08 | Sunshine

Weil die Sonne scheint, hier das neue Kapitel. Wünsche euch viel Spass.

„Männer sind manchmal wirklich unglaublich", bestätigte Janet und reichte Nika eine Gabel. Die hatte sich bereits an den frisch gedeckten Esstisch gesetzt und beobachtete ihre brünette Freundin dabei, wie sie ihr gegenüber Platz nahm. Nach wochenlanger Zwangstrennung aufgrund unterschiedlicher Arbeitszeiten und Umzug hatten es die beiden jungen Frauen endlich geschafft, sich zu treffen, miteinander zu kochen und sich auszutauschen. Eigentlich war das gemeinsame Kochen in den vergangenen Jahren zu einem festen Ritual geworden. Normalerweise trafen sie sich alle 14 Tage an einem Montag, um einander nicht aus den Augen zu verlieren. Doch mit Nikas Umzug waren die sonst regelmäßigen Treffen eingeschlafen. Doch heute hatten sie es endlich geschafft und Nika hatte die Gelegenheit direkt genutzt, ihre Freundin von den neusten Geschehnissen rund um ihren mystisch-attraktiven Nachbarn in Kenntnis zu setzen.

„Angst vor Nähe", wiederholte Nika kopfschüttelnd die Aussage von Marten.

„Ich hasse diese typischen Ausreden. Soll er doch einfach sagen, dass er sich nicht fest binden will", sagte Janet und schenkte Nika ein Glas Wasser ein. Die warf abwehrend die Hände in die Luft.

„Um Gottes Willen", platzte es aus ihr heraus.

Janet musterte sie misstrauisch.

„Also willst du auch keine Beziehung mit ihm?"

Nika schüttelte den Kopf.

„Nein, ehrlich nicht. Ich genieße einfach den Sex mit ihm. Nach der katastrophalen Beziehung mit Nick muss ich mich nicht unbedingt direkt in die Nächste stürzen", antwortete sie und schnitt ein Stück von ihrem Hähnchenfilet ab.

„Also ist das wirklich nur Sex zwischen euch?", hakte Janet noch einmal nach und legte neugierig den Kopf schief. Ihre dunkelbraunen Augen funkelten gespannt. Nika seufzte.

„Ich habe mir ehrlich gesagt darüber bisher keine weiteren Gedanken gemacht. Bis jetzt haben wir ja auch erst zwei Mal miteinander geschlafen", erinnerte sie ihre Freundin an die vorangegangenen Erzählungen.

„Und wann siehst du ihn wieder?", wollte Janet wissen.

„Ich weiß nicht. Ich habe ihn seit unserer letzten Nacht nicht mehr gesehen", erzählte Nika und schob sich das Fleisch in den Mund.

„Und du hast nicht mal das Bedürfnis, rüberzugehen und zu klingeln?"

Nika lächelte verlegen.

„Ich weiß nicht, ob er da Bock drauf hat. Er hat mir ja schon klar zu verstehen gegeben, dass er keine Nähe will", sagte sie.

„Ich weiß nicht, Nika", erwiderte Janet und aß etwas Reis.

„Was denn?", wollte Nika wissen und beobachtete ihre Freundin aufmerksam.

„Ich glaube nicht, dass du für so was gemacht bist."

„Für was genau?"

„Eine Sexbeziehung."

Nika schluckte unmerklich, als Janet es so konkret auf den Punkt brachte.

„Wieso nicht? Nur, weil ich bis jetzt nur feste Beziehungen hatte, heißt das ja nicht, dass ich Sex und Gefühle nicht trennen kann", erklärte Nika.

„Ich kenne dich jetzt schon seit der Grundschule. Du bist einfach ein Beziehungstyp und du brauchst diese liebevolle Wertschätzung. Es wundert mich, dass es dir nichts ausmacht, wie Marten dich nur auf Sex reduziert", stellte Janet sachlich fest.

„Der Sex mit ihm ist wirklich unfassbar", erwiderte Nika bedächtig grinsend.

„Also kommst du damit klar, dass du für ihn nicht mehr bist als ein Objekt zur Triebbefriedigung?", hinterfragte Janet trocken.

„Janet!"

„Ich will nur verhindern, dass du dich in etwas verrennst. Ich kenne dich. Wenn du von ihm erzählst, leuchten deine Augen und deine Wangen werden rosa. Du magst ihn. Aber für ihn bist du in dem Moment nur Mittel zum Zweck. Das muss dir klar sein. Wenn dir die Vorstellung unangenehm ist, solltest du die Finger von ihm lassen, denn sonst wirst du dich an ihm verbrennen", versuchte Janet, ihren Standpunkt zu verdeutlichen.

„Ich weiß doch selbst nicht, was ich von all dem halten soll. Einerseits will ich mich nicht von ihm ausnutzen lassen, andererseits zieht er mich magisch an. Aber so lang ich mir dessen bewusst bin, bin ich ja selbst für meine Situation verantwortlich, und etwas ändern möchte ich gerade nicht. Mir gefällt es einfach, mit ihm zusammen zu sein. Das sind die einzigen Stunden, in denen ich meinen Kopf abschalte und einfach vergesse", erklärte Nika.

„Den Stress mit deinen Eltern meinst du?", hakte Janet nach.

Nika seufzte.

„Auch. Und den ganzen Stress auf der Arbeit. Und die Schulden."

Janet musterte sie aufmerksam.

„Du hast sie immer noch nicht nach dem Geld gefragt, oder?"

„Wo denkst du hin?", erwiderte Nika. „Damit sie mir einmal mehr vorwerfen können, dass ich mit Geld nicht umgehen kann? Zuzugeben, dass ich mich finanziell verkalkuliert habe, würde sie nur darin bestätigen, dass ich ohne sie nicht überlebensfähig bin."

„Aber es steht dir zu. Deine Oma hat es dir vererbt", sagte Janet.

„Ich weiß, aber du weißt genau, wie sie sind. Vor allem mein Vater. Meine Eltern würden das nur wieder als Grundlage nutzen, mir Vorhaltungen über meinen Lebenslauf zu machen und mein Vater würde sich dazu animiert fühlen, mir in epischer Breite einen endlosen Vortrag über mein alternatives Leben zu halten, das ich hätte haben können", erwiderte Nika und aß ein weiteres Stück von ihrem Hähnchenfilet.

„Ja, aber es ist dein Leben und du entscheidest selbst, wie du es gestalten möchtest", sagte Janet.

„Ich weiß. Aber die dürfen niemals erfahren, dass ich monatelang über meine Verhältnisse gelebt habe. Mir ist ja selbst klar, dass das nicht besonders schlau war, aber Nick hat so gut verdient und mich hat das einfach mitgezogen", seufzte Nika und schob etwas von dem mediterranen Gemüse auf die Gabel.

„Meinst du nicht, dass gerade deine Eltern verstehen würden, dass du neben Nick nicht schlecht dastehen wolltest?", fragte Janet und trank einen Schluck aus ihrem Glas. Nika schüttelte den Kopf.

„Nein, auf keinen Fall. Ich hätte einfach zugeben müssen, dass ich finanziell nicht mithalten kann. Das teuerste Handyvertrag für das teuerste Smartphone, das beste Hotel im Urlaub, dann noch der Kredit für das Auto. Das war einfach dumm. Blöderweise komme ich jetzt aus den Verträgen nicht einfach so raus."

„Ich würde dir so gern Geld geben", sagte Janet aufrichtig.

„Ich weiß, aber du hast doch selbst kaum genug für dich selbst", stellte Nika fest. „Mach dir keinen Kopf. Ich rede in den nächsten Tagen mit Lino. Vielleicht kann ich ja jetzt wirklich etwas mehr verdienen, wenn ich übergangsweise die Leitung von zwei Studios mache, bis wir jemand Neues einstellen. Außerdem habe ich zwei neue Kunden fürs Personal Training."

Erst in dem Moment fiel ihr ein, dass sie Tonis Cousine noch nicht geantwortet hatte. Sie hatte sich heute Mittag wegen eines Termins gemeldet, doch Nika war auf der Arbeit nicht dazu gekommen, ihr zurückzuschreiben. Kurzerhand zog sie das Handy aus ihrer Tasche und klickte sich bis zu der entsprechenden Nachricht durch.

„Bist du sicher, dass das reicht?", hakte Janet nach.

„Das sehe ich dann", lächelte Nika, dann schrieb sie eine Antwort an Alina.

Ein paar Stunden später warf sie zufrieden den Kofferraumdeckel ihres Wagens zu. Sie hatte gerade auf dem Rückweg nach Hause schnell beim Supermarkt um die Ecke angehalten und tatsächlich nach dem üblichen Feierabend-Ansturm noch all das bekommen, was sie brauchte. Sie lächelte. Das Gespräch mit Janet hatte wirklich gutgetan. Sich all die Gedanken rund um Marten, ihre Eltern und ihre Schulden von der Seele zu reden, hatte sich wie eine Befreiung angefühlt. Sie hatte sich fest vorgenommen, die regelmäßigen Treffen jetzt nicht mehr schleifen zu lassen.

Während sie die Fahrertür öffnete, blieb ihr Blick an einem jungen Mann kleben, der ebenfalls eine Tüte mit Einkäufen über den Parkplatz trug. Er war dunkelhaarig, groß, hatte breite Schultern und einen Dreitagebart. Sie ertappte sich dabei, dass sie ihm nachschaute, bis er in seinen BMW gestiegen war. Sie lächelte bei der Erkenntnis, dass es neben Marten noch viele andere schöne Männer gab. Nur, weil er für eine Beziehung nicht geeignet schien, hieß das nicht, dass sie nie wieder eine führen würde.

Sie stieg in den Wagen, startete den Motor und rangierte langsam aus der Parklücke. Doch dann stoppte ein harter Aufprall, begleitet von einem lauten Knall, ihren Ausparkvorgang. Sie brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, dass sie mit einem anderen Auto kollidiert war. Sie schaute sich um. Hinter ihrem Wagen stand der BMW des jungen Mannes, dem sie gerade noch nachgeschaut hatte. Sie seufzte schwer, dann stieg sie aus dem Wagen. Der junge Mann stand bereits hinter ihrem Auto.

„Kannst du nicht aufpassen, wo du hinfährst?!", fuhr er sie aufgebracht an.

Sofort war der Zauber von eben verflogen.

„Ich?! Du bist mir doch in den Wagen gefahren!", platzte es empört aus ihr heraus.

„Bist du behindert oder so? Hast du keine Augen im Kopf?!", pöbelte der Dunkelhaarige weiter.

Sie ignorierte ihn zunächst und warf einen ersten Blick auf den Schaden.

„Das hast du ja toll hingekriegt", fuhr ihr Gegenüber anklagend fort.

„Ganz ehrlich, du hättest warten müssen. Immerhin war ich schon draußen."

„Ich hätte warten müssen?! In welcher Welt lebst du denn?! Unglaublich, echt! Du bist das beste Beispiel dafür, dass Frauen kein Auto fahren sollten!", erwiderte er ungehalten. Inzwischen schauten die ersten Passanten zu ihnen herüber, doch niemand von ihnen unternahm etwas oder mischte sich in die Diskussion ein.

„Okay, entspann dich, wir regeln das schon", sagte sie und versuchte, die Situation nicht eskalieren zu lassen, obwohl sie ihm am liebsten ein paar passende Gegenargumente an den Kopf geworfen hätte. Immerhin wurde er unsachlich und steigerte sich unnötig in den kleinen Zusammenstoß hinein, dabei war kaum ein Schaden zu sehen.

„Entspann dich? Sei froh, dass du ne Frau bist, sonst würde ich dir zeigen, wie ich mich entspanne!", fuhr er sie wütend an.

„Zeig mir doch mal, wie du dich entspannst."

Ihr gesamter Körper spannte sich an, als sie die ihr bekannte Stimme hinter sich hörte. Als sie zu Marten herumfuhr, schenkte der ihr jedoch keine Beachtung, sondern fixierte den Dunkelhaarigen mit einem bedrohlichen Blick. Dabei hatte er seine Hände in den Taschen seiner dunklen, lässig geschnittenen Lederjacke vergraben, unter der sein Shirt und eine Kette hervorschauten. Seine Haare hatte er heute nach oben gestylt. Nika konnte sich nicht dagegen wehren, ihn in diesem Augenblick unglaublich attraktiv zu finden.

Der Dunkelhaarige schien darüber nachzudenken, ob er sich tatsächlich mit Marten anlegen wollte, während der die Hände aus den Taschen nahm und ein paar Schritte auf sie zumachte. Dann blieb er vor Nika stehen und schaute ihr prüfend ins Gesicht.

„Alles okay?"

Sie wusste, dass es jetzt auch an ihr lag, wie diese Situation endete. Auch, wenn sich der Typ völlig danebenbenommen und im Ton vergriffen hatte – sie wusste noch nicht, wozu genau Marten fähig war, wollte es jedoch auch nicht herausfinden. Also nickte sie.

„Ja, alles gut", versicherte sie ihm.

Marten beugte sich kurz zu ihrem Wagen und begutachtete die Karosserie, dann fuhr er mit düsterem Gesichtsausdruck zu dem anderen Fahrer herum.

„Du hast meiner Frau ne Beule ins Auto gefahren", stellte er bedrohlich fest.

Seiner Frau? Was ging denn jetzt ab?

„Tut mir echt leid, man", sagte der Dunkelhaarige reumütig.

„Mir scheißegal, du gibst mir jetzt deine Daten, damit ich am Ende nicht wieder auf den Kosten sitzenbleibe."

Nika beobachtete die Situation argwöhnisch.

„Können wir das nicht ohne Versicherung klären?", fragte er.

Marten beäugte ihn kritisch, so, als müsse er ernsthaft darüber nachdenken, dann nickte er.

„Okay", sagte er, zog sein iPhone aus der Tasche, tippte mit, was der Dunkelhaarige diktierte, und fotografierte anschließend den Schaden und das Nummernschild des Wagens.

„Nur für den Fall, dass du mich verarscht hast", kommentierte er kühl und musterte den Dunkelhaarigen prüfend.

„Nee, echt, alles korrekt", versicherte der.

„Und jetzt entschuldigst du dich bei meiner Frau dafür, dass du sie gerade so angeschrien hast", knurrte Marten. Dabei legte er ihm nachdrücklich seine Hand in den Nacken.

„Tut mir leid", stammelte der Dunkelhaarige angesichts der unterschwelligen Bedrohung.

„Schatz, komm schon", sagte sie leise und warf ihm einen flüchtigen Blick zu. Er schaute ihr kurz in die Augen, dann ließ er von dem Typen ab. „Wir bleiben in Kontakt. Und denk immer dran: Ich hab dein Kennzeichen, und wenn du mich verarscht hast, find ich dich. Und dann ist meine Frau nicht mehr dabei, um dich zu beschützen."

„War das echt nötig?", fragte sie leise, als der Dunkelhaarige panisch in seinen BMW gesprungen und verschwunden war.

„Willst du lieber den Schaden selbst bezahlen? Bei so einem Unfall sind immer automatisch beide schuld", klärte er sie auf.

Sie warf ihm einen mürrischen Blick zu.

„Danke."

Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen.

„Deine Frau, ja?"

„Morgen fahre ich mit dir zur Werkstatt und wir holen einen Kostenvoranschlag", überging er ihre Anspielung. Sie legte den Kopf schief und grinste.

„Du kannst ja richtig nett sein."

„Es gibt so vieles, das du nicht über mich weißt", versicherte er ihr mit einem geheimnisvollen Funkeln in den Augen. Sie fand es wirklich nett, dass er sie dorthin begleiten wollte. Es war offensichtlich, dass er mehr Ahnung hatte als sie und vermeiden wollte, dass sie auch noch von der Werkstatt mit unnötigen Kosten über den Tisch gezogen wurde.

„Ist vielleicht gar keine schlechte Idee", räumte sie also ein. Er grinste.

„Ich weiß."

Die Sonne schien bereits durch die Vorhänge, als der Wecker ihres Handys sie aus ihren Träumen riss. Sie hatte zwar wieder die Spätschicht, musste jedoch noch einiges erledigen. Deshalb hatte sie sich einen Wecker gestellt. Sie blieb noch einen Augenblick liegen, dann rollte sie sich müde aus dem Bett. In Shirt und Panty schlurfte sie verschlafen ins Bad, band dort ihre langen Haare zu einem Messy Bun und wusch ihr Gesicht, bevor sie in der Küche ein ausgiebiges, gesundes Frühstück zubereitete.

Sie warf einen kurzen Blick aus dem Fenster, um zu schauen, ob Martens Wagen vor der Tür stand. Sie hatte nichts mehr von ihm gehört, wollte sich aber im Laufe des Vormittags um den Kostenvoranschlag kümmern. Ob er noch schlief?

Kurzerhand legte sie das Obst und das Messer zur Seite, schnappte sich ihr Handy und schrieb ihm eine Nachricht. Da sie auch nach dem Frühstück noch keine Antwort von ihm erhalten hatte, entschied sie sich dazu, erst einmal ihre Erledigungen zu machen. Sie tauschte ihr Schlafoutfit gegen ein schwarzes Shirt, dass sie in ihre dunkle, zerrissene Jeans steckte, und zog einen knielangen Mantel mit grauem Karomuster über. Sie war gerade in ihre weißen Sneakers geschlüpft, die auch mal wieder eine Reinigung vertragen konnten, als es klingelte. Sie nahm den Hörer der Gegensprecheinrichtung in die eine Hand und fingerte mit der anderen nach ihrem Wohnungsschlüssel.

„Hallo?"

Es klopfte. Sie wusste auch ohne die Tür zu öffnen, dass es Marten war. Also hängte sie den Hörer wieder ein und öffnete die Tür. Er stand vor ihr, nur in Boxershorts bekleidet, und schaute müde auf sie herab. Konnte er sich nichts anziehen? Sie biss sich auf die Unterlippe, als sie von seinem tätowierten Oberkörper hinauf in seine blauen Augen schaute. Eine riesige Schramme verlief von seiner Wange bis zu seiner Schläfe und im Bereich seines Auges zeichnete sich eine deutliche Schwellung ab.

„Was ist denn mit dir passiert?"

Ja, gute Frage. Was ist passiert? Und was glaubt ihr? Will sie wirklich keine Beziehung mit ihm? Oder lügt sie sich selbst etwas vor? Und wieso ist er überhaupt so nett zu ihr und hilft ihr?

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