Kapitel 20 - Ein Pakt mit dem Teufel II


Eleah



Mitten in der Nacht wachte ich auf, als die Dielen knarrten. Jemand war in meinem Zimmer. Die Schritte auf dem Holzboden waren ganz deutlich zu hören, auch wenn der Eindringling sich Mühe gab, keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Hellwach bewegte ich mich kein Stück und hielt die Luft an. Mein Herz raste.

Was sollte ich tun? Ich hatte weder eine Waffe noch das Wissen, wie man damit umging. Um Hilfe zu rufen, war keine Option, da man mir vermutlich die Kehle durchtrennt hatte, ehe der erste Ton meinen Lippen entkam.

Während ich noch mit meinem inneren Konflikt beschäftigt war, rumpelte es an meinem Bett und jemand fluchte laut: »Verdammte Scheiße!«

Ich fuhr auf und saß kerzengerade im Bett. Es war zu dunkel, um etwas erkennen zu können, aber die Stimme war unverkennbar. Ein Gefühl der Erleichterung durchflutete mich, doch ich gab mich ihm nicht hin. Stattdessen griff ich unter mein Kissen und zog eine Schere darunter hervor, die ich zwischen all den gekauften medizinischen Geräten gefunden hatte, und hielt sie drohend in die Dunkelheit.

»Was machst du hier?«, fauchte ich. »Spannst du schon wieder?«

Der Boden knarrte und dann wurde das Feuer im Kamin neu entfacht. Die ersten kleinen Flammen genügten, um Bels grimmig dreinblickendes Gesicht erkennen zu können. Er starrte mich nur und sagte nichts. Dann glitt sein Blick zu der Schere in meiner Hand und eine seiner Brauen wanderte ein Stück hinauf.

»Wenn ich dir einen Rat geben darf«, sagte er, »dann würde ich die Schere weglegen.«

Er wollte mir einen Rat geben? So weit kam es noch ... »Und wenn ich mich weigere?«

Bels Hände ballten sich zu Fäusten und ich verstärkte den Griff um die Schere. Seine Pupillen waren riesig und das Feuer des Kamins spiegelte sich in ihnen. Er riss den Blick von mir los und zog den Vorhang des Fensters ein Stück zur Seite. Tief atmete er durch, ehe er wie eine Raubkatze zu dem roten Sessel schlich und sich darin nieder ließ.

»Dann«, sagte er schließlich samtweich und beugte sich ein Stück vor, »genieße ich die Aussicht noch ein bisschen.«

Ich folgte seinem Blick, der an meinem Körper hinunter wanderte und als ich auf die nackte Haut meiner Schenkel traf, auf denen ich hockte, zuckte ich unweigerlich zusammen und zog das hochgerutschte Nachthemd hinunter.

Er lachte leise – gefährlich – und lehnte sich dann wieder zurück.

»Was willst du?«, zischte ich.

»Reden.«

»Jetzt?«, fragte ich fassungslos. »Es ist mitten in der Nacht.«

Er verschränkte die Arme vor der Brust und seine Augen verfinsterten sich. »Ich habe dir bereits auf dem Schiff erzählt, dass ich nicht besonders viel schlafe. Vielleicht erinnerst du dich?«

»Das gibt dir doch noch lange nicht das Recht, mich mitten in der Nacht zu wecken und in meiner Kammer herumzuschleichen«, erwiderte ich empört.

»So schlagfertig wie eh und je.« Er funkelte mich an. »Hast du Gesprächsbedarf oder möchtest du lieber weiter den Schlaf der Gerechten schlafen?«

Ich schnappte kurz nach Luft, schwieg dann aber. Seine Anwesenheit machte mich nervös. Auch wenn meine lose Zunge mich scheinbar bis jetzt am Leben gehalten hatte, erschien es mir nicht besonders klug, mein Glück überzustrapazieren, während ich nur mit einem leichten Hemd bekleidet in meinem Bett saß, keine drei Meter entfernt von einem schlecht gelaunten Mann, dessen Aura so düster war, dass ich sie selbst jetzt um ihn herum wahrnehmen konnte. Waffen konnte ich keine an ihm ausfindig machen, allerdings bezweifelte ich, dass er überhaupt welche benötigte, um mich umzubringen.

Als hätte er meine Gedanken gelesen, zog er einen kleinen Dolch aus seinem Stiefel und drehte ihn ein paarmal in seinen Händen, ehe er ihn blitzschnell in den Holztisch neben sich rammte, wo die Klinge stecken blieb und einige Sekunden lang vibrierte.

Erschrocken zuckte ich zusammen, weil es mich an die Situation auf dem Schiff erinnerte. Ich nahm all meinen Mut zusammen und straffte die Schultern. »Ich hätte nicht gedacht, dass du überhaupt eine Waffe benötigst, um mich zu töten.«

Seine Mundwinkel zuckten kaum merklich, als er der schwingenden Bewegung des Dolches mit den Augen folgte. »Ich muss gestehen, dass ich es bereits mehr als ein Mal bereut habe, dich nicht dem Meer überlassen zu haben, und ebenfalls kam mir bereits ein paarmal der Gedanke, dir den Hals umzudrehen.« Bel zog die Waffe aus dem Tisch und fuhr nachdenklich mit dem Daumen über die Klinge.

»Und trotzdem verfolgst du uns bis in den Hafen.«

Überrascht sah er auf. »Du hast mich gesehen?« Aha, damit hatte er wohl nicht gerechnet!

»Du bist ebenfalls nicht besonders unauffällig«, antwortete ich. »Also, warum bist du uns gefolgt?«

Er seufzte und presste seine Nasenwurzel mit Daumen und Mittelfinger zusammen. »Du stellst die falschen Fragen ...«

»Welche Fragen soll ich denn deiner Meinung nach stellen?«

Bel schwieg.

Genervt riss ich die Arme in die Höhe. »Es ist doch ganz egal, welche Fragen ich stelle. Du beantwortest mir keine einzige davon.«

Er heftete seinen Blick wieder auf die Klinge und steckte sie in seinen Stiefel zurück. »Weil du mir sowieso nicht glauben würdest«, sagte er leise, und zum ersten Mal hatte das Gefühl, dass er die Wahrheit sprach. »Zola wird dir alles erklären.«

Da ich so nicht weiter kam, wechselte ich das Thema. »Ich brauche eine Karte dieser Welt mit einer Markierung, wo ihr mich gefunden habt.«

»Du willst gehen?« Entsetzen klang in seiner Stimme mit.

»Natürlich will gehen«, antwortete ich irritiert. Seine Gefühlslage wechselte minütlich, da kam ich einfach nicht mehr mit. »Ich gehöre nicht in diese Welt. Bis vor Kurzem wusste ich nicht einmal, dass diese Welt überhaupt existiert. Ich habe Familie und ein Leben, das in meiner Welt auf mich wartet.«

Schweigend betrachtete Bel mich, ehe er antwortete. »Na schön, ich besorge dir eine Karte und markiere dir die Stelle. Bringe dich höchstpersönlich dorthin, wenn du das möchtest. Aber erst hörst du dir an, was Zola zu sagen hat. Dann kannst du entscheiden, ob du die Rückreise antreten willst. Du musst mir aber versprechen, dass du niemandem von diesem Deal erzählst. Das ist eine Sache zwischen dir und mir.«

Ich schnaubte. »Ich soll dir etwa versprechen? Versprichst du mir denn auch, dich dieses Mal an dein Wort zu halten?«

»Ich verspreche es.«

Ich knirschte aus Mangel an Alternativen mit den Zähnen. Glaubte er ernsthaft, dass Zola mir etwas erzählen konnte, was meine Meinung änderte? Da ich mir sicher war, dass das nicht geschehen würde, willigte ich ein und versprach, meinen Mund über diese lächerliche Vereinbarung zu halten.

»Wie geht es deinem Kopf?«

»Ist noch dran«, entgegnete er achselzuckend.

»Kannst du dich kurz umdrehen, damit ich die Fäden ziehen kann?«

Fragend sah er mich an, begriff dann aber anscheinend, dass es mir unangenehm war, so aus dem Bett zu steigen und wandte den Kopf zum Fenster. »Ziemlich kühl heute«, murmelte er zusammenhanglos und dann verfielen wir in fast schon einträchtiges Schweigen.

Ich stieg aus dem Bett, schnappte mir die Schere und fischte aus meinem Beutel, den ich mir im Hafen als eine Art Survival Kit zusammengestellt hatte, eine Pinzette. Beides warf ich zusammen in einen Kessel mit etwas Wasser, welchen ich über dem Feuer zum Kochen brachte.

Nachdem ich mit der Vorbereitung meiner Utensilien fertig war, teilte ich Bels störrische Haare und legte die gut verheilte Wunde frei. Vorsichtig schnitt ich die Fäden nacheinander auf und begann damit, sie zu ziehen.

»Ich habe dich das bereits auf dem Schiff gefragt«, durchbrach Bel die Stille, »aber vielleicht gibst du mir jetzt eine konkrete Antwort. Warum hast du keine Angst vor mir?«

Ich hielt inne, sah auf seinen Hinterkopf und war froh, dass er mein überraschtes Gesicht nicht sehen konnte. Es abzustreiten würde keinen Sinn machen und ihn vielleicht nur verärgern, denn er hatte mir schon einmal gesagt, dass er die Angst in den Gesichtern der Menschen kannte und keine in meinem gefunden hatte.

»Ich weiß es nicht.« Ich runzelte die Stirn. »Vielleicht ist es so, weil ich etwas in dir gesehen habe.«

»So?« Überrascht wollte er sich zu mir drehen, aber ich hielt seinen Kopf zwischen meinen Händen gefangen. »Was hast du denn in mir gesehen?« Seine Stimme klang amüsiert.

Es wäre so einfach gewesen, ihm die Schere in den Hals zu rammen und mich für all das zu revanchieren, was er mir angetan hatte. Doch anstatt ich diesen dunklen Gedanken in mir in die Tat umsetzte, durchschnitt ich einfach einen weiteren Faden. »Dass du nur eine Rolle spielst«, antwortete ich knapp. »Als Zola mir aus der Hand gelesen hat, da hattest du deine Maske für einen Augenblick abgelegt. Arroganz und Kälte wichen ...«, ich überlegte kurz, »Hoffnung und Wärme.«

Bel lachte schallend und ich hatte das Gefühl, dass die Dunkelheit in der Kammer wieder zunahm. »Nein, da musst du dich geirrt haben.«

»Ich weiß doch wohl, was ich gesehen habe«, entgegnete ich und schürzte die Lippen.

Bel verstummte, griff nach meinem Handgelenk und zog mich zu sich herum. »Jetzt pass mal auf«, knurrte er. »Zola meinte, dass es in deiner Welt vermutlich keine Magie gibt. Also lass mich dir etwas erklären. Es gibt hier unter uns Menschen, die mit einem Fluch belegt sind. Sie sind anders als die Gesegneten, die werden so geboren. Verfluchte sind voller Dunkelheit und Zorn, leben im Schatten. In ihrem Inneren herrscht eine Leere, die nichts und niemand füllen kann. Es sind keine guten Menschen und du solltest dich von ihnen fernhalten. Erinnere dich an das, was ich dir angetan habe und hör auf zu glauben, dass du etwas anderes außer Dunkelheit in mir gesehen hast.«

Ich starrte ihn irritiert über so viel Offenheit an und auch sein Blick bohrte sich in meinen, wo ich die von ihm erwähnte Dunkelheit aufflackern sah. Ich zog an meinem Arm, bis er ihn losließ.

»Verflucht?« Plötzlich dämmerte mir etwas. »Der schwarze Nebel ...?«

Er verzog das Gesicht zu einem höhnischen Grinsen. »Merk dir meine Worte.«

»Ist Leutnant Beaufort ebenfalls verflucht?« Sein Name blieb mir fast im Hals stecken.

Meine Frage wischte das Grinsen aus Bels Gesicht. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen und bildeten eine tiefe Furche. »Nein, Beaufort ist einfach nur ein Arschloch.«

»Aber das Feuer ...«

»Das war seine ganz normale Magie. Die meisten gesegneten Menschen werden in ein Element geboren und erhalten darüber hinaus die Macht, dieses zu kontrollieren. Diese Magie ist bei jedem unterschiedlich stark ausgeprägt. Früher konnten die Menschen ganze Seen zum Austrocknen bringen oder mit einem Fingerschnippen eine ganze Stadt dem Erdboden gleichmachen. Heute reicht es bei den meisten gerade noch dazu, einen Becher mit Wasser zu füllen oder eine Kerze anzuzünden.«

»Warum hat Beaufort dich einen Niederen genannt? Hat das auch etwas damit zu tun?«

»Es ist eine abwertende Bezeichnung für Menschen ohne Magie und Element.«

»Das heißt, du kannst nicht ... zaubern?«

»Wenn du es so nennen möchtest.«

»Wer hat dich verflucht?«

»Eine Frau«, antwortete er knapp.

»Wart ihr –«

»Das reicht jetzt!« Sein Blick ließ mich verstummen, sodass ich nicht weiter bohrte. Stattdessen warf ich die Schere und die Pinzette in den Topf, ließ das Wasser erneut aufkochen und ordnete die neuen Informationen in meinem Kopf.

»Warum bist du mir in den Hafen gefolgt? Ich dachte, ich bin frei und kann gehen, wohin ich will. Außerdem hatte ich meinen Aufpasser doch dabei.« Mit der Handkante fuhr ich über den Tisch und schob die Fäden zusammen, die ich über die Tischkante in meine offene Hand fallen ließ.

Er packte meine Handgelenke erneut und zwang mich ihn anzusehen. »Weil du Ärger anziehst und du keine Ahnung hast, was es für Konsequenzen hätte, wenn du in die falschen Hände gerätst.«

Einen Moment lang starrten wir uns wieder in die Augen, nicht wie so oft, um einen stummen Kampf auszutragen, sondern um einander zu lesen und verstehen zu können. Erst als etwas in seinen Augen mich förmlich verschlang, kehrte ich ins Hier und Jetzt zurück.

»Man kann mir wohl kaum noch Schlimmeres antun, als das, was du und Beaufort mir angetan haben.«

Bel erstarrte und ließ genauso schnell, wie er meine Handgelenke gegriffen hatte, wieder los. Er blinzelte, als hätten ihn meine Worte wie eine schallende Ohrfeige getroffen. Abrupt stand er auf und stürmte hinaus, doch im Türrahmen blieb er, ohne sich umzudrehen, noch einmal stehen.

»Danke«, presste er hervor und tippte sich an den Hinterkopf, ehe er die Tür hinter sich schloss und verschwand.

Er hatte reden wollen und er hatte mir ein paar Antworten geliefert. Und trotzdem taten sich in meinem Kopf neue Fragen auf. Warum drohte er mir mit seiner Dunkelheit, betonte all das Schlechte und wollte mir einreden, dass ich mich geirrt hatte, wenn er doch hier vor mir gesessen hatte, ganz ohne Maske.

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