Kapitel 14 : Communication
♪♫♪ Light beams from outer space drifting to your satellite. Your dish responds. Communication, disinformation, so entertaining, blood money, blood money. ♪♫♪ –INXS „Communication"-
Pink Lake, Dimboola: Etwas schöneres habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Noch hunderte von Kilometern später und nachdem wir das Silvesterfeuerwerk über dem Hafen von Adelaide hinter uns gelassen haben, sehe ich diesen gigantischen See vor mir, und darum hüte ich auch das Foto auf Nickys Smartphone wie einen Schatz. Nicht das übliche Selfie, auf die hier alle geradezu versessen sind, sondern geschossen von einem zufällig anwesenden Touristen, dem sie das Mobilteil in die Hand gedrückt hat.
Eva hat einen Arm um meine Schulter gelegt und mich an sich gezogen, dabei hätte sie das gar nicht gebraucht, so weit wie wir vom Standpunkt des uns fotografierenden Typen weg standen, denn wie man unschwer erkennen kann, hat er den Fokus auf das flamingofarben-trübe Wasser im Vordergrund gelegt, über dem sich ein unnatürlich dunkel schimmernder, fast schon kobaltblauer Himmel wölbt. Unterbrochen wird dieser ungewöhnliche Farbkontrast nur von der durch das gleißende Nachmittagslicht schwarz herausstechenden Uferlandschaft. Man braucht schon verdammt scharfe Augen, um zu erkennen, dass sich es bei den winzigen Silhouetten davor um uns handelt.
Eine schöne Erinnerung an einen unbeschwerten Nachmittag von denen es in unserer Bandvergangenheit ruhig hätte mehr geben können, und nicht nur wegen dem, was uns unterwegs alles entgangen ist. Verdammt schade, dass es unser Tourneemanagement damals nicht gebacken bekommen hat, etwas mehr Abwechslung in die von uns zurückgelegten Strecken zu bringen. Aber da darf ich mir auch ruhig selbst an die eigene Nase fassen. Schließlich sind wir selbst jahrelang quer durch Australien auf eigene Faust in einem klapprigen Bus von Auftritt zu Auftritt in Pubs, Bars und Hotels gegurkt; jedenfalls so lange, bis wir dank eines soliden Plattenvertrags uns nicht mehr selbst um alles kümmern mussten – in gewisser Weise ein Vorteil, andererseits aber auch ein Nachteil: das letzte Mal, dass ich so herumblödeln konnte, inkognito und ganz hemmungslos, bin ich ein Teenager gewesen.
Lust auf eine Wasserschlacht? Check! Die Songs im Radio und auf CD mitgrölen, laut und ohne Rücksicht auf Verluste? Meine Kumpels hätten mir schön was gehustet. „Singe, wem Gesang gegeben", hätte Andy nur gegrinst und mir gönnerhaft auf den Rücken geklopft und mir so durch die Blume mitgeteilt, dass ich diesen Part doch lieber anderen überlassen sollte. Ganz im Gegensatz zu Eva, die eine CD mit irgendwelchen seltsamen Achtziger-Jahre-Hits eingelegt hat und nun völlig losgelöst mit ihren All-Time-Favourites mitsingt, die gleich nach diesem Kerl mit Vokuhila-Frisur kommen.
♪♫♪ ... Zeit ist jetzt reichlich da, mach dir'n paar Wünsche wahr... ♪♫♪
Wie aufs Stichwort unterbrechen plötzlich die aktuellen Verkehrsmeldungen das ohrenbetäubende Programm und verkünden eine Unterspülung der A1 hinter Port Augusta. Tja, auf spontane Streckenänderungen sollte man zu dieser Jahreszeit, in der es im Südosten öfters mal zu sintflutartigen Regenfällen kommen kann, schon vorbereitet sein.
Opale. Flamingorot, jadegrün und kobaltblau... Die Verlockung war wohl doch zu groß, und so haben wir uns nach der Durchsage spontan zu einem Umweg über die Opalminen von Coober Pedy und den sagenumwobenen unterirdischen Motels entschieden. Anscheinend hat Eva mit mehr Gegenwehr von meiner Seite gerechnet, denn sie zeigt sich überrascht von meinem Vorschlag, wir könnten doch irgendwo auf halber Strecke übernachten; doch außer einer hochgezogenen Augenbraue kommt keine Reaktion von ihr.
Abseits der großen Highways unterwegs zu sein, hat für mich immer noch seinen Reiz, und so wird es dann doch später als geplant, als wir im schwindenden Licht das Ortsschild eines Zweihundert-Seelen-Nests passieren: Woomera. Zeit, sich eine Unterkunft zu suchen, da es nun schon merklich abgekühlt hat – und doch kann ich meine Augen nicht vom Horizont lassen. Da, wo zuvor noch die Sonne versunken ist, huschen nun diffuse Lichtreflexe in immer neuen Pastelltönen über den Abendhimmel; Sonnenwinde in Jadegrün, Ultramarinblau und sattem Rosa in einer irrwitzigen Geschwindigkeit, die einem unaufmerksamen Passagier oder allein auf die Straße konzentrierten Fahrer entgehen würden. Polarlichter um diese Zeit und in dieser Region? Seltsam...
„So sieht man sich wieder... Na, wenn das kein Zufall ist!"
Gerade habe ich mein Bier an meine Lippen gesetzt, da verharre ich wie festgefroren in der Bewegung. Zufall? Wer's glaubt! Und man komme mir nicht mit dem abgedroschenen Spruch, wie klein doch die Welt ist – auf Begegnungen wie diese würde ich nur zu gerne verzichten, nachdem Eva und ich auf der Nachtfähre schon einmal das unangenehme Vergnügen hatten. Sam und Dean aus Kalifornien, von der Sorte, die nicht merkt, wenn ihr Typ nicht erwünscht ist. Mit einem Mal verblassen die Bilder von den Polarlichtern und dem rosa See im Hintergrund, weil sich eine ganz andere Momentaufnahme darüber legt, so aufdringlich wie der Typ mit den kurzen Haaren, der mich so unverschämt anbaggern musste, just als Eva und ich noch einmal auf meine Champagnertaufe anstoßen wollten.
Ein Drink, und meine Zunge war so weit gelockert, dass ich meine Freude laut bejubelte. „Ich hatte schon lange nicht mehr so viel Spaß." Das musste einfach gefeiert werden. Dass hier eine Junggesellinnentruppe ebenfalls die Korken knallen lassen wollte, bekam ich erst mit, als der Startschuss zu einem Karaoke-Abend fiel. Ich und singen! My stars! Aber da Eva anscheinend hier in ihrem Element war und ich, gelinde gesagt, schon leicht einen im Tee hatte, ließ ich mich mitreißen.
„Just give me a reason", flackerte es auch sofort rhythmisch über den Bildschirm der Maschine und gab vor, wer von uns beiden an der Reihe war. Eva passenderweise als Pink und ich als ihr männlicher Duettpartner... gut, dass von den Anwesenden niemand wusste, worauf sie sich einließen. Und am allerwenigsten ich, denn sonst hätte ich mich nach unserem ziemlich schief geschmetterten Love-Song über eine leicht toxische Beziehung nach draußen verkrümelt und mich gefragt, was Eva sich dabei wohl gedacht hatte. Etwas, an dem sich die beiden Herren, die sich ungeniert an unserem Tisch breitgemacht hatten, nicht zu stören schienen und eine hohle Phrase nach der anderen droschen. Und so, wie sich Eva ins Zeug legte, weil sie ihren unterbrochenen Flirt anscheinend wieder aufnehmen wollte, schien der andere zu glauben, dass ich genauso auf ihn abfahren würde. Aber da war der Kerl bei mir an der falschen Adresse. Sorry, aber ich stand nun mal nicht auf testosterongeladene Typen mit Kurzhaarschnitt und einer Vorliebe für Tarnfleck, die vor der gerade erst geschlossenen weiblichen Bekanntschaft den Mister Obercool raushängen lassen und eine höfliche Absage nicht verstehen wollen.
Erst, als ich diesen Dean abblitzen ließ, wurde es ungemütlich und er plötzlich ziemlich uncool. Ein unschönes L-Wort mir an den Kopf werfend, stieß er den Stuhl so plötzlich zurück, dass ich schon glaubte, das Möbelstück käme den Leuten am Nachbartisch gefährlich nahe, und gab seinem Kumpel ein Zeichen, der sein Pech kaum fassen konnte. Was war ich froh gewesen, die beiden Nervensägen losgeworden zu sein. Ich hätte wissen müssen, dass mich das Pech nicht verlassen würde. Warnung hätten sie mir sein müssen, die gerahmten Schwarzweißfotos unserer Band an den Wänden; eine Warnung auch der Inhaber des Pubs, der sich damit brüstet, dass INXS hier aufgetreten sind...
Ja, ein einziges Mal vor 40 Jahren, und dann noch vor neun Leuten. Nein, er muss auch noch mit einer Bronzeplakette vor der Tür darauf hinweisen. Jetzt fehlt nur noch der Walk of Fame auf dem Bürgersteig mit dem eingelassenen Stern und unseren Handabdrücken darin. Doch damit nicht genug: da sitzen sie, unsere hartnäckigen Verehrer von der Fähre und einem vermutlich noch früheren Zusammentreffen, von dem Eva mir nichts erzählt hat. Haben wir denn nirgends Ruhe vor denen? So gesehen, kann der Abend doch nur noch kippen. Hoffentlich wird das keine Vollkatastrophe!
Spoiler on: Natürlich tritt der GAU ein, und ich stürme fluchtartig von der Bühne, eine völlig vor den Kopf gestoßene Eva zurücklassend. Blackout – ich habe keine Ahnung, wie ich es geschafft habe, meine Siebensachen einzusammeln und völlig unbehelligt unser Motel-Zimmer zu erreichen, aber ich will es auch gar nicht wissen. Statt dessen plündere ich die Minibar und versuche, den Schock mit einer geradezu lächerlich kleinen Menge an Wodka hinunterzuspülen. Mit solchen Fingerhüten geben weder meine Jungs und ich uns zufrieden, aber keine zehn Pferde würden mich nochmal zurück an den Ort der Schande bringen, von dem Eva hoffentlich bald zurück ist.
Fernsehen fällt als Ablenkung flach, weil die Batterien der Fernbedienung leer sind. Mein Gott, klappt denn in diesem verdammten Kaff überhaupt nichts? Unruhig tigere ich im Zimmer auf dem abgetretenen Teppich hin und her und greife nach dem erstbesten Flyer, der mir vor die Nase kommt.
Welcome to Woomera – Home of the US Space Research Station!
Nee, oder? Hektisch überfliege ich das Pamphlet und spüre, wie das Papier unter meinen Fingern zu vibrieren beginnt. Wenn ich den vor Patriotismus nur so strotzenden Text richtig verstehe, befinden wir uns mitten in einem ehemaligen militärischen Sperrgebiet, das vor 40 Jahren für den zivilen Straßenverkehr freigegeben wurde. Das erklärt auch, warum wir damals in dieser Einöde auftreten konnten, ohne dass es im Vorfeld Ärger gab. Anscheinend kann hier jetzt jeder Hinz und Kunz durchfahren, und anstatt einen auf geheimnisvoll zu tun, darf man diese Forschungsstation sogar besichtigen. Sonst würden sie ja nicht „Visitors welcome" schreiben.
Was sie aber nur am Rande in ein paar mageren Nebensätzen erwähnen, sind die für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Teile, wie zum einen den nicht stillgelegten Sprengplatz für Munition. Den anderen Bereich, der sich hinter einer hochwissenschaftlichen Bezeichnung verbirgt, muss ich mir jedoch erst auf dem klapprigen Hotelcomputer ergoogeln.
Bei der Woomera Instrumented Range handelt es sich um eine Testanlage für Luft- und Raumfahrtexperimente. Und ich wette, in dieser Anlage führen sie gerade solche Experimente durch und diese komischen Polarlichter von heute Abend gehen auf ihr Konto.
Zitat: 24 Wörter - Text: 1569 Wörter - insgesamt: 1593 Wörter
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