Kapitel 25 - Versprochen




[GRACE]

»Grace.«

Ich fuhr herum und schnappte überrascht nach Luft, als ich Connor gegenüber stand. Seit unserem Streit hatte ich ihn nicht mehr gesehen, und vermutet, dass er mir absichtlich aus dem Weg ging. Darum war ich jetzt umso erstaunter, dass er mich ansprach, und ich ihm mal nicht hinterherrennen musste.

»Können wir kurz reden?« Connors Stimme klang ein wenig zittrig, und ich runzelte die Stirn, als ich ihn näher betrachtete. Seine Augen waren rot, und er schien stark zu schwitzen. Vielleicht hatte er sich in seinem Kurs überanstrengt. Doch passte das zu Connor?

Als Connors mich fragend ansah, nickte ich schnell und trat zur Seite, damit er die Umkleide, welche ich gerade verlassen wollte, betreten konnte.

Mein heutiger Unterricht war gut gelaufen und hatte, wie so oft, meine Laune gehoben. Immer wenn ich unterrichtete und in die motivierten Gesichter der Kinder blickte, fühlte ich mich besser. Dieser Job war, zusammen mit dem Schreiben, der perfekte Ausgleich für mein Studium.

»Was ist los?« Ich schloss die Tür und lehnte mich anschließend dagegen. Connor atmete tief durch, während er den Blick durch die Umkleide wandern ließ. Schließlich hielt er bei meinem Gesicht inne und verschränkte die Arme vor der Brust, nur, um sie gleich darauf wieder fallen zu lassen. »Hör zu... Also... Es tut mir leid, dass ich dich bei deinem Vater verpfiffen habe.«

Ich wartete darauf, dass Connor weiter sprach, doch er schwieg. Vorsichtig suchte ich in meinem Inneren nach der Wut, die ich zuvor auf Connor verspürt hatte, doch sie war bei seinem Anblick verschwunden. Meinem Arbeitskollegen schien es überhaupt nicht gut zu gehen, und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass alles miteinander zusammenhing.

»Okay... warum hast du es dann getan?«, fragte ich nach und beobachtete seine Reaktion. Connor fuhr sich durch die langen Haare und räusperte sich, bevor er unsicher die Schultern hob. »Ich war sauer auf dich, weil du dich eingemischt hast. Hätte nicht passieren dürfen, tut mir leid. Verdächtigt dein Vater mich immer noch?«

Ich zögerte. Sollte ich ihm die Wahrheit sagen? Ich wollte ihn nicht beunruhigen, wollte ihn aber ebenso wenig anlügen. »Naja, deine Aussage gegenüber meinem Dad war ein wenig irreführend«, antwortete ich stattdessen, und Connor nickte langsam, bevor er mich zögernd ansah. »Hast du an dem Abend eigentlich noch etwas gesehen? Außer dem Auto?«

Ich schüttelte langsam den Kopf. Unter Connors starrem Blick hatte ich plötzlich das Gefühl, dass es besser war ihm nicht zu sagen, dass ich auch die Dealer für einen Moment gesehen hatte. »Nur das Auto und die Guardians

»Okay.« Connor wirkte fast erleichtert und fuhr sich erneut durch die strähnigen Haare. Irritiert stieß ich mich von der Tür ab. So wie er in diesem Moment drauf war, hatte ich ihn noch nie erlebt. Eigentlich war er immer entspannt und wirkte so, als hätte er sein Leben im Griff. »Warum willst du das denn alles wissen?«

»Verspricht mir einfach, dass du dich ab jetzt da raus hältst, okay?«

Verwundert hob ich die Augenbraunen. »Ähm...«

Connor starrte mich eindringlich an. »Es ist wichtig, Grace, okay? Vergiss bitte einfach diese Nacht.«

Langsam wurde ich misstrauisch. War das eine Drohung? »Connor, was ist los? Du kannst mit mir reden, vielleicht kann ich dir ja helfen.«

Er schüttelte den Kopf. »Es ist nichts los. Versprich es mir einfach. Die Nacht war nicht leicht mich, und ich kann besser damit abschließen, wenn ich weiß, dass du es auch tust.« Seine Worte brachten mich dazu, wiederstrebend zu nicken. »Okay, wenn es dir dann besser geht. Aber versprich mir im Gegenzug, dass es nichts gibt, was du mir verheimlichst.«

Connor hielt in der Bewegung inne und wich meinem Blick aus, als er ein wenig zu schnell antwortete. »Versprochen.«

»Okay. Versprochen«, erwiderte ich zögernd. Connor warf mir ein kurzes Lächeln zu, was eher erschöpft als zufrieden wirkte, als ein schrilles Klingeln ertönte. Connor zuckte zusammen und zog sein Handy aus der Jogginghose. Er warf einen Blick darauf und sah dann zu mir. »Also dann... tschüss?«

Ich blinzelte, als mir bewusst wurde, dass Connor darauf wartete, dass ich ging. Schnell griff ich nach meinem Rucksack und winkte ihm zum Abschied, bevor ich den Raum verließ. Gerade als ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, ließ mich etwas innehalten. Ich wusste nicht, ob es  der veränderte Tonfall in Connors Stimme, oder die Wort waren, welche dumpf durch die Tür drangen.

»Hallo? .... Ja, ich hab gerade mit ihr geredet... Nein... Sie weiß nichts und ist auch keine Gefahr mehr... Ja... Ich schwöre es!«

Für einen Moment herrschte Stille, und ich presste mich an die Wand neben der Tür. Mit angehaltenen Atem versuchte ich zu realisieren, was ich gerade gehört hatte. Redete Connor von mir?

»Nein... Ja... Wirklich. Sie hat euch nicht gesehen. Okay... 22:00 Uhr? Ja... Was?« Ich zuckte zusammen, als Connor Stimme lauter wurde und ein dumpfes Rumpeln ertönte. Sicherheitshalber trat ich einen Schritt zurück, aus Angst, er könne gleich durch die Tür hinausgestürmt kommen. Als dem nicht so war, hastete ich zurück und lauschte den nächsten Satzfetzen des Telefonates.

»...brauche nächstes Mal dann aber mehr... Okay. Bis dann.«

Eine Zeit lang war es still im Raum, und ich war mir nicht sicher, ob Connor schon aufgelegt hatte, oder nicht. Als eine Minute später das dumpfe Rauschen von Wasser ertönte, atmete ich auf. Erst da bemerkte ich, dass ich die Luft angehalten hatte.

Mit rasendem Herzen umklammerte ich meinen Rucksack, und ließ mich für einen Moment mit geschlossenen Augen gegen die Wand sinken. Ich rekapitulierte Connors Worte und versuchte sie so zu drehen, dass sie ein normales Gespräch ergaben. Doch es war unmöglich. Ich war mir sicher, dass Connor am Anfang über mich geredet hatte, und auch der Rest des Telefonates klang sehr mysteriös.

Für wen stellte ich keine Gefahr mehr da? Wen sollte ich nicht gesehen haben? Ging es um den Abend mit den Drogendealern? Plötzlich fuhr mir ein Schauer über den Rücken. Was, wenn Connor gar nicht aus Zufall zwischen die Guardians und die Dealer geraten war? Was, wenn Dad recht hatte? Vielleicht hatte Connor mich angelogen, und es lag doch mehr dahinter, als er mir verraten hatte.

Plötzlich kam mir eine Idee. Sie war waghalsig und irre, aber mit jeder weiteren Sekunde, die verging, hatte ich das Gefühl, sie umsetzen zu müssen. Ich musste wissen, in welche Geschäfte Connor verwickelt war. Ich hatte ihm versprochen, die Ereignisse zu vergessen, doch er hatte sein Versprechen bereits gebrochen, als er meinte, mir alles erzählt zu haben.

Ich wollte Dad immer noch nicht glauben, dass Connor in illegale Angelegenheiten verstrickt war. Doch ich konnte ihn, und mich selbst, nur vom Gegenteil überzeugen, wenn ich Connor zu dem Treffen folgte. Aber wie sollte ich das anstellen?  Ich bräuchte... den Peilsender.

Ich riss die Augen auf und zog mein Handy aus der Hosentasche, während ich den Flur vor den Umkleiden verließ. Die Jeansjacke mit dem Peilsender lag noch immer in meinem Auto. Ich hatte nach dem Besuch bei Dad vergessen ihn Zola zu geben, und seitdem nicht mehr daran gedacht. Doch nun würde er zum Einsatz kommen können.

Es ist nur ein kleiner Test, ich spioniere ihm nicht nach, ich investigiere, redete ich mir selbst ein, als ich mich von Marianne verabschiedete und in schnellem Tempo die Treppe hinunterlief. Ich musste mich einfach davon überzeugen, dass Connor nichts tat, was er später bereuen würde. Er hatte erschöpft gewirkt, und das war kein Zustand, in dem er lange durchhalten konnte.

Vor dem Selfdefenders atmete ich tief durch und genoss den leichten Luftzug auf meinen erhitzten Wangen. Dann hastete ich zu meinem Auto und holte den Peilsender aus der Jacke vom Rücksitz. Das kleine schwarze Teil lag schwer in meiner Hand. Konnte ich wirklich meinen Kollegen ausspionieren? Andererseits hatte er am Telefon alles andere als glücklich geklungen. Ich konnte das Gespräch nicht ignorieren und einfach so nach Hause fahren. Ausgeschlossen.

Ein ungutes Gefühl in meinem Bauch sagte mir, dass der heutige Abend nicht gut ausgehen würde. Doch wenn ich ihm folgte, hatte ich wenigstens die Chance, ihm zu helfen. Oder die Polizei zu rufen. Oder beides.

Meine Finger verkrampften sich entschlossen um den Peilsender. Mit einem letzten prüfenden Blick ins Treppenhaus umrundete ich zügig das Gebäude und betrat den Hinterhof. Vor Connors Fahrrad ging ich mit einem kurzen Kontrollblick über die Schulter in die Hocke und suchte nach einem passenden Platz. Nach kurzem Überlegen platzierte ich den Sender unter dem Sattel, wo er eingeklemmt war und mit den Magneten am Stahl haftete. Dann aktivierte ich den Peilsender und stellte eine Verbindung zu meinem Handy her.

Als ich ein paar Minuten später gerade die Fahrertür meines Auto schloss, verließ Connor das Selfdefenders. Mit rasendem Herzen starrte ich auf den blinkenden Punkt auf der Karte meines Handys. Es war früher Abend, und das Treffen würde erst in einigen Stunden stattfinden.

Mein Herz machte einen Satz, als der Punkt sich bewegte, und ich rutschte blitzschnell in meinem Sitz hinunter. Nachdem Connor an mir vorbei gefahren war, tauchte ich wieder auf und beobachtete, wie sein rotes Rücklicht am Ende der Straße verschwand. Seufzend ließ ich den Kopf auf das Lenkrad sinken.

Was mache ich hier?

Während der rote Punkt sich entfernte, verließ ich die App und rief Zola an. Schon nach wenigen Sekunden hob sie ab. »Hallo?«

»Hey Zola. Okay, ähm, bitte nicht aufregen. Wenn du hörst, was ich dir gleich erzähle, darfst du mich nicht hassen. Und du musst mir vorher versprechen, dass du zum Selfdefenders kommst. Mit Essen.«

Zola seufzte am anderen Ende der Leitung. »Oh Gott, Ich glaube, ich will es gar nicht hören.«

Meine Stimme klang gequälter als beabsichtigt, als ich mich im Sitz zurücksinken ließ und mir über das Gesicht fuhr. »Ich glaube auch nicht.«

»Oh Grace. Du... das ist vollkommen verrückt! Wir können doch nicht einfach Connor stalken! Das ist verboten. Und überhaupt, wir müssen deinem Vater Bescheid geben! Oder nicht? Oh Gott, was machen wir hier?« Zola starrte mich atemlos an und schlug sich fassungslos die Hand vor den Mund. Ich warf ihr einen entschuldigenden Blick zu, den sie mit einem entsetzten Kopfschütteln quittierte.

Die Tatsache, dass ich mit einem der Guardians gesprochen und meinem Dad nichts davon erzählt hatte, hatte Zola fast vom Stuhl fallen lassen, doch das hier schien sie noch mehr zu verschrecken. Trotzdem stand sie zu mir und unterstützte mich, was ich ihr hoch anrechnete.

»Ich kann Dad jetzt nichts sagen. Ich will Connor noch eine letzte Chance geben. Vielleicht ist das alles auch nur ein Missverständnis. Deswegen ja der Peilsender, damit ich genau das bestätigen kann.«

Wenig überzeugt reichte Zola mir eine Tüte Pommes. »Meinst du nicht, dass du es ihm trotzdem sagen solltest?«

»Er hat mir deutlich gemacht, dass Connor in große Schwierigkeiten gerät, wenn rauskommt, dass er in die Sache verwickelt ist. Wenn heute Abend nichts passiert, wird Connor nie erfahren, dass ich ihn verfolgt habe. Und wenn doch, sage ich meinem Dad Bescheid.« Ich hob die Tüte mit den Pommes und dippte eine von ihnen in die Mayo. »Danke, übrigens. Du bist die Beste.«

Zola seufzte nur. »Also schön. Aber sobald es gefährlich wird, rufen wir deinen Dad an.«

»Einverstanden«, stimmte ich erleichtert zu und zog sie über die Mittelkonsole hinweg in eine kurze Umarmung. Ohne Zola wäre ich vollkommen aufgeschmissen.

Ich rutschte zurück auf den Fahrersitz und warf unruhig einen Blick auf mein Handy. Nach wie vor zeigte der rote Punkt, dass Connor sich bei einem Imbiss in der Nähe befand.

»Wann ist das Treffen nochmal?« Ich warf auf Zolas Frage hin einen Blick auf die Uhr. »In einer Stunde, um 22:00 Uhr. Mehr weiß ich nicht. Aber da Connor mit dem Rad unterwegs ist, kann es nicht allzu weit weg sein.«

»Oder er fährt Bus oder Bahn«, wand Zola ein und pickte eines ihrer Salatblätter auf. Ich nickte zerstreut. Hoffentlich war Connors Fortbewegungsmittel heute unser größtes Problem.

Minuten später hatten wir aufgegessen und lauschten der Musik, die aus dem Lautsprecher meines Autos drang. Inzwischen waren alle Lichter in den umliegenden Geschäften erloschen, und nur die Laternen erhellten die Straße. Als ich dieses Mal einen Blick auf mein Handy warf, begann mein Herz zu rasen. »Ich glaube er bewegt sich!«

»Oh Gott. Was machen wir hier«, murmelte Zola erneut, bevor sie das Handy, welches ich ihr hastig reichte, entgegennahm und sich anschnallte.

Ich tat es ihr gleich und startete den Motor. Abwartend sah ich zu meiner besten Freundin.

»Erstmal nach rechts. Er kommt uns nicht entgegen, sondern fährt vom Imbiss aus weiter in die Stains.«

Ich lenkte meinen Wagen vom Parkplatz und folgte Zolas Anweisungen, die uns immer tiefer ins Herz der Stains führten. Und hoffentlich halfen, Licht ins Dunkle zu bringen.


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Findet ihr es okay von Grace, dass sie Connor hinterher spioniert? 🤔

Und was meint ihr, wo könnte es hin gehen? 🧐

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