Kapitel 4 - Eine Idee




[COLE]

»Was zum Teufel war das?« Mit einer schnellen Bewegung zog ich mir die Kapuze vom Kopf, drehte mich herum und fixierte Jacob, der gerade durch die Tür kam.

»Ohoh«, murmelte Joel. Die Rollen des Schreibtischstuhls quietschten, als er sich mit Schwung vom Schreibtisch abstieß.

Jacob erwiderte meinen Blick gelassen und lehnte sich an den Türrahmen, während Luc und Zac unsere Zentrale betraten. »Wieso? Lief doch alles gut. Bis die Dealer mit ihrer Karre abgehauen sind, weil Zac sie nicht gefasst hat. Pech.«

»Ja, während du damit beschäftigt warst, einen Unschuldigen anzugreifen«, gab ich laut zurück und öffnete meine geballten Fäuste, um die Wut zu kontrollieren.

»Ist das dein Ernst?«, pflichtete Luc mir bei und fuhr sich aufgebracht durch die blonden Haare.

Zac bedachte Jacob mit einem finsteren Blick und lies sich aufs Sofa fallen. »Danke, wirklich nett, dass du dich nach meinem Wohlbefinden erkundigst. Ich bin bei der Verfolgungsjagd fast von einem Lastwagen erwischt worden.«

Ich horchte auf und musterte ihn prüfend. »Alles okay?«

Joel räusperte sich und starrte Zac ungläubig an, bis der seufzend die Augen verdrehte. »Okay, es war eher ein Lieferant auf einem Fahrrad, aber trotzdem. Der war super schnell! Und in gewisser Weise ist das doch auch ein Lastwagen. Ich meine der Fahrer trägt eine Last, also das Essen, und macht sich somit zum Lastträger, nur, dass es dann eben Lastrad heißen müsste und nicht Lastwagen...«  Luc atmete tief durch und Zac winkte ab. »Wie auch immer, danke für die Warnung, Joel.«

Ich stieß mich vom Schreibtisch ab und stand Jacob mit wenigen Schritten gegenüber. Ich musste mich zusammenreißen, um ruhig zu bleiben. Er war stämmiger als ich, doch ich ein wenig größer. Seine schwarzen Haare glänzten in dem schummrigen Licht und die dunkelbraunen Augen blitzten herausfordernd.

»Was sollte das?«, meine Stimme klang ruhig und gefasst.

Jacob stieß sich schulterzuckend vom Türrahmen ab. »Relax. Ich dachte, der gehört zu den Dealern. Kann doch mal passieren.«

Ich atmete tief durch und beobachtete jede seiner Bewegungen. Es fiel mir schwer, Jacob richtig einzuschätzen. War es wirklich ein Versehen gewesen?

»Wir sind dafür verantwortlich, darauf zu achten, dass niemand Unschuldigem etwas geschieht. Und wir müssen einander vertrauen können. Du hast grundlos auf ihn eingeschlagen und standest diesem Mädchen direkt gegenüber. Hätte ich nichts gesagt, hättest du sie ebenfalls verletzt. Sowas darf nicht passieren, okay?« Meine Stimme hallte von den Wänden wider und ich hielt Jacobs Blick so lange stand, bis er mit funkelnden Augen den Kopf abwendete.

Zac richtete sich auf und sah interessiert in die Runde. »Okay, ein Mädchen? Das ist mir neu. Wie sah sie denn aus?« Er hob abwehrend die Hände, als Luc ihm einen finsteren Blick zuwarf. »Was denn, vielleicht kenne ich sie ja!«

Ich verdrehte die Augen, und Joel rollte zurück zu seinem Platz vor den Monitoren. Er räusperte sich und fuhr sich mit einem Blick in unsere Richtung durch die kurzen schwarzen Haare. »Ich will euch ja nicht beunruhigen, aber ich habe über die Webcams gesehen, dass sie euch bei der irren Verfolgungsjagd fotografiert hat. Das war übrigens sehr knapp.«

Ein Quietschen ertönte und Zac saß aufrecht auf dem Sofa. »Moment, ihr wurdet von einer heißen Braut gejagt, während ich langweilige Drogendealer verfolgt habe?«

»Und gescheitert bist«, murmelte Jacob bitter, woraufhin Zac ihm einen anklagenden Blick zu warf. Ich ballte meine Hand erneut zu einer Faust. Das Verlangen, auf irgendetwas einzuschlagen, wuchs.

»Also, wird das jetzt zu einem Problem?«, lenkte ich die Aufmerksamkeit wieder auf das eigentliche Thema zurück und sah erwartungsvoll zu Joel. Der wiegte den Kopf. »Naja, wenn sie ein Bild von den Kennzeichen der Motorräder oder von euren Gesichtern hat, schon.«

Luc seufzte und fuhr sich durch die blonden Haare, die sich inzwischen fast vollständig aus dem Zopf gelöst hatten. Jacob stöhnte auf und nahm sich ein Bier aus dem Kühlschrank. »Alter regt euch ab, die hat schon nichts gesehen.«

»Sagt der, der ihr am nächsten stand«, brauste Luc auf und warf Jacob einen wütenden Blick zu.

Joel hob beschwichtigend die Hände und blickte in die Runde. »Wisst ihr irgendetwas über sie?«

»Dieser Typ, Connor glaube ich, hat sie Grace genannt. Ich schätze sie so auf Anfang zwanzig, vielleicht etwas jünger«, beantworte ich Joels Frage und lehnte mich an den Schreibtisch, um auf den Monitor schauen zu können.

Luc deutete mit erhobenen Augenbrauen auf Jacob. »Außerdem hat sie Jacob gestoppt.«

»Und sie hatte rote Haare«, fügte Jacob seufzend hinzu und stellte seine Bierflasche auf den kleinen Beistelltisch der Couch.

»Connor, Grace, Kampfmaschine, rote Haare...« murmelte Joel, während seine Finger über die Tastatur flogen.

Ich schloss für einen Moment die Augen und rekapitulierte den Abend, was sich als sehr frustrierend herausstellte. Wir hatten heute nichts erreicht. Blade Lane war mit seinen Drogen entkommen und scheinbar mussten wir uns nun zusätzlich mit einem anderen Problem herumzuschlagen.

Joel stieß sich geräuschvoll vom Schreibtisch ab und klatschte triumphierend in die Hände. »Bingo! Grace Bowen, neunzehn Jahre alt und Studentin an unserer Uni, der University of Temporal City.«

Ich runzelte ungläubig die Stirn, während Zac vom Sofa aufsprang und sich vor den Monitor drängte.

»Tatsächlich, das ist sie. Wie hast du das denn gemacht?«, fragte Luc beeindruckt, während Zac eingehend das Bild des Mädchens studierte, welches auf dem Monitor zu sehen war.

»Ich habe einfach mal Grace und Connor zusammen mit diesem Verein, Selfdefenders, eingegeben, und tatsächlich arbeiten die beiden dort«, erwiderte Joel und schob Zac beiseite, der vergeblich versuchte, in das Bild hinein zu zoomen.

»Wieso dieser Connor da arbeitet ist fragwürdig«, murmelte Jacob und ignorierte Lucs wütenden Blick.

»Das rechtfertigt ihre Selbstverteidigungsskills«, erwiderte ich und betrachtete das Foto von Grace. Sie schaute selbstbewusst und breit grinsend in die Kamera, ihre grünen Augen strahlten und ihre rostroten Haare glänzten in der Sonne. Die vielen Sommersprossen auf ihrer hellen Haut verliehen ihr einen frechen Touch. Sie war definitiv hübsch. Und irgendwie kam sie mir bekannt vor. »Ich glaube sie geht in einen meiner Kurse«, mutmaßte ich, während ich versuchte, sie zuzuordnen.

»Was haben wir denn da noch...« Joels Finger flogen in einer unglaublichen Geschwindigkeit über die Tastatur. »Oh. OH!« Er zuckte zusammen, riss die Augen auf und rollte zurück. Sein erschrockener Blick wanderte von dem Monitor über Luc und Zac zu mir. »Das ist gar nicht gut. Ihr Vater ist Polizist.«

»Verdammt!« Luc fuhr sich über das Gesicht, bevor er mir einen fragenden Blick zu warf.

Scheiße. Ich unterdrückte den Fluch und starrte auf das Bild von Grace. Meine Hoffnung, dass das Problem nicht so groß wie gedacht war, löste sich in Luft auf.

»Okay, wir müssen wissen, ob sie wirklich Fotos von uns hat. Kannst du irgendwie an ihr Handy kommen?«, fragte ich Joel und bemühte mich, meine Stimme ruhig zu halten.

»Nein, so einfach nicht.« Joel runzelte die Stirn und drehte sich dann in seinem Stuhl, um mich besser ansehen zu können. »Aber ich hätte da eine andere Idee. Du sagst sie geht in einen deiner Kurse? Wie wäre es, wenn du versucht sie kennenzulernen?«

Zögernd lies ich den Blick über das Foto wandern. Der Gedanke, Kontakt zu ihr aufzunehmen und sie somit näher an unser Geheimnis zu bringen, gefiel mir überhaupt nicht. Es wäre unglaublich riskant, zumal ihr Vater Polizist war. Doch wir wussten nicht, was sie womöglich gegen uns in der Hand hatte. Und je schneller wir es herausfanden, desto besser.

»Ich mache das! Liebend gerne!«, rief Zac, woraufhin Luc augenblicklich den Kopf schüttelte.

Zac runzelte die Stirn und sah ihn an. »Was?«

»Es geht nicht darum sie zu bumsen«, brummte Jacob vom Sofa aus.

Joel verdrehte die Augen und ich warf einen Blick auf die Daten neben dem Foto von Grace. Ich müsste mein Tag- und Nachtleben verbinden. Durch mein Studium hatte ich die Möglichkeit, ein ganz normaler Typ zu sein, der auf Partys ging und Freunde traf. Die Nachtaktionen hingegen gaben mir einen Sinn für mein Leben, und inzwischen war es das, was mich vorantrieb und jeden Morgen aufstehen lies. In dem letzen Jahr hatte ich keine feste Freundin gehabt, da es mit meinem Geheimnis schlichtweg unmöglich und viel zu riskant war. Wenn ich Mädchen traf, dann war es etwas Einmaliges. Und das wussten sie.

Was sprach also jetzt dagegen, jemand Neues kennenzulernen? Ich musste einfach vorsichtig sein. Und wenn es darum ging, meine Freunde und unsere geheime Identität zu wahren, würde ich alles tun. Auch, wenn das bedeutete, dass ich ein Arschloch sein musste.

»Eine andere Idee habe ich momentan nicht«, sagte Joel und sah mich entschuldigend an. Ich stieß die Luft aus und nickte. »Schon okay. Ich mache es.« Während ich die Worte aussprach, spürte ich Lucs ruhigen Blick auf mir liegen und fühlte mich bereits jetzt schon wie der größte Unmensch. 

Als ich zum wiederholten Male den seitenlangen Hausaufsatz überflog, welchen ich bis morgen für den Kurs Soziologie fertig stellen musste, glitt mein Blick zu der Uhrzeit in der rechten oberen Ecke meines MacBooks.

02:47

Wir waren bis nach Mitternacht in der Fabrik gewesen und hatten unseren Plan weiter ausgearbeitet, was für mich bedeutete, dass ich nur noch wenige Stunden zum Beenden des Aufsatzes hatte. Normalerweise vermied ich es, Arbeiten für die Uni auf den letzten Drücker fertig zu stellen, doch manchmal war es schlichtweg nicht anders möglich.

»Du willst das echt durchziehen?«

Ich hob den Kopf und blickte mich um. Mein bester Freund lehnte in der Tür zu unserem Wohnzimmer und sah zu mir herüber. Ich lies den Laptop sinken und richtete mich auf unserem grauen Sofa auf. »Was meinst du?«

Luc erwiderte meinen Blick einen Moment, dann lies er sich in den alten Sessel fallen, der neben der Couch, gegenüber des Fernsehers, stand. Er sah mich einfach nur an, doch ich konnte in seinem ernsten Gesichtsausdruck erkennen, dass ihn etwas beschäftigte. »Den Superplan um an die Fotos zu kommen. Zum einen ist es ihr gegenüber nicht fair und zum anderen bist du dran wenn das rauskommt.«

Ich nickte und verbannte jegliche Zweifel aus meinem Kopf, die mich in diesem Moment überkamen. »Ich weiß. Dann darf sie es nicht herausfinden. Wenn es der einzige Weg ist um an die Bilder zu kommen, gehe ich das Risiko ein.«

Luc verschränkte die Arme hinter dem Kopf und das St. Pauli Shirt spannte sich über seiner Brust. Seit ich Luc kannte, verband ich den deutschen Fußballverein aus seiner Geburtsstadt mit ihm. Er deutete in den kleinen Flur. »Vielleicht hat sie die Bilder schon längst an ihren Vater geschickt und morgen steht die Polizei vor unserer Tür.«

»Da lass ich mir schon eine Ausrede einfallen«, erwiderte ich und warf Luc ein Grinsen zu, um meine eigenen Zweifel zu verdrängen.

Luc starrte mich an und fuhr sich dann mit den Händen über das Gesicht. »Alter, du machst mich fertig.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich habe die Verantwortung dafür, dass alles läuft. Wenn was schief geht, seid ihr alle dran. Und das will ich nicht, also mach dir keine Gedanken..«

Luc richtete sich auf, sein Gesichtsausdruck wurde ernst. »Wir hängen da alle mit drin. Als du mich gefragt hast, ob ich Teil der Gruppe werden will, habe ich mir selbst geschworen »ganz oder gar nicht«. Und das bedeutet, dass ich nicht kneife, wenn es mal Probleme gibt.«

Ich nickte langsam. Ich wusste, dass Luc jedes seiner Worte ernst meinte. Er war die loyalste Person die ich kannte. Hinzu kam seine grenzenlose Hilfsbereitschaft. Er hatte schon unzählige Stunden seiner Freizeit im Restaurant seiner Eltern oder mit seiner Schwester verbracht, um seine Familie zu unterstützen. Die Freundschaft zu Luc war mir heilig. Doch ich wusste, dass er genug mit seinen eigenen Problemen zu kämpfen hatte, auch, wenn er nicht darüber sprach.

»Danke, aber überlass das mal mir. Je weniger sich Sorgen machen müssen, desto besser.« Bevor Luc mir widersprechen konnte, wechselte ich das Thema und nickte ihm zu. »Wie geht es Pheli?«

Als ich den Namen aussprach, verzogen sich Lucs Mundwinkel zu einem kleinen Lächeln. »Gut. Sie kommt super mit ihrem Pfleger Georg zurecht und ich bin froh, dass wir ihn gefunden haben. Das erleichtert meinen Eltern einiges.«

Und dir, fügte ich in Gedanken hinzu und lächelte. »Das freut mich.«

Ophelia, Lucs kleine Schwester, litt am Down-Syndrom und seine Familie hatte in den letzten Jahren, nach dem Umzug aus Deutschland in die USA, eine schwere Zeit durchlebt. Doch Luc war immer für seine Schwester da gewesen und ich wusste, dass er sie unendlich liebte und alles tun würde, damit es ihr gut ging.

»Ich habe sie lange nicht mehr gesehen«, stellte ich fest und versuchte mich daran zu erinnern, wann ich das letzte Mal bei Luc zu Hause gewesen war. Früher, als wir gemeinsam aufs College gegangen waren, hatte ich für zwei Jahre in der gemütlichen Wohnung über dem familieneigenen Restaurant gewohnt, da mein Dad mich nach der einen Nacht, die unsere Familie zerstört worden war, mit einer Menge Geld zurückgelassen hatte. Bei dem Gedanken an ihn stürmten sämtliche Emotionen auf mich ein.

Wut.

Hass.

Leere.

Trauer.

Doch kurioser Weise auch Verständnis. 

Ich verdrängte die Erinnerungen an meinen Erzeuger und klärte meinen Blick. Mit achtzehn hatte ich mir meine eigene Wohnung gemietet, in die Luc wenig später ebenfalls gezogen war, um seinen Eltern nicht länger finanziell auf der Tasche zu liegen.

Ich verdankte ihm und seiner Familie alles. Sie hatten mich in der schwersten Zeit meines Leben unterstützt und ich würde alles tun, um ihnen, wenn auch nur einen winzigen Teil, zurückzugeben. Beginnend mit der nicht existenten Miete, von der mir Luc trotzdem regelmäßig etwas überwies. Mein bester Freund nickte mir zu. »Wenn ich das nächste Mal im Restaurant bin sage ich dir Bescheid, dann kannst du vorbei kommen. Pheli würde sich bestimmt freuen.«

Ich reckte den Daumen nach oben und klappte lächelnd meinen Laptop wieder auf.

»Ich mich auch.«

»Musst du noch viel machen?«, erkundigte sich Luc und stand auf, um einen kurzen Blick auf meinen Text zu werfen. Ich winkte ab und schüttelte den Kopf. »Bin bald durch.«

Luc sah mich einen Moment prüfend an. Es wirkte, als wolle er noch etwas sagen, doch dann nickte er nur und ging in Richtung Flur, der zu unseren Zimmern führte. »Okay, ich geh schlafen. Bis morgen.«

Ich nickte und warf ihm einen kurzen Blick zu. »Nacht.«

Als die Tür hinter ihm zufiel schloss ich meine Augen und lehnte den Kopf an die Lehne des Sofas. Nur für einen Moment erlaubte ich es mir die Ruhe zu genießen, bevor mein Leben mich wieder einholte.


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OKAY: Die ultimative Frage Was sagt ihr zu Typen mit langen Haaren??? Hot or not? (Wenn ja gerne jemanden als Beispiel nennen, wenn nicht, dann auch XD)

Ich persönlich stehe gar nicht drauf und trauere zum Beispiel Shawn Mendes alter Frisur nach, aber es kann natürlich jeder eine andere Meinung haben!

Und sorry, dass ich das Kapitel heute so spät hochgeladen habe, nächstes Mal wird es wieder früher werden!

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