Kapitel 20 : Make your peace
♪♫♪ Realize what we're doing here, the time is right to kill your fears. Bitter tears taste so sweet, I'm seeing my way for the first time in years. ♪♫♪ -INXS „Bitter Tears"-
Noch nie habe ich meinen Weg so deutlich vor mir gesehen wie jetzt. Nicht mehr lange, und wir kommen nach Perth, wo dieses mysteriöse Taxi gesichtet worden sein soll. O ja, ich weiß genau, was ich zu tun habe: Finde das Taxi, und es bringt dich dort hin, wohin du musst. Und wohin ich muss, liegt für mich klar auf der Hand: zu meinem Gegenstück – zu dem, der genauso unfreiwillig in diesen verflixten Körpertausch gezogen wurde wie ich. Wenn dieses Taxi dazu nicht imstande ist, wer dann? Und mit etwas Glück könnten wir die ganze Sache sogar rückgängig machen. Doch noch möchte ich es nicht beschreien. Denn was, wenn dieses Taxi niemals auftaucht oder es gar nicht existiert?
Ich gestehe es mir nur ungern ein, aber müsste ich in diesem Fall tatsächlich für immer hierbleiben, ich glaube, ich würde alles dafür tun, dass Michael an jenem unheilvollen Tag im November '97 in diesem Hotelzimmer in Sydney nicht alleine bleibt. Ihn davor zu bewahren, muss doch auch möglich sein, ohne die Leben der Menschen, die mir in den letzten Tagen immer mehr ans Herz gewachsen sind, komplett auf den Kopf zu stellen und bis zur Unkenntlichkeit zu verändern. Doch so oder so komme ich nicht umhin, mich endlich meinen Ängsten zu stellen anstatt vor ihnen wegzulaufen. Jetzt heißt es Jumanji! und nicht Lauf, Forrest lauf.
Seltsam, wie schnell man sich doch manchmal zu einem Entschluss durchringen kann, wenn's drauf ankommt und man mit denen, die einem wichtig sind, ins Reine kommen möchte. Erst, wenn ich das hinter mir habe, kann ich auch meinen Frieden mit mir selbst machen. Alles andere wäre zahnloses Herumgeeiere und im höchsten Maße unfair noch dazu. Also, worauf warte ich noch? Auf den geeigneten Moment? Vor dem obligatorischen Soundcheck morgen im Sportstadion? Oder vielleicht sogar bei einem der schon zur Gewohnheit gewordenen Football-Freundschaftsspiele unserer Kollegen. Spätestens aber heute Abend. Eine Zigarettenpause, bei der ich unfreiwillig Zeuge eines Gesprächs zwischen Andy und Michael werde, wird dann tatsächlich der Auslöser für den letzten Tropfen, der das Fass zum Überlaufen und den Stein ins Rollen bringt.
„... du kannst nicht sagen, dass ich nicht alles versucht habe..."
Damit mag Michael zwar recht haben, aber so, wie ich drauf war, wäre der Versuch eines One-on-One womöglich nach hinten losgegangen.
„Und jetzt?" höre ich Andy fragen. In dieser Familienkonstellation war er immer der Besonnene, eher Zurückhaltende, einer auf den man sich immer verlassen konnte, aber nun klingt auch er, als sei er mit seinem Latein am Ende.
„Ich habe keine Ahnung, aber ich weiß nur eins: Mir fehlt der alte Timmy. Seit diesem verdammten Gewitter ist er einfach nicht mehr der Selbe..."
Der Rest der Unterhaltung geht in einem durchdringenden Hupen unter. Unser Fahrer möchte weiter. Nichts lieber als das, denke ich und lege mir im Geiste die Worte zurecht, mit denen ich versuchen möchte, mich Beth und Michael zu erklären.
Beth. Michael. Ich weiß, in den letzten Tagen wart ihr kurz davor, an mir zu verzweifeln, weil ihr euch nicht erklären konntet, was mit mir los ist. Glaubt mir, das wüsste ich selbst zu gerne. Und es tut mir wahnsinnig leid, wie ich mich verhalten habe. Das einzige, an das ich mich erinnern kann, ist dieser Blitz, der unsere gemeinsamen Jahre davor komplett aus meinem Gedächtnis gelöscht hat. Ich wünschte, ich könnte das, was passiert ist, ungeschehen machen, und auch dass ich dir, Beth, ein besserer Partner sein könnte.
Ja, ganz richtig. Auch wenn mir schon jetzt davor graut, Beth in der Gegenwart meines besten Freundes die Wahrheit darüber sagen zu müssen, wie ich zu ihr stehe und ich ihr am liebsten verschweigen würde, dass ihre Berührungen nicht das in mir auslösen, was sie sich erhofft – das werden keine einzelnen Unterhaltungen unter jeweils vier Augen oder ein großes Gruppenmeeting mit der gesamten Familie. Und logischerweise auch nicht mit Leslie, der ich bei dieser Gelegenheit hätte sagen können, dass sie sich ihr hirnlos-boshaftes Getratsche dahin schieben kann, wo die Sonne nicht scheint. Aber sie hat relativ schnell den Abflug gemacht, nachdem Andy und Jon ihr die Meinung gegeigt haben.
Auf „meine Brüder" ist eben Verlass. Vielleicht ein wenig zu gut, denn als wir vor unserem Hotel in Perth vorfahren, nehmen mich die beiden unter dem Vorwand der in letzter Zeit viel zu selten gewordenen „Family Time" in Beschlag, während ich den Rest der Truppe aus den Augen verliere. Ein, zwei Bierchen an der Hotelbar, während unser Gepäck auf die Zimmer gebracht wird. Eine feine Herberge hat Chris für uns da ausgesucht. Es soll uns an nichts mangeln, damit wir uns sammeln können, bevor es morgen um die Wurst geht. Anscheinend haben sie die Reihenfolge der Acts geändert: Anstatt das Schlusslicht zu geben, werden wir diesmal als zweites die Bühne betreten, damit der Bassist der Divinyls hinterher noch genug Kraft für seinen eigentlichen Auftritt am späten Abend hat. Andernfalls würde Chrissy unseren Manager zur Schnecke machen.
Ein, zwei Bierchen? Man soll den Tag nie vor dem Abend loben, denn natürlich soll es nicht dabei bleiben. Ich tippe ja stark darauf, dass es Jons Idee war, mich abzufüllen, weil Betrunkene ja bekanntlich die Wahrheit sagen, und dass sich Andy aus purer Verzweiflung auf diesen Deal eingelassen hat. Dumm nur, dass diese Taktik so gar nicht aufgehen will, denn als ich mich endlich loseisen kann, bin ich noch nüchtern genug: so nüchtern, um den Weg zum Zimmer auf eigene Faust und ohne Kollateralschäden zurückzulegen. Und auch nüchtern genug, um das Zimmer leer vorzufinden – leer bis auf den an mich adressierten und zugeklebten Brief, den offenbar Beth zurückgelassen hat. Und nicht zuletzt nüchtern genug, um den Inhalt der Zeilen begreifen, die vor meinen Augen zu verschwimmen beginnen.
Lieber Tim,
das hier wird für dich aus heiterem Himmel kommen und dir den Boden unter den Füßen wegreißen, aber wenn du diese Zeilen liest, bin ich bereits auf dem Weg zum Flughafen beziehungsweise im nächsten Flieger nach Melbourne und ich dich bei aller Liebe bitte, mich nicht aufzuhalten.
Ich weiß, es ist kein Trost für dich, wenn ich dir sage, dass ich jetzt nicht in deiner Haut stecken möchte - oder die Erkenntnis, dass ich kein gutes Gefühl dabei habe, dass ich erst jetzt gehe. Vielleicht war es ja auch falsch von mir, dich rund um die Uhr zu betüddeln und mich an dich zu klammern. Ob es nur deshalb geschah, weil sie in Hobart gesagt haben, wir müssten darauf vertrauen, dass sich deine Gedächtnislücken mit der Zeit schließen? Vielleicht. Vielleicht aber auch, dass ich Angst hatte, dich zu verlieren, obwohl du mir wahrscheinlich längst entglitten bist?
Oder vielleicht dachte ich auch, uns beiden bliebe nicht genügend Zeit.
Nichts davon weiß ich – doch eines weiß ich ganz genau: Nicht nur, weil ich das Schweigen zwischen uns nicht mehr aushalte, glaube ich, uns beiden täte jetzt Abstand gut.
Bliebe ich bei dir, könnte keine Zeit der Welt das heilen, was zwischen uns zerbrochen scheint; denn so wie die Dinge zwischen uns stehen, habe ich nicht das Gefühl, dass ich dir von Nutzen sein kann. Oder dass du mich brauchst – aber es gibt jemanden, der mich dringender braucht. Unsere Kinder.
Ich weiß, du wirst meine Entscheidung nicht verstehen und wahrscheinlich ist es auch nicht fair, diese Karte auszuspielen. Glaub mir, so weit zu gehen, war das letzte, was ich wollte - aber wenn dir etwas an mir und an ihnen liegt (vor allem an ihnen), weißt du, wo du mich – nein, uns, findest.
Und darum, mein Liebling, gebe ich dich jetzt frei. Jedenfalls für eine gewisse Zeit, in der wir beide uns über uns klar werden sollten. Und deshalb bitte ich dich, sieh meine Worte nicht als Abschied für immer, sondern als Chance für einen Neuanfang.
Deine Buffy.
Spätestens jetzt bereue ich, dass ich nicht betrunkener bin.
Zitat: 33 Wörter - Text: 1287 Wörter - insgesamt: 1320 Wörter
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