Kapitel 06 - Der Teufel


Eleah



Was für eine Katastrophe. Anders konnte man die Situation in der ich mich befand, nicht benennen. Vor Kurzem hatte ich mir lediglich um mein Studium und um meinen Vater Gedanken machen müssen. Jetzt war ich eine Gefangene auf einem Schiff voller Piraten und hatte keine Ahnung, wie ich jemals entkommen sollte. Und als wäre das alles noch nicht schlimm genug, schien hier noch etwas ganz anderes vor sich zu gehen, was mein Verstand nicht begreifen konnte.

Wie hat der Captain das mit dem Wasser gemacht?

Wer war Galatea und warum war es wichtig, welche Verbindung ich zu ihr hatte?

Und warum wurden meine Fragen gnadenlos ignoriert?

Ich war definitiv die falsche Person, um sich einen Haufen Lösegeld zu erhoffen. Zumindest war kein nennenswerter Betrag von meinem Vater zu ergaunern. Sicherlich würde er aber alle Hebel in Bewegung setzen, um mich aus der Gewalt der Piraten zu befreien und das galt es zu verhindern. Denn wenn er sich erst mal seinen Indiana-Jones-Hut aufsetzte und zu einer Rettungsaktion aufbrach, dann würde er sich nur selbst in Gefahr begeben und deshalb musste ich mir selbst etwas einfallen lassen.

Mir war klar, dass es nicht leicht werden würde, Bel davon zu überzeugen mich gehen zu lassen, aber ich durfte jetzt nicht aufgeben und musste es einfach schaffen.

Captain Graham Smith ließ sich in den nächsten Tagen nicht bei mir blicken. Vermutlich erholte er sich von seiner Verletzung. Es schockierte mich, dass er meine Hilfe so mit Füßen trat und es mir dankte, indem er mich hier unten versauern ließ. Solange ich keine Ahnung hatte, was hier vor sich ging, war es mir aber recht, dass ich mich ausschließlich um Bel kümmern musste. Mit ihm würde ich irgendwie fertig werden.

Hoffte ich zumindest.

Ich konnte ihn überhaupt nicht einschätzen. Er schien voller Zorn zu sein und die Dunkelheit, die von ihm ausging, war beinahe mit Händen greifbar. Trotzdem entfachte er meinen Kampfgeist. Ich würde kämpfen, bis ich aus diesem Verlies und von diesem Schiff entkommen konnte, so viel stand fest.

Jede freie Minute – und hier unten hatte ich eine Menge davon – verbrachte ich damit, mir einen geeigneten Fluchtplan auszudenken. Zumindest in der Zeit, wo ich nicht vor Angst zitterte und heulte. Denn schon bald bekam ich das Gefühl, sie hätten mich hier unten vergessen. Nur noch sporadisch kam jemand vorbei, um nach mir zu sehen.

Ich hatte nur den Hauch einer Ahnung, wie lange ich bereits hier unten festsaß, da mein Gefängnis keine Fenster besaß. Nur der Durst, der mich in Intervallen besuchte, so dass ich mir beinahe den Tod herbeisehnte, offenbarte mir, dass Tage zwischen den Verhören lagen. Meine rissigen Lippen brannten und mein ausgedörrter Hals kratzte. Ohne Pause knurrte mein Magen und wäre ich nicht unendlich müde gewesen, so dass ich die meiste Zeit schlief, hätte ich vor Hunger wahrscheinlich kein Auge zugemacht. Ich durfte meine Kräfte nicht verschwenden.

Wie eine Katze, die auf ihre Beute wartete, lauschte ich immer wieder auf das leise Klicken des Türschlosses, um mich kurz darauf auf Bel zu stürzen. Manchmal stellte ich mich schlafend und wartete, dass er ein paar Schritte hineinkam, um dann aufzuspringen und zur Tür zu stürmen. Aber er packte mich jedes Mal, bevor ich die Tür erreichte.

»Schluss mit den Spielchen!«, knurrte er und drückte meinen Arm so fest, dass ich die Knochen beinahe knacken hörte.

»Niemals!« Wütend funkelte ich ihn an. Ich hatte keine andere Wahl, als mit dem Feuer zu spielen. Sie würden mich nicht einfach so laufen lassen und meine Antworten auf ihre Fragen führten nicht gerade zu einer Entspannung meiner Lage. »Lieber gehe ich bei dem Versuch drauf zu flüchten, als hier unten zu verrecken.«

Grob stieß er mich zurück in die Kammer. »Sag mir einfach die Wahrheit und vielleicht kannst du dann gehen.«

»Zum hundertsten Mal: Ich weiß nicht, was ihr von mir wollt!«

Bel starrte mir wieder tief in die Augen, bis er scheinbar beschloss, seine Fragen erneut zu konkretisieren. »Also schön«, er holte Luft, »wie stehst du zu Galatea? Bist du eine Niedere, eine Gesegnete oder gar eine Verfluchte?« Als ich nicht auf seine Fragen antwortete, schüttelte er nachdenklich den Kopf und fuhr fort: »Nein, verflucht bist du nicht.«

»Ich verstehe kein Wort«, sagte ich vorsichtig. Es war zum Ermüden.

Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. Er schüttelte mich so heftig, dass es wehtat, ehe er abrupt damit aufhörte. »Na schön, wenn du Spielchen spielen willst, spielen wir.« Er stapfte zurück zur Tür, den Blick auf den dunklen Korridor gerichtet. »Wenn du bereit bist, die Wahrheit zu sagen, dann lass es mich wissen.« Mit diesen Worten zog er die Tür hinter sich zu und ließ mich wieder allein.

Zuerst war ich froh, dass die nächsten Stunden oder Tage niemand kam und mir keine unverständlichen Fragen gestellt wurden. Aber dann meldeten sich erneut der Hunger und der Durst und die Panik, dass man mich hier unten zum Sterben zurückgelassen hatte.

Hin­- und hergerissen überlegte ich, ob ich ihn anflehen sollte, mir etwas zu Trinken zu bringen. Aber ich bekam die Worte einfach nicht über meine Lippen. Noch war ich nicht so weit, noch war ich zu stolz, um einzuknicken. Noch ...

In meinen Gedanken flüchtete ich zu Nicholas. Wie hätte er auf den melonengroßen Ball aus Wasser reagiert? Wie hätte er das, was ich gesehen hatte, wissenschaftlich erklärt? Ich wollte weg von hier, zurück zu Nicholas. Mehr denn je.

Ich kam mir vor wie ein Tier, das auf seine Fütterung wartete und so wurde ich auch behandelt. Ich konnte nicht erkennen, wer sich heute um mein Wohlbefinden kümmerte, denn die Tür öffnete sich nur einen Spalt. Jemand warf eine kleine Flasche Wasser und harten Zwieback hinein und verschloss ohne ein weiteres Wort die Tür.

Mein trockener Mund ließ mich schnell meinen zuvor erwähnten Stolz vergessen und ich stürzte mich auf die Flasche, drehte sie auf und trank gierig. Als ich mich beinahe verschluckte, ermahnte ich mich zur Vorsicht, da ich das kostbare Gut nicht verschwenden wollte.

Nachdem mein Durst vorerst gestillt war, griff ich nach dem Zwieback. Während ich genüsslich darauf herumkaute, dachte ich nach und wägte meine Lage ab. Wenn sie mich hätten töten wollen, hätten sie es längst getan. Diese Art von Folter war also eine Spielerei für Bel. Vermutlich würde er mich ein paar Tage zappeln lassen, um mir dann etwas zu Essen und zu Trinken zukommen zu lassen. Vorerst beschloss ich zu pokern und mich darauf zu verlassen.

Und so kam es, dass mir zwei weitere Tage Durst und Hunger fast den Verstand raubten, ehe am dritten Tag die Tür einen Spalt geöffnet wurde und man mir eine kleine Flasche Wasser und Zwieback hineinwarf. Mit dieser Ration konnte ich wieder genügend Kräfte tanken, die ich zum Nachdenken nutzte. Etwas anderes konnte ich hier unten nicht tun, denn es gab hier nichts. Nichts, womit man sich auf irgendeine Art und Weise die Zeit vertreiben konnte oder was mir bei einer Flucht helfen würde.

In einer Ecke lag ein kleiner Berg aus Stroh, den man mir freundlicherweise zum Schlafen zur Verfügung gestellt hatte. Da es in meiner Suite aber kein Badezimmer, geschweige denn auch nur eine Toilette gab, hatte ich beschlossen, das Stroh zu teilen, nachdem mir klar geworden war, dass ich so schnell hier nicht wieder herauskam. Ich halbierte den Haufen und schob eine Hälfte in die hinterste Ecke und hoffte, er würde das Wichtigste aufsaugen. Als das erledigt war, knüpfte ich mir aus einem weiteren Teil des Strohs ein Kopfkissen. Es war hart, aber es erfüllte seinen Zweck. Wer hätte gedacht, dass mir die Vorträge und Expeditionen meines Vaters irgendwann einmal doch so gute Dienste leisten würden und ich froh war, ihnen einigermaßen gelauscht zu haben.

Zwischen meinen Grübeleien und dem Verschwenden meiner körperlichen Kräfte war ich teilweise so missgelaunt, dass ich die Tür anstarrte und Graham Smith, Bel und das gesamte Schiff verfluchte.

Manchmal, als sich die Panik wieder in mir breitmachte, tröstete ich mich mit dem Gedanken, dass sich sicherlich bereits zahlreiche Suchtrupps nach mir auf die Suche begeben hatten. Mein Vater und Nicholas würden gewiss alles Menschenmögliche tun, um mich zu finden und zu befreien.

Bels Folter erstreckte sich über Tage, vielleicht sogar Wochen. Irgendwann verlor ich jegliches Gefühl für die Zeit. Er gab mir genug zum Überleben, aber ich merkte, wie meine Kräfte nachließen. So langsam musste ich mir doch selbst etwas einfallen lassen. Ich konnte mich nicht länger auf Hilfe von außerhalb verlassen.

Von meiner Außenwelt drang nichts zu mir hinunter, sodass meine Ohren sich mittlerweile gut an die Stille, die hier unten herrschte, gewöhnt hatten. Deswegen sprang ich nicht mehr erst auf, wenn ich das Schloss hörte, sondern spitzte bereits die Ohren, wenn ich Schritte auf der Treppe oder auf dem Korridor vernahm. Geduldig wartete ich darauf, dass jemand die Treppe hinunterkam, um mir meine nächste Nahrungsration zu bringen. Ich hatte mir einen neuen Plan zurechtgelegt und würde einen weiteren Versuch starten.

Ich lauschte und wartete.

Wartete und betete.

Betete und fluchte.

Ermahnte mich zu innerer Ruhe, als ich spürte, wie Nervosität in mir aufkeimte.

Und plötzlich hörte ich Schritte. Ich krabbelte zur Tür und presste mich an die Wand daneben.

Der Schlüssel wurde ins Schloss gesteckt und herumgedreht. Mit einem leisen Klicken sprang das Schloss auf und die Tür öffnete sich einen Spalt. Die Flasche Wasser rollte hinein, gefolgt von meiner Ration Zwieback.

Ich presste meinen Körper gegen die hölzerne Wand und versuchte eins mit ihr zu werden, bis ich die raue Oberfläche und das Meer dahinter spürte. Langsam fuhr ich meine Atmung hinunter und wurde leicht. So leicht, als hätte sich mein Körper aufgelöst.

Die Tür flog mit einem Ruck auf und wäre mir beinahe gegen die nackten, schmutzigen Füße geschlagen, doch ich rührte mich nicht.

Ich vernahm ein überraschtes Keuchen, gefolgt von vorsichtigen Schritten, die sich daraufhin hektisch in Bewegung setzten und zu meiner Schlafstätte stürmten. Bel vergrub die Hände im Stroh und wühlte es auf.

Leise machte ich einen Schritt vor, von der schützenden Wand weg und schlich um die Tür herum. Als ich im Türrahmen ankam, hielt Bel inne und fuhr auf. Ich nutzte seine sichtbare Verwirrtheit aus, nahm meine ganze Kraft zusammen und rannte los. Ich wusste nicht wohin und würde zur Not einfach ins Meer springen, falls ich unterwegs kein geeignetes Versteck ausfindig machen konnte.

Die Treppe kam immer näher und ich konnte die frische salzige Luft beinahe riechen. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie stickig es hier unten war.

Laut fluchend schoss Bel hinter mir aus dem Verlies heraus. Er rannte mir nach, streckte die Hand nach mir aus und kam näher.

Ich kämpfte gegen die Tränen an, die mich zu übermannen drohten, als ich feststellte, dass es sinnlos war. Er holte weiter auf, bis er sich mit einem Satz auf mich warf.

Keuchend rollten wir über den Korridor und kämpften darum, die Oberhand zu gewinnen, ehe Bel mich mit seinem Körpergewicht zu Boden drückte. Ich schrie und strampelte um mich, als wäre der Teufel hinter mir her, was ja in gewisser Weise auch stimmte. Mit all meiner letzten Kraft versuchte ich ihn abzuwerfen, aber es gelang mir nicht.

Schwer atmend saß er auf mir und legte den Kopf schief. Mit seinen Händen griff er nach meinen Fäusten, die auf seine Brust einschlugen. »Das reicht jetzt.«

Aber ich hatte noch nicht vor aufzugeben. Zu viel Wut und Angst hatte sich in den letzten Tagen in mir angesammelt. Ich entwischte seinem Griff und schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. Er zuckte überrascht zurück und ich nutzte den Moment, um ihm meine abgebrochenen Fingernägel in den Hals zu rammen. Schmerzhaft stöhnte er auf. Nicht gerade zaghaft packte er meine Oberarme, drückte mich zu Boden und starrte mich mit hasserfülltem Blick schwer atmend an.

Ich schrie, weinte und wetterte wie besessen. Erst als meine Stimme nur noch krächzte und sich die kleine pulsierende Ader an seinem Hals beruhigt hatte, stand er schließlich auf und zog mich mit sich auf die Beine. Mit einem festen Griff um meinen Oberarm führte er mich zurück in mein Verlies, wo das Stroh überall verteilt herumlag.

»Tu das nie wieder«, sagte er kalt und stieß mich von sich.

»Sonst was?« Auch ich rang hörbar nach Atem, aber ich hielt seinem Blick stand.

Nachdenklich musterte er mich von oben bis unten, bis er an meinen Brüsten hängen blieb. »Sonst schicke ich dir stündlich einen meiner Männer hier rein.« Sadistisch grinste er, als er sah, dass seine Worte ihre Wirkung nicht verfehlt hatten und ich alarmiert einen Schritt zurückwich.

Als ich ihm nichts mehr entgegenzubringen hatte, machte er auf dem Absatz kehrt und ging zur Tür. Ohne darüber nachzudenken, griff ich nach dem Zwieback und warf ihn haarscharf an seinem Kopf vorbei auf den Korridor hinaus.

»Du bekommst keinen neuen«, rief er, während er die Tür hinter sich zu zog.

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