Kapitel 13 : One x One
♪♫♪ When all your tears go dry, honey, one by one, I will still be there, I will sing your song. ♪♫♪ -INXS „One x One"-
All veils and misty, streets of blue... - Die über den Rasenflächen des Olympic Park Stadions aufsteigenden Nebelschwaden bergen nichts mysteriöses in sich. Es ist ganz normaler Wasserdampf, der für gewöhnlich auf Starkregen folgt.
Von wegen blaue Stunde. Das einzige, was hier blau ist, sind Jon und Garry. Der eine mehr, der andere weniger. Mich wundert das gar nicht, denn wohin ich zur Zeit auch schaue: Überall ist Katerstimmung, und nicht nur wegen der heftigen Regenfälle, wegen denen das für den 3. Januar angesetzte Konzert um einen Tag verschoben werden musste. Doch diese überraschende Planänderung ist nicht der Grund; auch nicht, dass das Ergebnis von Chris' Bemühungen, auf den letzten Drücker vernünftige Hotelzimmer für uns alle zu organisieren, eher mau ausgefallen ist und sich einige von uns auf kleinstem Raum förmlich stapeln dürfen.
Adelaide und Melbourne liegen zwar nicht so weit auseinander, als dass drei Tage für die volle Strecke zu knapp kalkuliert gewesen wären. Es sind 727 Kilometer, um genau zu sein, doch für unseren Manager ist der Gedanke, dass seine Jungs plus Begleitung noch eine weitere Nacht im Tourbus zubringen sollen, geradezu lächerlich. Zu viert in einem Doppelzimmer? Bei dieser Vorstellung wiederum haben sich Andy, Kirk und Michael nur vielsagende Blicke zugeworfen. Während mein Bruder nur die Stirn runzelte und Kirk seinem Ärger mit einem „Nicht dein Ernst, Kumpel – immer dieses Nähen auf Kante!" Luft machte, quittierte Michael das Resultat mit einem Augenrollen, um Jon und Garry an der Bar Gesellschaft zu leisten.
Äußerlich nur scheinbar gefasst, sprach sein Gesicht Bände, und ich konnte mir schon denken, was in ihm vorging: Ich liebe zwar diesen Idiotenhaufen, aber bevor ich mich in diese Abstellkammer zwänge, penn' ich doch lieber im Bus. Hätte ich an seiner Stelle auch gedacht, wenn ich ehrlich bin. Und wenn wir schon mal dabei sind, dann ist die Stimmung im Grunde schon seit unserem Auftritt an Neujahr im Eimer.
Dabei war bei unserem ersten Gig noch alles in Butter gewesen.
So gut, wie Chrissys Team nach dem haushoch gewonnenen Footballmatch drauf war, verschwendete keiner von uns einen Gedanken an die vor uns liegenden fünfzehnhundert Kilometer, die unser Fahrer am liebsten nachts zurücklegte, weil's da kühler war. Über die Gestaltung unserer Tage machte ich mir keine Gedanken. Ich würde es sowieso bald erfahren, und außerdem war ich mit meiner Aufgabe als Chronist ausgelastet genug, weil auch die anderen Mitglieder der übrigen an der Tour beteiligten Bands so langsam Spaß an diesem Spiel gefunden hatten und gerne ihre Statements abgaben. Mir blieben auch so noch genügend Pausen zwischen den einzelnen Interviews, in denen ich meinen Gedanken nachhing. Dabei ertappte ich mich immer öfter dabei, wie ich unzusammenhängende Melodien vor mich hin summte, die sich allmählich zu Songs formten. Das musste aufhören. Ich wollte mir nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn ich das aufgenommen hätte. Oder noch schlimmer: Wenn mir das bei Songs passiert wäre, die es noch gar nicht gab.
Zum Glück war unser kommendes Album so gut wie fertig und „Mystify" als einer unserer stärksten Songs bereits jetzt fester Teil unseres Repertoirs bei den nächsten Konzerten unserer Gemeinschafts-Tournee, als Appetithappen auf „KICK". Andernfalls hätte mein sorgloses Verhalten einen schönen Kuddelmuddel ausgelöst und eine neue Version des berühmten Henne-Ei-Problems heraufbeschworen. Reiß dich zusammen, Nicole, und gib am besten gar keinen Laut mehr von dir, schon im nächsten Ort stoßen wir garantiert wieder auf Jimmy oder andere Kollegen. Theoretisch hätten wir auch alle gemeinsam im Konvoi durch Australien reisen können, was aber auch niemanden gestört hätte, zumal dabei sogar ein Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde herausgesprungen wäre.
Wie gesagt, waren alle, mit denen ich mich Tag für Tag umgab, gut drauf.
Nur hatte da noch niemand von uns damit gerechnet, dass wir am Silvestertag ungebetene Gesellschaft bekommen würden, und zwar von Jons Noch-Ehefrau, die sich in den Kopf gesetzt hatte, einen letzten Jahreswechsel mit ihrer „besseren Hälfte" zu feiern und zu Jons Unmut genau dann aufkreuzte, als es für ihn gerade am schönsten war.
Ich fragte besser nicht, wobei ihn Leslies Ankunft unterbrochen hatte, und was in seinem Privatleben grundsätzlich nicht rund lief. Denn auch ohne all das ganze Theater hielt er mich anscheinend für nicht ganz zurechnungsfähig. Doch so genervt hatte ich ihn in den letzten Tagen, in denen wir rund um die Uhr fast schon aufeinander gehockt hatten, nicht einmal erlebt. Oha - da war ich wohl nicht der einzige, der Stress mit seiner Frau hatte. Zu dumm, dass Jon meinen Versuch, ihn aufzumuntern, falsch verstand und sich neben mir auf dem Rasen mit einem neuen Bier niederließ, mit seinem vierten mittlerweile.
„Glaub mir, Bruderherz", seufzte er, „du würdest nicht mit mir tauschen wollen. Nicht für geschenkt würdest du das!"
Als ob ich das vorgehabt hätte, lag es mir schon auf der Zunge, denn der eine Tausch hatte mir voll und ganz gereicht, aber ich hielt mich zurück, denn ich spürte, dass da noch was kommen würde.
„Im Gegensatz zu mir hast du den besseren Fang gemacht. Feiern – ha! Deine Buffy ist bloß anhänglich, aber meine? Die will mir das Leben zur Hölle machen, so wie die auf Krawall gebürstet ist!"
Ach du sch*** - in was für ein Familiendrama war ich da nur hineingeraten? Den Rosenkrieg? Jetzt rächte es sich, dass ich mich nicht näher mit dem Privatleben der Mitglieder meiner Lieblingsband beschäftigt hatte. Noch konnte ich meine als Blackouts getarnte Unwissenheit auf die Folgen meines Unfalls schieben. Aber nicht mehr lange, wie es aussah. Und wenn ich Leslie richtig einschätzte, dann würde nicht nur Jon gewaltiger Ärger blühen. Ich hatte keine Ahnung, dass Ärger für das, was uns allen bevorstand, noch eine geradezu schmeichelhafte Bezeichnung war. Schwarzes Loch hätte es eher getroffen.
Es war ein kräftezehrender Tag für uns alle gewesen, und so war ich wie erschlagen in meiner Schlafkoje auf die Matte gesunken und konnte gerade noch meine dünne Decke trotz der sich über den Tag hinweg angestauten Wärme bis ans Kinn hochziehen. Meine bleierne Müdigkeit hätte mich eigentlich direkt ins Reich der Träume befördern müssen, doch der ersehnte Schlaf wollte nicht kommen. Zu mehr als einem kurzen Schlummer reichte es nicht, und als ich leises Gemurmel aus dem hinteren Teil des Busses auf mich zukommen hörte, war es vollends vorbei. Zwei Stimmen, eine weibliche und eine männliche, durchsetzt von trockenen Schluchzern, die garantiert nicht Michaels Kehle entfleucht waren.
Beth! Für gewöhnlich saß sie doch weiter vorne und zockte mit Kirk und Garry Karten, wenn sie wieder mal nicht schlafen konnte, so wie meistens in den letzten Tagen. Und jetzt hatte sie sich nach hinten verkrümelt? Zu Michael? Plötzlich war ich hellwach und fragte mich, ob an dem, was Leslie am Nachmittag über die beiden fallengelassen hatte, ja doch etwas dran war. Dem gleichen Blödsinn nach zu urteilen, den sie über mich und Chrissy verbreitet hatte, mit Sicherheit nicht. Und doch war da dieser kleine Funken eines Zweifels, der mich ganz gegen meine Gewohnheit näher hinhören ließ.
„... und als ich ihn um Mitternacht küssen wollte, hatte ich einen ganz anderen Menschen vor mir..."
Mir wurde heiß und kalt, denn sie meinte die Silvesternacht, von der sie sich endlich die ersehnte Annäherung an ihren Liebsten versprochen und dennoch keinen Zugang zu ihm gefunden hatte. Anscheinend hatte sie ihre Enttäuschung darüber die ganze Zeit für sich behalten, doch jetzt konnte sie nicht mehr. Ihr ganzer Kummer brach nun aus ihr hervor.
„... oh Michael", schluchzte sie mit vom vielen Weinen heiserer Stimme, „ich will doch nur Tim wiederhaben. Meinen Timmy, und nicht diesen Fremden, der..."
... sich lieber auf ein Techtelmechtel mit einer sexy Rockröhre einlässt und jede freie Minute mit ihr verbringt, ergänzte ich in Gedanken, als ihre Stimme versagte. Dann war für lange Zeit nichts mehr zu hören, nur noch Michaels besänftigender Bariton, mit der er die Verzweifelte zu trösten versuchte.
„Scht, Süße. Du wirst doch nicht auf Jonnos Ex hören", beendete nach einer langen Pause Michaels besänftigender Bariton die Stille. „Doch ich kann dich beruhigen: Chrissy und ich sind zwar befreundet, und wenn's wirklich auf das hinauslaufen würde, um das sich Leslies schmutzige Fantasie dreht, dann wäre ich wohl derjenige, der... Aber Tim?"
So langsam schienen seine Worte zu wirken, denn das herzzerreißende Schniefen verebbte nach und nach, bis Beth hörbar zu einem Taschentuch griff, bevor sie sich besann und ihm zögernd antwortete.
„Stimmt. Eigentlich kann ich mir das nun wirklich nicht vorstellen. Aber trotzdem muss ich wissen, was mit ihm los ist", stockte sie und ließ die Frage aller Fragen folgen, vor deren Beantwortung mir jetzt schon graute: „Ob du nicht mit ihm reden kannst?"
Zitat: 26 Wörter - Text: 1415 Wörter - insgesamt: 1441 Wörter
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top