Kapitel 16 - Das Herz der Stains




[COLE]

Es fiel mir schwer meine gereizte Stimmung zu unterdrücken, als ich neben Grace den dunklen Gehweg entlanglief. Viel zu viele negative Gedanken jagten mir durch den Kopf und drängten sich in den Vordergrund. Nach wie vor war Joel verbissen dabei, denjenigen zu finden, der für den Hinterhalt vor drei Tagen verantwortlich gewesen war und uns zu dem Altersheim statt der Party geführt hatte. Doch bis jetzt ohne Erfolg.

Jacob hatte sich nur einmal blicken lassen, um die überarbeiteten Motorräder abzuladen, welche selbst ich nicht mehr als unsere identifizieren konnte. Auch, wenn mein Ärger über ihn nicht verflogen war, schätzte ich seine Mitarbeit sehr.

Zac hingegen verbrachte nach der Veranstaltung seines Vater mehr Zeit in der Fabrik, als sonst wo anders. Es war unmöglich, meine Sorgen um ihn zu verdrängen, doch er blockte jedes Gespräch in die Richtung ab und überspielte alles mit seiner guten Laune.

Ich unterdrückte ein Seufzen und sah nach rechts zu Grace. Wenn sie mir meine miese Laune ansah, ließ sie es sich nicht anmerken. Ihre roten Haare wurden alle paar Meter von den Straßenlaternen erhellt, über ihrer Schulter hing ihr Rucksack, und die weite Jeansjacke brachte das Grün ihrer Augen noch mehr zur Geltung. Sie hob den Kopf und sah mich amüsiert an. »Komm schon, langsam kannst du mir verraten, wieso wir unsere Befragung in den Stains so unbedingt in der Nacht und...« sie machte eine ausladende Bewegung. »... hier abhalten müssen.«

Ich musste über ihre Frage schmunzeln. Sie hatte sie mir diesen Abend nicht das erste Mal gestellt. In den letzten Tagen war ich mit unserem Fragebogen in dem von älteren Menschen besiedelten Viertel Grousburn unterwegs gewesen, während Grace sich um ein Neubaugebiet gekümmert hatte. Wir hatten uns jedoch vorgenommen, die Umfrage in den Stains gemeinsam durchzuführen. Ich wusste selbst nicht wieso, doch irgendwie hatte ich das Gefühl, dieser Stadtteil verband uns. Auch, wenn das vollkommen bescheuert klang.

Bei dem Gedanken an die Gegend, durch die wir liefen, beschlich mich jetzt jedoch ein erdrückendes Gefühl. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, wenn ich alleine hergekommen wäre. Zum einen war der Ort, zu dem wir gingen, nicht ungefährlich, zum anderen verband ich mit den Stains Erinnerungen, die nach wie vor schwer auf mir lasteten. So schwer, dass es manchmal hart war, sie vor der Außenwelt zu verbergen. Sie vor Grace zu verbergen.

»Cole?«

Ich verbannte alle düsteren Gedanken und schenkte ihr ein verschmitztes Lächeln. »Du wirst schon noch sehen, wohin wir gehen. Stopp, hier links.« Ich ließ Grace den Vortritt in die schmale Gasse, welche von der Straße abging, der wir bis eben gefolgt waren. Ich folgte ihr in den schmalen Hausdurchgang und passte mich ihrem Schritt an, sodass wir auf einer Höhe waren. Die Hauswände waren brüchig, auf dem Boden lag abgebröckelter Putz und Müll. Der nächtliche Verkehr war in den Hintergrund gerückt, und unsere Schritte wurden von dem verschmutzten Boden gedämpft.

»Langsam wird's gruselig«, murmelte Grace neben mir, doch ich hörte die Belustigung aus ihrer Stimme heraus, und ich musste schmunzeln. Aufmerksam behielt ich die Umgebung im Auge. Die Gebäude wurden mit jedem Meter älter, die Autos weniger und die Straßen verwahrloster. Viele Menschen sahen in den Stains das ärmste Viertel Temporal Citys, doch nur die wenigstens drangen anschließend bis hier hin vor. Wir befanden uns jetzt im Herzen der Stains.

Wie ich vermutet hatte, war Grace noch nie hier gewesen, denn sie sah sich interessiert um und nahm alles in sich auf. Ich versuchte, die Situation durch ihre Augen zu sehen. Ein Mitstudent hatte vorgeschlagen, das Uniprojekt mitten in der Nacht in der gefährlichsten Gegend der Stadt durchzuführen, und führte sie nun, ohne weitere Erklärungen, durch verlassene Gassen und leere Straßen. Trotzem wirkte sie sehr entspannt in meiner Gegenwart. Ob mich das beruhigte oder beunruhigte, wusste ich nicht.

»Wir sind da«, verkündigte ich und blieb vor einem Maschendrahtzaun stehen. Ich war lange nicht mehr hier gewesen, doch ich war mir ziemlich sicher, dass sich nichts verändert hatte. Egal wie sehr sich die Welt weiterentwickelte, hier blieb die Zeit stehen.

Ich fuhr mit den Fingern an dem mit Pflanzen bewachsenen Zaun entlang und hielt inne, als ich das Loch im Maschendraht fand. Ich machte eine einladende Bewegung, und mit einem belustigten Blick in meine Richtung beugte Grace sich ohne zu zögern vor, und kletterte geschickt durch die Öffnung. Ich folgte ihr und achtete darauf, dicht hinter ihr zu bleiben, als sie sich auf der anderen Seite interessiert umsah. Wir befanden uns auf einer großen Betonfläche, die größtenteils von Gestrüpp überwuchert war. In etwa 50 Meter Entfernung ragte ein dunkler Schatten in den Himmel auf, der sich von der Fläche abhob. Ich bedeutete Grace mir zu folgen, und mit jedem Schritt, den wir uns im Mondlicht dem Gebäude näherten, wurden dumpfe Stimmen und der Bass von Musik lauter.

Wir steuerten die große Metalltür an, welche sich auf der Vorderseite des Gebäudes befand. Unter Graces aufmerksamem Blick öffnete ich die quietschende Tür und trat hindurch. Sogleich wurde ich mit einem erfreuten Ausruf begrüßt, während mir der Geruch von altem Gemäuer, Feuchtigkeit und abgestandener Luft entgegenschlug.

»Cole! Dass du dich noch mal blicken lässt Alter, freut mich!« Ich drehte mich um und erblickte Torge, der seit meinem ersten Besuch hier Türsteher war und mich ehrlich erfreut angrinste.

»Freut mich auch.« Ich erwiderte seinen festen Handschlag und warf einen Blick hinter ihn in das Innere des Gebäudes. In der großen Halle drängten sich viele Menschen an den langen Tischen, welche in gleichmäßigen Abständen aufgereiht standen, und mit Antiquitäten, Klamotten und weiteren Schätzen bedeckt waren.

»Was führt dich... euch her?« Er warf Grace einen fragenden Blick zu, und ich kam ihr schnell zur Hilfe, als ich sah, wie überrumpelt sie dreinblickte.

»Können wir dir ein paar Fragen stellen? Ist für ein Uniprojekt.« Ich reichte Torge einen unserer Fragebögen aus meinem Rücksack, auf den er einen flüchtigen Blick warf. Er wirkte mit seinem Vollbart und der stämmigen Statur auf den ersten Blick furchteinflößend, doch wenn man ihn näher kannte, wusste man, dass er sein Herz am rechten Fleck hatte. »Klar, aber jetzt habe ich keine Zeit, sonst rennen mir die Leute die Bude ein. Lasst den Zettel hier, dann fülle ich ihn aus. Könnt ihn später wieder abholen.«

»Perfekt, danke!« Bevor die vier Typen, die ungeduldig auf den Einlass warteten, uns umrennen konnten, zog ich Grace mit einer sanften Bewegung von dem Eingang weg. Ich führte sie an den Rand der Halle, wo nicht so ein großer Trubel herrschte, und sah sie prüfend an. Grace fuhr mit der Hand über die raue Betonwand des Bunkers, welche gut und gerne vier Meter dick war.

»Wow, was ist das hier?«, fragte Grace mit ehrfürchtiger Stimme und blickte sich mit großen Augen um, bevor sie einige Schritte in Richtung des ersten Verkaufstisches lief.

»Früher hat dieser Hochbunker als Schutz für die Bevölkerung gedient, jetzt ist er das Herz der Stains. Dir wird es gefallen«, murmelte ich und legte schützend eine Hand auf ihren Rücken. Für einen Moment hatte ich das Gefühl, sie würde sich der Berührung entgegen lehnen, doch in der nächsten Sekunde wurde ich angerempelt, und war mir sicher, mir ihre Bewegung nur eingebildet zu haben. Seit dem Kuss in der Küche, den ich bewusst verdrängte, bemühte sich Grace um eben den unbeschwerten Umgang, mit dem sie mir ganz am Anfang begegnet war. Und das ist gut so, redete ich mir ein, als sie den Kopf hob und mich überrascht ansah. »Wieso weiß ich nichts von diesem Bunker?«

»Außerhalb der Stains ist er nicht sonderlich bekannt. Erst sollte das Gebäude für touristische Zwecke genutzt und dann abgerissen werden. Aber die Bewohner haben sich dafür eingesetzt, dass nichts dergleichen passiert. Jetzt steht er seit Jahren unter Denkmalschutz und relativ legal den Einwohnern für Veranstaltungen zur Verfügung. Hier kennt fast jeder jeden«, führte ich meine Erklärung fort, während wir uns einen Weg durch die Menschen bahnten. »Die Leute helfen sich gegenseitig. In dieser Halle wird alles verkauft, was vom ehemaligen Besitzer nicht mehr gebraucht wird. Wie ein Nachtflohmarkt. Außerdem gibt es hier noch so etwas wie eine Disko, einen Billardraum, und zu dem Highlight kommen wir später noch.«

»Krass. Sah von außen eher wie ein Ort aus, an dem illegale Machenschaften abgewickelt werden«, grinste Grace und beugte sich vor, um eine Jeansjacke an einem der Stände zu begutachten. Augenblicklich schwenkte mein Blick zu der unscheinbaren Tür an der rechten Seite des Bunkers. Ich verschwieg Grace, dass sie mit ihrem erster Eindruck richtig gelegen hatte, denn ich hatte nicht vor, ihr diese Seite zu zeigen. Oder womöglich dafür zu sorgen, dass die Info irgendwie an ihren Vater gelangte.

Wir gingen weiter, schlenderten vorbei an Ständen mit altem Geschirr, Schallplatten und abgenutzt aussehenden Geräten, sowie Antiquitäten, Schmuck und Zeitschriften. Hin und wieder sah ich einige bekannte Gesichter, beschränkte meine Begrüßung mit Grace an meiner Seite jedoch nur auf ein Kopfnicken. Dies gelang mir, bis wir am anderen Ende des Bunkers angekommen waren und mich eine Stimme aufsehen ließ.

»Cole, mein Junge!«

Ich wandte mich suchend um, bis Grace mich anstupste und auf eine alte Frau deutete, die einen Stand weiter mit wilden Gesten auf sich aufmerksam machte. Während ich in meinem Gedächtnis noch nach dem Namen der Dame suchte, umrundete sie bereits den Tisch und zog mich in eine feste Umarmung. Der Geruch von Tinte und altem Pergament schlug mir entgegnen, und ihre grauen Haare kitzelten mich am Hals. Die alte Frau war mit ihrer gekrümmten Haltung um einiges kleiner als noch vor ein paar Jahren, und ich musste den Kopf senken, um sie ansehen zu können. Die krumme Nase, das spitze Kinn, die weiten Klamotten - Sally, das war ihr Name, fiel es mir wieder ein, als sie mit ihren Fingern meine Arme umklammert hielt und mich mit ernstem Blick aus blassblauen Augen musterte. »Ich dachte schon, du kommst nie wieder! Wie geht es dir? Ich habe gehört, was damals passiert ist. Es tut mir so leid, mein herzliches Beileid.«

Verdammt.

Ich erstarrte bei ihren Worten und erwiderte nichts, während meine Muskeln sich anspannten. Sie runzelte die Stirn und sah zu Grace, bevor sie sich langsam wieder mir zu wandte. Ich konnte an ihren erschrockenen Blick erkennen, dass sie verstanden hatte, was gerade passiert war.

»Mir geht es gut, danke«, presste ich schließlich hervor, und Sally warf mir erneut einen zerknirschten Blick zu. Hastig deutete sie mit einer Handbewegung auf ihren mit Büchern beladenen Tisch und sah erneut zu Grace, dieses Mal herzlich lächelnd. »Willst du dich mal umschauen, Liebes? Ich bin übrigens Sally.«

Ich atmete tief durch, dann blickte ich ebenfalls zu Grace. Sie lauschte den weiteren Worten von Sally, doch als sie meinen Blick spürte, sah sie kurz auf und lächelte mich aufmunternd an. Ich konnte die Fragen, die ihr buchstäblich ins Gesicht geschrieben standen, deutlich sehen, obwohl sie sie so gut es ging verbarg.

Ich hatte inzwischen das Gefühl, aus Grace lesen zu können, wie aus einem offenen Buch. Doch ich konnte ihr keine Antworten auf ihre unausgesprochenen Fragen geben. Ich erwiderte gezwungenermaßen das Lächeln und sah mich dann, immer noch angespannt, in der Halle um. Ich wollte nicht von noch mehr Personen überrascht werden.

Mein Blick blieb an der Tür, die in die unteren Ebenen des Bunkers führte, hängen, und ich stutzte. Der stämmige Typ, der gerade im Begriff war sie zu öffnen, kam mir bekannt vor. Viel zu bekannt.

Er drehte sich um, und ich sog scharf die Luft ein, als ich Jacob erkannte. Verdammt, was machte er hier? Vielmehr, wieso befand er sich auf dem Weg in den illegalen Trakt des Gebäudes? Als hätte er meinen Blick gespürt, hob Jacob den Kopf und sah mich über die anderen Menschen hinweg an. Seine dunklen Augen schienen in dem schwachen Licht zu schimmern, während er mich anstarrte.

Ich wandte den Blick ab und sah hastig zu Grace, die sich immer noch mit Sally unterhielt. Vor ihnen, auf den zerfledderten Büchern und Dokumenten, lang einer unserer Fragebögen. Ich rang einige Sekunden mit mir, bevor ich die nächsten Worte aussprach. Der Gedanke daran, Grace hier alleine zu lassen, behagte mir ganz und gar nicht. Doch ich musste wissen, was Jacob hier trieb. Und ich musste verhindern, dass Grace auf Jacob traf. Oder noch schlimmer, anders herum. »Ich habe gerade jemanden gesehen, den ich kenne...«

Bevor Grace antworten konnte, nickte Sally mir zu. In ihrem Blick konnte ich Schuldbewusstsein erkennen. Wahrscheinlich fühlte sie sich immer noch schlecht, weil sie mich Minuten zuvor in eine unangenehme Situation gebracht hatte. »Geh ruhig, wir haben alles im Griff.« Ich warf ihr einen dankbaren Blick zu, bevor ich Grace ansah. Sie erwiderte meinen Blick und lächelte. »Kein Problem, bis gleich.« Erleichtert atmete ich durch und konnte es mir nicht verkneifen, sanft ihre Schulter zu berühren, bevor ich mich mit schnellem Schritt durch die Menge drängte.

Ich atmete erneut tief durch und versuchte, mich zu beruhigen. Es hätte mir klar sein müssen, dass die Menschen hier etwas von dem Vorfall vor fünf Jahren mitbekommen hatten. Sie hatten uns gekannt, sie hatten sie gekannt, und tragische Geschichten verbreiteten sich in den Stains wie ein Lauffeuer. Doch trotzdem hatte ich nicht damit gerechnet. Und ich war nicht darauf vorbereitet gewesen.

Ich hob den Blick und sah Jacob, der nur noch wenige Meter entfernt neben der Tür lehnte und mir mit undurchdringlicher Miene entgegenblickte.

»Was machst du hier?«, begrüßte ich ihn, als ich einen betrunkenen Mann umrundet hatte und vor ihm zum Stehen kam. Meine Stimme klang lauter als beabsichtigt.

Jacob nickte zu Grace herüber. Er war, im Gegensatz zu mir, die Ruhe selbst. »Was macht die hier?«

Ich folgte seinem Blick und drehte Jacob kurzerhand herum, sodass ich Grace über seine Schulter hinweg im Blick behalten, sie ihn aber nicht mehr von vorne sehen konnte. »Wir arbeiten.«

Jacob lachte spöttisch. »Ich auch. Allerdings richtig. Aber gut, dann hätten wir das ja geklärt.« Er wollte sich abwenden, doch ich hinderte ihn mit einem Griff an dem braunen Pulli daran. Seine dunklen Augen, welche in diesem schwachen Licht schwarz wirkten, funkelten zornig. »Verdammt, was willst du?« Seine rauchige Stimme ging in dem lauten Geräuschpegel unter, doch trotzdem hatte ich jedes seiner Worte verstanden. »Ich will die Wahrheit wissen«, stieß ich hervor, während mein Griff automatisch fester wurde.

»Das ist die Wahrheit.« Jacob starrte mich an und machte einen Schritt in Richtung der Tür in meinem Rücken, während ich ihn unentwegt musterte. Schließlich hob er entnervt die Arme. »Ich hab gehört, dass es hier eventuell Informationen über Lane gibt. Zufrieden?«

Ungläubig lachte ich auf. »Ähm nein? Wieso weiß ich davon nichts?«

»Ach, interessiert dich neuerdings doch noch etwas anderes außer der

Ich ignoriertere Jacobs Anspielung auf Grace und ließ ihn nicht aus dem Augen. »Hättest du uns davon erzählt, wenn ich dich nicht hier getroffen hätte?«

Jacobs Schweigen war Antwort genug. Ich schnaubte. Immerhin war er ehrlich.

»Ich hätte etwas gesagt, wenn ich gleich Erfolg habe«, sagte Jacob und hob die Augenbrauen, während er mich musterte. »Also dann, ich hab zu tun und du solltest besser wieder zu deiner Perle gehen. Nicht, dass ihr hier noch was passiert.« Er zwinkerte mir zu und ging an mir vorbei, ohne dass ich ihn aufhielt.

In mir kochte die Wut, und ich war hin und hergerissen zwischen der Entscheidung, Jacob zu folgen, oder in Graces Nähe zu bleiben. Er hatte recht. Sally war zwar nicht gefährlich, doch das hieß nicht, dass die restlichen Besucher des Bunkers genauso drauf waren. Vor allem die, die auf dem Weg in die untere Etage waren.

Ich griff nach meinem Handy und informierte Joel über das Zusammentreffen mit Jacob im Bunker. Ich hatte keine Ahnung, ob ihm diese Information etwas brachte, doch wenn jemand die Möglichkeit hatte, Jacob jetzt noch zu überwachen, dann er. Ich verspürte das ungute Gefühl, Jacob zu hintergehen. Aber hatte er das nicht schon längst mit uns gemacht? Frustriert machte ich mich auf den Weg zurück zu Grace. Trotzdem fiel es mir schwer, das Gespräch mit Jacob zu verdrängen. Hatte er tatsächlich etwas über Blade Lane gehört? Oder war das nur eine Ausrede gewesen? Ich hätte einfach alleine herkommen müssen.

Als ich wieder bei Grace eintraf, bemühte ich mich um einen neutralen Gesichtsausdruck. Sie sah augenblicklich von dem ausgefüllten Fragebogen auf und blickte mich aufmerksam an. »Alles okay?«

Ich nickte knapp und deutete auf den Zettel. »Können wir weiter?«

Wir verabschiedeten uns von Sally und beendeten unseren Rundgang in der ersten Halle. Während Grace ungefragt den Part mit den Fragebögen übernahm und einige von ihnen ausfüllen ließ, zwang ich mich dazu, nicht jede Sekunde auf mein Handy zu starren, um nach einer Antwort von Joel zu schauen. Die, bis jetzt, noch nicht gekommen war.

Als Grace mit einem kleinen Stapel Blätter vor meinem Gesicht herumwedelte, riss ich mich von meinem Handy los und schob es nachdrücklich in die Hosentasche. »Tut mir leid, dass ich so abgelenkt bin.«

Grace schien darauf zu warten, dass ich noch etwas hinzufügte, doch als ich es nicht tat, lächelte sie. »Kein Problem. Also was wolltest du mir noch zeigen?«

Ich brauchte einen Moment, um mich an meine Worte zu erinnern, doch dann durchfuhr mich ein Ruck, und ich griff automatisch nach ihrer Hand. »Siehst du gleich.« Mit einem letzten Blick durch die Halle auf der Suche nach Jacobs schwarzem Haarschopf, zog ich Grace durch die Menschenmenge hinter mir her. Wir gingen auf der linken Seite des Bunkers durch eine Tür hindurch, welche einige Sekunden später mit einem leisen Knacken hinter uns ins Schloss viel. Sie dämpfte automatisch das Stimmengewirr, und zurück blieb eine angenehme Stille.

Schweigend stiegen wir die Treppe hinauf, deren Stufen in Stein gehauen und ein wenig uneben waren. Da Grace meine Hand am Eingang der Tür losgelassen hatte, steckte ich meine in die Hosentaschen, um nicht in die Versuchung zu kommen, mein Handy erneut herauszuholen.

»Wir sind fast da«, informierte ich Grace nach einigen endlosen Treppenstufen und warf einen kurzen Blick über meine Schulter. Sie hatte den Blick auf den Boden gerichtet, und ich beeilte mich, weiter zu gehen, bevor wir uns wieder zu nahe kamen. Einen Absatz weiter oben öffnete ich eine schwere Tür und trat in die kühle Frühlingsnacht hinaus. Frische Luft empfing mich und führte mir vor Augen, wie stickig es im Bunker gewesen war.

»Wow.«

Ich wandte mich um und beobachtete Grace, während sie an mir vorbeilief und an die Begrenzungsmauer des Bunkers trat. Über uns leuchteten die wenigen Sterne, welche man am Nachthimmel, trotz der vielen Lichter der Stadt, erkennen konnte. Ich atmete tief durch, dann gesellte ich mich zu Grace, die über die Mauer hinweg in die Tiefe starrte. Wir befanden uns in etwa 40 Meter Höhe. Der Blick über die Stadt war atemberaubend. Überall leuchteten Lichter, weiß, blau, grün, gelb und rot. Das überwältigende Gefühl, welches ich hier früher immer verspürt hatte, war zurückgekehrt. Ich stützte mich mit den Armen auf der Mauer ab und sah zu Grace. »Na, was sagst du?«

»Unglaublich schön«, erwiderte sie mit ehrfürchtiger Stimme und ließ den Blick über die Stadt wandern. »Da müsste das Selfdefenders sein.« Sie deutete wage in eine Richtung, und ich grinste amüsiert. »Mhm. Bestimmt.«

Sie hob fragend den Blick und gab mir einen leichten Klaps, als sie meinen belustigten Gesichtsausdruck sah. Ich musste lachen und lehnte mich seitlich an die Mauer. »Lauf doch mal eben hin und gib Lichtzeichen, dann kann ich dir sagen, ob wenigstens die Richtung gestimmt hat.«

»Gut, dann springe ich aber hier runter. Diese Treppen laufe ich nicht noch dreimal rauf und runter.« Grace grinste, stützte sich auf der Mauer ab und deutete einen Sprung an.

Ich betrachtete sie amüsiert, und plötzlich fanden meine Hände wie von alleine ihren Weg an ihre Taille, um sie zurückzuziehen. Sie sah fragend zu mir auf, und ich schluckte schwer.

»Lass das mal lieber«, murmelte ich, und war mir bei unserem intensiven Blickkontakt nicht mehr sicher, ob ich die Worte laut aussprechen konnte. Wir waren uns plötzlich nahe, viel zu nahe, und der Blick, den sie mir zuwarf, traf mich direkt ins Herz.

Oh, verdammt.

Alle Geräusche um uns herum schienen zu verblassen. Graces Augen hatten diesen unbeschreiblich schönen Grünton, ihre Haare leuchteten im Mondlicht wie Kupfer und ihre Lippen schienen mich in ihren Bann zu ziehen.

Nein. Du darfst sie nicht noch mehr ausnutzen, wisperte eine Stimme in meinem Hinterkopf, im selben Moment, in dem Grace blinzelte. Bevor ich etwas unternahm, was ich später bereuen würde, was wir beide bereuen würden, wie beim letzten Mal, trat ich einen Schritt zurück. Graces Hand, welche auf wundersame Weise ihren Weg zu meiner Brust gefunden hatte, verharrte zwischen uns in der Luft. Ich wich ihrem Blick aus, lehnte mich an die Umrandung des Bunkers, und für einen Moment verspürte ich das Verlangen, hinunter zu springen. Vielleicht würde der Aufprall mir helfen, zu verstehen, warum ich Grace all das antat.


____________________

Huhuuu 🦦,

Ich hoffe euch hat das Kapitel gefallen! ❤️

Kleine Zwischenfrage, da ihr Cole ja jetzt schon relativ gut kennt - Könnt ihr eigentlich sein Verhalten nachvollziehen? Oder findet ihr er handelt komplett falsch? (Im Bezug auf Grace und insgesamt) 🤔

Dadurch, dass ich aus seiner Perspektive geschrieben habe, habe ich sein Verhalten voll nachvollziehen können... - aber ich weiß ja auch ein wenig mehr als ihr 👀🤫

Ich wünsche euch noch ein schönes Wochenende, und bis bald! ✨

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top