Epilog
[GRACE]
- Knapp 2 Monate später -
Beschwingt öffnete ich die große Eingangstür des Gebäudes und hüpfte die wenigen Stufen hinunter auf den Gehweg. Der heutige Arbeitstag hatte, wie immer, Spaß gemacht, doch trotzdem freute ich mich auf das vor mir liegende Wochenende. Ein letztes Mal an diesem Tag drehte ich mich um und legte den Kopf in den Nacken, um den großen, weißen Schriftzug auf dem Hochhausdach sehen zu können. »Temporal Times«.
Ein Kribbeln durchfuhr meine Finger, und meine Mundwinkel hoben sich noch ein bisschen weiter an. Vor zwei Monaten hatte ich mein Praktikum bei der Zeitung begonnen, und es gefiel mir genauso sehr, wie ich erwartet hatte. Vielleicht sogar noch ein bisschen besser.
Ich drehte mich zurück und schlug den Weg zur nächsten Bahnstation ein. Mein Blick glitt über die vielen Bäume, die den Straßenrand säumten und dessen Blätter sich langsam verfärbten. Wie immer um diese Zeit spürte ich ein wehmütiges Ziehen in meiner Brust. Der Sommer neigte sich dem Ende zu, und bald würden die Tage wieder kürzer, dunkler und kühler werden. Doch ich wusste, sobald der Herbst vollkommen über die Stadt gezogen war, würde ich mich damit abfinden und anschließend umso mehr auf den nächsten Sommer freuen. Es war jedes Jahr so, und würde auch dieses Mal so sein. Manche Dinge ändern sich eben nie.
Genauso wie das Lächeln, welches sich auf meinem Gesicht ausbreitete, als hinter mir ein Hupen ertönte, und ich den Kopf hob. Einige Meter entfernt am Straßenrand lehnte Cole an seinem Motorrad und sah mir entgegen. Wie immer verschlug mir sein Anblick für einen Moment den Atem. Ich hatte ihn heute Morgen das letzte Mal gesehen, doch trotzdem fühlte es sich wie eine Ewigkeit an. Er trug zur Abwechslung eine hellblaue Jeans und einen dunklen Pulli. Mit schnellen Schritten näherte ich mich Cole und fiel ihm überschwänglich um den Hals. Mein Rucksack rutschte mir von der Schulter auf den Boden, doch das war mir in dieser Sekunde egal.
»Huch«, lachte er auf und erwiderte die Umarmung, bevor er mir einen innigen Kuss gab. Mir wurde kurzzeitig schwindelig, und meine Finger krallten sich in seinen Hoodie, bevor ich zu ihm aufsah. Er erwiderte meinen Blick, und seine Miene wurde sanft. »Wie war dein Tag?«
Ich musste bei dem Gedanken an alles, was ich heute in der Redaktion erlebt hatte, lächeln. »Anstrengend, aber schön. Und deiner?«
Cole wiegte den Kopf und lehnte sich zurück. »Langweilig und nicht so spannend. Bis jetzt.« Er sah mich vielsagend an und zog mich wieder näher, sodass ich gegen seine Brust stolperte. Ich verdrehte die Augen und gab ihm grinsend einen Klaps auf den Oberarm. Es war offensichtlich, dass ihm langweilig war, obwohl man meinen sollte, dass ihm die nächtlichen Aktionen mit den Guardians, welchen sie im Moment mehr denn je nachgingen, genug Beschäftigung waren. Die Semesterferien neigten sich langsam dem Ende zu, und Cole schien sich sichtlich darauf zu freuen, wieder in die Uni zu gehen. Während er, wie bisher, weiter studieren würde, hatte ich mich für ein Journalismusstudium eingeschrieben. Meine Eltern wussten von den Plänen und hatten gelassener reagiert, als erwartet.
Mom versuchte sich so gut wie möglich mit ihren Kommentaren zurückzuhalten, wofür ich ihr sehr dankbar war. Ich wusste, wie schwer es ihr fiel. Auch meine Beziehung zu Dad wurde immer besser. Das, was damals passiert war, stand nach wie vor zwischen uns, doch mit jedem Tag fiel es leichter den monströsen Berg an Schuldgefühlen, Enttäuschung und Argwohn zu überwinden.
»Was machst du überhaupt hier?«, wandte ich mich an Cole, der mich nach wie in den Armen hielt.
Er grinste amüsiert und tippte mir mit dem Zeigefinger auf die Nase. »Dich abholen.«
Ich blickte fragend zu seinem Motorrad und riss die Augen auf, als Cole einen zweiten Helm hinter dem Rücken hervorzog. »Wie cool!«, rief ich aus und griff nach dem schwarzen Helm, während Cole meinen Rucksack vom Boden aufhob. »Wie komme ich denn plötzlich zu dieser Ehre?«
Cole zuckte die Schultern und verstaute den Rucksack in der Box, aus der er zuvor meinen Helm geholt hatte. »Wurde langsam mal Zeit. Ich wollte dich schon immer mal abzuholen und wegzufahren, während alle anderen, die zur Bahn gehen müssen, uns neidisch hinterher starren.« Er sah sich auf dem leeren Gehweg um und verzog das Gesicht. »Irgendwie habe ich mir das hier belebter vorgestellt.«
Ich grinste. »Wie schade, dass dein toller Plan nicht aufgeht.«
Cole drehte sich strahlend zu mir um. »Tut er doch. Naja, so halbwegs. Komm, steig auf.«
Ich folgte seiner Aufforderung und schwang mich hinter ihm auf die Maschine. Hastig umfasste ich Coles Bauch, als er das Motorrad bewegte.
»Hast du nicht Angst aufzufallen, wenn du am helligsten Tag mit diesem Motorrad fährst?«, fragte ich Cole und sah mich unruhig um. Noch immer begleitete mich ein ungute Gefühl, wenn ich daran dachte, dass Cole womöglich als Guardian erkannt werden konnte.
Cole sah mich über die Schulter hinweg mit blitzenden Augen an. »Ich hab keine Ahnung wovon du redest. Ich hole nur meine Freundin von ihrem Praktikum ab. Halt dich fest, es geht los!« Er grinste, klappte das Visier seines Helmes herunter und gab Gas. Sekunden später reihten Cole sich in den Verkehr ein, und die Häuser zogen an uns vorbei, während der Fahrtwind mir durch die Haare wehte und mein Herz zum Rasen brachte. Aber auf eine gute Art.
༺
Ich war ein wenig zittrig auf den Beinen, als ich nach der halbstündigen Fahrt vom Motorrad stieg. Wir befanden uns in einer ruhigeren Wohngegend, nahe der Stadtmitte. Cole nahm mir den Helm ab und sah mich prüfend an. »Alles okay?«
Ich nickte und strich über seine Maschine. »Das war cool! Nächstes Mal fahre ich selber.«
Cole lachte auf und drehte sich zu mir herum. Mit einer schnellen Bewegung wuschelte er mir durch die, ohnehin schon wirren, Haare. »Das will ich sehen.«
Ich duckte mich unter seiner Hand weg und nickte grinsend. »Wirst du schon noch.«
»Hey ihr beiden.«
Wir drehten uns um und sahen Luc und Zola auf uns zukommen. Ich hob fragend die Augenbrauen, als Zolas Blick meinem begegnete, doch sie schüttelte nur kaum merklich den Kopf. Ich war mir nicht ganz sicher, wie man Zolas und Lucs Beziehung bezeichnet sollte. Waren sie Freunde? Bekannte? Oder irgendwie mehr? Zola war auf ein weiteres Date mit Aaron gegangen, doch auch danach hatte sie nicht sonderlich überzeugt geklungen. Nach wie vor hatte ich das Gefühl, dass Zola Luc ein wenig mehr mochte, als sie mir, und vielleicht auch sich selbst, gegenüber zugab. Doch ich drängte sie zu keiner Antwort. Ich wusste, wie schwer es ihr gefallen war, sich überhaupt in Gesellschaft der Jungs wohlfühlen. Doch es wurde immer besser.
Luc begrüßte mich mit einem Lächeln. »Wie war es heute in der Redaktion?«
»Super! Es macht mir immer noch unglaublich Spaß.«
Luc zwinkerte mir freundlich zu. »Das freut mich.« Ich wusste wie ernst er diese Worte meinte, weswegen ich ihm dankbar zulächelte.
Wir setzten uns in Bewegung und steuerten auf die Eingangstür eines Hochhauses zu. Wenig später befanden wir uns in dem hell erleuchteten Eingangsbereich und betraten von dort den Fahrstuhl, welcher zwar alt, aber sauber war.
Cole deutete auf die Tüte in Zolas Hand, deren Inhalt wir vor einigen Tagen zusammengestellt hatten. »Euer Einweihungsgeschenk?«
Ich nickte und drückte die 2 auf der Etagenanzeige.
»Wir wollten ihnen eigentlich aus Witz zum Einzug unsere Couch schenken, aber jetzt...« Luc ließ den Satz unbeendet, doch wir alle wussten, was er meinte. Ein ungutes Gefühl machte sich in meiner Magengegend breit, und ich senkte den Blick.
Vor einigen Wochen hatte Zac ganz plötzlich Coles und Lucs WG verlassen, und war zurück in das Haus seines Vaters gezogen. Er hatte gesagt, dass er doch noch nicht bereit für so eine große Veränderung war, in eine eigene Wohnung zu ziehen, doch keiner von uns glaube ihm so richtig. Allerdings hielt Zac an den Worten fest und verhielt sich so wie immer, was mich noch mehr beunruhigte. Irgendetwas musste vorgefallen sein. Und ich konnte nur hoffen, dass Zac sich an seine Freunde wandte, wenn er Hilfe brauchte.
»Dann wollen wir mal«, durchbrach Luc die Stille und verließ als Erster den Fahrstuhl. Wir folgten ihm zu der zweiten Wohnung, auf der rechten Seite des Gangs, und betraten sie durch die nur angelehnte Tür. Laute Musik und Stimmen drangen zu uns heraus, als wir nacheinander durch den kleinen Eingangsbereich in das Wohnzimmer liefen.
»Ich hab gehört hier steigt heute eine Party!«, rief Cole aus, bevor er Joel und Jacob per Handschlag begrüßte.
Zola und ich begrüßten die beiden ebenfalls und überreichten Joel unser Einweihungsgeschenk. Durch die viele Zeit, die wir miteinander verbracht hatten, während die Jungs in der Nacht unterwegs waren, hatte sich zwischen uns eine gute Freundschaft entwickelt. Ich mochte seine ruhige Art, genauso wie die vielen entspannten Gespräche, die man mit ihm führen konnte.
»Und, bereust du es schon?«, fragte ich ihn, was ihm ein verzweifeltes Lachen entlockte. Joel fuhr sich durch die Haare und rückte seine Brille zurecht. »Naja, ich glaube, wenn alles erst mal aufgebaut ist, dann...«
»Wer bereut was schon? Hey, Grace!« Zac tauchte neben mir auf und zog mich in eine Umarmung, bevor er mich breit anlächelte.
»Fuck!«
Ich wandte mich bei dem Ausruf erschrocken zu Jacob um, der Zac verstört anstarrte. »Alter! Wie siehst du denn aus?!«
Ich folgte seinem Blick und realisierte erst jetzt, dass Zac ein weißes Hemd, Rollkragenpulli und ordentlich gemachte Haare trug. Er wirkte vollkommen professionell. Erst als ich genauer hinschaute, meinte ich zu erkennen, dass seine blauen Augen ein wenig trübe, und die Ringe unter ihnen etwas dunkler waren als sonst.
Zac grinste nur und hob die Schultern. »Besondere Anlässe erfordern besondere Maßnahmen. Hey, Zola!« Er ging, ohne meinen besorgten Blick zu beachten, an mir vorbei und begrüßte meine beste Freundin ebenfalls mit einer Umarmung.
Da es offensichtlich war, dass Zac nicht über sich reden wollte, schob ich meine unguten Gedanken beiseite und sah mich interessiert im Wohnzimmer um. Das letzte Mal, als ich hier gewesen war, hatten wir die Wände gestrichen. Jetzt strahlten sie in einem sauberen Weiß. Ein Regal mit großem Fernseher stand an einer Wand, unzählige Computerspiele, einige Konsolen und viele DVDs waren, mehr oder weniger ordentlich, neben dem Bildschirm aufgereiht. Durch mehrere Fenster schien Licht in den Raum und erhellte die schlichten Möbel.
»So meine Freunde, stoßen wir zur Feier des Tages doch einfach schon Mal an, oder?«, rief Zac und schlug feierlich ein Messer gegen seine Bierdose. Amüsiert stellte ich mich zu Zola, die, ebenfalls grinsend, Zacs Bewegungen verfolgte. Zac verzog das Gesicht und sah sich um, als keiner seiner Freunde reagierte. »Ey! Macht mal jemand die Musik leiser?«
»Ich wollte diesen Quatsch sowieso nie hören«, brüllte Jacob über den lauten Popsong hinweg, der gerade lief, griff aber nach dem Handy neben der Musikbox und ließ die Musik abrupt verstummen.
»Oh, wow.« Zac stöhnte auf und drückte Joel, welcher sich gerade mit Cole unterhielt, seine Bierdose und das Messer in die Hand. »Mach du mal ne Ansprache, ist schließlich deine Wohnung. Ich hab was zu erledigen.«
Während Zac zu Jacob trat und eine Diskussion mit ihm startete, schüttelte Joel irritiert das Bier in seiner Hand. »Das ist ja schon leer? Ähm, ja, gut. Danke, dass ihr alle hier seid. Die richtige Einweihungsparty startet erst in einer halben Stunde, aber ich wollte euch noch einmal persönlich danken, bevor die anderen kommen. Ohne eure Hilfe die letzte Zeit wäre nichts hiervon möglich geworden.«
Zac wollte etwas erwidern, doch im selben Moment hallten ein schneller Beat, begleitet von lauter Heavy Metal Musik, durch die Wohnung. Zola verzog das Gesicht, während Zac herumfuhr und sich auf Jacob stürzte. Die beiden gingen zu Boden und rangen um das Handy in Jacobs Hand.
Joel fuhr sich erschöpft über die Augen. »Die Nachbarn werden mich hassen... Ich bin doch gerade erst eingezogen.«
Luc klopfte ihm mitleidig auf die Schulter und ging dann zwischen seine streitenden Freunde.
»Was ein Chaos«, murmelte Cole amüsiert hinter mir. Eine Gänsehaut überzog meine Haut, als ich seine Präsenz in meinem Rücken spürte. Nickend lehnte ich mich ihm entgegen und genoss die ausgehende Wärme von seiner Hand, die er sanft über meinen Arm gleiten ließ.
»Du hast komische Freunde«, feixte ich und sah grinsend zu ihm auf, während er kopfschüttelnd auf mich hinabblickte. »Nein. Wir haben komische Freunde.«
Mein Herz stolperte, und mir wurde warm. Ein Poltern ertönte, und aus dem Augenwinkel sah ich, wie Joel Zacs Handy blind in Zolas Richtung warf. Sie wich aus, und das Telefon wurde von dem weichen Teppich auf dem Boden verschluckt. Cole hatte recht. Auch, wenn wir alle unsere Fehler hatten, teilten wir ein Geheimnis, welches uns für immer miteinander verbinden würde. Egal, in welche Richtungen unsere Wege führten.
Ich drehte mich um und stellte mich auf die Zehenspitzen, um Cole einen Kuss zu geben. Er blickte mich unter langen Wimpern träge an, seine Augen leuchtetem, und ich verlor mich in ihnen. »Ich liebe dich.«
»Und ich dich erst«, erwiderte er mit solch einer Ehrlichkeit, dass ich ihn erneut küssen musste. Ich war endlich angekommen. Und alles war perfekt.
E N D E
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Schaut gerne noch beim nächsten Teil vorbei ❥
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