Kapitel 32 - Das Schicksal heißt Pegasus I


Eleah



Ich hatte eine kleine notdürftige Praxis im Lager errichtet, indem ich ein großes Brett und zwei Fässer in eine Liege umfunktioniert hatte. Sie lief die ersten Tage etwas schleppend, was zum einem daran lag, dass die Männer keine medizinische Versorgung benötigten und zum anderen, dass die neuen Mitglieder der Crew mir mit Misstrauen gegenüber traten, weshalb ich mich die meiste Zeit in Bels oder in Asils Nähe aufhielt.

»Mir ist langweilig«, jammerte ich. »Wann sehen wir mal etwas anderes als Wasser?«

»Ja, Captain, wie wäre es zum Beispiel mit Feuer?«, sagte Asil herausfordernd und erntete sogleich einen warnenden Blick von Bel.

Aber ich hatte den Hinweis bereits verstanden. »Wir sind seit Tagen ziellos auf dem Meer unterwegs. Wie sollen wir hier den Feuergeborenen finden? Müssen wir nicht irgendwie zurück an Land und ein paar Dörfer und Städte besuchen?«

»Aye, Captain,« lässig und mit einem amüsierten Grinsen lehnte sich Asil mit der Hüfte gegen die Reling, »wie sollen wir ihn hier finden? Du weißt doch, dass das Feuerelement sich nicht gern aufs Wasser begibt.«

»Wer hat dich denn nach deiner Meinung gefragt?« Bels Griff um das Steuerrad verstärkte sich, sodass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. »Kannst du nicht jemand anderem auf die Nerven gehen?«

Asils winkte ab. »Niemand da, der meine guten Ratschläge verdient hätte. Außerdem versuche ich nur zu helfen.«

»Wenn du helfen willst«, sagte Bel gepresst, »wie wäre es dann mit einer kleinen Trainingseinheit für Eleah?«

Asil wandte sich in meine Richtung und sagte: »Du kannst später zu mir kommen. Ihr solltet erst mal ein paar Nahkampfeinheiten trainieren.«

»Ich weiß nicht, was mich mehr beunruhigt«, sagte ich und stemmte mir eine Hand in die Hüfte, »dass ihr euch um das Training mit mir reißt oder dass ihr euch so einig seid, was meinen Plan angeht.«

»Dir ist schon bewusst, dass die Prophezeiung ein Luftelement benötigt, dass ihre Kräfte beherrscht?«, fragte Bel an Asil gewandt.

Asil nickte. »Ist mir bewusst. Aber dir sollte doch wohl auch klar sein, dass nur die Magie das letzte Luftelement auch nicht vor dem Tod gerettet hat.«

Eine gespenstische Stille fegte über das Deck, während die beiden Männer ihren Kampf mit Blicken weiter ausführten und mich komplett ignorierten. Letzten Endes war es mir egal, mit was mein Training startete. Erst als Bel sich räusperte und sich mir wieder zuwandte, wartete ich gespannt auf die Verkündung.

»Na schön«, sagte Bel und gab das Steuer an Asil weiter. Seine Stiefel knirschten, als er einen Satz in meine Richtung machte und mich mit dem Dolch an der Kehle in seine Gewalt brachte. »Lektion 1: Mit Kraft wirst du nicht viel ausrichten können, also sei schneller als dein Gegner.«

Ich schluckte gegen das kalte Metall an und schnaubte. »Das war nicht fair.«

Mit seinen Lippen näherte er sich meinem Ohr. »Lektion 2: Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt.« Bel ließ den Dolch sinken und gab mich wieder frei. »Merken, verinnerlichen und anwenden.«

Gerade als ich meinen Dolch von meinem Oberschenkel lösen wollte, brach an Deck eine allgemeine Unruhe aus. Der Mann im Krähennest lehnte sich zu uns herunter und deutete nach Westen, wo am Horizont ein Schiff aufgetaucht war.

»Ein Dreimaster«, sagte Asil und reichte das Teleskop an Bel weiter. »Es ist ziemlich groß und segelt direkt auf uns zu. Hat an die vierzig Kanonen an Bord.«

Das Schiff war nicht nur gut bewaffnet, es war auch noch verdammt schnell. Von Minute zu Minute kam es immer näher, sodass ich ein Detail ausfindig machen konnte, was mich durchatmen ließ.

»Es hat die weiße Flagge gehisst.« Auch wenn ich dachte, dass dies ein gutes Zeichen war, entspannten sich die beiden Männer neben mir nicht.

»Sieht aus wie ein Geisterschiff. Keine Spur von Leben an Bord«, murmelte Bel.

Als das Schiff die Geschwindigkeit drosselte, konnte ich auch ihren Namen erkennen und ich war von der schieren Größe der Pegasus mehr als überrascht. Unser Zweimaster sah daneben aus wie ein kleines Beiboot.

Asil hatte recht. Es befanden sich tatsächlich an die zwanzig Kanonen auf der uns zugewandten Seite und vermutlich noch einmal zwanzig weitere auf der anderen. Aber es war kein Geisterschiff. Über der Reling beugte sich ein Mann zu uns herunter. »Dem heiligen Klabautermann sei Dank. Wir haben Verletzte an Bord. Habt ihr einen Schiffsarzt an Bord?«

Als wäre dies mein Startsignal, lief ich los in meine improvisierte Praxis, kramte ein paar Sachen zusammen und flitzte zurück an Deck, wo sich Bel mir in den Weg stellte.

»Du wartest hier, bis ich mir einen Überblick verschafft habe.« Sein Blick war unmissverständlich und ließ keinen Widerspruch zu.

Eigentlich.

»So ein Quatsch«, entgegnete ich ihm und stemmte als Zeichen meines Unverständnisses die Hände in die Hüften. »Natürlich komme ich mit.« Nach all der Langeweile an Bord kam mir dieser Hilferuf wie ein Geschenk vor.

»Wir wissen doch gar nicht, was uns erwartet«, erwiderte er. »Es kann sich um einen Hinterhalt handeln.«

»Ja, möglich wäre es«, sagte ich. »Dann pass halt auf mich auf.«

Bel starrte mir ungläubig nach und schnaubte, während ich mir von Asil in das Beiboot helfen ließ. Aber dann steckte er den Dolch in seinen Gürtel, überprüfte die Munition seiner Pistole und folgte uns.

Auf den ersten Blick machte die Pegasus einen guten Eindruck. Als ich aber genauer hinsah, entdeckte ich auf der uns nicht zugewandten Seite, dass ein ganzes Stück der Reling fehlte und förmlich herausgebrochen war. Lose Fässer lagen umgekippt oder ausgelaufen herum und ein leichter Geruch nach Schwarzpulver lag in der Luft. Nur eine Handvoll Männer liefen an Deck des Schiffes herum und versuchten das Chaos zu beseitigen. Was wohl geschehen war? Und wo befand sich der Rest der Crew? Diesen Dreimaster konnte man unmöglich mit so wenig Männern segeln.

Während wir dem jungen Mann die Treppe hinunter folgten, drang mir der metallische Geruch von Blut in die Nase. Über meine Lippen kam ein entsetzter Laut, als ich unter Deck gut dreißig Verletzte in Hängematten und auf dem Fußboden liegen sah. Ein kollektives Stöhnen durchschnitt die dünne, stickige Luft.

Ich drückte das Kreuz durch, verschaffte mir einen raschen Überblick und sortierte die Patienten in Gedanken nach Dringlichkeit. Männer mit lebensgefährlichen Wunden setzte ich an erste Stelle, gefolgt von offenen Brüchen und schließlich Patienten mit leichteren Blessuren.

»Wie ist dein Name?«, fragte ich unseren Begleiter, der immer wieder einen verunsicherten Blick auf meinen Bodyguard warf. Anscheinend fragte er sich in Anbetracht Bels grimmiger Miene, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte, uns an Bord des Schiffes zu lassen.

»Colin.«

»Hör zu, Colin, ich brauche deine Hilfe.« Ich zog aus meinem Beutel ein Fläschchen Laudanum. »Verteil das und fang mit diesen Männern an.« Mit dem Finger zeigte ich auf einige der schlimmsten Fälle. »Den Rest verteil gerecht unter den anderen Verletzten. Vorher brauche ich noch frisches heißes Wasser. Am besten abgekocht. Für jeden Mann eine eigene Schale. Und jede Menge Alkohol.«

Colin zögerte und warf Bel einen weiteren misstrauischen Blick zu, der damit begonnen hatte, seinen Dolch über ein Leder zu ziehen und zu schärfen.

»Los!«, befahl ich, und als Colin sich endlich auf den Weg machte, wandte ich mich Bel zu. »Was tust du da? Muss das sein?«

Bel hob den Blick, zog die Schneide aber noch ein weiteres Mal über das Leder. »Ich bereite mich nur vor.«

»Willst du ihnen etwa allen die Kehle aufschlitzen?«

Ein raubtierhaftes Schmunzeln kräuselte seine Lippen. »Wenn es sein muss.«

Ich verdrehte die Augen und winkte ihn hinfort. »Steh irgendwo anders im Weg herum, ich kann dich hier nicht gebrauchen.«

Bel ließ noch einmal seinen Blick über die Verletzten gleiten und lehnte sich dann mit einem angewinkelten Bein und verschränkten Armen an die Wand in ein paar Metern Entfernung.

Ich ging zu dem Mann, bei dem Colin mit dem Laudanum begonnen hatte und den es scheinbar am schlimmsten getroffen hatte. Er konnte kaum viel älter sein als ich, auch wenn der Schmerz seine Gesichtszüge unnatürlich verzerrte. Als er versuchte, sich aufzurichten, spritzte ihm das Blut aus dem Bauch. Stöhnend sackte er auf seiner Pritsche zusammen.

»Bitte bleibt liegen«, sagte ich. »Mein Name ist Eleah und ich werde versuchen, Euch zu helfen.« Ich betete, dass keine inneren Organe verletzt waren, denn ansonsten würde ich nicht viel für ihn tun können.

»Oscar Bennett.« Ein Röcheln entkam seiner Kehle. »Es ist mir eine Ehre.«

Mein Blick fiel auf seine Jacke mit dem Abzeichen, die an der Seite bereits voll und ganz mit Blut durchtränkt war. »Seid Ihr der Captain dieses Schiffes?«

»Ihr seht auch nicht gerade wie ein Schiffsarzt aus«, sagte er und musterte mich.

»Könnte daran liegen, dass ich es nicht bin. Aber vielleicht kann ich Euch trotzdem helfen und ich denke, in Eurer Situation ist das besser als nichts«, erwiderte ich und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln.

Bennett lachte und begann erneut zu röcheln, als das Blut wieder aus seinem Bauch spritzte.

»Nicht mehr sprechen«, wies ich ihn an. Vorsichtig schob ich das mit Blut vollgesaugte Hemd hoch und warf einen Blick auf die Schusswunde. »Steckt die Kugel noch?«

Bennett nickte mit schmerzverzerrtem Gesicht.

»Mistress?« Colin war neben mich getreten und stellte eine Schüssel mit dampfendem Wasser neben mir ab. »Kann ich sonst noch etwas für Euch tun?«

Ich überlegte einen Moment. »Könntest du deinen Captain festhalten, während ich die Kugel aus ihm heraus hole?«

Colin warf Bennett einen kurzen Blick zu, aber als dieser keinen Einwand erhob, strich er sich eine braune Strähne aus dem Gesicht und stellte sich hinter ihn. Auf mein Zeichen hin drückte er die Schultern seines Captains auf die Pritsche.

Ich begann damit die Wunde zu säubern und bereitete mich auf das Herausholen der Kugel vor. Das war etwas, was man nicht in den ersten Semestern eines Medizinstudiums lernte. Trotz eines Funkens Nervosität funktionierte ich einfach. Ich gab dem Captain ein Beißholz und drang mit einer kleinen Zange in die Schusswunde ein. Bennett stöhnte und wandt sich mit seiner letzten Kraft. Colin konnte ihn nur mit Mühe und Not stillhalten und drückte den Captain mit seinem gesamten Körpergewicht hinunter. Auch ihm stand der Schweiß auf der Stirn, aber ansonsten ließ er sich nichts von seiner Gefühlswelt anmerken und ich fragte mich unwillkürlich, was er in seinen jungen Jahren schon alles gesehen und erlebt haben musste.

»Hab sie!« Vorsichtig zog ich die Kugel heraus. »Das schlimmste habt Ihr überstanden.«

Bennett antwortete nicht. Ich griff nach seinem Handgelenk und tastete nach seinem Puls. Er war schwach, aber regelmäßig. Ich nutzte seine Bewusstlosigkeit aus und nähte die Wunde mit ein paar sauberen Stichen.

»Bleib bei ihm und sag mir Bescheid, wenn er wieder wach ist«, sagte ich zu Colin. »Ich lasse ihm nachher Tee bringen. Bitte achte darauf, dass er ihn trinkt.« Ich krempelte meine Ärmel hoch, wischte mir den Schweiß von der Stirn und machte mich auf zu meinem nächsten Patienten. Stundenlang richtete ich Knochen, säuberte und nähte Wunden und hörte mir an, was geschehen war.

Die Pegasus hatte sich mit einem Schiff der Königlichen Marine angelegt und war nur mit letzter Kraft entkommen. Von der rund 100 Mann starken Besatzung hatte es ein Drittel nicht überlebt, während weitere dreißig Verletzte hier vor meinen Füßen lagen. Die restliche Crew hatte das Schiff gerade noch so in seichtere Gewässer steuern können, wo sie schließlich auf uns gestoßen waren. Die Männer gingen davon aus, dass die Marine im tiefen Gewässer noch immer auf sie wartete und warnten mich eindringlich vor einer Weiterfahrt.

Mein Blick fuhr zu Bel, der mich noch immer aufmerksam beobachtete und sich in all der Zeit nicht von der Stelle gerührt hatte. Ich wollte ihn darüber informieren, was mit der Pegasus geschehen war, aber da trat Colin neben mich.

»Der Captain ist wach«, sagte er.

Bel würde warten müssen. Ich wollte zuerst erneut nach meinem Patienten sehen.

»Wie geht es Euch?«, fragte ich Captain Bennett und setzte mich auf den Stuhl vor ihm.

»Besser«, antwortete er. »Bitte verzeiht mir, dass ich nicht aufstehen kann.«

Ich winkte ab. »Trinkt Ihr den Tee, den ich Euch habe bringen lassen?«

Bennett nickte, verzog dabei aber den Mund. »Ich muss Euch leider gestehen, dass ich schon Besseren getrunken habe.«

»Der Tee hilft, das Fieber zu senken.« Ich reichte ihm die Tasse und sah ihn aufmunternd an. »Je mehr Ihr davon trinkt, desto schneller seid Ihr wieder auf den Beinen.«

Widerwillig nahm er einen Schluck. »Schmeckt wie Gift. Wenn Ihr mich hättet umbringen wollen, hättet Ihr mich einfach nur hier liegen lassen sollen.« Er zwinkerte mir über den Rand seiner Tasse hinweg zu.

Unwillkürlich musste ich lachen. Der Mann war mir überaus sympathisch.

Captain Bennett nahm meine Hand. »Ich danke Euch und Eurem Mann von Herzen. Ohne Euch wären wir wohl dem Tode geweiht gewesen.«

»Ihr kennt Bel?«, fragte ich überrascht.

»Nein, ich kenne ihn nicht«, antwortete er und verzog amüsiert den Mund. »Ist das nicht Euer Mann, der da an der Wand steht und gerade darüber nachdenkt, ob er mich lieber Kiel holen schickt oder mir gleich hier die Kehle durchschneidet?«

Tatsächlich hatte er recht. Ich kannte den Ausdruck in Bels Augen und auch die Ader an seinem Hals zeugte davon, dass er gerade nicht zu scherzen aufgelegt war.

»Ja«, sagte ich und knirschte mit den Zähnen. »Der gehört zu mir.«

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