Kapitel 12 - Vergessen wir es einfach




[COLE]

»Fuck!« Ich stützte mich auf das Waschbecken, in dessen Abfluss gerade das restliche von meinen Händen gewaschene Blut verschwand, und starrte meinem Spiegelbild entgegen. In diesem Moment hätte ich den Typen, den ich dort erblickte, gerne ebenfalls geschlagen.

Wieso zum Teufel war ich nur in diesen Club gegangen? Was hatte ich mir dabei gedacht?

»Cole? Was ist passiert.«

Ich wandte mich fluchend um, als Lucs Stimme in meinem Rücken ertönte, und sah ihn einen Augenblick später in der Badezimmertür stehen. Seine Haare waren zerzaust, und er trug nur Boxershorts und Shirt. Seinem verschlafenen Blick nach zu urteilen, hatte ich ihn aufgeweckt.

Na super.

Ich stieß mich von dem weißen Keramik ab und schüttelte den Kopf. »Nichts, alles gut.« Ich machte Anstalten an ihm vorbei das Bad zu verlassen, doch er versperrte mir den Weg und sah mich unverwandt an. »Was. Ist. Los.«

Ich erwiderte seinen Blick einen Moment, dann wandte ich mich ab und fuhr mir aufgewühlt durch die Haare. Es war früh, ich hatte die letzen Nächte nur wenig geschlafen, und in ein paar Stunden kam Grace vorbei, um mit mir zusammen das Projekt zu beginnen.

Bei uns in der Wohnung.

Ein großartiger Start ins Wochenende.

Widerwillig drehte ich mich zu meinem besten Freund, der mit verschränkten Armen im Türrahmen lehnte. »Grace und ich sind auf dem Rückweg einer Gruppe Idioten begegnet. Sie haben Grace blöd angemacht, und dann habe ich sie möglicherweise ein wenig zu schnell umgehauen. Alleine.« Der Gedanke an die drei ließ meine Wut erneut aufkochen. Ich hatte große Mühe gehabt, mich zu beherrschen. Und das war kein gutes Zeichen. Es ärgerte mich, dass ich so unprofessionell reagiert hatte. Ich musste mich immer unter Kontrolle haben, egal, ob es um eine unbekannte Person, meine Freunde oder Grace ging. Denn genau das war das Gefährliche daran, näheren Kontakt zu Menschen zu haben, die nichts von unserem Geheimnis wussten. Und eigentlich hatte ich das auch immer gut verhindern können. Bis jetzt.

Luc hob die Augenbrauen, und ich konnte sehen, wie es in ihm arbeitete. Ich wusste, dass er seine nächsten Worte mit Bedacht wählen würde. »Was hast du ihr gesagt?«

Ich seufzte frustriert. »Dass ich lange Zeit in einem Kampfverein war.«

»Und wie hat sie es aufgenommen?«

Ich zuckte die Schultern und schloss für einen Moment die Augen. Der Gedanke daran, dass ich Grace erneut belogen hatte, und nun die Gefahr bestand, dass sie Verdacht geschöpft hatte, machte mich verrückt. »Ich bin nicht sicher, wie lange sie mir diese Lügen abkauft. Oder wie oft. Es war ein Fehler sie nochmal zu treffen, verdammt!«

Ich ließ mich frustriert auf den Badewannenrand sinken, meine Hände ballten sich zu Fäusten. Das Bedürfnis auf etwas einzuschlagen, wuchs mit jedem weiteren Gedanken an das, was ich durch die Bekanntschaft mit Grace riskierte.

»Als Guardian? Vielleicht. Als Cole? Definitiv nicht.«

Ich hob den Kopf und sah zu Luc, der mich mit ruhiger Miene beobachtete. Ich fühlte mich unter seinem Blick wie unter einem Mikroskop. Er kannte mich leider viel zu gut und sah Dinge, die ich selber nicht wahrhaben wollte.

Nicht wahrhaben konnte.

Mit einer schnellen Bewegung erhob ich mich und verschränkte die Arme vor der Brust. Mit aller Kraft drängte ich das Gefühlschaos in meinem Inneren zurück. Ich musste mich zusammenreißen und einen klaren Kopf bewahren, sonst würde alles ein böses Ende nehmen. Und ich durfte mich nicht ablenken lassen. Von unserer Arbeit hingen Menschenleben ab. »Wie auch immer. Das Projekt werde ich beenden, und das war es dann. Bis wir fertig sind, werde ich versuchen etwas über die Ermittlungen ihres Vaters herauszufinden.«

Luc öffnete den Mund, doch bevor er mir widersprechen und meine gerade aufgerichteten Mauern niederreißen konnte, fuhr ich fort. »Sie kommt später vorbei. Ich konnte es ihr nicht ausreden, sonst hätte sie Verdacht geschöpft. Und ich habe ihr gesagt, dass auch Zola herzlich eingeladen ist. Um jegliche Zweifel zu beseitigen.« Gespannt auf die Reaktion meines besten Freundes musterte ich ihn, doch er sah mich nur fragend an. »Ist das dein Ernst?«

Ich nickte und trat auf ihn zu, um ihm auf die Schulter zu klopfen. »Da gab es eine Verbindung zwischen dir und Graces Freundin, das habe ich gespürt.«

Luc warf mir einen düsteren Blick zu. »Ja das glaub ich dir. Du spürst so einiges, wenn es etwas mit Grace Bowen zu tun hat.«

Als ich mit erhobenen Mittelfinger in meinem Zimmer verschwand, hörte ich Lucs leises Lachen noch durch die geschlossene Tür. Ich hatte ein gewaltiges Problem.

»Die Jungs wollten eigentlich heute vorbeikommen.«

Ich hob bei Lucs Worten alarmiert den Kopf und sah von den vor mir ausgebreiteten Unterlagen auf. Luc hob beschwichtigend die Hände. »Ich habe ihnen gesagt, dass du mit deinem Projekt beschäftigt bist.«

Ich nickte erleichtert und ließ mich zurück in die Polster sinken. Wir konnten das Risiko nicht eingehen, dass Grace auch noch den Rest der Guardians kennenlernte. Die Gefahr, dass sie womöglich Jacob wieder erkannte, war zu groß.

Als es an der Tür klingelte, verspannte ich mich automatisch. Ob es daran lag, dass ich Grace gleich sehen musste, oder  sehen würde, wusste ich nicht.

Luc betätigte, mit einem prüfenden Blick in meine Richtung, den Summer und öffnete unsere Wohnungstür. Ich erhob mich von der Couch und eine Minute später erschienen Grace und Zola in unserem offenen Flur. Als ich Graces fröhlichem Blick begegnete, spürte ich, wie ich mich noch mehr verspannte. Es fühlte sich merkwürdig an, sie in unserer Wohnung zu sehen. Doch hier gab es nichts, was darauf hindeutete, dass wir die Guardians waren.

Ich verdrängte das unwohl Gefühl, begrüßte erst Grace und dann Zola, bevor ich den beiden und Luc weiter in die Wohnung folgte. Grace sah sich aufmerksam um, während ihre beste Freundin mit einigen Einkaufstüten hinter Luc in der Küche verschwand, die von dem offenen Wohn - und Essbereich abgetrennt war.

Luc und Zola hatten angekündigt, dass sie, während wir »aufs Härteste arbeiten mussten«, wie Grace es ausdrückte, für das anschließende Essen sorgen würden.

»Ihr habt es echt schön hier«, sagte Grace mit einem Blick in meine Richtung und trat näher an die Fensterfront, durch die die benachbarten Hochhäuser zu sehen waren. Ich hatte tatsächlich großes Glück bei dem Kauf der Wohnung gehabt, und nur da mir durch meinen Vater Geld zur Verfügung stand, konnte ich hier leben. Auch, wenn es egoistisch war und ich mich dafür hasste, nutzte ich das Geld, sein Geld, bis ich mit meinem Studium fertig war und mein eigenes Leben aufbauen konnte. Neben meinem Studium und der Arbeit als Guardian hatte ich keine Zeit für einen bezahlten Job. Ich verdrängte die Gedanken an meinen Erzeuger und stellte mich neben Grace. »Ich mag sie auch.«

Sie hob den Kopf und lächelte mich an. Ich erwiderte die Geste gezwungen und mein Blick fiel auf ihre Hände, die ihren olivgrünen Rucksack umfasst hielten. Instinktiv griff ich nach ihren Armen und begutachtete ihre Handgelenke. Als ich spürte, wie sich ihr Puls unter meiner Berührung beschleunigte, musste ich mich zusammenreißen, um mich auf die Wunden zu konzentrieren. Dort, wo der Typ von letzter Nacht sie angefasst hatte, waren blaue Striemen auf ihrer hellen Haut zu sehen. Ich fluchte und atmete tief durch, um meine Schuldgefühle zurück zu drängen. Wäre ich schneller gewesen, hätte ich sie vor diesen Verletzungen bewahren können. »Tut mir leid, dass das gestern passiert ist.«

Grace schüttelte hastig den Kopf und löste ihren Arm mit sanftem Nachdruck aus meinem Griff. Widerwillig gab ich sie frei, ohne die Augen von den Andenken der letzten Nacht zu lassen.

»Alles gut, wirklich. Es ist traurig das zu sagen, aber irgendwann musste es ja mal passieren. Ich bin froh, dass du zu dem Zeitpunkt dabei gewesen bist.« Als würde sie spüren, dass sie mich mit ihren Worten nicht überzeugt hatte, hob Grace den Kopf und sah mich durchdringend an. »Wirklich.« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das ist in einer Woche nicht mehr zu sehen. Dafür weiß ich auch nach vielen Wochen noch, dass ich es einer Kampfmaschine wie dir zu verdanken habe, dass es nicht schlimmer ausgegangen ist.« Sie grinste mich an und ich schüttelte schmunzelnd den Kopf. Es war irgendwie süß, dass sie versuchte, mich zu beruhigen.

»Mögen hier alle Pilze?«, ertönte Lucs Stimme von nebenan und Grace und ich warfen uns einen amüsierten Blick zu, bevor wir beide bejahten.

»Perfekt, was anderes hättet ihr auch nicht sagen dürfen«, kam die Antwort zurück, und ich verdrehte grinsend die Augen.

Grace wandte sich um und sah zu dem Couchtisch, auf dem meine Unterlagen bereits darauf warteten, bearbeitet zu werden. Seufzend ließ sie sich in die Sofapolster fallen. Sie schien beinahe zwischen den vielen Kissen zu versinken. »Dann wollen wir die Höllenqualen mal beginnen.«

Ich setzte mich neben sie und warf ihr einen prüfenden Blick zu. »Was hast du eigentlich  gegen Soziologie?« Die Frage hatte mir schon von Anfang an auf der Zunge gebrannt. Auch, wenn der Lehrgang nicht zu meinen Favoriten zählte, fand ich das Gebiet unglaublich spannend und interessant.

Ertappt hob Grace den Kopf und wich meinem Blick aus, bevor sie die Schultern zuckte. »Es ist nur einfach nicht mein Lieblingsfach, das ist alles.«

Ich hob ehrlich interessiert die Augenbrauen. »Welches ist dein Lieblingsfach?«

»Marketing?« Obwohl ihre Antwort eher nach einer Frage als einer Aussage klang, hakte ich nicht weiter nach. Schon bei unserer ersten Begegnung hatte es so gewirkt, als wäre Grace nicht gerne in dem Kurs. Doch es war ihre Entscheidung, ob sie mir mehr davon erzählte, oder nicht. Jeder hatte seine Geheimnisse, und ich lag mit meinem wahrscheinlich ganz vorne, weswegen ich mich beim Verurteilen anderer lieber ganz hinten anstelle.

»Also dann...«, begann ich und klappte den Collegeblock auf, der vor meinem Laptop lag. »Ich hatte mir gedacht, dass wir einen Fragebogen mit mehreren Fragen entwerfen, die sich auf die Zufriedenheit der Menschen beziehen. Allerdings könnten wir hier den Schwerpunkt auf ihre finanzielle Lage legen, beziehungsweise ihre Wohnungslage in der Stadt. Ich denke, dass wir damit gut arbeiten können, weil ich in anderen Kursen wie zum Beispiel Stadtplanung diese Themen behandele. Also ist unserer Hauptfrage, wie glücklich die Menschen in den unterschiedlichen Vierteln der Stadt sind. Wir suchen uns einige heraus, fragen eine bestimmte Anzahl an Einwohnern und addieren am Ende die Ergebnisse. Den jeweiligen Durchschnitt können wir dann mit den einzelnen Vierteln vergleichen, um ein Fazit ziehen zu können und zu sehen, wie sehr sich die Umgebung auf das Wohlbefinden der Menschen auswirkt, und wo in der Stadt die Menschen am glücklichsten leben.«

»Mhm.« Ich warf Grace einen kurzen Blick zu und sie setzte sich augenblicklich aufrechter hin. »Ja, klingt super.«

Ich musste mir ein Schmunzeln verkneifen. Es war offensichtlich, dass Grace das Projekt alles, aber nicht super fand. Sie schien meine Reaktion bemerkt zu haben, denn sie sackte neben mir zusammen und seufzte auf. »Tut mir leid, ich habe dir von Anfang an gesagt, dass ich keine große Hilfe sein werde.«

Aufmunternd sah ich sie an. »Du bist eine sehr große Hilfe.«

Sie hob vielsagend die Augenbrauen, und ich deutete auf den Fragebogen. Ich erinnerte mich, dass ich sie damals im Kurs unterbrochen hatte, während sie ganz versunken an einem Text geschrieben hatte. »Während ich die Fragebögen erstelle, könntest du eine Einleitung schreiben. Also irgendetwas zum Thema »Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum.«

Schlagartig veränderte sich Graces Miene und sie nickte erleichtert. Ihr Stimmungswandel ließ mich ebenfalls durchatmen.

Den restlichen Nachmittag arbeiteten wir Seite an Seite an unserem Projekt. Während Grace an ihrem Text schrieb, konnte ich mich nicht davon abhalten, sie hin und wieder zu beobachten. Die Art und Weise, wie sie ihre Nase kraus zog, wenn sie nachdachte oder das leichte Lächeln, welches an ihren Mundwinkeln zuckte, wenn sie schrieb, lenkten mich ab. Ihre pure Anwesenheit bedeutete für mich Stress. Sie wirkte so unschuldig, dass ich mich noch schlechter fühlte. Sie hatte es nicht verdient von mir ausgenutzt zu werden. Doch das durfte nicht die obere Priorität sein. Und das war es auch nicht. Für mich stand das Leben meiner Freunde an höchster Stelle. Und ich hatte nicht vor, zuzulassen, dass sie die nächste Jahre im Gefängnis verbrachten, nur weil ich mich Grace gegenüber schlecht fühlte.

»Das Essen ist gleich fertig. Wie weit seid ihr?«

Ich hob den Blick von der letzten Frage auf dem Fragebogen und knackte meinen steifen Nacken, was Zola, die im Türrahmen der Küche lehnte, das Gesicht verziehen ließ. Ihre schwarzen Haare waren zu einem Zopf gebunden und über ihrer farbenfrohen Bluse trug sie eine von Lucs großen Schürzen.

»Also ich bin so gut wie fertig«, gab ich zurück und blickte zu Grace, die den Zeigefinger hob und einige Sekunden später erleichtert ausatmete. »Sorry, ich musste den Satz noch beenden, der war so gut, den hätte ich nicht verlieren dürfen.« Sie drehte den Kopf und sah über die Sofalehne hinweg zu ihrer Freundin. »Ich bin auch bereit zum Essen. Sonst sterbe ich gleich.«

Zola schüttelte warnend den Kopf. »Wehe! Ich brauche dich noch.«

Grace lachte, klappte ihren Laptop zu und erhob sich mit einer fließenden Bewegung. »Was gibts denn?«

»Pilzrisotto mit Salat und zum Nachtisch Tiramisu, beides wahlweise vegan«, antwortete Luc aus der Küche, und ich stieß ein zufriedenes Brummen aus, bevor ich die Stimme hob. »Luc? Ich liebe dich dafür!«

Er kam grinsend ins Wohnzimmer, in der einen Hand Topflappen, in der anderen einen Stapel Teller. »Ich weiß.«

Wir deckten den Holztisch in unserem Esszimmer, und während Luc eine seiner Indieplaylists startete, füllte ich unsere Teller.

»Wow, dass sieht so toll aus, obwohl Zola mitgeholfen hat!«, staunte Grace und fing sich dafür einen entrüsteten Blick von Zola ein. Ich konnte sehen, wie die Mundwinkel der beiden zuckten. Diese Art von Freundschaft war mir nur allzu bekannt - von Luc und mir.

»Zola war eine große Hilfe«, verkündete Luc, was ihre Wangen ein wenig erröten ließ. Ich warf meinem besten Freund einen vielsagenden Blick zu, doch er ignorierte mich und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, bevor er nach seinem Wasserglas griff.

In den nächsten Minuten bewunderten wir Lucs Kochkünste und wieder einmal wurde mir klar, wie gut vegan Gerichte schmeckten. Leider war ich selbst nicht strikt genug, um meine Ernährung umzustellen. Umso glücklicher war ich, dass Luc von Zeit zu Zeit das Kochen in unserer WG übernahm.

Als wir auch den Nachttisch gegessen hatten, wurde die hitzige Diskussion zwischen Grace und Luc über eine mir unbekannte Netflixserie von einem Benachrichtigungston unterbrochen.

Grace zog ihr Handy aus der Hosentasche und warf einen kurzen Blick auf das Display. Sie tauschte einen Blick mit Zola, die sich daraufhin zu ihr hinüber beugte und ebenfalls auf den Bildschirm sah. »Alles okay?«

Grace sperrte das Handy und machte eine wegwerfende Handbewegung, doch trotzdem konnte ich den aufgewühlten Ausdruck in ihren Augen erkennen. »Mein Vater will mit mir sprechen, aber das kann warten.«

»Meinst du es hat etwas mit den Guardians zu tun?«, fragte Zola leise, woraufhin Luc sich prompt an seinem Wasser verschluckte und ein erschrockenes Husten unterdrückte.

Grace zuckte mit den Schultern und drehte ihr Glas hin und her, während ich meinem besten Freund warnend auf den Rücken klopfte. »Ich hoffe nicht. Das würde nämlich bedeuten, dass er herausgefunden hat, dass ich ihn angelogen habe.«

Sie bemerkte Lucs Blick, der aus ganz anderen Gründen irritiert wirkte, als sie wahrscheinlich dachte, und fügte erklärend hinzu: »Die Guardians haben letztens einen Freund von mir angegriffen. Mein Dad arbeitet an dem Fall, und ich habe ihm nicht erzählt, dass ich an dem Abend auch dabei war. Ich hoffe, er hat es nicht doch irgendwie herausgefunden.«

Luc räusperte sich und neigte, mit einem kurzen Blick in meine Richtung, den Kopf. »Oh. Okay? Ähm. Wie... ähm blöd.«

Ich musste mich zusammenreißen, um nicht die Augen zu verdrehen. Luc hasste es zu lügen, weswegen er auch nicht besonders gut darin war. Schnell beugte ich mich vor und wandte mich interessiert Grace zu. Ich konnte nicht anders, als die nächste Frage auszusprechen. »Und meinst du, sie werden die Guardians bald fassen?«

Grace seufzte und starrte auf ihren leeren Teller. »Ich hoffe es. Ich würde gerne wissen, was ihre Intention ist. Und wieso sie Connor zusammengeschlagen haben.«

Das wüsste ich allerdings auch gerne, ging es mir durch den Kopf, doch ich nickte nur und lehnte mich wieder zurück. Ich war mir immer noch nicht sicher, ob Jacob die Wahrheit gesagt hatte. Hatte er den Mitarbeiter des Selfdefenders wirklich für einen der Drogendealer gehalten? Wir waren immerhin später als er eingetroffen, niemand von uns wusste, was sich dort zuvor abgespielt hatte. Zumal der Ort, an dem der Handel stattgefunden hatte, soweit wir wussten, über keine Kameras verfügte.

Bevor ich weiter nachdenken konnte, griff Luc nach meinem leeren Teller und stellte ihn auf die anderen drei.

»Bleibt sitzen, ihr habt schon gekocht!«, protestierte Grace und nahm Luc energisch die Teller aus der Hand, welche er eben zusammengestellt hatte. Er warf mir einen perplexen Blick zu, und ich konnte mein Grinsen nicht unterdrücken, während ich mich ebenfalls erhob und nach den leeren Salatschüsseln griff. Ich hätte bei dem ersten Blick auf Grace auch nicht erwartet, wie stur und energisch sie sein konnte. 

Als ich mit den letzten Schüsseln vom Tisch die Küche betrat, stand Grace mit dem Rücken zu mir an der Spüle und wusch unsere Teller ab. Ich ließ den Blick über ihren Körper wandern, der von der engen Jeans und dem blauen Shirt betont wurde. Die rötlich glänzenden Haare fielen ihr über die Schulter und ich erinnerte mich, wie weich sie sich unter meinen Fingern angefühlt hatten. Ich atmete tief durch, um meine Gedanken zu unterbinden und trat näher.

»Wir haben auch eine Spülmaschine«, murmelte ich belustigt, was sie dazu brachte, mir über die Schulter ein Lächeln zuzuwerfen. »Ich weiß, aber so geht es schneller.«

Unaufgefordert stellte ich mich neben sie und nahm die bereits sauberen Teller, um sie abzutrocknen. Sie quittierte es mit einem leichten Blinzeln und reichte mir die nächste Schüssel.

Wir arbeiteten schweigend nebeneinander, hin und wieder streifte ich mit meinem Arm den ihren, was sie jedes Mal für eine Sekunde erstarren ließ. Einerseits hasste ich mich dafür, diese Reaktion bei ihr auszulösen, andererseits fühlte sich diese kleine Regung für mich an wie ein kleiner Erfolg.

»Wieso bist du eigentlich gestern in den Club gekommen?«

Ich riss den Blick von Graces Fingern los, die in diesem Moment den nächsten Teller umfassten, und sah sie fragend an. »Wieso nicht?«

Sie räuspert sich, und ich konnte sehen, wie unwohl sie sich fühlte. »Du hast dich in der Woche davor nicht mehr gemeldet. Irgendwie habe ich nicht damit gerechnet, dass du kommst.«

Ich ließ das Handtuch sinken und lehnte mich an die Küchenzeile, um Grace direkt ansehen zu können. Sie fuhr konzentriert mit der Spülbürste über den Tellerrand, der jedoch längst sauber war. Ihre direkte Frage überraschte mich. Sie hatte gestern bereits anklingen lassen, dass sie meine Funkstille beschäftigt hatte. Doch da war sie betrunken gewesen.

»Ich hatte viel zu tun«, erwiderte ich, was wenigstens die halbe Wahrheit war. Ich hatte mich neben etlichen Hausarbeiten sehr viel mit Guardiansachen beschäftigt. Dass ich ihr tatsächlich aus dem Weg gegangen war, musste sie ja nicht wissen.

»Ist ja auch nicht schlimm«, sagte sie hastig und drehte sich herum, um nach dem Besteck zu greifen. Ich betrachtete sie nachdenklich, und mit einem Mal dämmerte mir etwas. »Warte mal, dachtest du, ich würde mich vielleicht gar nicht mehr melden?«

Obwohl sie nichts sagte, verriet ihr kurzes Erstarren sie.

»Grace?«

Ein Ruck durchfuhr ihren Körper und sie ließ die Spülbürste sinken. »Keine Ahnung, ich kannte dich ja noch gar nicht richtig.«

Kannte.

Sie hob den Blick und sah mir fest in die Augen. »Ich dachte, du wolltest das Projekt aus irgendeinem bestimmten Grund mit mir machen.«

Scheiße.

Meine Finger umschlossen das inzwischen feuchte Handtuch fester, und ich musste mich zusammenreißen nicht den Kopf abzuwenden, um dem aufmerksamen Blick aus ihren grünen Augen zu entkommen. Ich fühlte mich wie das größte Arschloch des Universums. Doch trotzdem zwang ich mich dazu, die nächsten Worte auszusprechen. »Und was glaubst du jetzt?«

Sie grinste mich an, ein Funkeln trat in ihre Augen. »Jetzt glaube ich, dass du ein viel zu großer Streber bist, um das Projekt einfach so abzubrechen.«

Ich schnappte entrüstet nach Luft und kam ihr gespielt drohend näher. Mit Genugtuung beobachtete ich, wie ihr freches Grinsen etwas anderem wich. Verlangen, Vorsicht und Furcht zuckten abwechselnd über ihr Gesicht. Ich kannte diese Reaktion, doch bei Grace war es etwas anderes.

Schweigend sah sie zu mir auf, die Augen aufgerissen, den Blick mit meinem verflochten. Ihre Lippen teilten sich langsam und zogen meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich lehnte mich ihr entgegen und stützte mich zu beiden Seiten ihrer Taille mit den Händen an der Arbeitsfläche ab, so wie gestern im Club. Sie stieß ein leises Keuchen aus, und ihr Rücken traf auf einen Küchenschrank, welcher sie stoppte. Uns trennten nur noch wenige Zentimeter, und ich spürte Graces warmen Atem auf meiner Haut. Abwechselnd wanderte ihr Blick von meinen Augen, zu meinen Lippen und wieder zurück.

Wie leicht wäre es, sie einfach anzufassen? Ihre Haut zu berühren, ihren Herzschlag zu spüren, ihre Lippen zu erkunden...

Graces Atem beschleunigte sich, und ich lehnte mich vor, bis ihre Brüste meinen Oberkörper strichen. Ich musste mich zusammenreißen, um die plötzlich brodelnde Leidenschaft in meinem Inneren zurückzudrängen.

Langsam ließ ich den Blick über Graces Gesicht wandern und beobachtete sie, während ich mich Zentimeter für Zentimeter näherte. Ich genoss ihre Reaktion auf meine Anwesenheit, meine Nähe, auf mich. Quälend langsam fuhr ich mit den Fingerspitzen die Kontur ihrer Wange nach. Grace Atem stockte und sie sah mich schweigend an.

Erwartete sie, dass ich sie küsste?

Bevor ich auf eine weitere Einladung warten konnte, überbrückte sie die letzten Zentimeter und senkte ihre Lippen auf meine. Sie fühlten sich kühl und weich an, und ich spürte, wie mein Blut in untere Regionen schoss. Augenblicklich lehnte ich mich ihr entgegen und erwiderte den Kuss. Während mein Körper sich auf den Kuss konzentrierte, waren meine Gedanken weit entfernt und drehten sich um die Polizei, das Vertrauen, welches ich von ihr brauchte, und die Guardians. Ich konnte mich nicht auf Grace einlassen, konnte den Kuss nicht genießen. Viel zu sehr stand ich unter Strom. Das hier war falsch.

Ich war kurz davor, mich zurückzuziehen, als Grace sich plötzlich von mir löste und nach Luft schnappte. Ihre Augen waren aufgerissen und mit einer einzigen Bewegung sprang sie von der Anrichte.

»Oh Gott. Ähm. Sorry.« Sie wandte mir den Rücken zu und fuhr sich durch die Haare.

Sorry?

Überrascht von ihrer plötzliche Reaktion blinzelte ich.

Scheiße. Wir waren einen Schritt zu weit gegangen, und sie schien es bitter zu bereuen. Scheinbar war ihr nicht nach mehr. Oder ich hatte sie mit dem Erwidern des Kusses überrumpelt. Doch wahrscheinlich war es besser so. Ich würde es nicht aushalten, sie auch noch körperlich auszunutzen. Es war effektiver, ihr Vertrauen auf freundschaftlicher Basis zu erlangen. So würde es am Ende nicht so sehr schmerzen, den Kontakt abzubrechen.

»Alles gut. Ich wollte dich nicht überrumpeln«, erklärte ich und beobachtete sie weiter, während ich mich mit verschränkten Armen an die Küchenzeile lehnte.

Grace hielt einen Augenblick inne und atmete tief durch, dann sah ich, wie sie nickte. »Kein Problem. Vergessen wir es einfach.«

Sie umklammerte die Spülbürste in ihrer Hand wie einen rettenden Anker. Irgendetwas stimme nicht. Doch ich hatte nicht vor, sie danach zu fragen. Stattdessen zwang ich mich zu einem Lächeln. Grace erwiderte es, doch trotzdem konnte sie das Gefühlschaos in ihren Augen nicht verbergen.


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Naa, was haltet ihr von dem Ereignis am Ende? :D

Und was glaubt ihr, über welche Serie könnten Grace und Luc diskutiert haben? 👀

Nochmal ein großes Danke an euch alle fürs Lesen meiner Geschichte 🥺😘 Das bedeutet mir wirklich unglaublich viel, und ich kann es immer noch nicht so realisieren, dass sie tatsächlich freiwillig gelesen wird, wow! :D❤️

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