Kapitel 3 : Face the change
♪♫♪ Sleep, baby, sleep, now that the night is over
And the sun comes like a god into our room. All perfect light and promises. ♪♫♪
-INXS „New Sensation"-
Verdammt, ist das hell hier! Unbarmherzig brennen sich die Sonnenstrahlen durch meine geschlossenen Lider und hindern mich am Wiedereinschlafen. Meine Kehle ist ein Reibeisen und mein Mund so trocken wie die Nullarborwüste, durch die wir vor ein paar Jahren auf dem Weg zu unserem Gig mit einem klapprigen VW-Bus gegondelt sind. Dazu gesellt sich ein verdächtiges Pochen hinter den Schläfen. Oh Mann, wann hatte ich zuletzt so einen Kater? So beschissen wie nach der verheerenden Party, mit der wir unsere letzten Videodrehs in Prag gefeiert haben, wollte ich mich nie wieder fühlen. Nur war es da Winter, den du dir nur mit Wodka schöntrinken konntest - und nicht wie jetzt so eine Affenhitze.
Und genau das ist das Problem: Die wird bei der vor uns liegenden Tournee unser ständiger Begleiter sein. Darauf freue ich mich jetzt schon. Wie die Sau aufs Messer. Am liebsten würde ich unserem Manager ordentlich den Marsch blasen. Chris hat sie doch nicht mehr alle. Vier Wochen kreuz und quer durch Australien, zusammen mit anderen Bands - das hört sich erstmal nicht schlecht an. Vor allem, wenn die Kollegen, mit denen zusammen wir auf der Bühne stehen werden, schon lange keine Newcomer mehr sind.
Aber warum ausgerechnet in der heißesten Zeit des Jahres? So eine Schnapsidee!
Meine Knie werden sich freuen. Nicht.
Diese Spitzenidee ist übrigens genauso ein Schwachsinn wie der „geniale" Einfall des Spaßvogels, der nachts den Vorhang in meiner Schlafkoje heimlich wieder zurückgezogen hat, um mir den Morgen zu ruinieren. Morgenstund hat Gold im Mund... als Maßnahme gegen den totalen Hangover? Ha ha! Aber ich kann mir schon denken, wer das war. Wenn ich den erwische, kann er sich warm anziehen.
Warm anziehen... okay, der kam flach. Aber das muss warten, jetzt brauche ich erstmal angenehmeres Licht, und nicht so eine Verhörlampe. Angenehmeres Licht? Das dachte ich aber auch bloß. Meine Hand greift nämlich ins Leere, als ich sie nach dem Vorhang ausstrecke. Statt dessen landet mein Arm auf der anderen Hälfte eines riesigen Doppelbettes. Vorsichtig taste ich mich durch zerwühlte Laken. Mit jedem Zentimeter, über den meine Finger wandern, steigt das ungute Gefühl in meinem Magen.
Laken? Doppelbett? Mit einem inzwischen ausgewachsenen Hämmern im Kopf, das durch das penetrante Rauschen im Hintergrund auch nicht besser wird, schiele ich auf den Radiowecker auf dem Tisch schräg gegenüber. Viertel vor elf - was zum... Schlagartig bin ich hellwach. Eigentlich sollte ich um diese Zeit in unserem Bus sitzen, und der wiederum schon lange von der Spirit of Tasmania runter und auf dem Weg nach Hobart sein, wo's morgen Nachmittag losgeht. Ein Tag Vorlaufzeit, so hatte sich das Chris, unser Manager gedacht, damit wir alle Abläufe zusammen mit den anderen nochmal durchgehen können. Und jetzt das? Anstatt nach einer Überfahrt mit der Fähre komme ich nicht in unserem Tourbus, sondern in einem Hotelzimmer zu mir, das sonst wo sein könnte.
Was, zum Teufel, ist letzte Nacht passiert?
„Es lebt!" höre ich da plötzlich jemanden laut und deutlich flöten, nachdem das Rauschen aufgehört hat.
Hat es denn nicht gereicht, dass ich anscheinend meinen Bus verpasst habe und irgendwo aufgewacht bin? Nö, zu allem Übel bin ich nicht alleine in diesem Zimmer. Wie konnte das nur passieren? Mir, der geschworen hat, dass er rechtzeitig Land gewinnt, damit aus einem One Night Stand keine Morning After Show wird - nachdem mich Beth vor zwei Jahren beinahe auf frischer Tat erwischt hätte?
Die Standpauke, die mir Andy nach diesem Erlebnis gehalten hat, war vom allerfeinsten gewesen und hat mich kuriert, auch wenn ich mich später dann doch immer mal ab und zu bei Nacht und Nebel aus dem Staub machen musste. Wenn einem was an Frau und Kindern zu Hause liegt, überlegt man sich halt doch zweimal, ob man alles wegen solchen Eskapaden aufs Spiel setzt. Zum Glück haben die Jungs dichtgehalten. Doch leider, leider...
„Hey, Schlafmütze. Und ich habe schon befürchtet, ich bekomme dich überhaupt nicht mehr wach."
Ach du Scheiße. Anscheinend hat sich mal wieder mein innerer Schweinehund gegen mich durchgesetzt. Da spielt es keine Rolle, ob ich was geraucht habe oder ich mich von den Jungs habe mitreißen lassen. Es ist auch pupsegal, ob ich meinen Ehering anbehalte oder nicht, Unterwegs gibt es genügend Ladys, denen mein Familienstand am Allerwertesten vorbeigeht. Für die stellt so ein popeliger Ring keinen Hinderungsgrund, sondern das exakte Gegenteil dar. Und am Ende habe dann ich wegen so einem Anreiz die Arschkarte gezogen - eine Karte, die ich nie ziehen wollte und mit jeder Sekunde fetter wird.
„Ich nehme mal an, du möchtest nicht noch eine Runde im Pool drehen, bevor wir das Zimmer bezahlen und die Kurve kratzen?"
Die Kurve kratzen? Wir? Ich glaub, ich bin im falschen Film.
„Ich geh mal runter, Schätzelein, und schau mal, ob ich dir noch irgendwas vom Büfett organisieren kann..."
Inzwischen habe ich es tatsächlich geschafft, mich unter unverständlichem Grummeln auf die andere Seite zu drehen und die zu der Stimme gehörende Dame dabei zu beobachten, wie sie das Zimmer verlässt. Zugeben, ich habe zwar außer ihrer Rückenansicht nicht viel von ihr gesehen, dennoch scheint sie ganz attraktiv zu sein, wenn auch nicht mein Typ. Denn sonst hätte sich bei mir doch längst was geregt.
Ach du Scheiße, entfährt es mir zum zweiten Mal an diesem viel zu sonnigen Morgen, als ich die Decke von mir werfe, um entsetzt an mir herunter zu schauen und mich zur Kontrolle von oben nach unten abzutasten. Körbchengröße C - mindestens; und allem Anschein nach auch ein paar Pfunde zu viel. Als Ausgleich für die fehlende Morgenlatte? Äh.... Hilfe! Da ist das neonpinke Shirt in Übergröße, in dem dieser weiblich gerundete Körper steckt, noch mein geringstes Problem. Das kann doch nicht wahr sein. Und alles nur, weil ich gestern Abend ein paar Gramm zu viel geraucht habe. Kann es sein, dass vielleicht noch ein paar andere Substanzen mit im Spiel waren und ich jetzt eindeutig auf einem völlig falschen Trip bin?
Schlafmütze. Schätzelein. Eine Runde im Pool drehen. Mit einem Schwindelgefühl, das sich gewaschen hat, erhebe ich meinen Luxuskörper und schiebe mich durch das Zimmer, bis ich vor dem Garderobenspiegel zum Stehen komme. Der erstreckt sich vom Fußboden zur Zimmerdecke und enthüllt das volle Ausmaß von dem, was ich noch immer für einen schlechten Scherz halte. Wer mir da auch immer entgegen blinzelt, aber das kann unmöglich ich sein.
Nicht, wenn es sich um eine brünette Frau, schätzungsweise Mitte vierzig, mit rotlackierten Nägeln handelt, die gut einen Kopf kleiner ist als ich. Schockiert hat sie ihre Hände vors Gesicht geschlagen und die Augen vor Entsetzen aufgerissen. Tellergroß. Mindestens. Dank der abrupten Bewegung kann ich ihre Figur unter ihrem XL- oder XXL-Shirt gerade so erahnen - doch das Tüpfelchen auf dem I ist das Porträt unseres Sängers, das diesen geschmacklosen Fummel ziert.
Wir sind zwar Best Buddies und auf jeder Party das Duo Infernal, aber so weit, dass ich meinen Kumpel auf 'nem Shirt durch die Gegend spazieren trage, würde ich doch nie gehen.
Und noch während ich fassungslos mein Spiegelbild bewundere, bei dem ich immer noch hoffe, dass es sich um eine optische Täuschung handelt, geht die Tür auf und ein rotblonder Lockenkopf im ungefähr demselben Alter kommt mit einem vollbeladenen Tablett herein.
„So, liebe Nicky, gib fein acht - ich hab uns etwas mitgebracht. Zur Feier des Tages", säuselt sie in einem gekünstelten Singsang, der fröhlich klingen soll, sich aber in meinen Ohren einfach nur falsch anfühlt. „Happy Birthday!"
Torte, brennende Kerzen, zwei Gläser Champagner: Offenbar bin ich nicht mehr der Alte und zu allem Übel gefangen im Körper einer Frau, sondern feiere heute auch noch meinen Geburtstag. Meinen fünfzigsten Geburtstag.
Zitat: 29 Wörter - Text: 1255 Wörter - insgesamt: 1284 Wörter
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