Abschied



Eleah



Bel konnte ein Arsch sein. Das hatte ich bereits am eigenen Leib erfahren.

Aber er war auch freundlich, liebevoll, gerecht, leicht reizbar und – ein Arsch.

Energisch schüttelte ich den Kopf, um die negativen Gedanken in ihm zu verscheuchen. Ich konnte mich nicht so in Bel getäuscht haben. Er hatte mich gerettet, weggesperrt, geheiratet und – verraten.

Ich raufte mir die Haare. Nein, ich hatte mich Beaufort freiwillig gestellt. Ich hatte mich selbst geopfert, um Bel in Sicherheit zu wissen. Um ihm eine Chance zu bieten, sich von mir zu lösen und erneut unterzutauchen. Er hatte mir mehr als ein Mal vermittelt, dass er nicht bereit war, mit mir in den Krieg zu ziehen und nur solange bei mir blieb, bis ich den Auserwählten fand.

Und jetzt war er hier. Im Schloss. Nach all den Jahren zurückgekehrt. Zu seiner Mutter.

Warum?

Ich konnte ihn einfach nicht durchschauen. Wer war er wirklich? Auf welcher Seite stand er?

Egal wie sehr ich die Zeit mit ihm Revue passieren ließ, Gespräche drehte und wendete, blieb es doch immer so, dass ich nichts von ihm wusste, außer dass er ein feuergeborener Prinz war. Beides wusste ich erst seit einigen Tagen. Das hinterließ den bitteren Beigeschmack, dass all die Zeit, die wir davor miteinander verbracht hatten, vermutlich weitere Lügen gewesen waren.

Er selbst hatte mir mehrmals nahe gelegt, einem Feuergeborenen nicht zu vertrauen und mich von ihnen fernzuhalten. Warum das alles? War das etwa doch alles nur sein Plan gewesen, mein Vertrauen zu erlangen? Hatte er seiner Mutter nie den Rücken gekehrt und alle hinters Licht geführt?

Ich wurde hier unten im Kerker fast verrückt. Es gab nichts, woran ich mich klammern konnte. Nur die Tatsache, dass das alles für mich überhaupt keinen Sinn ergab. Er hätte mich nicht so täuschen müssen, um mich an seine Mutter auszuliefern. Das hätte er auch einfacher haben könne. Dafür hätte er mich nicht heiraten und zu seiner Familie bringen müssen. Wobei Mary sicherlich nicht seine Schwester war, wie mir jetzt bewusst wurde.

Trotzdem durfte ich die Hoffnung nicht aufgeben, ansonsten wäre ich verloren. Ich wollte zumindest ein letztes Gespräch mit ihm führen, denn er war mir eine Erklärung schuldig. Bel hatte mich um Vertrauen gebeten und es war das Einzige, was ich tun konnte. Nur er konnte mir jetzt noch helfen.

Es dauerte ganze fünf Tage, bis ich hinter der Kerkertür einen leisen Tumult vernahm. Ein dumpfer Schlag gegen die Tür. Es kratzte und raschelte. Etwas wurde weggeschleift. Ein Klimpern, dann drehte sich der Schlüssel im Schloss und die Tür sprang auf. Bel zog den Kerkermeister unter meinem verwunderten Blick an den Füßen voran hinein.

»Ist er tot?« War das ernsthaft meine erste Frage an ihn?

»Nur bewusstlos.«

Sein Blick hielt mich gefangen. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen. Trotzdem sah er vermutlich immer noch besser aus als ich, wie ich seinem Gesichtsausdruck entnahm. Ich wusste selbst nicht mal, wann ich mich das letzte Mal gewaschen hatte und fummelte mir verlegen ein paar fettige Haarsträhnen aus dem Gesicht.

Zögerlich kam er auf mich zu und presste mich an sich. »Ich dachte schon, ich komme zu spät«, murmelte er in mein Haar.

Er roch nach Seife und die Wärme seines Körpers entspannte mich augenblicklich. Aber nach einem Moment der Erleichterung überkam mich die Fassungslosigkeit erneut. Ich drückte ihn energisch von mir und schlug ihm mit der Faust gegen die Brust.

»Was ist hier los?«, fauchte ich. »Du bist Galateas Sohn? Und du hast es nicht für nötig gehalten, mir das mitzuteilen?« Ich trommelte erneut mit den Fäusten gegen seine Brust, um meinen Worten Ausdruck zu verleihen. Ich konnte die angestauten Tränen der letzten Tage nicht aufhalten. »Und du bist alt.«

Bel ließ mich gewähren und stand schweigend mit herabhängenden Armen vor mir. Nicht einmal bei meiner letzten Bemerkung konnte ich ihm eine Reaktion entlocken.

Erst als ich mich langsam beruhigt hatte, griff er nach meinen Handgelenken. »Uns fehlt die Zeit für lange Erklärungen. Du musst mir jetzt genau zuhören, Eleah. Das Schloss hat einen geheimen Ausgang – einen Tunnel – der für den Fall einer Belagerung gebaut wurde. Ich habe ihn damals auch für meine Flucht benutzt. Er führt unter den Stadtmauern hindurch, bis weit aus der Stadt in den nächsten Wald. Von da aus –«

»Warum erzählst du mir das alles?«, unterbrach ich ihn.

»Weil ich dich nicht begleiten werde. Ich muss hierbleiben, damit ich dir etwas Zeit verschaffen kann.«

Ich schluckte und versuchte den Inhalt seiner Worte zu begreifen.

Er kam nicht mit.

Er blieb hier.

Bei ihr.

»Von dort aus gehst du immer Richtung Westen. Westen – hörst du?«

Ich nickte geistesabwesend und stammelte: »Ja ... Westen.«

»Etwa drei Tagesmärsche entfernt, kommst du zu einer kleinen Bucht. Dort wartet die Pegasus auf dich. Du gibst Asil diese Koordinaten«, er drückte mir einen Zettel in die Hand, »und sagst ihm, dass er dich auf meinen Befehl dort hinbringen soll. Du erzählst ihm erst die Wahrheit, wenn ihr diese Koordinaten erreicht habt.«

Ich starrte auf die Ziffern in meiner Hand. »Wo führen die hin?«

»Zum Portal.«

»Nein!« Entsetzt wich ich zurück. »Ich gehe nicht ohne dich. Was wird sie dir antun, wenn sie erfährt, dass du mir zur Flucht verholfen hast?« Erneut schossen mir Tränen in die Augen.

»Doch, Eleah. Du gehst«, sagte Bel sanft und strich mir zärtlich mit dem Daumen über die Wange. »Zu wissen, dass du zurück in deiner Welt und in Sicherheit bist, macht mich glücklich. Egal, was mit mir geschehen wird. Also versprich mir, dass du dich an das, was ich dir gesagt habe, halten wirst. Nur dieses eine Mal. Bitte.«

»Ich kann nicht«, wimmerte ich.

»Eleah! Versprich es mir!« Sein Griff bohrte sich fest in meine Schultern und er schüttelte mich leicht.

»Ich ... ich verspreche es.«

Bel lächelte und ließ die Hände sinken. »Dann komm. Ich zeige dir den Weg hinaus.«

Ich folgte ihm zwei Schritte, bis mich etwas zurückhielt. Die Fußfessel klirrte an meinem Knöchel. Bel huschte zu dem noch immer bewusstlosen Kerkermeister und durchsuchte seine Taschen. Mit dem Schlüssel in der Hand kam er erleichtert zurück und befreite meinen Fuß.

Leise schlichen wir den Korridor entlang. An jeder Ecke des Kerkers lag ein bewusstloser Wachmann. Alle gefesselt und geknebelt. Bel ließ mich am Fuß einer Treppe stehen und sah oben nach, ob die Luft rein war. Dann winkte er mich zu sich und ich hastete die Treppe hinauf. Selbstsicher führte er mich durch das Schloss. Es machte sich scheinbar bezahlt, dass er seine Kindheit hier verbracht hatte.

Hin und wieder bugsierte er mich hinter einen Wandteppich oder schob mich in ein leerstehendes Zimmer und ließ eine diensthabende Wache vorbeiziehen, ehe er mich aus meinem Versteck holte und weiter zog. Mein Herz klopfte wie wild. Falls man uns erwischte, wären wir beide dem Tode geweiht. Da war ich mir sicher.

Wir blieben vor einem weiteren großen Wandteppich stehen, der eine gestickte Karte des Landes zeigte. Erst dachte ich, Bel hätte etwas gehört und ich spitzte die Ohren, aber außer dem leisen Knacken der Fackeln, die in gusseisernen Haltern an der Wand hingen, konnte ich nichts hören. Als er sich ebenfalls sicher war, dass wir nicht verfolgt wurden, schlüpfte er hinter den Teppich und verschwand. Ich folgte ihm und wir befanden uns einen Moment später in einem geheimen Gang in völliger Dunkelheit wieder.

Bel suchte meine Hand und tastete sich vor mir an der Wand entlang. Nach ein paar Metern seufzte er ergeben und entzündete einen kleinen Feuerball in seiner Hand, der groß genug war, uns den Weg zu erleuchten. Verstohlen blickte er mich an.

»Warum hast du es mir nicht gesagt? Warum hast du mich in dem Glauben gelassen, dass du keine Magie beherrschst?«

Ein erneutes Seufzen. »Ich habe einfach nur versucht, meine Herkunft soweit wie möglich zu verheimlichen.«

»Ich verstehe das alles nicht«, klagte ich leise. »Warum hast du versucht es zu verheimlichen? Und warum weiß Asil Bescheid?«

»Ich würde dir gerne alles erklären, aber dafür bleibt jetzt keine Zeit.« Er zog mich weiter.

Ich stemmte die Fersen in den Boden. »Erklär es mir! Ich möchte es verstehen. Ich muss es verstehen! Ansonsten gehe ich keinen Schritt weiter.«

Bel schnaubte. »Muss ich dich erst über meine Schulter werfen und dich hier heraustragen, damit ich dich in Sicherheit weiß?« Er machte eine Bewegung in meine Richtung, entschied sich dann aber doch dazu, zu antworten. »Es ist nun mal nicht besonders clever, sich auf einem Schiff voller Wassergeborener als Feuerzeichen zu outen. Der Respekt, den ich mir über die Jahre erarbeitet habe, wäre in dem Moment verschwunden, wo die Crew erkennt, dass sie mir elementartechnisch überlegen ist.«

Okay, das war halbwegs logisch und leuchtete mir ein. »Und weiter?«

Er wandte den Blick ab. »Wegen der Prophezeiung.«

Verständnislos sah ich ihn an, aber Bel war damit beschäftigt den schmalen Geheimgang mit übertriebener Hingabe auszuleuchten. Es verärgerte mich etwas, ihm alles aus der Nase ziehen zu müssen.

Was hatte die Prophezeiung damit zu tun? Immer wieder wiederholte ich einzelne Fetzen in meinen Gedanken.

Luft bändigt Feuer ...

Galateas eigenes Feuer vernichtet sie ...

Plötzlich dämmerte es mir.

Ich stoppte erneut und zog Bel zu mir herum. »Du bist ebenfalls ein Teil der Prophezeiung«, stieß ich atemlos hervor. »Ihr Feuer ist auch dein Feuer. Ich hatte nie die Wahl, irgendeinen Feuergeborenen zu suchen. Du warst es von Anfang an, oder?«

Er lächelte gequält. »Wie hätte ich dir nach allem, was ich dir am Anfang unserer Begegnung angetan habe, erklären sollen, dass du mich lieben musst, damit dein Element mein Feuer nährt, stärkt und lenkt und somit die Prophezeiung erfüllt werden kann? Du wolltest einfach nur weg von mir und ich kann es dir nicht einmal verübeln. Ich habe auch sehr lange gebraucht, um zu akzeptieren, dass ich ebenfalls ein Teil der Prophezeiung bin.«

Alles um mich herum drehte sich bei seinem Bekenntnis. »Wusste Zola davon?«

Bel nickte. »Deswegen hatte sie die Idee mit der Hochzeit. Sie dachte, wenn wir erst gezwungen sind, ein bisschen Zeit miteinander zu verbringen, dann würde sich das alles schon geben. Es war aber von Anfang an die Wahrheit, dass ich durch meinen Fluch dein Licht dämmen kann«, er senkte den Blick, »allerdings wäre dafür keine Hochzeit notwendig gewesen. Ich vermute, dass Galatea dich aufspüren konnte, weil wir uns getrennt hatten. Auf diese Entfernung reicht meine Dunkelheit nicht aus. Als es mir einfiel, war es schon zu spät und Beaufort hatte dich bereits gefunden.«

»Also haben wir nur geheiratet, weil Zola gehofft hat, dass sich dadurch Gefühle entwickeln, welche für die Prophezeiung wichtig sind? Es hatte nichts mit deiner Dunkelheit und meinem Licht zu tun?« Hysterisch begann ich zu lachen.

Stirnrunzelnd schüttelte er den Kopf. »Was ist?«

»Das ist gerade alles ein bisschen viel für mich. Außerdem komme ich mir irgendwie ausgenutzt und manipuliert vor.«

»Das verstehe ich. Es tut mir leid, dass du es so erfahren musst.« Bel blieb vor einer Luke im Boden stehen. Er zog eine Fackel aus einer Wandhalterung und reichte sie mir. »Warte hier«, sagte er, öffnete die Luke und stieg hinab.

Nach schier endlosen Minuten kam er die Leiter wieder hinauf. »Der Tunnel scheint noch intakt zu sein.«

Als mir bewusst wurde, dass der Moment des Abschieds gekommen war, sah ich Bel einfach nur an. Ich versuchte mir sein Gesicht mit den eisblauen Augen, die widerspenstigen schwarzen Haare und seine wundervollen Lippen genau einzuprägen.

Auch sein Blick glitt über mich. Er öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Dann öffnete er ihn erneut. »Ich ...« Gequält presste er Lippen und Augen zusammen. »Ich ...«

»Du?«, wiederholte ich erwartungsvoll.

»Ich ...«

»Was versuchst du mir zu sagen?«

Bel seufzte. »Ich versuche dir zu sagen, dass ich ...«

»Ja?«

Verzweifelt fuhr er sich mit der Hand durch das Gesicht und ging ein paar Schritte auf und ab. Ein weiteres Mal sah ich, wie er mit sich selbst rang. Als er erneut vor mir stehen blieb, war sein Gesichtsausdruck wieder neutral und nichts wies mehr auf seinen inneren Kampf hin. Er räusperte sich. »Ich wünsche dir viel Glück.«

»Oh!« Ein Stich in meinem Herzen. »Danke«, murmelte ich und schob mich enttäuscht an ihm vorbei, in Richtung der Luke.

Als ich schon fast an ihm vorbei war, griff er plötzlich nach meinem Arm. Ich drehte mich um und sah ihn fragend an, aber er hatte mir noch immer den Rücken zugewandt. Er ließ knurrend den Feuerball in seiner Hand verschwinden und hüllte uns in Dunkelheit. Bevor ich ihn fragen konnte, was das sollte, griff er an meine Taille und zog mich an sich. Mit seinem Körper drückte er mich gegen die Mauer und presste seine Lippen auf meine. Wir hatten uns schon oft geküsst und doch war dieser Kuss so ganz anders. Meine Knie wurden weich und mein Herz drohte mir aus der Brust zu springen. Ich legte ihm die Arme um den Hals und ließ mich einfach fallen.

Langsam löste er sich von mir, sah mir tief in die Augen und fuhr mit dem Daumen über meine Unterlippe. Dann küsste er mich erneut.

»Du musst jetzt gehen«, flüsterte er heiser.

Ich wollte nicht. Mir war klar, dass es unvernünftig und dumm war, nach allem, was Bel riskiert hatte, aber es fiel mir schwer, mich von ihm zu lösen. Ich wusste, es würde für immer sein und ich war nicht bereit dazu.

»Ich weiß nicht, wann und wie, aber ich werde dich finden. An jedem Ort. Versprochen.« Sein Lächeln erreichte seine Augen nicht. Er wusste genauso gut wie ich, dass nur ein Luftzeichen in der Lage war, Portale zu benutzen und er somit nicht die Chance hatte, mir in meine Welt zu folgen.

Ich nickte widerwillig und strich ihm über die Wange. »Sei vorsichtig und bitte pass auf dich auf.«

»Du auch«, sagte er. »Hast du deinen Dolch noch?«

»Beaufort hat ihn mir abgenommen«, antwortete ich betrübt. Als Andenken blieb mir nur noch mein Ehering.

Bel zog seinen Dolch aus dem Stiefel und reichte ihn mir mit dem Griff voran. »Nur für den Fall, dass dich jemand aufhalten will«, sagte er, und wir hofften beide, dass dieser Fall nicht eintreten würde. »Mit festem Stoß zwischen die Rippen«, erinnerte er mich.

»Ja.« Meine Stimme zitterte und der Kloß in meinem Hals wurde immer größer.

Noch einmal zog er mich in seine Arme, küsste mich und drückte mir die Fackel in die Hand. »Geh jetzt. Sonst weiß ich nicht, ob ich dich gehen lassen kann.«

Ich war versucht ihm zu sagen, dass es mir ebenfalls schwerfiel zu gehen. Ich wollte ihn anflehen, mit mir zu fliehen, aber er schob mich bereits von sich, die Luke hinunter.

Während ich die Leiter Sprosse für Sprosse hinab stieg, ließ mich sein Blick nicht los. Erst als ich unten ankam, hob er zum Abschied kurz die Hand. Dann schloss er die Luke über meinem Kopf und Dunkelheit umhüllte mich, wie er es einst getan hatte. Kurz wollte sich Panik in mir breit machen, aber da flackerte die Fackel beruhigend in meiner Hand auf und ich wusste, ich war nicht allein.

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