Erwachsensein hat seine Schwierigkeiten

Vier Jahre später


Die Nacht hatte sich über Paris gelegt und die Stadt der Liebe begann einzuschlafen.

Wieder einmal hatten wir es geschafft, die finsteren Pläne von Hawk Moth zu vereiteln. Wieder einmal zu einer Zeit, in der ich mich längst mit anderen Dingen beschäftigen müsste. Aber inzwischen hatte ich mich an den Stress und den unvorhersehbaren Teil des Superhelden-Daseins gewöhnt. Mit all seinen Schattenseiten.

"Unglaublich, wie schön Paris nachts ist." sagte Viperion, der sich neben mich auf eines der vielen Pariser Dächer niedergelassen hatte und mit mir gemeinsam die Nacht bestaunte.

Ich schmunzelte zu ihm herüber. "Eines der positiven Seiten des Heldendaseins; man darf Persektiven genießen, die einen im Zivil verborgen bleiben."

"Da hast du Recht."

Ich erkannte, wie er mich aus dem Augenwinkel heraus betrachtete.
Natürlich musste ihn aufgefallen sein, dass ich ihn inzwischen für fast jede Mission brauchte. Nicht zuletzt auch, weil ich ihn vor gut einem Monat Sass als dauerhaften Begleiter gegeben hatte. Bei Luka war er sicher. Absolut sicher.

Aber da war noch etwas anderes in seinem Blick. Etwas, was ich nicht verstanden hatte. Aber auch etwas, was meine Wangen rot werden ließ.

Ich vermisste Luka während der letzten vier Jahre von Tag zu Tag immer mehr.

Am allermeisten, als ich den Unterschied zwischen Liebe und Verliebtheit begann zu verstehen. Während meiner Zeit an der Schule glaubte ich zu wissen, was Liebe bedeutete. Aber ich tat es nicht.

Ich vergotterte Adrien. So unheimlich. Weil ich glaubte zu wissen, was Liebe ist. Ich habe ihn meine Welt zu Füßen gelegt. Und was hatte ich davon? Er war in all der Zeit in Ladybug verliebt. Nicht in mich.

Und egal wie oft er mein Herz damit gebrochen hatte, egal wie oft ich mit meinem Leben als Superheldin überfordert war oder wie oft mich ein Feind verletzt hatte - Luka war für mich da gewesen. Einfach so. Er gab mir Raum. Er hatte mir so oft gesagt, dass er auf mich warten würde. Er hat mich nicht unter Druck gesetzt. Er ... möchte mich. Als Marinette.

Und was habe ich in all der Zeit getan?

Ich habe ihn mehr als deutlich gemacht, dass es in meiner Welt nur einen Jungen gibt. Habe mich vor der Wahrheit versteckt und am Ende wohl auch vor ihm.

Ich konnte ihn nicht einmal sagen, wer ich wirklich bin. Obwohl er mein Geheimeins wohl genauso gut für sich behalten hätte, wie Alya.

Aber ich habe es nicht getan. Und in all der Zeit ist es mir so peinlich geworden. Ich habe mich bei ihm seit vier Jahren nicht mehr gemeldet. Aus Scham, aus Angst, aus Furcht vor dem Unbekannten... Und doch war ich am Ende wieder so egoistisch gewesen, dass ich vor zwei Jahren wieder vor seiner Tür aufgetaucht bin und ich als Ladybug um Hilfe gebeten habe. Für Missionen, in denen ich ihn mit seiner Kraft der zweiten Chance gar nicht gebraucht hatte.

Und wieder hatte er mich mit offnen Armen empfangen und ohne weitere Fragen zu stellen, mir und Cat Noir geholfen.

"Ich hoffe, du siehst gerade nicht so traurig aus, weil Cat Noir heute nicht dabei war." hörte ich Lukas Stimme und weckte mich aus meinen Tagträumen wieder auf.

"Ach, auf den alten Kater kann man sich inzwischen kaum mehr verlassen. Er kommt wann und wie er will.", sagte ich und versuche meine Gedanken in den hintersten Teil meines Kopfes zu verdrängen, "Deshalb bist du ja jetzt da. Auf dich kann ich mich jederzeit verlassen. Du bist da, wenn ich dich brauche."

Charmant lächelte Viperion und sah wieder gerade aus. Gerade aus auf die Notre Dame. "Dann scheine ich ja nicht alles falsch zu machen."

Ich wollte ihn fragen, was er damit meinte. Doch bevor mir die Frage über die Lippen kam, stand er auch schon auf.

Sehnsüchtig wich mein Blick zu ihm auf.

Aus Luka war in den letzten vier Jahren ein Mann geworden. Sein Körper war gewachsen. Inzwischen waren da gute anderthalb Köpfe Abstand zwischen uns. Und auch Muskeln hatte er bekommen. Er war nicht so aufgepumpt wie die Superhelden in den Comic-Heften. Nein. Luka hatte die perfekte drahtige Figur. Breite Schultern, schmales Becken, trainierte Oberarme, drahtige Beine. Ja, all das zeigte mir sein Kostüm jedes mal auf beeindruckende Art und Weise immer und immer wieder.

Nur etwas vermisste ich an seinem neuen Erscheinungsbild - die blau gefärbten Haarspitzen.

"Das ist auf Dauer einfach zu anstrengend sie jedes Wochenende nachzufärben. Gerade jetzt, wo ich kurz vor der Prüfungsphase stehe." hatte er mir vor zwei Jahren gesagt, als ich das erste mal vor seiner Haustür stand.

Vor seiner eigenen, möchte ich dazu sagen. Auf dem Boot seiner Mutter lebte er nämlich schon lange nicht mehr. Inzwischen hatte er eine eigene kleine Wohnung in Paris, in der er sich auf sein Studium vorbereitete und weiter musizierte. Woher ich das wusste? Tja, Adrien hat mich zu einer perfekten Stalkierin mutieren lassen.

Gut, inzwischen kann ich darauf verzichten den konkreten Ablaufplan seines Alltags auswendig zu kennen, genau wie sein Namenstag oder wann sein Großvater Geburtstag hat. Aber immerhin seine Adresse konnte ich auf kurzen Umwegen noch rausfinden.

Jetzt war sein Haar schwarz und es herrschte ein klein bisschen mehr Ordnung drin. Es war nicht ein Stück kurz geworden und manchmal kämmte er sie von der Stirn aus zurück in Richtung Hinterkopf. Das gefiel mir immer noch unheimlich gut. Was würde ich darum geben durch sie durch zu fahren?

Und die gefärbten Spitzen? Gott sei Dank, waren die in seiner Heldenform immer noch da.

"Wir sehen uns, Ladybug." verabschiedete er sich im sanften Ton von mir und sprang vom Dach.

Und ich hoffte mit all meiner Macht, dass es bald sein würde. Ich musste dringend meine Fehler begradigen. Nicht als Ladybug. Sondern als Marinette.

*

"Verdammt, lernst du denn nie dazu?" rief Alya aufgebracht und lief mit erhobenene Armen in unserem Wohnzimmer auf und ab. "Ich dachte, wir haben das Thema mit deiner Jungs-Schüchternheit überwunden! Und jetzt? Willst du genau nochmal den selben Fehler bei Luka machen wie bei Adrien?"

Ich gebe zu; meiner besten Freundin von meinen wieder-aufgeflammten Gefühlen für Luka zu erzählen - fast zwei Jahre nachdem ich auf eigenen Wegen mit ihnen umgehen wollte, war wohl ein wenig spät gewesen.

"Es ist kein Fehler. Ich kann ihn doch aber nicht einfach so sagen, dass ich ihn immer noch mag. Mehr sogar als vorher. Dass ich erkannt habe, was ich für ein Trottel damals war und wie leid es mir tut, ihn so massiv verletzt zu haben. Dass ich längst über Adrien hinweg bin und ich ihm nie wieder zweigleisig behandeln würde. Ich habe es damals verbockt, Alya. Richtig verbockt. Ich würde ihn verstehen, wenn er mir nicht mal die Tür aufmachen würde!" murmele ich vom Sofa aus und drücke das dicke rosa Stoffkissen fest gegen meine Brust.

Alya blieb stehen. Sie hatte sich über die letzten vier Jahre kaum verändert. Ihr Haar war länger geworden - genau wie meines. Und wir waren gewachsen. Zumindest hatte es mein Körper versucht, meinte aber, dass es bei einem guten Meter fünfzig reichen würde. Alya dagegen hatte es wesentlich weiter geschafft und war mit ihrem festen Freund Nino auf Augenhöhe.

Ach, was war ich auf Alya neidisch. Sie und Nino waren immer noch ein Herz und eine Seele. So sehr, dass ich mit Myléne bereits eine Wette über ihre hoffentlich baldige Verlobung abgeschlossen hatte. Der Einsatz war groß. Für mich stand immerhin eine Kiste mit neuen Stoffen auf dem Spiel.

"Marinette. Ich sage dir das jetzt zum allerletzten Mal", fing meine beste Freundin an und rückte ihre Brille auf der Nase gerade, "Du hast es verdient, glücklich zu werden. Und noch mehr als das."

Mit zwei Schritten durchschritt sie unser Wohnzimmer und setzte sich neben mich auf das Sofa. Ihr Blick war voller Mitgefühl und zugleich ernster Absicht. "Du opferst Tag für Tag immer mehr für diesen Superheldenjob, ohne mit der Wimper zu zucken. Erst waren es die Schulausflüge, dann fast unsere Freundschaft. Dann die fast-Beziehung zu Luka, einen Umzug nach New York, jede Menge Dates an der Uni und Partys! Du hast dich noch nie betrunken, weil du jederzeit als Ladybug einsatzbereit sein musst und zu guter Letzt, hast du sogar dein Studium aufgegeben! Marinette, du hast all das aufgeben, was dich als Marinette auszeichnet. Nur um ein Leben als Superheldin führen zu können. Das ist nicht fair!"

"Cat Noir tut es auch." sage ich kleinlaut in mein Kissen.

Alya schüttelte böse den Kopf. "Nein! Wie oft bist du in letzter Zeit alleine auf Patrouille gegangen bis du Luka das Schlangen Miraculous dauerhaft gegeben hast?"

"Er hat Herzschmerzen. Seine Freundin hat ihn verlassen. Und das Mädchen, in das er früher verliebt war, hat ihn anscheinend auch den Laufpass gegeben. Er braucht Zeit für sich und Zeit, um sich zu ordnen." versuchte ich meinen Teamkollegen zu verteidigen. Doch Alya schien das nur wütender zu machen. "Du auch! Wie lange hast du in deine Kissen geheult, bis du über Adrien hinweg gekommen bist? Ewigkeiten. Und trotzdem warst du immer vor Ort gewesen. Jetzt bist du dran! Und da will ich keine Ausrede mehr hören! Adrien ist Geschichte? Fein! Du hast rausgefunden, was und für wen dein Herz schlägt? Super! Dann ist es an der Zeit für einen Plan, damit du dein Happy End auch endlich finden kannst."

Ich schüttelte leicht den Kopf. "Und wie stellst du dir das vor? Soll ich zu Luka gehen, ihm sagen, wie ich fühle und im gleichen Moment, dass ich Ladybug bin, damit er gleich weiß, worauf er sich einlässt? Alya, das ist lebensmüde und verdammt gefährlich. Der neue Hawk Moth macht keine halben Sachen. Er könnte Luka ernsthaft verletzten, wenn er weiß, dass er über mich Bescheid weiß."

Alya rümpfte die Nase. "Ich weiß auch von deinem Geheimnis und lebe auch noch."

Da lag sie nicht ganz falsch. Und trotzdem gefiel mir der Gedanke nicht, Luka dennoch solcher Gefahr auszusetzen. Ja, er war ein erwachsener junger Mann. Ja, er konnte gut auf sich selber aufpassen. Aber wer war am Ende dafür verantwortlich, wenn er doch verletzt werden würde? Ich.

Meine beste Freundin seufzte schwer auf und ließ den Kopf im Nacken kreisen. "Fein. Sag es ihm nicht. Keine Ahnung wie du mit ihm neu Anfangen willst, aber das lasse ich dein Problem sein. Fangen wir mit einem Schritt kleiner an, und beginnen damit, dich erst mal unauffällig in seine Nähe zu bringen."

"Alya-"

Ihr Blick ließ mir nicht einmal die Möglichkeit für Gegenargumente. Sofort verstummte ich und nickte einfach nur. Manchmal kann Alya wirklich Angsteinflößend sein.

Nachdenklich verzog sie das Gesicht und sah hinüber zu unserem großen Fenster. "Mhm. Vielleicht stehen deine Chance gar nicht so schlecht. Juleka veranstaltet morgen mit ihrer Band ein Konzert auf dem Boot ihrer und Lukas Mutter. Ich kann ja mal Vermittler spielen und sie bitten, ihren Bruder auch kommen zu lassen."

"Er spielt doch aber schon gar nicht mehr in der Band. Und sein Studium hat er auch erst vor kurzer Zeit abgeschlossen. Vielleicht braucht er einfach Zeit-" ... Nein, bei diesem Blick leistete ich besser keine Widerworte. Rasch lenkte ich wieder ein. "Ich meine, vielleicht bin ich es, die etwas braucht. Nämlich ein Outfit für die Party."

Und Beruhgungsmittel!

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