05 | Helfer in der Not

Nika war noch immer völlig durcheinander, als sie am nächsten Morgen die Augen aufschlug. Es war kein Traum. Sie hatte tatsächlich mit Marten geschlafen. Er hatte sie so hart genommen, dass sie sich wund fühlte. Einerseits bereute sie es, andererseits hatte es ihr gefallen.

Sie stand auf dominante, selbstbewusste Typen wie ihn, die wussten, was sie wollten, und es sich nahmen. Er hatte von Anfang an eine unglaubliche Anziehungskraft auf sie gehabt und auch jetzt, als er nicht einmal in der Nähe war, kam sie gedanklich nicht von ihm los.

Sie seufzte tief und fuhr sich dabei mit ihren Händen über das Gesicht. Sie hoffte, dass diese Sache unter ihnen blieb und Marten es nicht bei der nächstbesten Gelegenheit Maxwell auf die Nase band. Sie wusste, dass er davon nichts halten würde. Außerdem passte es so gar nicht zu ihr, sich auf einen One-Night-Stand einzulassen. Sie war bis zu ihrem Beziehungsende mit Nick der totale Beziehungstyp gewesen, doch Marten hatte sie eines Besseren belehrt.

Sie blieb noch eine Weile liegen, dann ging sie duschen und schlüpfte in eine Leggings und einen Oversized Hoodie. Als sie die Küche betrat, stieg ihr sofort ein unangenehmer Geruch in die Nase. Vermutlich war es das Hühnchen, dass sie gestern Nachmittag entsorgt hatte. Sofort öffnete sie das Küchenfenster, dann zog sie angewidert die sowieso randvolle Mülltüte aus der Tonne, schnappte sich noch ein paar alte Zeitschriften und schlüpfte in ein paar Brudiletten. Sie war gerade aus ihrer Wohnung in den Flur getreten, als sie den braunen American Bully auf der Treppe bemerkte. Als kleines Mädchen war sie mal gebissen worden. Seitdem hatte sie regelrecht Angst vor Hunden. Vor lauter Schreck zog sie mit einer hektischen Bewegung die Wohnungstür hinter sich zu. Als der Hund vor ihr stehenblieb und sie mit schief gelegtem Kopf betrachtete, hielt sie die Luft an. Er schnüffelte, seine Nase bebte leicht, und sie schluckte. Lag es an dem verdorbenen Hähnchenfleisch?

Darauf bedacht, keine hektischen Bewegungen zu machen, schaute sie sich suchend nach dem potentiellen Besitzer um. Plötzlich tauchte Marten am unteren Treppenabsatz auf. Ihr Herz schlug ihr augenblicklich bis zum Hals, als die Erinnerungen an die vergangene Nacht über sie hereinbrachen. Zunächst schien er sie gar nicht wahrzunehmen, hatte seinen Blick auf sein Smartphone gerichtet, während er die Treppe hinaufging. Das Biest gehörte scheinbar zu ihm, denn er hielt eine Hundeleine in der anderen Hand.

Ihr Blick wanderte besorgt zwischen dem Hund und Marten hin und her. Als er vom Display seines Handys aufschaute, trafen sich ihre Blicke und Nika biss sich auf die Zunge.

„Hey...", brummte er, als er den oberen Treppenabsatz erreichte und begann, in seiner Jackentasche nach dem Schlüsselbund zu suchen. Dabei hielt er seinen Blick auf Nika gerichtet.

„Hey", gab sie zurück und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass sowohl Marten, als auch sein Hund, sie aus der Ruhe brachten; aus unterschiedlichen Gründen.

„Chopper tut nichts", sagte Marten, dem offenbar ihre völlig versteifte Körperhaltung nicht verborgen geblieben war. Wie aufs Stichwort begann Chopper, an Nikas Hand zu schnuppern. Sie zog sie instinktiv zurück. Marten seufzte.

„Er sucht nur Kontakt zu dir. Du kannst ihn ruhig anfassen."

Sie hielt Chopper vorsichtig ihre Hand entgegen. Der schnupperte kurz an ihren leicht zitternden Fingern. Sie hoffte inständig, dass er nicht doch noch zubiss. Als Marten die Tür zu seiner Wohnung aufgeschlossen hatte, wandte der Hund sich von ihr ab und verschwand. Marten hingegen musterte sie kurz schweigend mit diesem für ihn typischen, undurchdringlichen Blick, der sie so nervös machte.

„Gut geschlafen?", fragte sie, um das unangenehme Schweigen zu brechen.

„Nee, musste danach noch mal weg", offenbarte er ihr.

„Mitten in der Nacht?", hakte sie überrascht nach.

„Und du?", fragte er, statt auf ihre Frage einzugehen, und musterte sie eindringlich.

Ein leichtes Lächeln schlich sich auf Nikas Lippen, auch, wenn sie in der Situation gern genauso souverän, tough und überlegen gewirkt hätte, wie Marten es tat.

„Ja, hab gut geschlafen. Danke."

„Coole Schuhe", sagte er und deutete auf ihre Brudiletten.

„Danke", gab sie zurück, weil ihr nichts anderes einfiel.

Es irritierte sie, dass er die vergangene Nacht einfach so überging; so, als sei überhaupt nichts zwischen ihnen passiert.

„Und was machst du heute?", versuchte sie, das seltsame Gespräch irgendwie am Laufen zu halten.

„Ich treff mich gleich mit den Jungs im Studio. Du?"

„Ich hab heute frei, also..."

Er machte nicht den Eindruck, als würde er ihren freien Tag mit ihr verbringen oder gar die Geschehnisse der letzten Nacht wiederholen wollen, deshalb beendete sie ihren Satz schnell mit einem: „... chille ich heute nur so rum."

Der Blick, mit dem er sie jetzt fixierte, beunruhigte sie. Er hatte etwas Einnehmendes, Düsteres; so wie in der vergangenen Nacht, als er sich über sie geärgert hatte – nur, dass es gerade keinen Anlass dafür gab.

„Ich bringe dann mal den Müll runter", sagte sie, um der unangenehmen Situation zu entfliehen, und drückte sich an ihm vorbei. Sie biss sich auf die Zunge, als sein eigener Duft ihr in die Nase stieg.

„Okay", sagte er, dann verschwand er in seiner Wohnung, statt ihr hinterherzusehen. Dafür, dass ihm die Nacht mit ihr gefallen hatte, benahm er sich ziemlich gleichgültig.

Als sie von ihrem Gang zur Mülltonne vor dem Haus zurückkehrte, fingerte sie in der Tasche ihres Hoodies nach dem Schlüsselbund. Sie schloss kurz frustriert ihre Augen, als sie ins Leere griff. Vor lauter Hektik, die Choppers unerwartete Anwesenheit ausgelöst hatte, hatte sie versehentlich die Wohnungstür hinter sich zugezogen und den Schlüssel in der Wohnung gelassen.

Sie ließ ihren Blick über die Klingelschilder schweifen. Da sie Martens Nachnamen nicht kannte, drückte sie kurzerhand eine der vielen Klingeln herunter und wartete vergeblich darauf, dass etwas passierte.

„Schlüssel vergessen?"

Irritiert schaute sie sich um. Es dauerte einen Moment, als sie Marten entdeckte. Er stand, auf dem Geländer abgestützt, auf seinem Balkon und schaute auf sie herunter. Zwischen seinen Lippen steckte eine Zigarette. Oder war es ein Joint? Sie konnte es nicht erkennen.

„Ja", erwiderte sie zerknirscht.

„Okay, warte."

Marten verschwand in seiner Wohnung. Kurz darauf ertönte der Summer. Er erwartete sie lässig gegen den Türrahmen seiner Wohnungstür gelehnt. „Willst du den Schlüsseldienst anrufen oder sollen wir einfach bei dir einbrechen?"

Sie schaute ihn entsetzt an.

„So was kannst du?"

Er antwortete nicht, machte stattdessen einen Schritt hinein in den kleinen Flur seiner Wohnung.

„Komm rein. Du bringst das mit dem Bruch ja doch nicht."

Da ihr sowieso keine andere Option blieb, folgte sie ihm. Rechts befand sich eine kleine Garderobe, an der all seine Jacken hingen, links stand ein Glastisch, auf dem eine Orchidee thronte. Chopper kam neugierig angelaufen und musterte sie aufmerksam.

„Er gibt dir ein Zeichen, wenn ihm was nicht gefällt", sagte Marten, als er Nikas skeptischen Blick bemerkte.

„Was für ein Zeichen?", fragte sie.

„Er knurrt, bevor er dich beißt", erwiderte er trocken.

„Okay, das war jetzt hilfreich", murmelte sie sarkastisch und folgte ihm durch den engen Flur. Links befand sich das Bad, rechts das Schlafzimmer und das Wohnzimmer, geradeaus die Küche.

Als sie das nahezu prunkvoll gestaltete Wohnzimmer betraten, wusste sie nicht, was sie mehr irritierte; die goldene Wand hinter der großen, grauen Eckcouch, die als Himmel gestrichene Decke oder die Pole-Dance-Stange, die mitten im Raum stand.

„Wenn du wirklich so viel Angst vor ihm hast, bring ich ihn so lang ins Schlafzimmer."

Seine Stimme klang beinah entgegenkommend. Scheinbar versteckte er in sich so etwas wie eine fürsorgliche Seite. Ein solches Angebot hatte sie jedenfalls nicht erwartet.

„Nein, das ist echt nicht nötig", versicherte sie ihm, als er sein Smartphone aus der Tasche seiner Jogginghose zog. Doch statt es ihr zu geben, ging er zurück auf den winzigen Balkon und fiel dort in einen der zwei Loungesessel, die den geringen Platz beinah vollständig ausfüllten.

„Setz dich. Es macht mich nervös, wenn du da so rumstehst", sagte er, dann nahm er den Joint aus dem Aschenbecher, den er dort vermutlich eben abgelegt hatte, um ihr die Tür zu öffnen. Nika folgte seiner Aufforderung, darauf bedacht, ihn dabei nicht zu berühren. Er hielt ein Feuerzeug an den glühenden Blunt und zündete ihn wieder an, dann ließ er sich entspannt gegen die Lehne sinken, inhalierte und tippte auf seinem Smartphone herum.

„Hier", sagte er, dann reichte er ihr das iPhone. Er hatte die Nummer des Schlüsseldienstes bereits herausgesucht. „Danke", sagte sie, dann presste sie das Handy ans Ohr und wartete. Während sie mit dem Schlüsseldienst telefonierte, rauchte er still vor sich hin. Erst, als sie ihm das Handy wiedergab, fuhr sein Kopf zu ihr herum und er schaute ihr direkt in die Augen. Sie biss sich automatisch auf die Zunge, als ihr gleichzeitig heiß und kalt wurde. Er hielt ihr den Joint hin und musterte sie fragend.

„Nee, danke. Gestern hat echt gereicht."

„Ich fand's gut gestern."

Sie wusste genau, dass er nicht auf die Party bei Maxwell anspielte. Selbst jetzt blieb er ernst, während sie mit erneuten Heiß-Kalt-Schauern kämpfte. In seinen unergründlichen Augen konnte sie keinerlei Emotion ablesen. Er zog an seinem Joint, ohne seinen Blick von ihren Augen abzuwenden, und blies den Rauch aus. Es gelang ihr, seinen tiefen Blick ohne eine Gesichtsregung zu erwidern, auch, wenn das Herz ihr bis zum Hals schlug. Als er seine raue Hand in ihren Nacken legte, bewegte sie sich nicht. Ihre Haut begann zu brennen, als er sie dort berührte, und sie wehrte sich nicht, als er sie entschieden zu sich heranzog. Sein Atem kitzelte bereits ihren Mundwinkel.

Dann begann plötzlich das Handy in seinem Schoß zu klingeln. Sie war fast schon enttäuscht, als er sie wieder freigab, um einen Blick auf das Display zu werfen. Auch sie sah die weißen Buchstaben und erschrak: Maxwell.

Ich weiss. Die Meisterin der fiesen Cuts. Sorry, meine Süssen. Wie hat euch das Kapitel denn sonst gefallen? Hättet ihr gern gesehen, wie Marten bei ihr einbricht? Und was denkt ihr sonst über die beiden?

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