14 | Erste Schritte

180.000 Grad im Schatten. Bevor ich kaputtgehe, schnell noch das neue Kapitel. Viel Spaß.

„Was für Gründe?"

„Frag doch nicht immer so viel", bat Marten.

„Ich habe aber Fragen. Unendlich viele", sagte Nika.

Er wurde ernst, dann zog er sie zu sich heran.

„Wenn du wüsstest, wie ich bin oder was ich alles mache, würdest du gar nicht erst mit mir zusammen sein wollen", versicherte er ihr.

„Das wirst du nicht herausfinden, wenn du dich immer so verschließt."

Er lächelte gequält.

„Kein Psycho-Talk jetzt, okay?"

„Ich will keinen Psycho-Talk. Ich möchte dich einfach nur besser verstehen. Und wenn du mich wirklich magst, so wie du sagst, dann sollte ich dir das wert sein."

Er atmete tief durch.

„Drei Fragen", sagte er ernst.

Nika biss sich auf die Unterlippe, dann wich sie seinem Blick aus und versuchte blitzschnell zu entscheiden, was sie am meisten interessierte.

„Warum ich?"

Er runzelte die Stirn.

„Was meinst du?"

„Warum lässt du dich ausgerechnet auf mich ein, statt dich einfach weiterhin unkompliziert mit den anderen zu treffen?"

Er strich durch ihr Haar.

„Ich habe doch schon gesagt, dass ich dich mag", sagte er.

„Und weshalb mich und keine andere?"

„Weil du mich nicht in Ruhe gelassen hast", schmunzelte er.

„Marten..."

Er lächelte, senkte kurz fast schon beschämt seinen Blick und sah ihr dann fest in die Augen.

„Du bist unschuldig und rein und stehst für das normale Leben, von dem ich mich unendlich weit entfernt fühle. Du bist ein guter Mensch und das weiß ich zu schätzen. In meiner verrückten, chaotischen und dunklen Welt bist du eine Konstante, bei der ich mich fallenlassen und ich selbst sein kann. Viele verurteilen mich für meine Art und ich kann es ihnen nicht einmal verübeln. Aber du nicht.

Du hast mich von Anfang an nicht verurteilt dafür, wie ich bin, und versuchst, hinter die Fassade zu schauen. Wahrscheinlich kann ich deshalb auch bei dir so gut abschalten."

Sie ließ seine ehrlichen Worte auf sich wirken und legte fragend den Kopf schief.

„Wenn du bei mir das Gefühl hast, du selbst sein zu können – wieso hältst du dann diese besagte Fassade weiterhin aufrecht? Ich meine, wäre es nicht schöner, offen zu zeigen, dass du eben nicht nur das empathielose Arschloch bist?"

„Hast du das Gefühl, dass ich gerade eine Fassade aufrecht erhalte?"

Er hob eine Augenbraue und musterte sie eindringlich.

„Nein."

Er lächelte.

„Was ist mit dir passiert, dass du so geworden bist?", fragte sie interessiert.

„So kalt, meinst du?"

„Ja", nickte sie.

„Viele Dinge. Ich bin oft enttäuscht worden, meistens von Menschen, die mir nah standen. Menschen, von denen ich es nicht erwartet hätte. Es ist mir lieber, die Leute halten mich für skrupellos und überlegen es sich zweimal, ob sie sich mit mir anlegen oder mich herausfordern wollen. Du kannst dir das nicht vorstellen, weil du anders aufgewachsen bist als ich, aber in der Welt, aus der ich komme, brauchst du einen dicken Panzer, der dich schützt. Niemand interessiert sich dafür, wie es einem geht; alle denken nur an sich selbst. Irgendwann habe ich angefangen, das Ganze ähnlich zu handhaben. Außer meiner Familie und meinen engsten Freunden sind mir andere Menschen egal", antwortete er vage.

Sie schaute in seine schönen, klaren Augen und biss sich auf die Unterlippe. Natürlich hatte sie es sich schon gedacht, doch aus seinem Mund zu hören, dass eine Reihe von Enttäuschungen ihn derart geprägt und ihn zu diesen abweisenden, kühlen Menschen gemacht hatten, und ihm dabei in die Augen zu schauen und das betrübte Schimmern in seinen Augen zu sehen, berührte sie. Sie wusste, dass er ihr Mitleid weder wollte noch brauchte, doch in diesen Moment fühlte sie sich für ihn unendlich traurig.

„Tut mir leid, dass du so viel Negatives erlebt hast", sagte sie leise.

Er lächelte, doch es wirkte verbittert.

„Siehst du, das habe ich damit gemeint als ich sagte, du bist so rein und unschuldig", sagte er weich und legte dabei seine Hand an ihr Gesicht. Sie senkte verlegen ihren Blick. Die Frage, wer ihn dermaßen enttäuscht und geprägt hatte, brannte ihr unter den Nägeln, doch sie haderte mit sich, ihn danach zu fragen. Er begann gerade, sich ihr zu öffnen und mit einer derart direkten Frage bewirkte sie vielleicht nur, dass er wieder dichtmachte und sich in das Schneckenhaus zurückzog, aus dem er gerade gekrochen war. Andererseits wusste sie nicht, ob sie in der nächsten Zeit noch einmal die Gelegenheit bekommen würde, denn sie wusste, wenn dieses Gespräch endete, würde es erstmal kein weiteres geben, in dem er sich ihr offenbarte.

„Und wer hat dich so sehr verletzt?", fragte sie vorsichtig.

Ihm entfuhr ein schwerer Seufzer.

„Ich meine, waren es deine Eltern, eine Exfreundin oder-", hakte sie nach, doch er unterbrach sie.

„Dein Kontingent an Fragen ist für heute aufgebraucht", sagte er entschieden. Es war offensichtlich, dass das offene Gespräch damit vorbei war. Sie biss sich schuldbewusst auf die Unterlippe und musterte ihn aus großen Augen. Sie hatte nicht gewollt, dass er sich wieder verschloss, doch da sie bereits mit dieser Reaktion gerechnet hatte, entschied sie, sich für heute damit zufrieden zu geben, denn es war mehr, als sie erwartet hatte.

„Ich fahre noch zu John. Willst du mit?"

Er musterte sie erwartungsvoll.

„Nein, ich bleibe hier. Ich muss früh raus."

„Okay", sagte er, dann stand er auf und suchte seine Klamotten zusammen. Als er sich wieder angezogen hatte, kehrte er noch einmal zu ihr ins Schlafzimmer zurück.

„Schlaf schön, Kleines", sagte er und drückte ihr zum Abschied einen Kuss auf die Lippen. Sie schaute ihm verblüfft über diese niedliche Geste hinterher.

In den nächsten Tagen meldete Marten sich kaum bei ihr. Sie versuchte, nicht darüber nachzudenken, wo er sich herumtrieb, sondern konzentrierte sich auf ihre anstehende Fortbildung in Düsseldorf. Ihr Chef Paul würde sie dorthin begleiten. Sie ertrug ihn eher, als dass sie ihn mochte; aus unterschiedlichen Gründen. Er war viel zu sehr von sich selbst überzeugt und flirtete mit so ziemlich jeder Kundin, die sich nicht rechtzeitig vor ihm in Sicherheit brachte. Nika wusste, dass er in verschiedene Affären verstrickt war, was ihn für sie nicht gerade attraktiver machte. Doch er war einer ihrer beiden Chefs, die das Studio gemeinsam führten. Er war auch derjenige gewesen, der sie damals für die Studioleitung vorgeschlagen hatte, also verdankte sie ihm sozusagen auch ihren beruflichen Aufstieg. Außerdem wollte sie mit ihm über eine Gehaltserhöhung und die Auszahlung ihrer Überstunden sprechen. Das Wochenende bot eine gute Gelegenheit dazu. Die paar Tage würde sie schon irgendwie ertragen. Am Tag vor ihrer Abreise besprachen sie die letzten Details. Paul hatte entschieden, mit seinem Wagen zu fahren, da dieser über das Studio angemeldet war und er die Fahrt steuerlich absetzen konnte.

Als Nika an diesem Abend nach Hause kam, stand Martens Batmobil vor dem Haus. Was er wohl machte? Ob er wieder auf der Couch hing und zockte? Oder wickelte er von zuhause aus irgendwelche dubiosen Geschäfte am Telefon ab?

Noch immer hatte sie keine genaue Ahnung davon, wie er sein Geld verdiente, und fragte sich, ob sie ihm vielleicht diese Frage als letzte Frage hätte stellen sollen. Natürlich war sie nicht auf den Kopf gefallen und konnte sich bereits denken, in welche Richtung seine berufliche Tätigkeit ging, doch die Möglichkeiten waren einfach zu vielfältig und sie wollte sich nicht in irgendetwas hineinsteigern. Sie nahm sich fest vor, ihn bei Gelegenheit einfach zu fragen, ganz egal, wie er reagieren würde.

Sie hatte gerade die Tür aufgeschlossen, als das Licht im Treppenhaus aufleuchtete und Marten gemeinsam mit Chopper am oberen Treppenabsatz auftauchte.

„Na", lächelte er, als er sie sah, und zusammen mit seinem Hund die Treppe hinunterlief.

Nika blieb stehen und beäugte Chopper aufmerksam.

„Na", wiederholte sie seine Begrüßung, ließ seinen vierbeinigen Begleiter jedoch nicht aus den Augen.

„Wann verstehst du endlich, dass er dir nichts tut?", fragte Marten, als er sie erreichte, und Chopper lief an ihr vorbei ins Freie. Marten hingegen blieb stehen und schaute aufmerksam in ihr Gesicht.

„Du hast dich gar nicht mehr gemeldet", stellte er fest.

„Du dich auch nicht", erwiderte sie.

„Ist es wegen unserem letzten Gespräch?"

Sie schüttelte den Kopf.

„Nein, ich war wirklich nur etwas im Stress. Morgen fahre ich auf eine Fortbildung."

Er schmunzelte.

„Auf eine Fortbildung", wiederholte er mit einem belustigten Unterton.

Sie seufzte.

„Ja, war mir klar, dass du sowas nicht ernstnehmen kannst", kommentierte sie kühl. Marten schaute sich kurz suchend nach Chopper um, bevor er ihn wieder zu sich rief. Dann sah er wieder in ihr Gesicht.

„Kann ich auch nicht", gab er zu, „Weil das alles Quatsch ist."

„Kann nicht jeder so einen unkonventionellen Job haben wie du", gab sie sarkastisch zurück.

Er lächelte amüsiert.

„Du kannst mich auch einfach fragen, wenn du wissen willst, was ich beruflich mache", sagte er frech grinsend.

„Ich dachte, das unterliegt vielleicht auch irgendeiner Geheimhaltung", schmunzelte sie provokant.

. Ich habe ein Tattoo-Studio mit einem Freund."

„Als ob!"

„Ist ehrlich so."

„Niemals kannst du dir davon das Batmobil leisten", kommentierte sie trocken.

Er schmunzelte.

„Du weißt doch nicht mal, was das Batmobil kostet", erwiderte er.

„Viel."

Er grinste belustigt.

„Ich mache auch andere Sachen", räumte er schließlich ein.

„Was für Sachen?"

„Sachen für John und die Jungs. Fädele Werbedeals ein und so was."

„Echt? Okay", machte sie perplex, denn damit hatte sie tatsächlich nicht gerechnet.

Er lächelte.

„Ja. Echt. Und demnächst mache ich einen Laden auf. Direkt auf dem Kiez."

Sie hob eine Augenbraue.

„Einen Stripclub?"

Er lachte.

„Nein. Eine Bar", versicherte er. „Also, was ist das für eine Fortbildung?"

„Wieso fragst du, wenn du es lächerlich findest?", wollte sie wissen.

Er musterte sie auffordernd, statt zu antworten.

„Medical Coach", antwortete sie knapp.

„Wieso sagst du nicht einfach Gesundheitstrainer?", stichelte er.

Sie verdrehte die Augen.

„Ist mir zu blöd, Marten."

Sie drückte sich an ihm vorbei ins Treppenhaus. Er umfasste ihr Handgelenk.

„Wann kommst du zurück?"

Sein eben noch amüsierter Blick war einem eindringlichen Gesichtsausdruck gewichen.

„Montagmorgen."

„Wann musst du los?"

„Mein Chef holt mich morgen früh ab", sagte sie.

Er runzelte die Stirn.

„Wann genau?"

Sie musterte ihn irritiert. Er stellte heute ungewöhnlich viele Fragen.

„Um neun. Hör zu, ich muss noch was essen und meine Sachen packen, also..."

„Okay, ich muss eh los. Bis später."

Sie schenkte ihm ein Lächeln, dann ließ sie ihn stehen. In ihrer Wohnung angekommen, streifte sie die Schuhe von ihren Füßen, dann begann sie damit, ihre Tasche zu packen. Anschließend machte sie sich eine Kleinigkeit zu essen, räumte die Küche wieder auf und fiel hundemüde ins Bett. Es dauerte nicht lang, bis sie erschöpft einschlief.

Als ein entferntes Klingeln sie aus dem Schlaf riss. Paul!

Hatte sie vergessen, den Wecker zu stellen?

Es klingelte erneut. Hektisch fingerte sie nach ihrem Wecker auf ihrem Nachttisch und warf einen müden Blick darauf. Misstrauisch runzelte sie die Stirn, als sie sah, dass es gerade halb vier war. Ein dumpfer Knall ließ sie erschrocken zusammenzucken. Automatisch setzte sie sich auf und hielt den Atem an. Als sie die Puzzleteile zusammensetzte, sank sie schwer seufzend in die weichen Kissen zurück.

Ich weiß, sie ist ein wenig anstrengend. Vielleicht sollte sie akzeptieren, dass er sich ihr noch verschließt, immerhin kennen sie sich außerhalb des Bettes nur oberflächlich. Oder was meint ihr? Aber vielleicht hat es ja auch etwas gebracht, dass sie etwas mehr aus ihm herauskitzelt. Wer, glaubt ihr, steht jetzt vor ihrer Tür? Marten oder Paul? 

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top