Kapitel 17 - Glücklich und frei
[GRACE]
Es war später Nachmittag, als ich meinen Mini auf den Parkplatz vor dem kleinen Restaurant am Stadtrand lenkte. Im Hintergrund erhoben sich einige Hügel, an dessen Hänge sich unzählige kleine Häuser klammerten. Ich war noch nie in dieser Gegend gewesen, da meine Mutter es in meiner Kindheit vorgezogen hatte, die reicheren Stadtteile zu besuchen. Und seit meines Studiums fehlte mir die Zeit, all das Verpasste von früher nachzuholen.
Ich schaltete den Motor aus und lehnte mich aufatmend in meinem Sitz zurück. Der gestrige Abend im Bunker mit Cole hatte mich mal wieder durcheinander gebracht. Und zwar in vielerlei Hinsichten. Zum einen beschäftigte mich unser Fast Kuss mehr als er sollte, und das, obwohl Cole sich eindeutig von mir distanziert hatte. Und außerdem machte es die Tatsache, dass ich wusste, dass ich auf den Kuss eingegangen wäre, nicht unbedingt leichter. Und zwar ohne zu zögern.
Zum anderen wurde ich das ungute Gefühl nicht los, dass Cole gestern abgelenkt gewesen war. Er war mir keine Rechenschaft schuldig, doch trotzdem konnte ich seinen ernsten Gesichtsausdruck und das abwesende Verhalten nicht vergessen. Ich war definitiv fehl am Platz gewesen.
Seufzend lehnte ich mich vor und strich gedankenverloren mit den Fingern über das Lenkrad. Ich versuchte meine schuldbewussten Gedanken zu vertreiben und stattdessen an das Gespräch mit Sally zu denken. Der kurze Wortwechsel zwischen der alten Bibliothekarin und Cole ließ mich jedoch ebenfalls nicht los. Vor fünf Jahren schien irgendetwas vorgefallen zu sein, von dem sogar eine Frau wusste, die Cole scheinbar lange nicht mehr gesehen hatte.
Was konnte das sein?
Ich fühlte mich schon schlecht dabei, darüber nachzudenken, da Cole so negativ reagiert hatte, als Sally das Thema in meiner Gegenwart angesprochen hatte. Jeder hatte Geheimnisse, und ich hatte kein Recht mir den Kopf über Coles zu zerbrechen, wenn ich mein eigenes hütete wie einen verbotenen Schatz. Bei dem Gedanken an das Schreiben fühlte ich eine Last auf meiner Brust. Das Gespräch mit Sally, die die Überreste ihrer früheren Bibliothek auf dem Flohmarkt verkaufte, war die Sehnsucht nach dem Schreiben stärker denn je geworden. Ich war fasziniert von der alten Dame, die mir in Coles Abwesenheit von ihrem früheren Leben, ihrer Liebe zu Büchern und dem Schreiben erzählt hatte. Sie hatte ihren Traum gelebt, das war mir auch ohne den Fragebogen nach wenigen Minuten klar geworden. Und ich bewunderte sie dafür.
Mir selbst fehlte dazu nach wie vor der Mut. Zusätzlich bereitete mir der Gedanke an meine Mutter, der ich in wenigen Tagen unter die Augen treten musste, ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Ich hatte in der letzten Woche keine Zeit gehabt, um meine Geschichte weiter zu schreiben, obwohl es mir in den Fingern brannte, den Laptop aufzuklappen und mich in der fiktiven Welt zu verlieren. Auch, wenn es nur für wenige Stunden war. Doch das musste warten.
Ein Klopfen an meiner Fensterscheibe ließ mich zusammenzucken. Mit rasendem Herzen drehte ich den Kopf und erblickte Cole, der mich durch das Glas hinweg mit einem schiefen Grinsen ansah. Eine Haarsträhne hing ihm ins Gesicht, seine Muskeln spannten sich unter dem dunkeln Shirt, und er sah umwerfend aus - wie immer.
Verdammt, Stopp! Ich darf so nicht denken!
Energisch griff ich nach Handy und Autoschlüssel und öffnete die Fahrertür.
»Ich dachte schon du bist eingeschlafen«, empfing Cole mich grinsend und begrüßte mich mit einer Umarmung.
»Haha.« Ich löste mich von ihm und brachte schnell ein wenig Abstand zwischen uns, damit mein Herzschlag sich wieder beruhigte. Leider vergebens. »Ich habe nur nachgedacht.«
»Aha?« Cole hob fragend die Augenbrauen, und ich verzog das Gesicht, krampfhaft auf der Suche nach einer guten Ausrede. »Ich habe mich gefragt, was du wohl heute mit mir vorhast.« Als ich die Worte ausgesprochen hatte, bereute ich sie augenblicklich.
Obwohl ich mich mit glühendem Gesicht abwandte, konnte ich das Grinsen aus Coles Worten hören. »Du scheinst ja nicht sehr viel Vertrauen in mich zu haben, so niedergeschlagen wie du beim Nachdenken geschaut hast!«
Ich hob schmunzelnd die Schultern. »Ich setzte meine Erwartungen bei dir lieber nicht zu hoch.«
Cole schnaubte und trat auf mich zu. Er war mir wieder viel zu nahe. »Ich verzeihe dir das jetzt mal, und halte meine unzähligen guten Kontersprüche zurück. Ich will dich ja nicht verletzen.«
Ich riss empört den Mund auf, doch Cole grinste nur und deutete auf die Tür des Restaurants. »Komm jetzt, bevor du noch eine Fliege isst und satt bist.«
»Idiot«, murmelte ich leise, konnte mir ein Schmunzeln aber nicht verkneifen, als ich hinter Cole das Restaurant betrat, welches von außen sehr einladend wirkte. Nachdem wir durch die Eingangstür eingetreten waren, schlug mir der Geruch von Gewürzen, Pasta und Pizza entgegen. Es war gut gefüllt, Menschen aller Altersklassen saßen auf rot bezogenen Stühlen an Holztischen, welche mit Kerzen eine heimische Atmosphäre schafften. Im Hintergrund lief entspannte Musik, leises Geschirrklappern war zu hören und das Lachen einiger Gäste. Ich fühlte mich automatisch wohl in dem italienischen Lokal.
Gerade als ich mich an Cole wenden wollte, um ihn zu fragen, woher er dieses Restaurant kannte, kam ein kleines Mädchen auf uns zugelaufen. Sie schien aus der Küche zu kommen, die der Geräuschkulisse nach links von uns, hinter einem steinernen Rundbogen, lag. Ihre Bewegungen waren ein wenig ungelenk, doch das hinderte sie nicht daran, so schnell wie möglich zu Cole zu kommen.
»Cole. Endlich hier!« Ihre Stimme überschlug sich vor Begeisterung, und obwohl ihre Worte nur schwer zu verstehen waren, war die Freude ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Sie grinste breit, als Cole sich zu ihr herunterbeugte und sie umarmte. »Pheli! Hey, wie geht es dir?«
Ich konnte den Blick nicht von dem Mädchen und Cole abwenden, dessen Stimme einen sanften Klang angenommen hatte. Die Art, mit der er über ihren Rücken strich und sie anlächelte traf mich mitten ins Herz. Er bemerkte meinen Blick und hob den Kopf. Der liebevolle Ausdruck in seinen Augen, obgleich er nicht mir galt, drohte mich zu überwältigen. Obwohl ich sie erst seit ein paar Sekunden zusammen sah, wusste ich, dass es eine besondere Verbindung zwischen den beiden gab. An Pheli gewandt deutete Cole auf mich. »Das ist Grace.«
Ich lächelte und winkte ihr zu. Pheli erwiderte meinen Blick mit einem breiten Grinsen, löste sich von Cole und umfasste mit festem Druck meine Hand. »Ich bin Pheli.« Sie blickte aus schmalen Augen zu mir auf. Ihr Pony war ein wenig zerzaust, genauso wie die zwei Zöpfe, welche ihr über die Schulter hingen. Ich konnte gar nicht anders, als das Lächeln von Pheli zu erwidern. »Freut mich dich kennenzulernen. Du hast einen sehr schönen Namen!«
»Pheli?«
Wir sahen auf, und im nächsten Moment hob ich verblüfft die Augenbrauen, als Luc im Rundbogen auftauchte. Er wirkte ein wenig gestresst, seine Haare waren zu einem Knoten im Nacken zusammengebunden, und er trug eine weiße Schürze mit dem Logo des Restaurants. Als er Pheli an meiner Hand erblickte, wirkte er deutlich entspannter und sah von mir zu Cole. Er begrüßte ihn mit einem Handschlag und wandte sich dann an mich. »Na, alles gut? Tut mir leid, Pheli ist manchmal schneller bei den Besuchern als wir. Und wenn Cole kommt hält sie sowieso nichts mehr zurück.« Bei der Erwähnung seines Namens löste sich Pheli von mir und lief auf Cole zu, um ihn erneut zu umarmen.
Ich machte eine wegwerfende Handbewegung und lächelte Luc an. »Kein Problem.«
Luc beobachtete Cole und Pheli ein paar Sekunden, dann trat er an ihnen vorbei und umarmte er mich zur Begrüßung. Für einen Moment schlug mir sein angenehmer Geruch entgegen, dann ließ ich von ihm ab und blickte ihn interessiert an. »Das Restaurant ist wirklich schön. Seit wann arbeitest du hier?«
Luc lehnte sich an den Tresen und lächelte. »Seit der Eröffnung vor einigen Jahren. Es gehört meiner Familie.«
»Cool!«, stieß ich hervor, und versuchte, Lucs deutschen Akzent mit dem italienischen Restaurant in Verbindung zu bringen. Als hätte er meine Gedanken erraten, lachte er auf. »Meine Mutter ist aus Deutschland, dort haben wir bis vor einigen Jahren gelebt, mein Vater kommt aus Italien. Es war schon immer sein Traum, ein Restaurant zu eröffnen. Und als wir hierher in die USA gezogen sind, hat er ihn dann verwirklicht.«
Langsam dämmerte es mir, warum Cole für unsere Umfragen dieses Restaurant gewählt hatte. Bewundernd ließ ich den Blick erneut durch das Lokal gleiten. »Das ist ihm definitiv gelungen.«
Hinter uns kündigte ein Klingeln das Eintreten von weiteren Gästen an, und Luc sah entschuldigend an mir vorbei. »Sorry, ich muss die Unterhaltung leider unterbrechen. Ihr könnt euch gerne einen Tisch aussuchen, Cole kennt sich ja aus.«
Cole nickte und erhob sich, während Luc auf italienisch etwas in die Küche rief. Zugleich kam ein gebräunter Mann mit grauen Haaren, Schnurrbart und einem freundlichen Gesicht heraus. Er begrüßte Cole fast so überschwänglich wie Pheli es Minuten zuvor getan hatte und wandte sich dann an die neuen Kunden, während Luc mit dem Mädchen, welches Cole ein letztes Mal winkte, durch den Rundbogen verschwand.
Cole führte mich in den hinteren Teil des Restaurants, wo es ein wenig ruhiger war. Durch eine Tür gelangten wir in einen kleinen Garten, wo wir es uns an einem Tisch bequem machten. Obwohl in der Ferne Verkehr zu hören war, fühlte es sich durch das leise Blätterrascheln der Bäume an, als wären wir in der Natur.
Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und sah Cole amüsiert über den Tisch hinweg an. Er bemerkte meinen Blick und neigte interessiert den Kopf, während er die Speisekarte in seine Händen hin und her drehte. »Was ist?«
»Überall wo du mit mir hingehst, kennen dich die Menschen. Bist du heimlich berühmt und ich habe es noch nicht mitbekommen?«
Cole ließ theatralisch die Karte sinken und sah sich hastig um. »Scheiße. Jetzt ist es raus. Bitte sag keinem was, sonst wollen sie alle Autogramme und Selfies!«
Ich spielte mit und nickte ernst. »Ich verspreche dir, bis in alle Ewigkeiten über deine wahre Identität zu schweigen!«
Cole nickte und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, sein Lächeln schwand minimal. »Das ist gut.«
Bevor ich mir Gedanken darüber machen konnte, war sein schiefes Grinsen wieder zurückgekehrt. »Es ist tatsächlich kein Zufall, dass wir hier sind. Ich kenne Lucs Familie schon lange und dachte mir, dass sie für unser Projekt interessant sein könnten. Außerdem habe ich Pheli länger nicht mehr gesehen. Sie ist Lucs Schwester.«
Ich nickte. Etwas in die Richtung hatte ich mir schon gedacht. »Sie hat das Down Syndrom«, fuhr Cole fort. »Es war nicht immer leicht für Lucs Familie, aber jetzt geht es ihnen besser. Neues Leben, neue Leute, Neuanfang. Ich bin froh, dass ich Luc kennengelernt habe. Und auch seine Familie. Sie haben mir sehr geholfen.« Cole verstummte, und ich betrachtete ihn schweigend. Hinter diesen simplen Worten schien sehr viel mehr zu stecken, als es auf den ersten Blick schien. Das konnte ich an der Art, wie Cole sie ausgesprochen hatte und an seinem Gesichtsausdruck erkennen. Doch ich bohrte nicht weiter nach, sondern lächelte ihm zu. »Ich finde es schön, dass du mir mein neues Stammlokal gezeigt hast.«
Cole sah mich einen Moment lang überrascht an, dann lächelte er ebenfalls, und mein Herz schlug einen Purzelbaum. Verräterisches Herz.
Wir bestellten bei Luc, der höchstpersönlich unsere Bestellung aufnehmen wollte und uns anschließend versprach, ein paar Fragebögen unter die Gäste zu bringen. In der nächsten Stunde unterhielten Cole und ich uns über alltägliche Dinge. Ich erfuhr, dass er gerne Rap hörte, aber nicht aggressiven, sondern entspannten Rap. Er war, wie ich, ein Hundemensch, und seine Lieblingsserie war Suits. Ich versuchte ihn von meinen Lieblingsserien zu überzeugen, was mir nicht gelang, und Cole verriet mir, als das Essen erschien, dass er sich fast jedes Mal einen Salat dazu bestellte, um sich gesünder zu fühlen. Mir ging es ähnlich, nur, dass ich meistens Zitronenwasser wählte, um mein Gewissen zu entlasten. Tatsächlich schmeckten mir die meisten gesunden Lebensmittel, was Cole mir nicht glauben wollte. Er hatte im Gegensatz zu mir und meinem leichten Heuschnupfen keine Allergien, war dafür aber früher mit einem schlechten Immunsystem gestraft worden.
Als Luc uns schließlich Nachtisch brachte, beugte Cole sich vor.
Ich betrachtete den Schwung seiner Brauen, das tiefe Braun seiner Augen und senkte den Blick, bevor ich mich in ihnen verlieren konnte. Die Aussicht auf seine angespannten Unterarme, mit denen er sich auf dem Tisch abstützte, machte es nicht unbedingt besser. Ich versuchte mich auf das heruntergefallene Brotstückchen auf dem Boden einen Tisch weiter zu konzentrieren, um meinen Herzschlag wieder zu beruhigen.
»Wir haben heute übrigens noch was vor. Das Essen war erst der Anfang.«
»Ach ja?« Mit klopfendem Herzen sah ich auf, streifte Coles aufmerksamen Blick und betrachtete dann den großen Ahornbaum in seinem Rücken. Ich hatte mir schon gedacht, dass Cole nicht nur zum Essen hier rausgefahren war, doch ich unterdrückte meine Neugier, um mich um meine überquellenden Gefühle zu kümmern.
Cole lehnte sich zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und neigte mit einem irritierten Gesichtsausdruck den Kopf. »Willst du gar nicht fragen was es ist?«
Ich blinzelte amüsiert und trank den letzten Schluck meines Wassers. »Du würdest es mir doch eh nicht sagen, oder?«
Coles Mundwinkel zuckten. »Nö.«
Ich hob vielsagend die Hände und musste ebenfalls grinsen. »Ja hä?«
Er schob schmollend die Unterlippe vor. »Wenn du nachfragst, würde ich mich besser fühlen!«
Ich starrte ihn einige Sekunden perplex an, dann beugte ich mich vor und stützte mich mit den Ellenbogen auf dem Tisch ab. »Sag mal Cole, wo gehen wir denn gleich eigentlich noch hin?«
Das zufriedene Grinsen auf seinem Gesicht bei seinen nächsten Worten brachte mich zum Lachen. »Das wirst du noch erfahren!«
Ich lehnte mich zurück und schüttelte grinsend den Kopf. »Fühlst du dich jetzt besser?«
Cole sah mich direkt an. Ich fuhr mir mit der Zunge über meine Lippen und sein Grinsen verblasste minimal, als sein Blick von meinen Augen nach unten zuckte. Der Ausdruck in seinen Augen schien dunkler zu werden, je länger wir den Blickkontakt hielten. Mein Mund war staubtrocken, und ich musste schlucken. Himmel! »Viel besser.«
Ich wusste nicht, ob ich es mir nur eingebildet hatte, doch Coles Stimme klang ein wenig heiserer als zuvor.
༺
Eine halbe Stunde später erfuhr ich, was Coles große Überraschung war. Wir waren mit seinem Wagen einer schmalen Straße gefolgt, die uns um den Berg herum geführt hatte. Hinter dem großen Parkplatz, auf dem neben Coles Jeep noch etwa ein Duzend weitere Autos standen, erhob sich eine gigantische Seilbahnkonstruktion. Die einzelnen Gondeln schwebten in gleichmäßigen Abständen in die Höhe und verschwanden irgendwann in der Ferne.
Begeistert drehte ich mich zu Cole um, der am Auto lehnte und mit dem Schlüssel in einer Hand spielte. »Ich bin noch nie Seilbahn gefahren!«
Er grinste und stieß sich von dem Wagen ab, den er mit einem Knopfdruck abschloss. »Sonst wäre ich auch sauer gewesen.«
Ich verdrehte die Augen. »Dann fühlst du dich jetzt bestimmt noch besser, oder?«, wiederholte ich meine Worte von vorhin, was ihm ein leises Lachen entlockte. »Korrekt.«
Wir passierten den Eingang, nahmen unsere Karten entgegen, und fünf Minuten später schwebten wir über dem Boden. Die Gondel, in der wir saßen, war verglast und bot einen gigantischen Blick über unzählige Häuser, die, wie hinter dem Restaurant, am Hang der Berge standen. Mit jedem Meter den wir höher stiegen, hatten wir eine bessere Sicht auf den Rest der Stadt. In der Ferne waren die Hochhäuser der Innenstadt zu sehen, unter uns die bunten Dächer der Häuser, und zu unserer Rechten breiteten sich weitere Berge, Wälder und vereinzelt stehende Hütten aus.
Wehmut stieg in mir auf. Ich hatte das Gefühl, mit Cole all das zu erleben, was ich mit meiner Familie in meiner Kindheit verpasst hatte. Wie gerne wäre ich früher an der Hand meiner Eltern in solch eine Gondel gestiegen, hätte mit ihnen die Umgebung betrachtet und versucht, unser Haus zu finden. Doch das war mir verwehrt geblieben. Wie viele andere Dinge.
»Grace?«
Ich wandte den Blick schweren Herzens von der Landschaft ab und sah zu Cole, der mir gegenüber saß und mich beobachtete. Ich wollte die gute Stimmung nicht verderben, deswegen lächelte ich und machte eine umfassende Handbewegung. »Erst der Bunker, jetzt die Seilbahn. Kann es sein, dass du Höhe magst?«
Cole neigte amüsiert den Kopf. »Ich wohne zwar gerne in der Stadt, aber machmal ist mir dort alles zu voll. Dann fahre ich gerne hierher und betrachte alles von oben. Man kann alles überblicken, ist nicht an einem andere Ort, aber hat trotzdem diese Ruhe, die es inmitten der Stadt nie geben wird.«
Ich nickte langsam und meine Gedanken wanderten zurück zum Bunker. Dort oben hatte ich mich seltsam frei gefühlt. Frei von Problemen, Verpflichtungen und meinem Leben. Ich hatte Luft zum durchatmen gehabt und war für einen Moment von allem abgeschottet gewesen. Ich betrachtete Cole und runzelte die Stirn. Eine Frage brannte mir auf der Zunge. »Wieso zeigst du mir das alles, wenn es dir so wichtig ist?«
Cole zuckte schmunzelnd mit den Schultern. »Naja, unser letzter offizieller gemeinsamer Arbeitstag sollte ja irgendwie besonders sein, oder?«
Seine Worte ließen mich für einen Moment erstarren. In Gedanken ging ich die letzten Wochen durch. Cole hatte recht. Während wir mit unserem Projekt für den Soziologieunterricht fast durch waren, hing ich mit dem Stoff in meinen anderen Kursen umso mehr hinterher. Schon der Gedanke an alle anstehenden Arbeiten, Klausuren und Lernzettel, die ich durcharbeiten musste, wurde mir übel.
Nur das Projekt mit Cole würde meine Note retten. Zumindest in Soziologie. Cole und ich hatten, bis auf ein paar wenige Fragebögen zu diesem Stadtrandgebiet, alle Viertel, die wir uns rausgesucht hatten, abgearbeitet. Jetzt fehlte nur noch die Ausrechnung und der Schluss. Und dafür mussten wir uns nicht treffen.
Mit einem Mal wurde mir schwer ums Herz. Wie würde es weiter gehen? Trafen wir uns das nächste Mal im Soziologiekurs und kannten uns nicht mehr? Würden wir weiterhin miteinander reden, aber nur in der Uni? War aus unserer Kommilitonenbeziehung Freundschaft geworden? Oder wünschte ich mir nur, dass es so war? Auch, wenn ich es wollte, konnte ich immer noch nicht ganz glauben, dass Cole mich einfach so als Projektpartnerin ausgewählt hatte. Doch hatte er jemals Anstalten gemacht, etwas anders zu wollen, als nur mit mir zusammen zu arbeiten? Ich konnte mich nicht erinnern.
»Das ist doch ein guter Abschluss«, stimmte ich ihm mit etwas Verspätung zu und musste mich räuspern, um den Klos in meinem Hals loszuwerden.
Cole betrachtete mich einen Moment, dann beugte er sich ein wenig vor. »Ich hoffe doch mal, dass das kein Abschluss ist.«
Mein Herz machte einen Satz, der Klos in meinem Hals löste sich, und ein leichtes Gefühl machte sich in meiner Magengegend breit. Auch, wenn er es nicht wusste, bedeuteten mir Coles Worte in diesem Moment unglaublich viel.
Er lehnte sich wieder zurück und grinste. »Gib es zu, so schlimm war Soziologie mit mir gar nicht!«
»Nein, du hast es wirklich unglaublich erträglich gemacht!«, schwärmte ich übertrieben, und Cole lachte, bevor er den Blick aus dem Fenster gleiten ließ. »Das dachte mich mir.«
Den Rest der Fahrt verbrachten wir schweigend. Doch es war ein angenehmes Schweigen. Wir nahmen den Ausblick in uns auf und sahen der Sonne dabei zu, wie sie sich in der Ferne immer weiter Richtung Horizon senkte. Ich hatte mich lange nicht mehr so gefühlt, wie in diesem Moment, in Coles Gegenwart, in unserer Gondel, über der Stadt. Glücklich und frei.
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--- Seid ihr schon mal Gondel gefahren? 👀
--- Könnt ihr Ski/ Snowboard fahren? ✨
Übrigens S O R R Y , dass so lange kein Kapitel mehr kam! 😫❤️
Irgendwie sind die letzten Tage so schnell vergangen, und da so gutes Wetter war, war ich viel draußen und habe wenn, dann nur an meinem neuen Projekt geschrieben und nicht die nächsten Kapitel von »Nobody Gotta Know« überarbeitet 😅 Aber ich versuche ab jetzt wieder so alle drei Tage zu updaten ❤️✨
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