Kapitel 24 - Zwei in einem Boot



Eleah



Die Vorbereitungen hatten ihren Höhepunkt erreicht, als ich in meinem Zimmer saß und Mary mich frisierte, während sie mich auf die kommende Zeremonie vorbereitete.

Bel war über einer Woche aufgebrochen, weil er angeblich noch etwas Wichtiges zu erledigen hatte. Es machte mich sauer, dass er mich hier so allein mit diesem ganzen Chaos ließ und es ihm nichts auszumachen schien, dass man ihn ebenso zu diesem Wahnsinn zwang. Vielleicht hatte er sich aber auch aus dem Staub gemacht und ich würde erst vor dem Altar erfahren, ob er sein Wort dieses Mal halten würde, und das störte mich aus irgendeinem Grund plötzlich sehr. Möglicherweise lag es daran, dass ich nicht wusste, wie es mit mir weitergehen würde und wie ich jemals den Weg zurückfinden sollte, falls er mich sitzen ließ. Auf der anderen Seite war die Vorstellung in einer mir völlig fremden Welt, die mir schon jetzt so viele Qualen bereitet hatte, einen Mann heiraten zu müssen, welchen ich erst vor einigen Wochen kennengelernt hatte völlig absurd.

Warum ich selbst allerdings immer noch hier saß, während mir kleine Perlen in die Haare gesteckt wurden, war ein noch viel größeres Rätsel für mich. Wie hatte es nur so weit kommen können?

»Du schaust ein wenig betrübt. Ist alles in Ordnung? Gefällt es dir nicht?«, fragte Mary und holte mich so aus dem Gedankenchaos, in welchem ich mich verrannt hatte.

Ich hob den Kopf ein wenig und sah sie durch den Spiegel des Frisiertischchen an. Gerne hätte ich den Blick intensiviert und ihr einen pampigen Spruch um die Ohren gehauen, aber ich sah ihr an, dass sie sich wirklich bemühte und sich sorgte.

»Doch, es sieht sehr hübsch aus. Es ist nur ... der Anlass.« Ich seufzte.

Beruhigend legte sie mir eine Hand auf die Schulter. »Lass mich dir als verheiratete Frau sagen, dass es Schlimmeres gibt und du morgen keine Veränderung spüren wirst. Du wirst immer noch die sein, die du hier im Spiegel sieht, nur eben an jemanden gebunden.«

An Bel gebunden ... Genau das war es, was mich beunruhigte, da unsere erste Begegnung nicht gerade von Sympathie geprägt war. Ich stand kurz davor den Mann zu heiraten, der mich beinahe umgebracht hatte. Trotzdem musste ich mir jedoch auch eingestehen, dass er mir vermutlich bereits zwei Mal das Leben gerettet hatte.

»Was hat er euch alles über mich erzählt?«

Mary hielt kurz inne und legte mir eine Hand auf die Schulter. »Vermutlich alles.«

»Verstehe ...«

»Du bist nicht allein«, sagte sie. »Wir sind doch bald eine Familie und wir werden dir beistehen. Wenn wir etwas für dich tun können, dann sag es uns.« Sie schob eine letzte Haarnadel in meine Frisur und trat einen Schritt zurück. »Fertig.«

Jetzt, wo ich mich im Spiegel betrachtete, fühlte ich mich langsam zusehends unwohl. Der Rock meines Brautkleids war riesig, sodass ich ihn nicht ganz im Spiegel einfangen konnte. Das edle, mit Brokat bestickte Korsett brachte meine Brust wirklich gut zur Geltung, auch wenn ich mir unsicher war, ob ich das überhaupt wollte.

»Du bist eine wunderschöne Braut.« Zufrieden betrachtete Mary ihr Werk.

Nervös lächelte ich sie an. Auch wenn mir bewusst war, dass diese Hochzeit für mich nur ein Mittel zum Zweck war und ich damit keinerlei Verpflichtungen einging, so war es für mich doch ein merkwürdiges Gefühl und ich befürchtete, gleich zu hyperventilieren.

Mary goss mir einen Becher Wein ein und reichte ihn mir.

Dankbar nahm ich ihr den Becher ab und kippte ihn in einem Zug hinunter. »Noch einen bitte.«

Schmunzelnd sah sie abwechselnd zwischen dem leeren Becher und mir hin und her, ehe sie mir nachschenkte. »Danach sollten wir aber gehen. Du willst doch an deinem großen Tag nicht zu spät kommen, nicht wahr?«

Ihre Frage ignorierte ich, da mir klar war, dass ihr die Antwort vermutlich nicht gefallen würde. Ich leerte den Becher mit einem weiteren großen Schluck und stand schließlich auf. Der schwere Stoff meines Kleides raschelte bei jedem Schritt. Ehrfürchtig strich ich mit der Hand über die cremefarbenen Falten.

»Tut mir leid, dass wir so schnell kein neues Brautkleid mehr organisieren konnten.«

»Das macht nichts«, entgegnete ich. »Es ist ein sehr schönes Kleid.«

»Freut mich, dass es dir gefällt. Es ist das Kleid, das ich zu meiner Hochzeit getragen habe.«

»Es gehört dir?« Erstaunt darüber, dass sie es mir zur Verfügung stellte, fühlte ich mich geehrt.

»Jetzt gehört es dir. Möge es dir eine so schöne Ehe wie mir bescheren.« Sie lächelte und ich spürte, dass ihre Worte ernst gemeint waren.

»Nun lass uns gehen.« Mary reichte mir ihre Hand.

Tief in meinem Inneren meldete sich das schlechte Gewissen. Für mich war diese Hochzeit nur ein notwendiges Übel. Mary hingegen schien darin etwas Zukünftiges zu sehen, von dem ich mir sicher war, es nicht erfüllen zu können.

Ich hatte jetzt schon mit den Tränen zu kämpfen und das, obwohl diese Hochzeit nur ein Geschäft für mich war, welches ich einfach hinter mich bringen musste. Die Euphorie, die Mary seit Tagen verbreitete, schien sich wie eine unsichtbare Macht um mich zu legen und mitzuziehen. Zumindest was die typischen Hochzeitsemotionen betraf.

Auf dem Hof wurden wir von einer kleinen Kutsche in Empfang genommen. Ich war überrascht und hatte mit weniger Traditionellem gerechnet. Eleganter als gedacht stieg ich mit dem unförmigen Reifrock in die Kutsche, während Mary mir auf Schritt und Tritt folgte.

»Bist du meine Anstandsdame? Oder sollst du darauf achten, dass ich nicht flüchte?«, fragte ich sie, als die Kutsche Fahrt aufnahm. Ich hätte die letzten Minuten meiner Freiheit gerne noch etwas allein genossen, denn der heutige Tag würde mit Sicherheit sehr anstrengend werden.

Mary lachte laut auf und warf den Kopf zurück, sodass sich eine kleine dunkle Strähne aus ihrer Frisur löste. »Um Gottes willen!« Sie hielt sich die Hand auf den Bauch und schnappte nach Luft.

Sie konnte mich nicht täuschen. Ich spürte, dass ich ins Schwarze getroffen hatte.

Gedankenverloren blickte sie aus dem Fenster und steckte die Haarsträhne wieder fest. Den Rest der Fahrt brachten wir schweigend hinter uns und erst, als wir vor einem kleinen Hügel hielten, wandte sich Mary mir wieder zu.

»Wir sind da. Bist du bereit?«

»Habe ich denn noch eine andere Wahl?«

Sie lächelte. »Ich fürchte nicht.«

Der Kutscher öffnete die Tür und ich erkannte den jungen Stallburschen in ihm. Er half uns beim Aussteigen und Mary deutete mir an ihr zu folgen. Wir gingen ein Stück durch den Wald, den Hügel hinauf, auf dem eine kleine Kapelle stand. Wäre es nicht meine Hochzeit gewesen, die mich an diesen Ort brachte, hätte er mir gut gefallen.

»Warte hier kurz. Ich gehe schnell rein und sage Bescheid, dass es losgehen kann.«

Als kurz darauf die Glocken zu läuten begannen, wusste ich, dass die letzten Sekunden angebrochen waren. Wenn ich jemals wieder in meine Welt wollte, dann gab es für mich jetzt kein Zurück mehr. Mit zitternden Händen griff ich nach der kalten eisernen Türklinke und atmete ein paarmal tief durch, ehe ich sie hinunterdrückte.

Ich trat ein und nahm überrascht zur Kenntnis, dass nur Mary, Dean, Zola und Asil auf den Bänken Platz genommen hatten. Bel stand mit dem Geistlichen am Altar und war eine überaus ansehnliche Erscheinung, wie ich beunruhigt zugeben musste. Er trug ein frisches schwarzes Hemd mit kleinen silbernen Manschettenknöpfen und eine dunkle Hose. Dazu schwarze Lederstiefel mit einer ebenfalls silbernen Schnalle, aus denen ein kleiner Dolch blitzte. Um seine Hüfte hatte er einen breiten Gürtel geschnallt, an dem ein langes Schwert und eine Pistole befestigt waren.

Welcher Irre geht denn bewaffnet bis an die Zähne zu seiner eigenen Hochzeit, dachte ich missmutig.

Sein Gesicht war frisch rasiert und er sah nicht so grimmig aus wie sonst. Jemand schien seine Haare ordentlich gekämmt zu haben, denn beim besten Willen konnte ich mir nicht vorstellen, dass er dies selbst getan hatte.

Die tiefen Klänge der Orgel dröhnten bis in meine Fußspitzen und machten meinen Körper schwer wie Blei.

Bels Blick war starr auf mich gerichtet, während ich mit immer kleiner werdenden Schritten auf ihn zuging. Meine Beine waren weich wie Butter und ich befürchtete, sie würden jeden Moment nachgeben.

Mary und Dean begannen zu tuscheln und der Geistliche sah besorgt zwischen mir und Bel hin und her. Sicherlich fragte er sich, ob er hier heute wirklich eine Trauung abhalten würde.

Bel machte einen Schritt auf mich zu und blieb dann stehen. Sein Blick fesselte mich und ich konnte nicht wegsehen. Mir brach der Schweiß aus und ich hatte das Gefühl, jeden Moment ohnmächtig zu werden.

Für einen kurzen Moment kam mir ein Fluchtgedanke in den Kopf und ich blieb einfach wie angewurzelt stehen. Das Orgelspiel erlosch und die Kapelle war plötzlich totenstill. Alle Anwesenden richteten ihre Blicke auf mich und ihre Anspannung war beinahe mit den Händen greifbar.

Bel machte vorsichtig einen weiteren Schritt auf mich zu, und als ich nicht nach hinten hinaus stürmte, ging er immer bestimmter weiter, bis er schließlich direkt vor mir stehen blieb.

»Was ist los?«, fragte er leise um Höflichkeit bemüht. Seine Frage hallte in der kleinen Kapelle nieder.

Panisch griff ich seinen Arm. »Ich kann dich nicht heiraten! Ich weiß doch gar nichts von dir und du weißt nichts von mir!«

»Dir ist doch klar, dass das alles keine Rolle spielt, oder?«, fragte er. »Hier geht es nur darum, dich an mich zu binden, damit ich dich mit meiner Dunkelheit verhüllen kann. Zum Kennenlernen bleibt uns danach noch genug Zeit, wenn dir das so wichtig ist.«

Nur ein Geschäft, um für meine Sicherheit zu garantieren. In zwanzig Minuten ist das ganze Theater hier vorbei. Du schaffst das, betete ich mein persönliches Mantra in meinen Gedanken. Dann nahm ich einen tiefen Atemzug und nickte Bel zu.

»Komm schon, lass es uns hinter uns bringen.« Bel reichte mir seine Hand. Sie war kalt und feucht von seinem Schweiß.

Ich sah ihn an und er ließ für einen Moment, beabsichtigt oder nicht, seine Maske fallen. In seinen blauen Augen konnte ich nun ebenfalls Unsicherheit und Nervosität erkennen. Dass ihn das Ganze anscheinend auch nur auf den ersten Blick kaltließ, beruhigte mich etwas und ich drückte seine Hand.

Kaum merklich nickte er mir zu und ich verstand, dass wir im selben Boot saßen. Gemeinsam gingen wir langsam weiter in Richtung Altar, bis wir davor niederknieten.

Mary atmete hörbar erleichtert aus, als der Geistliche uns misstrauisch in Empfang nahm. Er räusperte sich.

»Nun gut. Wir haben uns also heute hier versammelt, um dieses Paar in den gemeinsamen Bund der Ehe zu führen.«

Ich hörte seine Worte, doch sie erreichten mich nicht. Sie hallten immer leiser werdend durch die Luft, ehe sie von den alten Gemäuern der Kapelle verschluckt wurden. Erst als ich eine allgemeine Unruhe wahrnahm, hörte ich aufmerksamer zu. Unsere Hochzeitsgäste hatten sich erhoben und Bel bot mir erneut seine Hand an.

Der Geistliche wartete einen Moment, bis ich wieder auf beiden Beinen war, ehe er fortfuhr: »Bevor ihr den Bund der Ehe schließt, frage ich euch nun einzeln, ob ihr die Ehe in voller Freiheit und mit aufrichtiger Bereitschaft eingehen wollt.«

Bel begann damit seinen Teil der Zeremonie souverän zu meistern. »Ja.« Seine Stimme klang fest und sicher.

Mit hochgezogenen Augenbrauen sah der Geistliche mich an.

Noch vor wenigen Augenblicken passte mir das Kleid wie angegossen, doch jetzt hatte ich das Gefühl, kaum noch Luft darin zu kriegen. »Ja«, krächzte ich.

»Der Ring?« Fragend wandte der Geistliche sich an Bel.

Bel ließ meine Hände los und fing an in seinen Taschen zu wühlen. Als er meinen überraschten Blick bemerkte, wich er ihm verlegen aus. Schließlich legte er dem Mann einen kleinen goldenen Ring in die Hand.

Der Geistliche fing mit der Segnung des Ringes an, während ich Bel weiterhin mit offenem Mund anstarrte. Dass er sogar einen Ring organisiert hatte überraschte mich, ebenso wie die Tatsache, dass es ihm irgendwie unangenehm zu sein schien.

Alle Anwesenden beendeten gemeinsam im Chor die Segnung. »Amen.«

Bel drehte sich zu mir und fing an, die Worte für das Eheversprechen zu sprechen. »Ich will dich, Eleah, lieben und achten, dir die Treue halten -« Er hielt inne und nahm meine zitternde Hand. »Bis der Tod uns scheidet«, brachte er es zu Ende und steckte mir den Ring an den Finger.

Verblüfft fiel mein Blick auf das kleine runde Stück Edelmetall, dass auf meinen Finger passte, als wäre es dafür gemacht worden. Der Ring fasste einen strahlend roten Rubin, welcher von vielen kleinen Diamanten umschlossen war.

Mein Mund war staubtrocken und ich hatte Schwierigkeiten zu sprechen. »I-ich ... Ich will dich, Bel, lieben ... lieben und achten, dir die Treue halten ... bis der Tod uns scheidet«, stotterte ich. Mittlerweile klebte mir der Stoff des Kleides an meinem feuchten Rücken und kratzte unangenehm.

»Reicht nun einander die rechte Hand«, sagte der Mann vor uns und legte zufrieden eine Stola über unsere ineinander gelegten rechten Hände und seine schließlich darüber. »Im Namen Gottes und seiner Kirche bestätige ich den Ehebund, welchen ihr geschlossen habt.«

Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter und starrte auf die Stola. Bel räusperte sich und suchte meinen Blick. Unsicher sah er mich an, während der Mann Gottes sein Wort an die Anwesenden auf den Kirchenbänken richtete. »Sie sind Zeugen dieses heiligen Bundes. Was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen.«

Und dann war es still. So still, dass ich mich nervös umsah. Die Anwesenden warteten auf den krönenden Abschluss der Zeremonie: den Kuss.

Mein Blick fuhr hinauf zu Bel, der mich aufmerksam betrachtete. Auch er wartete und mir wurde bewusst, dass er diesen Schritt nicht ohne mein Einverständnis gehen würde. Ehe ich groß darüber nachdenken konnte, nickte ich ihm kaum merklich zu. Ich musste endlich hier raus – an die frische Luft –, und musste es zu Ende bringen.

Zögerlich machte er einen Schritt auf mich zu und nahm mein Gesicht in seine rauen Hände. Sein Atem kitzelte meine Haut und instinktiv kam ich ihm das letzte Stück entgegen. Seine Lippen waren weich und warm und schmeckten nach Meer. Es war anders als der Kuss, den er mir im Verlies aufgezwungen hatte, auch wenn dieser hier genauso schnell beendet war.

Unsere Gäste begannen zu jubeln und eilten zu uns, um uns zu gratulieren. Fürs Erste erleichtert, die Zeremonie hinter mich gebracht zu haben, nahm ich die Glückwünsche dankend entgegen.

Mein frisch angetrauter Ehemann führte mich aus der Kapelle und langsam den Hügel hinunter. Wir gingen eine Zeit lang schweigend nebeneinander her, während uns die Hochzeitsgesellschaft in gebührendem Abstand folgte. Das Licht der Sonne schien durch das lichte Blattwerk der Bäume, die uns umgaben, und mein Ring funkelte ungewohnt an meiner rechten Hand.

Ich räusperte mich und suchte verlegen nach den richtigen Worten.

»Gefällt er dir?« Bel deutete auf den Ring.

»Ja«, sagte ich wahrheitsgemäß. »Von wem hast du ihn?«

Er folgte meinem Blick zu seinem Schwert. »Nein«, herrschte er mich an. »Ich habe sicherlich schon so einige Dinge getan, auf die ich nicht sonderlich stolz bin, aber meiner Ehefrau am Tag unserer Hochzeit, einen gestohlenen Ring an den Finger zu stecken, gehört nun wahrlich nicht dazu.«

Verlegen zupfte ich mir mit übertriebener Hingabe ein heruntergefallenes Blatt von meinem Arm. »Ich dachte nur ... Es tut mir leid.«

Sein Blick schweifte in die Ferne. »Er war für jemanden bestimmt, der mir einmal viel bedeutet hat. Und jetzt gehört er dir«, sagte er. »Auch wenn du vielleicht der Meinung bist, dass es nicht nötig gewesen wäre.«

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