Neuanfang

Ich stehe hier und schaue mich in dem Raum um.

Eine Wand hat nun eine violette Farbe, während die anderen in neuem, frischem Weiß erstrahlen. Eine kleine Kommode, die ich behalten werde, steht in Schutzfolie verpackt in der Mitte. Ein Farbeimer mit Pinseln und einer Farbrolle stehen noch dort, wo ich sie eben stehengelassen habe.

Ich habe dem Zimmer einen neuen Anstrich verpasst, bevor ich ihn neu einrichte.

Dabei wird mir etwas klar. Das hier ist ein Neuanfang. Die alten Möbel habe ich zum Sperrmüll gestellt, der draußen an der Straße darauf wartet, abgeholt zu werden. Was würde damit passieren? Würde jemand vorbeikommen, eine Sache davon mitnehmen und sie wiederverwenden? Meinen alten Schrank mit neuem Leben füllen? Besser oder schlechter, als ich es getan habe?

Würde etwas davon verbrannt werden? Einfach vernichtet, ein für alle Mal beendet?

Ich weiß es nicht. Es spielt keine Rolle mehr in meinem Leben. Ich habe entschieden, diese alten Dinge hinter mir zu lassen. Obwohl durchaus alte Erinnerungen daran hängen. An manchen Dingen mehr, an anderen weniger.

Als ich diesen Raum das erste Mal gestaltet habe, war ich ein anderer Mensch als ich es jetzt bin. Farben, die mir damals gefielen, tun es jetzt nicht mehr. Möbel, in die zuvor all meine Habseligkeiten gepasst hatten, waren jetzt nicht mehr groß genug. Manche Fächer waren gar so aufgeteilt, dass nun nichts mehr in sie passte.

Nicht ohne Wehmut verabschiede ich mich von alledem. Die blauen Wände waren so lange ein Teil meines Lebens, sie jetzt zu überstreichen war seltsam. Immer wieder habe ich mich gefragt, ob es so richtig war, während ich die Wand Pinselstrich für Pinselstrich färbte. Doch die alte Farbe wäre noch immer da, wenn auch unsichtbar. Sie bildet die Grundlage unter dem Weiß, unter dem violett, das ich darübergestrichen habe. Das würde ich nie leugnen können. Es ist ein Teil von mir.

Die Kommode, die ich behalte, passte sowohl in die alte Gestaltung dieses Raumes als auch in die neue. Vielleicht ist sie etwas, das immer hierher passen würde. Ein unveränderlicher Kern.

Gleichzeitig freue ich mich darauf, alles neu einzurichten. Mit neugekauften Möbeln, diesem neuen Anstrich. Es hat das Potential dazu, besser zu werden als vorher.

Wenn ich auch das alte dafür zerstören musste. Immerhin ist es nicht das ganze Haus, das ich renoviere, sondern lediglich ein Raum, den ich verändere. Dennoch erfordert es Überwindung.

Ich hätte alles von Grund auf neu errichten können. Aber wer wäre ich dann noch? Gäbe es Dinge, die ich in dieses hypothetische neue Haus mitnehmen könnte? Ich weiß es nicht. Vielleicht würde ein ganz neues Zuhause bedeuten, die alten Wurzeln abzureißen. Dort gäbe es keine Spuren meiner Selbst, auf die ich bauen konnte. Das wäre zu viel des Guten.

Es wäre leichter gewesen, wenn ich einfach einen neuen Raum angebaut hätte. So könnte der andere weiter existieren und ich hätte einen Anfang mit dem neuen Anbau gehabt.

Aber das unterscheidet einen Anfang von einem Neuanfang. Neuanfänge gibt es nicht, ohne etwas Altes hinter sich zu lassen, zu zerstören. Wenn auch in unterschiedlichen Ausmaßen, je nach Art des Neuanfangs.

Etwas anzufangen ist leicht.

Etwas durchzuziehen fordert Ausdauer.

Etwas gänzlich neu anzufangen erfordert großen Mut.

Ist es immer der richtige Weg, das alte hinter sich zu lassen? Hätte es nicht gereicht, wenn ich dem Raum einen neuen Anstrich verpasst hätte?

Nein, nicht für mich. Nicht zu diesem Zeitpunkt. Manchmal muss es sein. Um Dinge besser zu machen, als sie vorher waren. Manchmal nur vermeintlich, manchmal tatsächlich.

Ob mir der Raum so wirklich besser gefallen wird als bisher, das wird erst die Zeit zeigen.

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