Krankhaft - Das Wissen

Drei mal habe ich den Fehler gemacht, und mit jedem mal schien es schlimmer zu werden. Das erste Mal, als ich meine Symptome gegoogelt hatte, waren es ein bis zwei Jahre, die ich laut der berühmten Suchmaschine höchstens noch zu leben hätte, beim zweiten Mal handelte es sich um Monate, das dritte Mal um wenige Stunden. Sie sehen, wenn ich mich nun Noch einmal an einer digitalen selbstdiagnose versuche, müsste ich das laut dem Internet wohl posthum getan haben. Das letzte Mal ist übrigens ein halbes Jahr her und ob Sie's glauben oder nicht, ich lebe noch und zwar als relativ gesunder Mensch, wie ich zufrieden behaupten kann. Bevor hier jemand mit Übertragung des Bewusstseins in Computer anfängt.

Worauf ich hinauswill, ist das wir meiner Meinung nach leichter an Wissen und vorallem gefährliches Halbwissen kommen, als gut für uns ist. Vorallem Was Medizin angeht, denn seien wir mal ehrlich, wer von euch hat nicht schon mal nach möglichen Ursachen für seine Alltagsleiden gesucht und dann eine Liste ernster und unheilbarer Krankheiten vorgefunden?

Natürlich darf man auch die zu tausenden geteilten Geschichten nicht vergessen, hier ein kleines Beispiel in Form einer Kurzgeschichte:

Ich sitze am Handy und lese Wattpad. Auf einmal fühle ich ein leichtes kribbeln im oberen Rücken. Da ich ohnehin nichts besseres zu tun habe, kann ich ja gleich mal im Internet schauen, was das ist und was da hilft.

Ein Bandscheibenvorfall? Das hört sich aber garnicht gut an. MRT? Eine gefühlte Ewigkeit bewegungslos in einer engen, lauten Röhre liegen? Nein danke, darauf kann ich verzichten. Oh Gott, was, wenn ich Operiert werden muss? Das ist so ziemlich das letzte, was ich will. Naja, aber bestimmt gibt es noch eine harmloser Erklärung. Also suche ich nach Erfahrungsberichten. Von Leuten wie mir, bei denen das dann aber eine ganz harmlose Ursache hatte.

Auf Facebook werde ich schließlich fündig; ein gewisser 'Florian Schmitz" hat hier seine Erfahrungen mit der Welt geteilt: "Am Anfang war es nur ein leichtes jucken im oberen Rückenbereich. Da es halt nur nerfig war, hab ich mir nix weiter gedacht, aber dann wurde es immer schlimmer." Angstvoll halte ich inne. Seit ich angefangen habe zu googlen ist das kribbeln immer schlimmer geworden, inzwischen beginnen sogar meine Handgelenke leicht zu kribbeln. Schnell lese ich weiter." Irgendwann bin ich dann halt zum Hausarzt, aber der hat mich weggeschickt und gesagt, das ist nur, weil ich mich so sehr drauf konzentriere, wenn ich mich ablenken würde, würde das kribbeln schon verschwinden. Aber mit der Zeit kam dann ein ziehen dazu und da bin ich misstrauisch geworden. Das ziehen wurde zu Schmerz und irgendwann hats dann knaks gemacht. Am Ende lag ich im Krankenhaus und musste operiert werden. Ich bin immernoch in der Reha deswegen. Nehmt euren Körper ernst! Ich hab das dann nachher gegoogelt mit dem kribbeln, und da kam raus, das das ein Vorzeichen von einem Bandscheibenvorfall ist. Googelt erst und geht dann ins Krankenhaus, da nimmt man euch ernst! Teilt das auch und leitet das an eure Freunde weiter, damit niemand das auch durchmachen muss! Das ist wichtig, Leute!"

Geschockt schließe ich die App. Das das so schlimm enden kann, damit hätte ich nicht gerechnet. Das kribbeln ist inzwischen beinahe unerträglich geworden. Da der Hausarzt allerdings schon zu hat und es mir doch ziemlich albern vorkommt, deshalb ins Krankenhaus zu gehen, beschließe ich, daß ganze auf morgen zu verschieben.

Am nächsten Tag fällt mir das kribbeln von gestern erst gegen Mittag wieder ein. Überrascht stelle ich fest, daß es weg ist. Dadurch beruhigt prüfe ich nochmal die gestrigen Fakten auf ihr Sachlichkeit und komme zu dem Schluss, daß es vermutlich doch nur ein kribbeln war und kein Rabe. Doch die Angst, daß es was ernstes sein könnte, bleibt.

So, das ganze ist länger geworden, als ich gedacht habe. Enthält übrigens keine Medizinischen Fakten, [Außer dem Bandscheibenvorvall, den gibt's wirklich] nicht, daß mich jetzt jemand für nen Arzt hält oder so und das für bare Münze nimmt. Es ist nur ein Beispiel. Aber ich glaube, sie wissen worauf ich hinaus will.

Besonders bei "Alltagswewehchen" ist es oft schwer, einzuschätzen, was davon ein Vorzeichen für eine ernsthafte Krankheit ist, und was davon harmlos. Das man von den  schlimmsten Szenarien aber nie von den besten hört, da gibt es schließlich weniger zu erzählen und vorallem weniger likes, ist der Sache auch nicht gerade dienlich. Und die vielen click baits Namens: "5 Anzeichen für Alzheimer die sie bisher ignoriert haben" oder "wenn sie diese Symptome haben, sollten sie sofort zum Arzt gehen" treiben die Paranoia auf ein unsagbar hohes Niveau. Kein Wunder also, das in unserer vernetzten Welt jeder zweite Mensch Arzt und jeder dritte Hypochonder ist.

Selbst wer nicht danach sucht, wird im Internet mit Anzeigen und Artikeln in den Wahnsinn getrieben, und wer kein Internet hat, der wird mit entsprechenden Zeitungsartikeln oder seinem Umfeld "belehrt". "Was, du hast Kopfweh? So n drückender Schmerz? Du, da musst du ins Krankenhaus und einen CT Scan machen, das könnte ein Tumor sein. Aber bloß keinen Kernspin, der ist nicht so genau wie ein CT."

Ums kurz zu machen, wenns nicht chronisch ist, ist ein ziepen meist auch nur ein Ziepen.

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