Kapitel 02 - Alte Freunde und neue Probleme


Eleah



Irgendwie war ich froh, dass ich gerade niemanden um mich herum hatte, der mir den Kopf waschen konnte. Meine Freundinnen hätten mir vermutlich sonst ordentlich die Leviten gelesen, wenn sie gewusst hätten, dass ich mich heute mit Nicholas treffen würde. In Gedanken sah ich ihre skeptischen Gesichter mit den hochgezogenen Augenbrauen vor mir, wie sie mich mitleidig betrachteten und sich sicher waren, dass diese Liebe keine Zukunft hatte. Mir war klar, dass sie mich nur unter großem Protest zu diesem Date gehen lassen würden. Schon einmal hatten sie mich trösten müssen und wollten mir gewiss jegliches weitere Leid ersparen.

Aber war das überhaupt ein Date? Oder brauchte Nicholas tatsächlich einfach nur jemanden, der ihm die Fundstelle zeigte? War er wirklich der Meinung, dass ich diese Aufgabe besser erfüllen könnte als der Captain, der das Schiff bereits dorthin gesegelt hatte? Ich hatte doch sowieso überhaupt keine Ahnung von diesem ganzen Metier und jeder andere Wissenschaftler oder Teilnehmer der Expedition wäre eine bessere Begleitung gewesen, als ich es je hätte sein können. Bevor die Fragen in meinem Kopf zu sehr an meinem Selbstbewusstsein rüttelten und ich den heutigen Tag komplett infrage stellte, tröstete ich mich mit dem Gedanken, dass Nicholas sich etwas dabei gedacht haben musste.

Zufrieden grinste ich in den Spiegel meines Schmuckkästchens und kramte darin herum, bis ich gefunden hatte, was ich suchte. Dann ging ich die Treppen hinunter, um mich von meinem Vater zu verabschieden.

Er saß in seinem Büro und blickte überrascht von einem Stapel Unterlagen auf, als ich im Türrahmen stehen blieb. Scheinbar blieb ihm nicht verborgen, dass ich mich heute besonders in Schale geworfen hatte, denn er musterte mich von oben bis unten und nickte mir dann anerkennend zu, ehe er an sein klingelndes Handy ging.

Mit den Lippen formte ich lautlos ein paar Worte des Abschieds und machte mich zum Gehen auf, doch er hielt mich noch einmal mit einer Handbewegung auf.

»Warte mal kurz«, sagte er zu seinem Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung. Dann legte er eine Hand auf das Mikrofon und zog mit der anderen seinen Schlüsselbund aus der Hosentasche. »Nimm das Auto«, er warf mir den Schlüssel zu, »und viel Spaß.«

»Danke«, flüsterte ich, doch er lächelte mich nur entschuldigend an, das Handy bereits wieder am Ohr.


***


Nicholas reichte mir seine Hand, um mir an Bord des für den heutigen Anlass gemieteten Schiffes zu helfen. Voller Erwartung raffte ich meinen Rock am unteren Saum zusammen und griff nach seiner Hand, wobei sein Blick auf meinen Hals fiel. An seinem Schmunzeln erkannte ich, dass er die silberne Kette, die er mir zu unserem ersten Jahrestag geschenkt hatte, wiedererkannte. Klar konnte man meine Wahl für etwas zu optimistisch halten, aber ich hatte auch nichts zu verlieren. Trotzdem war ich froh, dass er sich vorerst zum Schweigen entschieden hatte und mir die unangenehme Situation erspart blieb, ihm die Wahl meines Schmucks für den heutigen Tag erklären zu müssen. Ich wollte ihm zwar ein kleines Zeichen senden, aber mich nicht unbedingt erklären müssen, warum ich die Kette überhaupt aufgehoben hatte.

Derselbe mürrische Captain nahm uns in Empfang, der auch bei der Entdeckung des Jahrhunderts dabei gewesen war, was mich wunderte, denn es war nicht dasselbe Schiff, mit dem wir das Wrack entdeckt hatten. Eigentlich verdiente es nicht einmal die Bezeichnung Schiff. In meinen Augen war es einfach nur ein alter Kahn, der seine besten Zeiten bereits hinter sich hatte, aber er sollte seine Aufgabe trotzdem erfüllen können. Hoffte ich.

Die Rettungsweste, die mir der Captain reichte, schlug ich freundlich aus. Mir war auch ohne schon warm genug und falls ich wider Erwarten doch über Bord gehen sollte, so konnte sich Nicholas zumindest als Held aufspielen.

Verlegen warf ich ihm einen Blick zu, doch der Held meiner Träume war gerade damit beschäftigt, noch einmal auf den hölzernen Steg zurückzuspringen, der unter seinem Gewicht zu wippen begann und sich die beiden Alukoffer, die noch an Land standen, unter die Arme zu klemmen.

»Kann losgehen«, rief er dem Kapitän zu.

Dieser nickte schweigend und segelte den Kahn auf den offenen Ozean hinaus.

»Nicht sehr gesprächig, der Herr«, murmelte ich.

»Er war nicht sonderlich begeistert davon, uns heute noch raus fahren zu müssen. Faselte irgendetwas von einem Wetterumschwung.« Mit hochgezogenen Augenbrauen blickte Nicholas in den wolkenlosen Himmel über unseren Köpfen.

Ich tat es ihm gleich und legte den Kopf in den Nacken, während ich mit einer Hand meinen Sommerhut festhielt. Die Sonne prickelte auf meinem Gesicht, aber dieses Mal war ich eindeutig besser vorbereitet.

»Ich hätte nichts gegen ein bisschen Regen einzuwenden«, stöhnte ich unter der Hitze, zog meine Schuhe aus und setzte mich auf eine kleine Bank.

Nicholas öffnete die Koffer und baute sorgfältig sein Equipment auf. »Wenn Poseidon nicht höchstpersönlich aus den Tiefen des Ozeans aufsteigt, wird es eine ruhige Fahrt werden, da bin ich mir sicher.« Er stemmte sich die Hände in die Hüften, was mich kichern ließ. »Zweifelst du etwa an meinen Wetterfroschqualitäten?«

»Hoffen wir einfach das Beste«, antwortete ich und nickte ihm vertrauensvoll zu.

Amüsiert schüttelte Nicholas den Kopf. »Immer noch genauso frech wie damals. Ernsthaft Eleah, das wird dich irgendwann noch mal in Schwierigkeiten bringen.«

Unschuldig klimperte ich mit den Wimpern. »Ich weiß wirklich nicht, was du meinst.«

Zögerlich ließ er sich mit einem Seufzen neben mir auf der Bank nieder. »Du hast mir gefehlt«, sagte er schließlich. »Ich war mir nicht sicher, ob du hier wärst, aber ich habe es gehofft.«

Sein Geständnis überraschte mich, aber zumindest hatte ich mich nicht geirrt, was den Anlass unseres Treffens anging.

»Ich wusste nicht, dass du mit meinem Vater Kontakt hattest und herkommen würdest, aber ich bin froh, ihn auf diese Expedition begleitet zu haben«, sagte ich. »Was hast du jetzt vor? Gehst du zurück nach England, wenn du hier fertig bist?« Ich hoffte inständig, er würde meine Frage verneinen.

Nicholas lehnte sich zurück und streckte die Arme durch. »Nun«, begann er nach einer kleinen Pause, »ich habe die Hoffnung, dass dein Vater mich in sein Team aufnimmt.«

»Du möchtest für meinen Vater arbeiten? Hier?« Mein Herz machte einen Satz.

Nicholas summte. »Ich hoffe, dass ich in den nächsten Tagen mit ihm darüber sprechen kann. Falls er ablehnt, werde ich wohl zurück nach England gehen müssen. Ich habe dort ein gutes Angebot von meiner Uni bekommen.«

Schneller als gedacht verwandelte sich das angenehm warme Gefühl in meiner Brust in einen hässlichen kalten Brocken, der mir schwer im Magen lag. Ich legte all meine Hoffnungen in den Wunsch, dass mein Vater ihn einstellen würde und beschloss, noch heute Abend mit ihm darüber zu sprechen.

Während ich das zukünftige Gespräch mit meinem Vater in Gedanken durchspielte und mir ein paar Argumente zurechtlegte, ergriff Nicholas plötzlich meine Hand.

»Wenn ich hier bleibe, gehst du dann offiziell mit mir aus?«

Ohne groß zu überlegen, nickte ich. Das war genau das, was ich seit einem Jahr wollte. Jeden einzelnen Tag habe ich mich mit dem Gedanken getröstet, dass am Ende immer alles zusammenkommt, was zusammengehört.

Als Nicholas sich zu mir beugte, wusste ich instinktiv, was er vorhatte und kam ihm das letzte Stück entgegen. Das Kribbeln in meinen Lippen breitete sich durch meinen gesamten Körper aus und endete mit einer Gänsehaut auf meinen Unterarmen.

Mit dem Wissen, dass er mir erneut das Herz brechen würde, wenn er zurück nach England ging, ließ ich mich von meinen Gefühlen mitreißen, legte die Arme um seinen Hals und erwiderte den Kuss.

Als der Captain unsere Ankunft an der Fundstelle verkündete, zog Nicholas sich zurück. Er schenkte mir ein letztes Lächeln und widmete sich dann seinem Equipment. Vorsichtig ließ er den kleinen Tauchroboter ins Wasser hinab und steuerte ihn über den Monitor auf den Grund des Meeres.

Zufrieden gesellte mich zu ihm und deutete im richtigen Moment mit dem Finger auf den Bildschirm. »Hier!«

Er blinzelte ein paarmal gegen die Helligkeit der Sonne an und stieß einen begeisterten Ausruf aus, als er das Wrack entdeckte. »Ein Dreimaster«, sagte er. »Schätzungsweise fast fünfunddreißig Meter lang und über sieben Meter breit.«

Mit dem Roboter fuhr Nicholas mehrmals am Wrack auf und ab, während er sich zwischendurch Notizen machte und weitere Fundstücke einsammelte. Einige Male ließ er den Roboter auftauchen, um sich die Gegenstände anzuschauen, ehe er ihn zurück in die Tiefe schickte.

»Komisch«, sagte er, als er den Blick von einer weiteren Münze nahm. »So eine habe ich noch nie gesehen.«

»Vielleicht kann dir mein Vater etwas über sie erzählen«, sagte ich und nahm ihm die goldene Münze mit der für meine Augen kaum erkennbaren Prägung aus der Hand. Das Salzwasser hatte sich bereits in das Metall gefressen und zeugte nur von dessen Alter. Trotzdem war auch mir diese Münze völlig unbekannt, obwohl ich schon die unterschiedlichsten Zahlungsmittel der Geschichte gesehen hatte.

Genau in dem Moment, als ich das Fundstück in das Salzwasserbecken legen wollte, streifte mein Blick den des Captains und ich hielt mitten in der Bewegung inne.

»Großer Gott«, murmelte er und starrte mit weit aufgerissen Augen über unsere Köpfe hinweg.

Ich folgte seinem Blick und schloss die Hand fester um die Münze. Um uns herum tat sich eine Nebelbank auf, die sich kreisrund um unser Segelboot schloss. Ich kniff die Augen zusammen, aber der Nebel war so dicht wie eine weiße Wand.

Eine erneute Gänsehaut breitete sich auf meinen nackten Armen aus, aber hatte sie nun nichts mehr mit dem Kuss, den Nicholas und ich miteinander geteilt hatten, zu tun. Ich atmete ein kleines weißes Wölkchen aus und sah nervös zu ihm hinüber. Als würde er die Kälte nicht spüren, war er weiterhin so in seine Arbeit vertieft, dass er nur brummte, als ich seinen Namen flüsterte.

Kleine Blitze zuckten in der Wand um uns herum, ansonsten war es mucksmäuschenstill. Erst jetzt bemerkte ich, dass wir uns nicht mehr bewegten. Die Segel hingen schlaff am Mast hinunter und die See lag so ruhig, dass keine Welle uns schaukelte und wiegte.

Das Boot knarrte und begann sich kurz darauf um die eigene Achse zu drehen. Endlich sah Nicholas auf und suchte meinen Blick.

»Was ist hier los?«

Ich zog die Schultern hoch und schüttelte sprachlos den Kopf. Ich hatte keine Ahnung. So etwas hatte ich noch nie erlebt.

Der Kapitän versuchte einen Funkspruch zu senden, aber das einzige Geräusch, dass die Stille durchbrach, war ein monotones Rauschen.

»Nanu«, Nicholas tippte mit dem Finger auf das Glas seiner Armbanduhr, »meine Uhr ist stehengeblieben.«

Es schepperte und donnerte so laut, dass ich aufschrie. Eine Windböe erfasste meinen Hut und trug ihn in den Nebel hinein. Als hätte jemand von jetzt auf gleich eine Schleuse geöffnet, fiel literweise Regen auf uns herab, sodass wir innerhalb weniger Sekunden komplett durchnässt waren.

Fluchend sammelte Nicholas hektisch sein Equipment ein, aber es war vergeblich. Das Papier war bereits so aufgeweicht, dass es unter der kleinsten Berührung zerriss. Nur der Monitor übertrug weiterhin Bilder aus den Tiefen des Meeres, aber er war ja auch für solche extremen Bedingungen gebaut worden.

Ich stürmte zu Nicholas hinüber und wollte ihm helfen, bevor das teure Equipment über Bord gespült wurde. Ehe ich registrieren konnte, dass ein starker Wellengang eingesetzt hatte, schlug eine Woge seitwärts gegen das Boot und brachte mich ins Straucheln. Unerwartet geriet ich auf dem glitschigen Boden ins Rutschen, knallte mit der Hüfte gegen die Reling, verlor den Halt und fiel hinüber.

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