, was ich kann, aber so lang wir keinen Studioleiter für das neue Studio einstellen, sind mir wirklich die Hände gebunden. Du weißt ja selbst, wie viele Überstunden ich in der letzten Zeit gemacht und wie viele Doppelschichten ich übernommen habe, damit alles irgendwie weiterläuft", leitete sie geschickt ihren Wunsch mit der Betonung ihrer guten Arbeit ein.

„Ich weiß, und dafür sind wir dir auch sehr dankbar. Sobald wir jemanden gefunden haben und die Einarbeitungsphase überstanden ist, kannst du sicher auch endlich mal in Urlaub fahren", erwiderte Paul und schnitt ein Stück von seinem argentinischen Steak ab.

Sie runzelte irritiert die Stirn. Sie hatte nicht gedacht, dass er sich ihres Urlaubsverzichts überhaupt bewusst war.

„Eigentlich ist mir der Urlaub gar nicht so wichtig", log sie, auch, wenn sie unheimlich gern endlich wieder einmal weggeflogen wäre, um den Kopf freizubekommen. Doch wenn sie ehrlich zu sich selbst war, konnte sie sich momentan sowieso keinen teuren Urlaub leisten. Es würde vermutlich gerade mal für einen Low-Budget-Camping-Trip reichen. „Ich würde mir die Überstunden gerne auszahlen lassen", sagte sie also.

Paul schaute ihr überrascht ins Gesicht.

„Aber wir regeln Überstunden immer über Freizeitausgleich", erinnerte er sie überflüssigerweise.

„Ich weiß, aber momentan ist so viel zu tun, dass ich nicht einfach ein paar Wochen am Stück ausfallen möchte. Außerdem kann ich das Geld ehrlich gesagt gerade gut gebrauchen."

„Verstehe, aber ich denke nicht, dass wir das machen können. Wenn wir dir die Überstunden auf einmal ausbezahlen, will demnächst jeder lieber Geld statt Freizeit", erwiderte er.

„Wir müssten es ja nicht an die große Glocke hängen", sagte sie und versuchte, ihre Wut über seine Ablehnung zu verbergen.

„Du weißt, ich bin ein fairer Typ. Wenn ich dir das zugestehe, müsste ich allen dasselbe Recht einräumen. Das geht einfach nicht."

„Ich verstehe deinen Standpunkt, von ein paar freien Tagen kann ich meine Rechnung nicht schneller zahlen", sagte sie.

„Ich dachte, du hast nebenberuflich noch Personal Trainings angemeldet", sagte er. „Läuft das nicht so gut?"

Sie schluckte unmerklich. Eigentlich wollte sie gar nicht, dass Paul überhaupt wusste, wie ihre Selbstständigkeit lief. Natürlich befand sie sich noch im Aufbau, also gab es noch viel Potential nach oben. Trotzdem sollte er nicht denken, dass sie nicht erfolgreich war, denn das könnte er mit bösem Willen auch auf ihre eigenen Fähigkeiten als Trainerin zurückführen.

„Doch, aber ich brauche für ein paar geplante Anschaffungen einfach etwas mehr finanziellen Spielraum", log sie also, da sie sich nicht anders zu helfen wusste. Sie konnte ihrem Chef schließlich nicht mitteilen, dass sie sich aus falschem Stolz verschuldet hatte.

„Kannst du nicht einfach mehr Trainings nebenbei geben?", versuchte er offensichtlich von seiner eigenen Möglichkeit, sie zu unterstützen, abzulenken.

„Momentan ist das etwas schwierig, da ich in der letzten Zeit häufig mehr im Studio gearbeitet habe. Um ehrlich zu sein, habe ich oft auch Trainings dafür abgesagt", schwindelte sie weiter und versuchte so, an Pauls schlechtes Gewissen zu appellieren. Sie entschied sich, alles auf eine Karte zu setzen, und noch mehr in die Offensive zu gehen. „Ich bin auch gern bereit, mehr zu arbeiten, und mein Privatleben hintenanzustellen, aber vielleicht sollten wir dann statt über die Auszahlung von Überstunden über eine generelle Gehaltserhöhung sprechen. Das würde dir auch entgegenkommen, da du mich dann nicht gegenüber anderen Kollegen bevorzugen würdest."

„Du willst also eine Gehaltserhöhung", stellte Paul fest und ließ sein Besteck sinken.

„Ja. Immerhin bin ich schon 8 Jahre dabei."

„Kann dir dein Freund nicht was geben?"

Sie hob eine Augenbraue. Seine Frage war nicht nur frech, sondern geradezu anmaßend, doch da sie wirklich auf das Geld angewiesen war, versuchte sie, sich zusammenzureißen.

„Mein Ziel ist es nicht, vom Geld anderer Leute zu leben. Weißt du, Paul, ich finde, ich mache gute Arbeit. Seit meiner Ausbildung könnt ihr euch immer auf mich verlassen und gerade jetzt, in der Phase, in der ihr expandiert und neue Studios hochzieht, habe ich euch immer den Rücken freigehalten. Ich bin nie krank, immer flexibel und zuverlässig", zählte sie einige ihrer positiven Eigenschaften auf.

„Das stimmt", erwiderte er, „Du leistest seit Jahren wirklich gute Arbeit und eine Gehaltserhöhung ist sowieso längst überfällig. Aber die hätten wir dir mit der nächsten Vertragsverhandlung angeboten. Jetzt gerade stecken wir unglaublich viel Kohle in die neuen Studios. Das weißt du genauso gut wie ich. Trotzdem verstehe ich, dass du irgendwann auch finanziell vorankommen willst. Ich kann das allerdings nicht allein entscheiden. Ich muss mit Lino darüber sprechen. Gib mir ein paar Wochen, bis wir die wichtigsten Dinge über die Bühne gebracht haben. Okay?"

Etwas später, nachdem sie das Abendessen hinter sich gebracht hatte, fiel sie erschöpft auf das Bett in ihrem Hotelzimmer. Dass Paul zumindest die Gehaltserhöhung nicht komplett abgelehnt hatte, war zunächst ein gutes Zeichen, auch, wenn sie sich darüber ärgerte, dass er ihr die Überstunden nicht auszahlen wollte. Sie strich sich durch die Haare und schnappte sich ihr Handy, um endlich Marten anzurufen. Es fühlte sich seltsam an, irgendwie so, als erfülle sie irgendwelche partnerschaftlichen Erwartungen. Aber es tat gut, nach einem solchen Tag seine Stimme zu hören, auch, wenn er unruhig klang.

„Was ist los?", fragte sie.

„Nichts", log er.

„Sicher?"

„Es hat einen Vorfall gegeben", antwortete er.

Sie seufzte schwer.

„Was ist passiert?"

„Ich hab John doch meinen Schlüssel gegeben und meinen Wagen auf dem Kiez stehenlassen. Wurde abgeschleppt. Vor Ort wollten sie mir den Wagen nicht wiedergeben, weil ich mich nicht ausweisen konnte. Hatte den Ausweis zuhause. Ist eskaliert."

„Was hast du gemacht?"

„Egal."

Sie schüttelte den Kopf, denn sie konnte es sich schon vorstellen. Gewaltfrei hatte er die Situation jedenfalls nicht aufgelöst.

„Du musst echt aufhören, dich immer so aufzuregen", kommentierte sie.

„Hat er schon versucht, dich anzumachen?"

Sie brauchte einen kurzen Augenblick, um seinen Richtungswechsel zu verstehen.

„Nein, hat er nicht", erwiderte sie frustriert.

„Was hat der Hurensohn gemacht?", wollte er wissen.

Er merkte, dass etwas nicht stimmte. So viel Sensibilität hatte Nika ihm nicht zugetraut.

„Er nervt einfach mit seinem Gelaber. Er hält sich für den Größten und ich muss nett zu ihm sein, weil er mein Chef ist", sagte sie.

„Sag ihm doch einfach, dass er die Fresse halten soll", schlug Marten vor.

„Das kann ich doch nicht machen", erwiderte sie. Erst recht nicht, wenn sie irgendwie mehr Geld für sich rausschlagen wollte, um endlich ihre Schulden abzuzahlen.

„Klar kannst du", bestätigte er.

„Dann verliere ich meinen Job", sagte sie.

„Lass dir nichts gefallen von dem, und wenn er dich anfasst, boxt du ihm eine", forderte Marten.

Sie verdrehte die Augen. Hörte er sich manchmal selbst reden?

„Er fasst mich schon nicht an", versicherte sie ihm.

„Gut, denn ich bin der einzige, der dich anfasst. Und jetzt sag mir, was du anhast."

Ich weiß. Ihr habt euch mehr Marten in diesem Kapitel gewünscht, oder? Ich hoffe, sein Verhalten gefällt euch trotzdem :p Aber ihr wisst ja, wie das ist. Im Leben passieren auch Dinge ohne den ... ja, Mann unserer Träume? Ihr wisst schon, was ich meine. Und das Gespräch mit Paul war immerhin auch wichtig. Wie findet ihr ihn überhaupt? Immerhin habt ihr ihn ja jetzt das erste Mal wirklich in Aktion kennengelernt.

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