Kapitel 31 - Bleib. Stark.




[GRACE]

Meine Finger krallten sich in die Gurte meines Rucksacks. Ich sah Cole schweigend an, während meine Gedanken rasten. Seine Worte hatten für ein Gefühlschaos in meinem Inneren gesorgt. Trauer, Wut, Misstrauen, Überraschung und Unglaubwürdigkeit wechselten sich im Sekundentakt ab. Doch ich hatte mir fest vorgenommen mich nicht von seinen Worten beeinflussen zu lassen. Das war leichter gesagt als getan, aber irgendwie schaffte ich es, meine Mauer aufrecht zu erhalten. Ich hatte schon seine Kontaktversuche am Wochenende erfolgreich abgeblockt. Jetzt musste ich nur noch dieses Gespräch überstehen, und dann konnte ich hoffentlich damit abschließen. Oder weinen gehen. Oder schreien. Oder alles zusammen.

War es das, was du mir so Wichtiges erzählen wolltest?, hallten meine harschen Worte in meinem Kopf nach, während ich in Coles braunen Augen sah, wie sehr sie ihn getroffen hatten. Ich hielt für einen Moment den Atem an und nahm seinen Anblick in mich auf. Der markante Kiefer, die braunen Haare, sein geschwungene Mund. Wie sollte ich es ohne ihn aushalten? Er hat dich verraten, flüsterte mir eine Stimme zu. Er ist der Grund dafür, dass du deinen Vater anlügen musst. Er hat dich nur benutzt. Seine Worte sind eine einzige Lüge. Genauso wie sein ganzes Leben.

Ich spürte, wie mir schlecht wurde. Schon in Coles Gegenwart zu sein strengte mich unglaublich an. Ich wollte ihn anschreien, wegrennen, schweigen, ihn umarmen...

»Das Wichtige kommt jetzt. Dein Arbeitskollege Connor verkauft Drogen für die Typen, die mich angeschossen haben. Es sind die selben Drogendealer, die wir damals in der Nacht hinter dem Selfdefenders aufhalten wollten.« Coles Worte rissen mich aus meinen wirren Gedanken und warfen mich mit einem Schlag zurück in die harte Realität.

Ich schüttelte den Kopf, während das, was er eben gesagt hatte, langsam zu mir durchdrang. Obwohl ich wusste, dass Cole dieses Mal nicht log, wollte ich seine Worte nicht wahrhaben. »Nein.«

Coles Miene wurde weicher, und ich wandte schnell den Blick ab. Ich ertrug diesen sanften Ausdruck auf seinem Gesicht nicht.

»Ich habe es auf Video«, sagte Cole leise und hielt mir vorsichtig sein Handy entgegen. Ich nahm es zögernd entgegen, bedacht darauf, ihn nicht zu berühren. Schweigend beobachtete ich, wie Connor sich in der Dunkelheit mit drei Typen traf und nach einem kurzen Wortwechsel mit zwei gefüllten Tüten verschwand.

»Das muss ein Missverständnis sein«, murmelte ich schwach, während ich Cole das Handy zurückgab. Ich wusste, dass ich naiv war. Alle Beweise sprachen deutlich gegen meinen Kollegen. Doch ich wollte es nicht wahrhaben.

»Ich glaube er wird erpresst und macht das nicht freiwillig.«

Überrascht sah ich zu Cole auf. Ich hätte nicht damit gerechnet das von ihm zu hören. Andererseits wussten die Guardians wahrscheinlich am Besten, wie es war, fälschlicherweise verdächtigt zu werden.

»Darüber wollte ich mit dir sprechen«, fuhr Cole fort. »Kannst du mit Connor reden? Die Jungs wollten das Video als anonymen Hinweis an die Polizei schicken, aber... ich wollte es erst dir sagen.«

Ich wollte es erst dir sagen... Ich spürte, wie eine Gänsehaut meinen Rücken hinunterlief. Bleib. Stark.

Ich räusperte mich und war froh, als meine Stimme bei den nächsten Worten fest klang. »Okay. Ich spreche mit ihm. Aber ihr haltet euch ab jetzt da raus. Ich werde versuchen Connor zu überzeugen mit mir zur Polizei zu gehen. Wenn er wirklich erpresst wird, wird er sich über Hilfe freuen. Und ab dann wird sich die Polizei um diesen Drogenring kümmern.«

Cole schüttelte den Kopf. »Wir werden nicht einfach aufhören...«

»Doch!«, erwiderte ich mit scharfer Stimme und sah ihn aufgebracht an. Die kurzeitig verschwundene Wut kochte wieder in mir auf. »Etwas vor meinem Dad zu verschweigen ist eine Sache, aber ihm auch noch Beweismaterial über Drogendealer und eine mögliche Erpressung meines Arbeitskollegen vorzuenthalten, eine vollkommen andere. Das bin ich ihm schuldig. Haltet euch einfach von Connor und meinem Vater fern. Okay?«

Cole sah mich einen quälend langen Moment an, dann nickte er langsam, ohne mich aus den Augen zu lassen. »Okay.«

Ich atmete tief durch und spürte, wie mein Herzschlag sich langsam beruhigte. »Okay«, erwiderte ich ruhiger und nickte ebenfalls.

Cole neigte den Kopf. Es schien, als hadere er mit sich selbst, doch schließlich gab er sich einen Ruck und kam zu dem Thema, welches ich am liebsten ignoriert hätte. »Warum waren Zola und du an dem Abend in den Stains?«

»Wir sind Connor mit einem Peilsender gefolgt«, murmelte ich widerstrebend. Bei der Erinnerung an Cole in der Gasse wurde mir augenblicklich übel. Zittrig atmete ich ein und suchte an der Tür in meinem Rücken Halt. Erinnerungen an das viele Blut, Coles blasse Haut und die Hitze auf seiner Stirn drängten sich an die Oberfläche und drohten mich zu überrollen.

Cole nickte langsam und lehnte sich an das Geländer der Feuertreppe. Hinter ihm rauschten die Blätter eines großen Ahornbaumes leise im Wind. »Nochmal danke. Ohne euch wäre ich wahrscheinlich...«

Hastig kniff ich die Augen zu. Ich wollte nicht hören, was passiert wäre, wenn wir ihn nicht durch Zufall gefunden hätten. Ich wollte es mir nicht einmal vorstellen. »Nicht!«, unterbrach ich ihn angespannt, und riss eine Sekunde später die Augen auf. Scheiße. Meine Reaktion hatte gerade viel zu sehr nach einem »du bedeutest mir noch etwas« ausgesehen. Auch Cole schien es bemerkt zu haben, denn er hob überrascht die Augenbraunen und betrachtete mich eingehend.

Überstürzt stieß ich mich von der Tür ab. »Ähm... Ich muss jetzt los. Ich kümmere mich um Connor.« Ich atmete tief durch und sah Cole in die Augen. »Und ich werde euch nicht verraten. Versprochen.«

Auch, wenn ich mich vom Gegenteil überzeugen wollte, wusste ich, dass es die einzig richtige Entscheidung für mich war. Wenn Dad die Jungs irgendwann fassen sollte, dann nicht wegen mir. Und wenn er sie nicht fasste... musste ich ab jetzt damit leben, meinen Vater so belogen zu haben. Doch für den Schutz von Cole und den anderen nahm ich es in Kauf.

Cole atmete, sichtlich erleichtert, aus. »Danke. Und Grace? Pass auf dich auf. Wenn was ist... also... Ich bin immer in der Nähe. Ich bin immer da. Für dich.« Seine Worte und die Besorgnis in seinen Augen brachten meine Mauer zum wanken. Selbst diese kleine Geste von ihm war zu viel für mich.

Hastig drehte ich Cole den Rücken zu und schloss für einen Moment die Augen. Dann öffnete ich sie wieder und umfasste entschlossen den Türgriff. »Es ist besser, wenn wir keinen Kontakt mehr haben. Ich verlasse den Soziologiekurs, dann ist es einfacher.«

»Grace....«

Ich schüttelte den Kopf und hob warnend die Hand, ohne mich umzudrehen. »Nicht. Ich habe es schon mit dem Professor abgesprochen. Ich schicke dir meinen Anteil von unserem... von dem Projekt. Es wird sich nicht negativ auf deine Note auswirken, das habe ich schon geklärt. Also... bis dann.« Bevor ich etwas tat, was ich noch bitter bereuen würde, öffnete ich die Tür und schlüpfte durch die schmale Öffnung.

Ich lief schnell genug den Gang hinunter, dass mir der Gegenwind die Träne trocknete, welche meine Wange hinunterlief. Ich hatte damit gerechnet, dass das Gespräch die Wut in mir erneut zum Aufleben bringen würde. Doch stattdessen hatte Coles Anwesenheit dafür gesorgt, dass ich mich schwach und elend fühlte. Er war ein Guardian, er hatte mich belogen und benutzt. Doch trotzdem war er immer noch... Cole.

Am nächsten Tag war ich beim Selbstverteidigungsunterricht alles andere als konzentriert. Ich versprach mich ununterbrochen, verwechselte Griffe und war mit meinen Gedanken durchgehend woanders. Cole nahm mehr meiner Aufmerksamkeit in Anspruch, als ich wollte, und es belastete mich ungemein.

Am Ende der Stunde entschuldigte ich mich bei den Mädchen, doch sie nahmen es mir nicht übel, wofür ich sie noch mehr schätzte als sowieso schon.

Als ich fertig geduscht und umgezogen die Umkleiden verließ, stand Connor am Tresen neben Marianne. Dankbar warf ich unserer Sekretärin einen Blick zu, den sie augenzwinkernd erwiderte. Ich hatte sie darum gebeten dafür zu sorgen, dass Connor heute nicht ohne mich das Selfdefenders verließ. Und so herzlich Marianne auch war, sie konnte sich sehr gut durchsetzen.

Als Connor mich erblickte, stieß er sich vom Tresen ab und nickte mir zu. Er wirkte nervös, sein Blick zuckte wild umher, und er schien sich unwohl zu fühlen. »Hi.«

»Hey, Connor.« Es verginge einige Sekunden, in denen Connor nichts erwiderte, und ich wandte mich lächelnd an Marianne. »Bis bald!«

»Kommt gut nach Hause!«, verabschiedete sie uns, bevor sie ihren Blick wieder auf den Computerbildschirm senkte.

Schweigend betraten Connor und ich das Treppenhaus. Ich hatte versucht mir in Gedanken etwas vorzubereiten, doch jetzt erschienen mir alle meine zurechtgelegten Sätze falsch. Als wir aus dem Haus ins Sonnenlicht traten, drehte ich mich entschieden zu Connor um und lächelte ihn an. »Hast du noch kurz Zeit? Wir könnten in ein Café um die Ecke gehen.«

Connor beobachtete mich einen Moment eingehend, dann nickte er langsam. »Ähm... okay.«

»Gut.« Ich amtete auf, erleichtert, dass ich Connor nicht auf seinem Fahrrad hinterher jagen musste. Der Peilsender, fiel es mir wieder ein. Diese Geschichte musste ich ihm auch noch beichten. Zusätzlich zu der Tatsache, dass er des Drogendealens beschuldigt wurde. Immernoch wollte ich es nicht glauben, doch auch, wenn sich alles in mir dagegen sträubte, erschienen mir Coles Vermutungen nicht abwegig. Wenn Connor wirklich erpresst wurde, war es höchste Zeit, ihm zu helfen. Auch, wenn das bedeutete, dass er mich die ganze Zeit angelogen hatte.

Wir gingen die paar Straßen zu besagtem Café zu Fuß. Mir fiel kein Gesprächsthema ein, doch Connor schien unser Schweigen nicht einmal zu realisieren. Ich berührte ihn sanft am Arm, als wir an der Straßenecke, an der sich das Café befand, angelangt waren. Er zuckte zusammen, und schnell ließ ich ihn wieder los. Connor zwang sich zu einem gequälten Lächeln und folgte mir durch die grüne Holztür.

Im Inneren des Cafés empfing uns entspannte Musik, die zu den alten Holztischen und den gemütlichen, mit Fellen ausgelegten Sitznischen, passte. Ich wählte einen kleinen Zweiertisch am Fenster, und wir ließen uns auf den Stühlen nieder.

Nachdem die Bedienung unsere Bestellungen aufgenommen und wenige Minuten später mit einer Zitronenlimo und einem Kaffee zurückkam, rückte ich unruhig auf meinem Stuhl umher. Der junge Mann, der uns bedient hatte, verschwand. Jetzt stand meinen nächsten Worten nichts mehr im Weg, außer mir selber.

»Connor...«, unterbrach ich die Stille, welche schwer zwischen uns hing. Er sah augenblicklich auf. »Ich muss mit dir sprechen.«

Schon dieser eine Satz führte dazu, dass mein Arbeitskollege sich weiter verspannte. Seine Finger verkrampften sich um die Tasse in seinen Händen, und ich spürte, dass der Tisch durch sein nervös zuckendes Bein wackelte. »Mhm. Worum gehts?«

»Also«, begann ich und ließ hilflos den Blick durch das Café wandern, bevor ich Connor wieder in die Augen sah. Augen zu und durch. »Ich weiß, dass du mit Drogen dealst.«

Connor zuckte zusammen, als hätte ich ihm einen Schlag verpasst. Er fuhr auf seinem Stuhl zurück und starrte mich schockiert an. Schwarzer Kaffee lief an seinen Fingern hinab, die immer noch die Tasse umklammert hielten. Hastig zog ich mehrere Servietten aus der Halterung zwischen uns und presste sie auf seine Haut, da er die heiße Flüssigkeit nicht einmal zu spüren schien.

»Ich habe ein Telefonat von dir gehört, das irgendwie seltsam klang. Dann bin ich dir bis kurz vor den Bunker gefolgt, und... Es gibt ein Video, in dem du Drogen und Geld von den Dealern annimmst«, sprach ich schnell in gedämpftem Ton weiter.

»Grace...« Alle Farbe war aus Connors Gesicht gewichen, und er wirkte noch blasser als sonst. Ich spürte, wie mein Herz absackte. Ich hatte innerlich gehofft, dass er eine logische Erklärung parat hatte, dass er auflachen und mir sagen würde, dass alles nur ein Missverständnis war. Doch nichts dergleichen geschah.

»Du leugnest es nicht?« Meine Stimme war leise und ging beinahe in der Geräuschkulisse des Cafés unter.

Connor schüttelte hastig den Kopf. »Nein. Doch! Das... Es ist nicht... Ich habe nicht... Hast du...«

Beruhigend hob ich die Hände und schüttelte den Kopf. »Mein Vater weiß nichts. Ich kann dir helfen, aber nur, wenn du mir alles erzählst. Du musst mir die ganze Wahrheit sagen. Keine Ausreden mehr. Und auch keine Lügen.«

Connors Blick zuckte hastig durch das Café. Es war offensichtlich, dass er mit sich rang.

»Du hast keine bessere Möglichkeit«, fuhr ich leise fort. »Das Video existiert, und ich bin nicht die, die es hat. Bis jetzt ist es noch nicht bei der Polizei, aber das ist nur eine Frage der Zeit. Dieser Drogenring muss auffliegen, Connor. Und du könntest dabei eine große Hilfe sein. Außerdem möchte ich dir helfen. Bitte.«

Connor amtete zittrig ein, dann blickte er mich an. Dieses Mal wirkte er ein wenig entschlossener als zuvor. »Okay.«

Erleichtert ließ ich mich zurücksinken. Ich hatte fast erwartet, dass Connor aufstand und ging. Was hätte ich dann gemacht? Noch ein Geheimnis vor meinem Dad bewahrt? Oder meinen Kollegen verraten?

»Es gibt da etwas, was du nicht weißt«, begann Connor mit gesenkter Stimme und schluckte schwer. »Meine Mutter... sie ist schwer krank. Sie hat Depressionen, verbringt jeden Tag im Bett, und ihre Medikamente sind sau teuer. Das Geld, was ich im Selfdefenders verdiene, reicht nicht mehr aus für die Miete der Wohnung, Essen und ihre Arzneimittel. Das mit den Drogen... es hat alles in dieser einen Nacht begonnen. So ein Typ aus dem Bunker hat mir den Kontakt zu den Dealern gegeben, weil ich was von seinem Zeug probiert habe und mehr wollte. Ich wollte mir an dem Abend selber Drogen kaufen. Einfach, um die Sorgen um meine Mutter für einen Moment zu vergessen. Deswegen habe ich dich damals angerufen. Damit du mir das Selfdefenders aufschließt. Ich hatte mein Geld nämlich im Spind vergessen, aber der Termin mit den Dealern stand schon. Ich brauchte es unbedingt, um nicht beim ersten Treffen ohne Kohle dazustehen.«

Connors Worte setzten sich langsam zu einem Puzzle zusammen, und ich ahnte bereits, worauf alles hinauslaufen würde. Doch ich schwieg, während Connor mit den nächsten Worten kämpfte. Er saß vornübergebeugt da und wirkte vollkommen ausgelaugt. »Eigentlich sollte das etwas Einmaliges werden. Einmal Drogen nehmen, dann irgendwie mein Leben auf die Reihe kriegen. Aber alles lief schief. Ich hatte gerade mit den Dealern gesprochen, als einer der Guardians uns überrascht hat. Kurz darauf waren auch die anderen da, und es kam zu dem Kampf, den du gesehen hast. Und ja, ich hätte mich gegen diesen Typen wehren können, aber ich wollte nicht, dass die anderen sich auch noch auf mich stürzen. Er hat mich schließlich dabei erwischt, wie ich Drogen kaufen wollte. Als ich im Krankenhaus war haben die Dealer sich gemeldet, und dann begann die Erpressung. Der Handel war durch die Guardians unterbrochen worden, und ich wusste, wer die Dealer waren. Sie haben mir gedroht, meiner Mutter etwas anzutun, wenn ich nicht für sie arbeitete. Sie haben ihre Männer überall, deswegen ist es auch so schwierig, sie zu schnappen. Sie haben viele Leute wie mich in ihrer Hand. Wir sind perfekt, um ihre Drogen zu verticken.« Connor atmete tief durch und fuhr gedankenverloren mit einer Serviette an seiner Tasse entlang. Ich ließ mich in meinem Stuhl zurücksinken. Diese ganzen Informationen musste ich erst einmal verarbeiten. Connors Mutter war krank. Er wurde tatsächlich erpresst. Und er dealte gezwungenermaßen mit Drogen.

Connor fuhr sich durch die langen Haare und sah unter seinen blonden Wimpern zu mir hinüber. »Es tut mir leid, dass ich dich angelogen habe. Ich hatte keine Wahl, zumal dein Vater...«

»Ich weiß«, unterbrach ich ihn schnell. Das hatte ich schon oft genug gehört.

»Was jetzt? Wirst du mich verraten?«

Langsam schüttelte ich den Kopf. Ich hatte einen Plan. Er war noch ausbaufähig, doch er ermöglichte es mir, Dad nicht anlügen zu müssen und Connor zu helfen. Ich beugte mich vor, stützte die Arme auf die Tischplatte und weihte meinen Arbeitskollegen mit gedämpfter Stimme ein.

»Ihr meint also, dass wir Connors Verbindung zu den Dealern nutzen könnten, um an Blade Lane heran zu kommen?«

Connor und ich nickten.

»Und es existiert ein Beweisvideo von der Drogenübergabe?«

Erneut bejahten wir.

»Und das Video wurde aufgenommen von...?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Connor wahrheitsgemäß, während ich schwieg. Ich hatte Connor nicht gesagt, von wem das Video stammte, und hatte es auch nicht vor. Auch anonym eingereicht würde es eine große Hilfe sein, vor allem, wenn Connor bestätigte, dass es nicht fake war.

»Okay.« Dad, der uns bis eben aufmerksam gelauscht hatte, fuhr sich nachdenklich über das Kinn. »Das könnte funktionieren. Wir müssen alles genau durchgehen, und ich muss deine ganze Geschichte hören, Connor. Da du erpresst wurdest und dich freiwillig gemeldet hast, kann ich es vielleicht so drehen, dass du mit keinen besorgniserregenden Konsequenzen rechnet musst. Es ist gut, dass du zu mir gekommen bist.«

»Dank ihrer Tochter«, erwiderte Connor und warf mir einen erleichterten Blick zu. Er war noch immer blass, und die Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben. Doch ich war heilfroh, dass er mir zur Polizeistation gefolgt war. Auch, wenn das bedeutete, dass ich meinem Vater unter die Augen treten musste.

»Ja, in der Tat. Man kann sich immer auf sie verlassen«, stimmte Dad meinem Arbeitskollegen zu und lächelte mir zu. Ich spürte, wie Übelkeit in mir aufstieg. Ich wollte sein Lächeln erwidern, doch es ging nicht. Die Lügen, welche zwischen uns standen, das Geheimnis, das ich vor ihm verbarg, war einfach zu groß.

Hastig ließ ich den Blick durch das mir so vertraute Büro gleiten und wartete darauf, dass mein rasender Herzschlag sich beruhigte. Mein Blick blieb an der Pinnwand hängen, an der alle Informationen über die Guardians hingen. Nur ein paar Worte, und ich könnte Dad auf die richtige Spur bringen. Mein Atem wurde schwerer, und wie von allein wanderte meine Hand zur Brust. Mir wurde schlecht, mein Bauch schmerzte, und ich hatte das Gefühl, zu ersticken. Die Schuldgefühle stürzten auf mich ein und drohten mich unter sich zu begraben. Es ging nicht. Ich konnte ihm so nicht gegenüber stehen.

»Grace... alles okay?« Dads besorgte Stimme brachte das Fass zum Überlaufen.

Entschuldigend sah ich auf. »Tut mir leid, ich muss leider los. Wir sehen uns, Connor, ja?«

Connor wandte sich zu mir um und zog mich kurzerhand in eine Umarmung. Ich hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, und das lag nicht an ihm. »Danke«, murmelte er mir zu, doch ich hörte seine Worte nur gedämpft. Mein Hals schien wie zugeschnürt, also nickte ich nur mit einem gezwungenen Lächeln.

»Tschau«, krächzte ich und stürzte zur Tür des Büros.

Als ich Sekunden später aus dem Präsidium trat, musste ich mich an die Hauswand lehnen, um nicht zu stolpern. Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Verdammt. Ich konnte nicht so tun, als wäre nichts. Ich machte mich strafbar. Ich gefährdete mein eigenes Leben und die Beziehung zu meinem Vater. Für...? Einen einzigen Typen...

»Grace, was ist denn los? Alles gut?«

Ich riss die Augen auf und stieß mich von der Mauer ab. Mit einem aufgesetzten Lächeln drehte ich mich zu Dad um. »Alles okay, wirklich. Ich habe letzte Nacht nur schlecht geschlafen. Die Sache mit Connor hat mich echt fertig gemacht.«

Seine Miene wurde weicher, und er nickte so verständnisvoll, dass meine Augen zu brennen begannen. »Das kann ich mir vorstellen. Mach dir keine Sorgen, jetzt ist ja alles raus gekommen. Ich werde Connor helfen, versprochen.«

»Danke«, wisperte ich und räusperte mich schnell, bevor ich zu meinem Mini deutete. »Also, ich muss los...«

»Ich hab dich lieb, Grace. Bis dann.«

»Ich dich auch, Dad.« Irgendwie schaffe ich es in meinen Wagen zu steigen. Erst, als ich vom Parkplatz des Polizeireviers fuhr, erstarb das schmerzende Lächeln auf meinem Gesicht. Die Maske, die ich neuerdings vor meinen Vater trug, fiel in sich zusammen und wurde von den Tränen weggespült.

Zu Hause angekommen schleppte ich mich die Treppe hinauf und hielt vor unserer Wohnungstür inne, um mit klammen Fingern den Schlüssel aus meiner Tasche zu holen. Mir fiel ein Päckchen ins Auge, welches neben der Tür stand. Unsicher hob ich es auf und spürte, wie meine Finger zu zittern begannen, als ich das kleine Namensschild auf dem schlichten, grünen Papier erblickte. Dort stand »Grace« geschrieben. In Coles Handschrift.

Für einen kurzen Moment überlegte ich, das Paket in den Müll zu schmeißen. Doch mir war bewusst, dass ich dazu nicht in der Lage war. Nicht jetzt, und es wahrscheinlich auch nie sein würde. Mit fahrigen Bewegungen schloss ich die Tür auf und zog meine Schuhe im Flur aus, bevor ich mich in meinem Zimmer aufs Bett sinken ließ.

Einen Moment starrte ich das Papier nur an. Dann, nach einem schweren Atemzug, öffnete ich es. Was hatte ich schon zu verlieren? Außer einer weiteren schlaflosen Nacht, in der mich die Gedanken an Cole wach hielten?

Ich schlug das Papier zur Seite und erstarrte. In einem braunen Karton lagen ein Notizbuch, eine Karte und eine kleine Schatulle. Behutsam griff ich nach der Karte, dessen Vorderseite eine Gondel zierte, und drehte sie langsam um.

Ich weiß, dass ich es nicht wieder gut machen kann. Ich habe es verbockt. Und es tut mir unendlich leid. Aber ich hoffe, dass du den Mut findest, deine Träume zu verwirklichen. Lebe DEIN Leben. Ich weiß, dass du es schaffen kannst. - Cole

Meine Augen wurden feucht, und die Zeilen verschwammen vor meinen Augen. Ich blinzelte mehrmals, bevor ich mit zugeschnürter Kehle nach dem Buch griff. Es war ein grünes Notizbuch mit der Aufschrift: All our dreams can come true if we have the courage to pursue them.

Mit zittrigen Fingern öffnete ich die kleine Schatulle und spürte, wie meine Wangen nass wurden. Verdammt. Ich sollte nicht heulen. Ich sollte Coles Geschenk nicht annehmen, und ich sollte nicht die Kette betrachten, welche sich in der schimmernden Verpackung befand. Und trotzdem tat ich es. Wortlos starrte ich auf die feine, silberne Kette, und den dazugehörigen Anhänger. Eine kleine, feingearbeitete Schreibmaschine.

Ich ließ mich rückwärts in mein Bett sinken und blickte kraftlos an die Decke. Meine Augen brannten, und ich atmete tief durch, während meine Finger sich um die Kette verkrampften. Mein Herz schmerzte, und die Erinnerungen an Cole überfluteten mich. Wieso tat er mir das an? Wieso musste er alles noch viel schwerer machen?

Ich hatte gewusst, dass es nicht leicht sein würde, Cole zu vergessen. Doch seine Entschuldigung, diese spezielle Art von Abschied, sorgte dafür, dass mir schwer ums Herz wurde. Der Inhalt des Kartons erinnerten mich an die Momente mit Cole. An jeden Augenblick, der dafür gesorgt hatte, dass ich mich in ihn verliebt hatte.

Doch dann war sein Geheimnis offenbart worden. Und nun wusste ich nicht mehr, wer er wirklich war. Konnte ich ihm trauen?

Nein, konnte ich nicht. Und ich musste es auch nie wieder. Denn mir war klar, dass Cole mich ab jetzt in Ruhe lassen würde. Das sagte mir sein Abschiedsgeschenk und die Tatsache, dass ich ihn kannte. Ich wusste, dass er mich nicht leiden sehen wollte.

Doch genau das tat er. Er ließ mich durch seine Abwesenheit leiden. Und wahrscheinlich war es ihm nicht einmal bewusst.


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Würdet ihr an Graces Stelle die Guardians an ihren Vater verraten? 🤫

Ich hoffe euch geht's gut, und ich verspreche, dass ich versuchen werde ab jetzt wieder regelmäßiger zu posten!

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