Abrechnung mit Chloé Bourgeois

Hattet ihr je das Gefühl, tief in euch drin ein Monster zu haben? Eines das nach Rache, Wut und Hass schreit? Eines, dass sich von eurer Trauer, eurer Angst und eurer Sorge ernährt und immer weiter wächst?

Manchmal glaube auch ich so ein Monster in meiner Brust schlummern zu haben.

Und wenn es durch eines besonders aktiv wird, dann durch Chloé Bourgeois.

Ich dachte nach unserem Abschluss hätten wir Frieden mit ihr vereinbart. Frieden im Sinne von; sie fliegt mit ihrer Mutter nach New York, ihre liebenswürdige Halbschwester bleibt als Bourgeois-Ersatz bei uns und wir würden es auf beiden Seiten nicht mehr riskieren uns umsonst aufzuregen.

Und das hatte vier Jahre lang perfekt funktioniert. Ich likete hin und wieder ihre Möchtegern-Like-A-Star-Bilder auf Instagram und sie blieb einfach nur aus meinem und Ladybugs Leben fern.

Aber jetzt war sie wieder da. Und hatte all ihre Feindseligkeiten gleich mitgebracht.

„Lass gut sein, Marinette." hörte ich Juleka zu mir sagen. Sie hielt immer noch meine Hand und wollte mit mir zu den Kajüten gehen. Dort wo auch irgendwo Luka war.

Doch ich begann ein Fehler. Ich drehte mich zu Chloé herum.

Nur für den Hauch einer Sekunden.

Eigentlich mit der Absicht ihr zu zeigen, dass ich gerade alles andere als bereit für einen Zicken-Streit war.

Aber sie musste meinen Blick falsch interpretiert haben.

Sie war noch schöner geworden als sie es früher schon war. Das blonde Haar war gewachsen, in Form gebracht und glänzend gesund. Ganz im Gegensatz zu meinem Haar, das sich nur hin und wieder mal mit einer Supermarktspülung begnügen musste.

Ihr Körper war eindeutig der eines Models. Schlank, rank und elegant.

Aber eines hatte sich nicht verändert. Der herablassende Blick in ihren eisblauen Augen.

„Ich habe es ja immer gesagt!", begann sie und lief auf Juleka und mich in langsamen Schritten zu und hob dabei abwertend die Hand, „Versager bleiben Versager. Du hättest lieber eine Lehre als Bäckerin bei deinen Eltern machen sollen, als jetzt wie der letzte Uni-Abbrecher dazustehen. Wie war das gleich? Was machst du jetzt gleich?"

Ihr Blick war so durchdrungen und feindselig, dass ich am liebsten Kehrtwende machen wollte. Ich hatte gelernt manchen Ärger aus dem Weg zu gehen. Chloé war einer davon.

Ich sagte nichts und atmete tief durch.

„Komm, Marinette." sagte Juleka erneut zu mir und zog mich dieses Mal mit sich.

Ich dachte, das sei es. Machte mich bereit für die nächste Schlacht. Hakte Chloé unter der Rubrik Wunderbare-Selbstbeherrschung ab.

„Ach genau. Du reparierst die Klamotten von anderen Leuten. Kleidung aus den Supermärkten. Wie lächerlich. Wie äußerst lächerlich. Dein hochwertigstes Kleidungsstück war bestimmt die drei Euro Bluse von deiner Tante."

Ich schluckte es herunter. Es schmeckte wie das pure Gift. Ich wusste ja, dass sie mich provozieren wollte. Warum auch immer.

„Bei deiner Grufti-Freundin da drüben angefangen.", bellte Chloé lachend weiter, „Schau dir mal ihre Sachen an. Zerrissen und abgetragen. Aber vielleicht muss man das so als Möchtegern-Musikerin tragen."

„Marinette!" hörte ich Juleka noch zart rufen als ich ihre Hand los ließ und mich umdrehte.

Selbstbeherrschung hin oder her. Sich über mich lustig zu machen, war das eine. Über meine Freundin, die zu schüchtern war, um sich zu wehren, etwas anderes.

Blut rauschte durch meinen Körper geradewegs in meine Hände hinein. Ich drückte Juleka meinen vollen Becher Bier in die Hand und lief auf Chloé zu, die mich mich ihrem herabschauenden Blick grinsend musterte.

Ich hob die Hand - ob beflügelt von dem ersten Alkohol im Blut meines Lebens oder durch mein Gefühlswirrwarr in meinem Kopf - und schlug mit der flachen Hand in Richtung ihrer Wange zu.

Und noch nie in meinem Leben hatte ich eine Ohrfeige so in meinen Ohren pfeifen hören, wie in diesem Moment. Nicht, dass ich häufig welche verteilen würde.

Chloé sah mich wohl genauso erschrocken an, wie ich es wohl in diesem Moment auch war. Aber ich versuchte es nicht zu zeigen. „Lass. Es. Chloé. Zum letzten Mal; lass meine Freunde und mich in Frieden. Such dir andere Hobbys, um mit deinem schlecht laufenden Leben zurecht zu kommen. Wenn du reden willst, gern. Aber leg dir einen anderen Umgangston an, bevor du je wieder so mit meinen Freunden oder mir redest!"

Ich beschloss, es auf den Alkohol zu schieben. Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass betrunkene schuldunfähig sind. Vielleicht würde mir das bei meinem baldigen Strafprozess helfen, so dachte ich in diesem Moment.

Eigentlich wartete ich darauf, dass Chloé wutentbrannt loslegt, mir mit Anwälten und Strafen droht. Doch sie hielt nur eine Hand an die Stelle an der sie meine Hand an der linken Wange getroffen hatte und sah mich einfach nur ungläubig an.

Fast tat es mir leid. Fast.

Ich nahm Julekas Hand wieder in meine. Ich musste nicht zur Seite schauen, um ihr Grinsen zu sehen. "Du weißt, dass Gewalt keine Lösung ist.", sagt sie so leise, dass nur ich es hören konnte, „Aber im Namen aller Pariser; Danke!" Ich hatte wohl gerade das getan, wovon viele immer geträumt hatten. Auch wenn es mich vielleicht Jahre im französischen Gefängnis kosten würde.

„Runter von der Liberty, Chloé." ertönte plötzlich eine tiefe Stimme hinter mir.

Eine Stimme, die mich sofort einfrieren ließ.

Er ging mit lässigen Schritt an mir vorbei. Er roch immer noch genau wie damals. Einladend, warm und nach Freiheit.

„Ich glaube nicht, dass dich meine Schwester zu ihrer Veranstaltung eingeladen hat." sagte Luka im ruhigen Ton weiter.

Ärger hörte man nicht heraus. Seine Worte waren ruhig und gewählt. Trotzdem so klar wie eine Melodie.

Jetzt veränderte sich Chloés Blick. Für eine Sekunde lag Bewunderung in ihrem Blick. Vielleicht sogar etwas ... Begierde? Nein. Definitiv nicht! Oder?

Dann wurde er jedoch schlagartig wieder so verpönt und spöttisch wie immer. Meine Ohrfeige hatte ihr Ziel also nicht allzu lange erreicht. „Pah! Wer glaubst du, wer du bist, um mich, Chloé Bourgeois, eines Platzes zu verweisen? Ihr solltet dankbar sein, so viel Glamor auf diesen uralten Khan überhaupt abbekommen zu dürfen!"

Luka legte entspannt den Kopf schräg und überkreuzte die Arme vor der Brust. „Danke dafür. Wirklich. Ich weiß deine Absichten zu schätzen. Aber deine heroischen Taten reichen aus. Die Liberty kommt auch ohne dich prima klar. Geh jetzt."

Giftig war kein Ausdruck, der sich in Chloés Gesicht widerspiegelte.

Auch sie überkreuzte die Arme vor der Brust und verzog schmollend den Mund zu einer Schnute. Aufgebracht ging sie an ihm vorbei. „Bilde Dir bloß nicht ein, weil du ein bisschen hübsch bist, dass du mir was zu sagen hättest." Sie wusste anscheinend nicht einmal mehr, wer er war.

Luka verzog keine Miene. Hob nur gelassen eine Braue an. „Das kann ich nur an dich zurückgeben, Chloé."

Er sah, wie wir alle, Chloé dabei zu, wie sie ihren Weg von Bord fand. Wenn mich meine Augen nicht trübten, stand vor dem Schiff eine Limousine in der ich Sabrinas helle Stimme hörte.

Mir fiel ein Stein vom Herzen.

Sie war weg.

„Danke, dass du meine Schwester in Schutz genommen hast!"

Plötzlich war Lukas Stimme ganz nah an meinem Ohr - und ich - Kind des Ungeschicks - verlor vor Schrecken fast das Gleichwicht.

Gott sei Dank, waren Lukas Hände schneller gewesen, als die Schwerkraft und er half mir nicht gleich vor Schreck zu Boden zu gehen.

Als ich ihn ansah, hätte ich schwören können, dass die Welt stehen blieb. All die Lichter, all das Wasserrauschen des Flusses, die Hintergrundmusik aus den Gesprächen der anderen Leute und der Musik.

Da war nur noch Luka.

Und beim Allmächtigen, sah er schön aus.

„Vorsichtig, Marinette." sagte er in einer so sanften Stimme, dass ich zu Wachs wurde.

Als mein Gehirn irgendwann wieder in der Lage war, ihn nicht mehr unentwegt anzustarren, merkte ich wie etwas an meiner Hand zerrte. Juleka löste sich von mir. Und das Grinsen auf ihrem Gesicht hätte das eines Lotto-Gewinners sein können. "Ich lass euch dann mal alleine!" flötete sie und war auf einmal weg.

"Nein, warte!" rief ich aus panischer Angst, plötzlich mit Luka allein zu sein.

Doch ich erntete nur ein freches Grinsen meiner Freundin, während mein Verstand die Sinne meiner Worte langsam begriff.

Wie ein ferngesteuerter Zombi bewegte ich im versucht freundlich-netten Lächeln meinen Kopf zu Luka - und einen lächerlichen Versuch einen charmanten Kichern aus mir heraus. "So meinte ich das nicht!"

Normalerweise kenne ich die Reaktionen auf meine peinlichen Ausuferungen bestens. Man sieht mich an, als wäre ein Buch mit sieben Siegeln.

Doch Luka lächelte nur mild. "Ich weiß doch." sagte er einfach nur ohne mich seltsam dabei zu betrachten.

Wieso nur war ich vorher nur so dämlich zu ihm gewesen? Habe ich denn damals gar nicht erkannt, wie wahnsinnig toll und charmant er war?

Sein Lächeln ließ mich langsam auftauen.

Hier waren wir. Er und ich.

Ich in meiner nachtblauen Versuchung und er in schwarzen Chucks, der dunklen Jeans und dem dunkelgrau-blauen langärmlige Shirt mit Knopfleiste, bei denen die ersten zwei Knöpfe am Hals offen und die Ärmel weit über die Ellenbogen nach oben gekrempelt waren.

Das Lederarmband, den Ring und auch die rockigen Ohrringe trug er immer noch und ließen seinen doch recht legeren Look mehr rockiger wirken. Er hatte wirklich nicht seinen Stil verloren.

Auch ohne die blauen Haarspitzen und die lackierten schwarzen Fingernägel.

"Hey, Luka." säuselte ich und schmolz beim Anblick seines Lächelns wieder dahin.

Er grinste breiter und ließ mich los. "Hey, Marinette."

Ich schnurrte zufrieden auf. "Hey, Luka ..."

"Das sagtest du schon, Marinette." kicherte er nun in seiner samtweichen Stimme und holte mich von Wolke sieben zurück an Bord der Liberty.

Wieder mussten sich meine Wangen knallrot verfärben. Wie peinlich ...

Nervös fuhren meine linke Hand zu meinem Pferdeschwanz und holte ihn vom Rücken über die Schultern. In meinem Studium hatte ich mir irgendwann die nervige Geste angewöhnt in nervösen Situation mit dem Ende meines Zopfes zu spielen. Irgendwie schaffte ich es einfach nicht sie aufzugeben.

Luka schien meine Benommenheit zu merken, so wie wohl fast alle meine Gefühlszustände, zu denen ich fähig bin und lenkte sie in die richtige Richtung ein. "Ziemlich laut hier. Hast du Lust auf einen kleinen Spaziergang entlang der Seine?"

"Nein. Ich meine, ja! Ja! Ja, natürlich!" Großer Gott, ich musste damit endlich aufhören. "Und du und ich allein. Im Dunkeln. Oh ja!"

Luka nahm zärtlich meine Hand. Er wirkte wie die Ruhe in sich. Wie war das gleich? Er sollte komisch gewesen sein? Er war wie immer. Liebenswert, charmant und höflich.

Er übernahm das Kommando und lenkte uns durch die duzenden Gäste, hinaus auf den Gehweg.

Und mein Herz? Das schlug so schnell wie das eines Kolibris.

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